Europarecht

Abgeltung für krankheitsbedingt nicht realisierten Urlaub

Aktenzeichen  3 BV 16.2630

Datum:
19.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2267
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 88/2003/EG Art. 7 Abs. 1
BV Art. 95 Abs. 1 S. 1
BayBG Art. 93
UrlV § 10 Abs. 1, 3, § 25
VwGO § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 5 S. 1, § 125 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Gibt es keine ausreichend langen nationalstaatlichen Verfallsregelungen, dann tritt auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH ein Verfall des Urlaubsanspruches 18 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres ein; einen nationalstaatlich geregelten Übertragungszeitraum von 15 Monaten hat der EuGH gebilligt (so grundlegend BVerwG BeckRS 2013, 47871, BVerwG BeckRS 2018, 2021). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage der Ableitung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs aus Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG aufgrund krankheitsbedingt vor Eintritt in den Ruhestand nicht genommenen Urlaubs auch für Beamte ist in der Rechtsprechung geklärt (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 51314). (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen zum Vollzug der Urlaubsverordnung, mit der im Vorgriff auf eine in Zukunft erfolgende Regelung der Urlaubsverordnung erstmalig ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung eingräumt und die Verfallsfrist in der geltenden Urlaubsverordnung abgeändert werden soll, fehlt die erforderliche Rechtsqualität, anderslautende Regelungen der Urlaubsverordnung außer Kraft zu setzen (Abkehr von BayVGH BeckRS 2015, 48089). (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 1 K 16.1099 2016-11-16 Ent VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. November 2016 wird aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Polizeipräsidiums Mittelfranken vom 13. Mai 2014 und des Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2016 verpflichtet, dem Kläger eine Abgeltung für nicht genommenen Erholungsurlaub aus dem Jahr 2012 im Umfang von 20 Tagen in Höhe von 2.539,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23. Juni 2016 zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung des vierwöchigen Mindestjahresurlaubs (Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG) für das Jahr 2012 (20 Urlaubstage), den er krankheitsbedingt vor seiner mit Ablauf des 30. April 2014 erfolgten Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht mehr antreten konnte. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid des Polizeipräsidiums Mittelfranken vom 13. Mai 2014 und der Widerspruchsbescheid der gleichen Behörde vom 30. Mai 2016 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Abgeltung seines unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubs von vier Wochen gemäß Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG zu. Diesem Anspruch liegt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 22.11.2011 – Rs. C-214/10, KHS – juris) zu Grunde. Danach tritt immer dann, wenn keine ausreichend lange nationalstaatliche Bestimmung über den Verfall des Mindesturlaubs in Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG getroffen ist, ein Verfall des Urlaubsanspruchs 18 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres ein (1.). Für das Urlaubsjahr 2012 fehlte es hier in der Urlaubsverordnung an einer Normierung einer kürzeren (15-monatigen) Verfallsfrist (2.). Die Urlaubsverordnung in der für die Frage des Verfalls von Ansprüchen aus dem Urlaubsjahr 2012 (bis 31. Juli 2014) maßgeblichen Fassung enthielt in § 10 UrlV weder eine ausreichend lange Verfallsfrist noch eine Abgeltungsvorschrift (2.1). Hieran hat auch das vom Verwaltungsgericht in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellte FMS vom 3. Juni 2012 nichts zu ändern vermocht, denn es konnte als reine Verwaltungsvorschrift die Urlaubsverordnung inhaltlich nicht abändern (2.2). Die Frage, ob das FMS als „einzelstaatliche Gepflogenheit“ im Sinn von Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG angesehen werden kann, bedarf keiner Entscheidung (3.).
