Europarecht

21 U 3245/20

Aktenzeichen  21 U 3245/20

Datum:
31.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47471
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

51 O 1214/19 2020-04-30 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 30.04.2020, Aktenzeichen 51 O 1214/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 45.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sog. „Diesel Abgasskandal“.
Der Kläger erwarb am 16.06.2017 den streitgegenständlichen gebrauchten Audi A6 … (Euro 6), Erstzulassung 03.02.2015, zu einem Kaufpreis von 45.500 € (Anlage K 1, 2). Das Fahrzeug ist finanziert.
Das mit einem V6- Dieselmotor ausgestattete Fahrzeug verfügt über zwei Mechanismen zur Reduktion von Stickoxiden, nämlich die Abgasrückführung und den SCR-Katalysator (selektive katalytische Reduktion). Es war von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) wegen der Feststellung unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen. Das Software-Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt am 12.11.2018 freigegeben.
Der Kläger begehrt Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.
Im Einzelnen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 ZPO, sowie auf den Hinweisbeschluss vom 23.03.2021.
Das Landgericht Ingolstadt hat die Klage mit Urteil vom 30.04.2020 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch bestehe nicht, weil es an der Aktivlegitimation des Klägers fehle. Die Kaufpreisfinanzierung eines Teils des Kaufpreises von 33.000 € sei unstreitig und damit auch die Sicherungsübereignung des Fahrzeugs an die Bank. Der Kläger habe hierzu nicht substantiiert vorgetragen.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter verfolgt. Er rügt, dass das Gericht vermutet habe, dass der Kläger seine Ansprüche an die Bank abgetreten habe. Dies genüge nicht für einen Nachweis. Er habe nur Ansprüche im Falle einer Beschädigung des Fahrzeugs durch Dritte abgetreten. Auf die Eigentümerstellung komme es für einen Anspruch aus § 826 BGB nicht an. Im Übrigen verweist er auf seinen Vortrag in erster Instanz. Bezüglich des Vortrags im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 27.08.2020 Bezug genommen, Bl. 204 ff. d.A., sowie den weiteren Schriftsatz vom 16.10.2020, Bl. 217 ff d.A..
Er beantragt unter Abänderung des am 30.04.2020 verkündeten Urteils
I. Die Beklagte unter Abänderung des Urteils Landgericht Ingolstadt 51 O 1214/19 zu verurteilen, an die Klagepartei EUR 45.500,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zugum-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Audi A6 …
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.099,76 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, das Urteil des Landgerichts sei zutreffend. Das Fahrzeug verfüge nicht über eine dem Motor EA 189 vergleichbare Umschaltlogik. Der Rückruf des KBA betreffe nur die aktive Restreichweitenwarnung. Nur in den Fällen, in denen das verbleibende AdBlue nur noch für eine Strecke von 2.400 km ausreicht und ein Fahrer über längere Zeit hochlastig und dynamisch fahre, werde der Wirkungsgrad der AdBlue Einspritzung herabgesetzt. Dies komme im normalen Fahrbetrieb praktisch kaum vor.
Mit Beschluss vom 23.03.2021 (Bl. 242/251 d.A.) hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der Kläger hat hierzu mit Schriftsatz vom 03.05.2021 Stellung genommen. Er beruft sich auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt, Az. 4 U 274/19, bei dem für den Motor EA 897 eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB bejaht worden sei. Die Aktivlegitimation der Klagepartei sei gegeben. Zudem weist er auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des EuGH zu temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen hin, sowie auf die Leitlinien der Europäischen Kommission C(2017) 352 vom 26.01.2017, in denen die grundlegende Methodik zur Erkennung von Abschalteinrichtungen dargelegt werde.
Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt Angaben zur konkreten Funktionsweise der Abschalteinrichtung gemacht. Ihr sei klar gewesen, dass die Angabe dazu geführt hätte, dass die Genehmigung nicht erteilt hätte werden dürfen. Ihr obliege insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Das Berufen der Beklagten auf den Motorschutz sei nicht ausreichend. Die Messwerte vergleichbarer Fahrzeuge lägen ganz erheblich über denen des NEFZ. Hinsichtlich der Ausführungen im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 03.05.2021, Bl. 256 ff d.A., verwiesen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 30.04.2020, Aktenzeichen 51 O 1214/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 23.03.2021 Bezug genommen. Frau R. am Oberlandesgericht …, die an dem Hinweisbeschluss nicht mitgewirkt hat, tritt diesem vollumfänglich bei. Im Hinblick auf die Stellungnahme der Klagepartei vom 03.05.2021 sind noch folgende Ausführungen veranlasst:
1. Das vom Kläger zitierte Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 24.02.2021, Az. 4 U 274/19, betrifft zwar ebenfalls einen 3.0 TDI Motor der Beklagten, doch hatte dort die Beklagte selbst angegeben, dass der Rückruf wegen der „Aufwärmfunktion“ erfolgt sei (OLG Frankfurt, aaO, Rn. 17) und das Oberlandesgericht hatte eine sittenwidrige Schädigung wegen der Aufheizstrategie bejaht (aaO, Rn. 48 ff). Darum geht es hier aber nicht: Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ausdrücklich bestritten, dass ein Rückruf wegen der Aufheizfunkton erfolgt sei, und nur einen Rückruf im Hinblick auf die AdBlue-Einspritzung bei einer Restreichweite unter 2.400 km zugestanden. Dann ist aber eine Aufheizstrategie im vorliegenden Fall gerade nicht unstreitig.
Der Kläger hat selbst mit Schriftsatz vom 14.02.2020, S. 1 f, vorgetragen, dass es zwei Rückrufe von 3.0 TDI Motoren der Beklagten gab, nämlich einen vom 21.01.2018 und einen von Anfang Mai 2018. Lediglich die Betroffenheit von dem zweiten Rückruf wegen Drosselung der AdBlue Einspritzung ist unstreitig. Insoweit liegt aber, wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht vor.
Die Tatsache, dass es sich hier um einen 3.0 l TDI Motor, Schadstoffklasse 6, der Beklagten handelt, bietet keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass er auch über die vom KBA beanstandete und der zitierten Entscheidung des OLG Frankfurt zugrunde liegende Aufheizstrategie verfügt. Denn tatsächlich definiert sich der Typ eines Motors nicht nach der internen Bezeichnung des Automobilherstellers wie EA 189 oder EA 897 (EA = Entwicklungsauftrag), sondern nach dem Motorkennbuchstaben. Dies ergibt sich zum einen aus den Fahrzeugpapieren (Teil I, dort unter D2), zum anderen auch aus den vom Kraftfahrtbundesamt veröffentlichten, über dessen Homepage allgemein zugänglichen und damit offenkundigen Übersichten zu Rückrufen. Auch unter der dort veröffentlichten „Übersicht Motor EA 189“ findet sich jeweils eine genaue Bezeichnung des Motortyps anhand des Motorkennbuchstabens. Eine vergleichbare Zusammenfassung der von der Beklagten hergestellten und betroffenen Motorentypen nach der betriebsinternen Bezeichnung – EA 897 – findet sich indes nicht in der Übersicht des Kraftfahrtbundesamts zu Rückrufen in Bezug auf Motoren der Beklagten, vielmehr sind dort nur die einzelnen Motorkennbuchstaben aufgeführt. Hinsichtlich der unter der betriebsinternen Bezeichnung EA 189 zusammengefassten Motortypen mag der Hinweis, dass ein Fahrzeug ebenfalls einen Motor „des Typs EA 189“ enthält, als greifbarer Anhaltspunkt für das Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer „Umschaltlogik“ genügen, da aus der Übersicht des Kraftfahrtbundesamtes ersichtlich ist, dass eine große Vielzahl von Motoren mit unterschiedlichem Motorkennbuchstaben hierunter zu fassen sind. Dies gilt aber nicht für die von der Beklagten hergestellten Motoren, da sich aus der Übersicht des Kraftfahrtbundesamtes eine solche Zuordnung zu einer betriebsinternen Bezeichnung gerade nicht entnehmen lässt.
Maßgeblich bleibt damit der konkrete Motorkennbuchstabe. Auch in dem vom BGH mit Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19, entschiedenen Sachverhalt hat die dortige Klagepartei auf den Motorkennbuchstaben des dort streitgegenständlichen Fahrzeugs abgestellt, nämlich „…“. Aus der von der Klagepartei als Anlage K2 vorgelegten ZulassungsbescheinigungTeil I ergibt sich der Motorkennbuchstabe CRT. Eine Betroffenheit vom Rückruf wegen einer Aufheizstrategie erschließt sich daraus nicht.