1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 22.11.2011 – Rs. C-214/10, KHS – juris) verfällt der unionsrechtliche Mindestjahresurlaub nach Ablauf eines nationalstaatlich bestimmten, hinreichend langen Übertragungszeitraum; fehlt es an einer ausreichend langen nationalstaatlichen Verfallsregelung, verfällt der Urlaubsanspruch 18 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres, denn der Zweck des Urlaubs kann nach Ablauf dieser Frist nicht mehr vollständig erreicht werden (vgl. Art. 9 Abs. 1 Übereinkommen Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub). Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 31. Januar 2013 (2 C 10.12, juris Rn. 20ff.) angeschlossen (vgl. insoweit auch OVG NW, U.v. 2.4.2013 – 6 A 1615/11 – juris Rn. 34-36) und zuletzt zusammenfassend ausgeführt (BVerwG, B.v. 25.1.2018 – 2 B 32.17 – juris Rn. 14):
„Der Urlaubsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG verfällt, wenn er über einen zu langen Zeitraum nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres nicht genommen wird. Wenn der Übertragungszeitraum eine gewisse zeitliche Grenze überschreitet, kann der Urlaub seinen Zweck als Erholungszeit typischerweise nicht mehr erreichen (vgl. EuGH, U.v. 22.11.2011 – Rs. C-214/10, KHS – juris Rn. 33). Mit dem Verfall des Urlaubsanspruchs ist die Entstehung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs ausgeschlossen. Ein Verfall des Urlaubsanspruchs mit Auswirkungen auf den unionsrechtlichen Urlaubsabgeltungsanspruch tritt zum einen dann ein, wenn nationalstaatlich ein hinreichend langer Übertragungszeitraum geregelt ist und dieser abgelaufen ist. Hinreichend lang ist nach der Rechtsprechung des EuGH ein Übertragungszeitraum, wenn er deutlich länger als das Urlaubsjahr, also deutlich länger als ein Jahr ist; ein Übertragungszeitraum muss den Beschäftigten, die während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeits- bzw. dienstunfähig sind, ermöglichen, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant sowie verfügbar sein können, und er muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten (EuGH, U.v. 22.11.2011, a.a.O.). Einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten hat der EuGH gebilligt (U.v. 22.11.2011.a.a.O. Rn. 40 ff.). Gibt es keine ausreichend langen nationalstaatlichen Verfallsregelungen, dann tritt auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH ein Verfall des Urlaubsanspruches 18 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres ein…“
Der Senat ist dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefolgt und hält grundsätzlich auch einen 15-monatigen Übertragungszeitraum für ausreichend lang (zuletzt BayVGH, B.v. 6. 11. 2017 – 3 B 16.1866 – juris).
2. Für Ansprüche im Zusammenhang mit dem Urlaubsjahr 2012 bestand jedoch keine ausreichende nationalstaatliche Regelung, aus der sich ein 15-monatiger Übertragungszeitraum ergeben und die einen finanziellen Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Erholungsurlaub in der vorliegenden Konstellation eingeräumt hätte.
2.1 In der für Urlaubsansprüche aus dem Urlaubsjahr 2012 maßgeblichen Fassung des § 10 UrlV (vom 24.6.1997 i.d.F. v. 25.6.2003) wurde der Verfall des Urlaubsanspruchs an den Ablauf des 30. April des Folgejahres geknüpft. Eine Verlängerung dieser Frist war nur im Einzelfall nach Ermessensausübung möglich und davon abhängig, dass dienstliche Bedürfnissen die Fristverlängerung zulassen; eine finanzielle Urlaubsabgeltung war nicht vorgesehen. Damit steht die Unvereinbarkeit von § 10 UrlV in dieser Fassung mit Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG fest. Gleichwohl war er noch bis 31. Juli 2014 in Kraft und daher bis zu seiner Neufassung (GVBl 2014, S. 234) geltendes Recht. Aus dem Verstoß von § 10 UrlV gegen den Anwendungsvorrang des Unionsrechts folgt die sich aus der zitierten Rechtsprechung ergebende unmittelbare Anwendung der 18-monatigen Verfallsfrist.
2.2 Das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen zum Vollzug der Urlaubsverordnung (FMS vom 3.6.2012) war nicht geeignet, für auf das Urlaubsjahr 2012 bezogene Ansprüche eine ausreichende rechtliche Grundlage dafür zu bilden, dass unionsrechtlich begründete Urlaubsansprüche für Erholungsurlaub, der wegen Krankheit nicht eingebracht werden konnte, entgegen der damals maßgeblichen Fassung des § 10 UrlV 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfallen.
2.2.1 Nach Art. 95 Abs. 1 Satz 1 BV werden die Grundlagen des Beamtenverhältnisses durch formelles Gesetz geregelt. Der damit normierte besondere Gesetzesvorbehalt für das Beamtenrecht beschränkt sich allerdings auf die Grundlagen des Beamtenverhältnisses, während die außerhalb liegenden Fragen – wie etwa Regelungen des Erholungsurlaubs – insbesondere auch durch Rechtsverordnungen der Staatsregierung geregelt werden dürfen (vgl. Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaats Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 95 Rn. 5, 6 m. Nachweisen auf Rspr. des BayVerfGH).