2. Die Ausführungen zur behaupteten Unzulässigkeit des Thermofensters führen nicht zu einer anderen Wertung. Bereits im Hinweisbeschluss wurde ausgeführt, dass die Unzulässigkeit unterstellt werden kann, aber für eine Sittenwidrigkeit keine „weiteren Umstände“, wie sie der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 09.03.2021 fordert, sprechen. Wie die Klagepartei selbst auf S. 6 ihrer Stellungnahme vorträgt, war die Beklagte der Auffassung, es handle sich um einen zulässigen Industriestandard. Für eine Offenlegung bestand in diesem Fall keine zwingende Veranlassung. Eine bloße Nichtoffenlegung ist in diesem Fall einer bewussten Verschleierung nicht gleichzustellen.
3. Die von der Klagepartei in Bezug genommenen Leitlinien der Kommission … können für sich genommen schon deshalb keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Sittenwidrigkeit haben, weil sie zum Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens noch nicht existent waren. Allerdings sind die Hinweise, wie bei Messungen unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt werden können (Stellungnahme S. 13 ff), zu beachten. Die Klagepartei beruft sich auch darauf, Messungen hätten ergeben, dass die zulässigen Grenzwerte bei anderen Prüfungen als solchen im Rahmen des Prüfzyklus 1 (NEFZ) zum Teil massiv erhöhte Abgaswerte zeigen (etwa S. 5 der Stellungnahme). Auch im Lichte der Leitlinien der Kommission genügt der Vortrag indes nicht den Anforderungen als „greifbare Anhaltspunkte“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs:
Die bloße Überschreitung der Grenzwerte in anderen Messumgebungen als im Rahmen des Prüfzyklus 1 ist für sich genommen – anders als die Klagepartei meint – kein hinreichender Anhaltspunkt. Denn die erforderlichen Messungen im Prüfzyklus 1 stellen auf eine genormte Situation ab, die zwangsläufig im Rahmen von Messungen im realen Straßenverkehr nicht vorliegen; es muss daher zu anderen Messwerten kommen. Gerade deshalb hat der europäische Gesetzgeber den früher geltenden Prüfzyklus durch einen neuen Test ersetzt, wonach Überprüfungen auch im Straßenbetrieb stattfinden (Erwägungsgründe 3, 7, 8, 9 der Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016, ABl. L vom 26.04.2016, 1 ff.). Hierin könnte zwar, auch im Hinblick auf die Leitlinien der Kommission, gleichwohl bei bestimmten besonders hohen Abweichungen ein Indiz liegen – dabei ist aber zu berücksichtigen, dass jedenfalls allein schon aufgrund des Einsatzes von Thermofenstern deutliche Abweichungen verursacht werden (siehe Bericht der „Untersuchungskommission Volkswagen“, Anlage K5, S.18). Dann ist ein Schluss aus besonders hohen Grenzwertüberschreitungen auf das Vorliegen von anderen Abschalteinrichtungen neben einem Thermofenster nicht gerechtfertigt.
Zudem zeigt der Bericht der „Untersuchungskommission Volkswagen“, dass immer konkret auf einzelne Fahrzeugtypen abzustellen ist. Das Kraftfahrtbundesamt konkretisiert dies nach der Handelsbezeichnung (z.B. A6 3.0 l), der Schadstoffnorm, dem Hubraum, der Motorleistung, des Alters des Fahrzeugs und der Art der Abgasreduktion. Die Klagepartei hat in der Stellungnahme auf S. 18 zur HBEFA-Studie zu einem Fahrzeug mit 180 kW vorgetragen, während das vorliegende 200 kW hat. Auch die vorgelegten Messungen der Deutschen Umwelthilfe betreffen keinen A6 mit 200 kW. Das vom Kraftfahrtbundesamt (Anlage K C 4) gemessene Fahrzeug (…) hat 235 kW und nicht wie das klägerische Fahrzeug 200 kW.
Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten besteht unter diesen Umständen nicht.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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