Der Beklagte hat mit der ab 1. August 2013 in Kraft getretenen Änderung von Art. 93 Abs. 1 BayBG (LT-Drs. 16/16311, S. 10) die bisher geltende Ermächtigungsgrundlage im Bayerischen Beamtengesetz, wonach die Staatsregierung die Erteilung und Dauer des Erholungsurlaubs durch Rechtsverordnung regelt, ergänzt und eine Ermächtigung geschaffen, nach der die Staatsregierung im Rahmen der Urlaubsverordnung auch „Voraussetzungen und Umfang einer Abgeltung“ für nicht eingebrachten Erholungsurlaub bestimmt. Von dieser Ermächtigung wurde mit Erlass der ab 1. August 2014 geltenden Neufassung von § 10 Abs. 1 Satz 4, Abs. 3, 4 UrlV (GVBl 2014, S. 234) Gebrauch gemacht. Mit ihr wurde erstmals ein Anspruch auf Abgeltung von wegen Eintritts der Dienstunfähigkeit nicht eingebrachtem Erholungsurlaub mit zeitlicher Beschränkung (15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres) normiert und damit ein Art. 7 Abs. 1, 2 RL 2003/88/EG entsprechender Rechtszustand – erstmals für auf das Urlaubsjahr 2014 bezogene Ansprüche – geschaffen. Der bis zum 31. Juli 2014 bestehende „Schwebezustand“ sollte auch im Hinblick auf das hier streitgegenständliche Urlaubsjahr 2012 durch das FMS vom 3. Juni 2012 aufgefangen werden. Dieses Schreiben verstand sich in erster Linie als „Reaktion“ des Beklagten auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Mai 2012 (C-337/10, juris), nach dem Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG dahingehend auszulegen ist, dass (auch) ein Beamter bei Ruhestandseintritt Anspruch auf Abgeltung eines aus Krankheitsgründen nicht genommenen Jahresurlaubs hat; das Schreiben sollte der Wahrung der Rechte der Betroffenen dienen sowie die Inanspruchnahme von verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz entbehrlich machen (vgl. FMS, S. 4). Die im FMS enthaltene Regelung des Verfalls des Urlaubsanspruchs (bereits) nach 15 Monaten, gegen deren Anwendung sich die Klage richtet, sollte dabei die zwei Jahre später in identischer Weise durch Rechtsverordnung erfolgte Regelung vorwegnehmen.
2.2.2 Das FMS vom 3. Juni 2012 konnte jedoch nicht die auch im Übergangszeitraum erforderliche normative Grundlage ersetzen, sondern als Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen (vgl. § 25 Satz 1 UrlV) lediglich der Steuerung der Vollzugspraxis der mit der Urlaubsverordnung befassten staatlichen Stellen dienen. Einen in der Urlaubsverordnung zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgesehenen Anspruch auf Urlaubsabgeltung vermochte die Verwaltungsvorschrift ebenso wenig einzuräumen wie eine davon abweichende Festlegung der Verfallsfrist auf 15 Monate.
Es erscheint schon fraglich, ob die Verwaltungsvorschrift die vom Beklagten behauptete ermessensbindende und -lenkende Wirkung mit unmittelbarer Außenwirkung besitzt und mit ihr ein gleichheitssatzgemäßer Vollzug der Urlaubsverordnung im fraglichen Übergangszeitraum gewährleistet war. Darauf kommt es nicht an, denn das FMS vom 3. Juni 2012 war schon aus rechtssystematischen Gründen nicht geeignet, entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Urlaubsverordnung Fragen der Urlaubsabgeltung – und sei es auch nur vorläufig für einen Übergangszeitraum – zu regeln. Denn eine Verwaltungsvorschrift kann eine anderslautende Rechtsverordnung nicht „außer Kraft setzen“. Zwar ermächtigte § 25 Satz 1 UrlV in der bis 31. Juli 2014 geltenden Fassung das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, die zur Durchführung der Verordnung im staatlichen Bereich erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Mit der Abänderung der Verfallsfrist und der erstmaligen Einräumung eines Anspruchs auf Urlaubsabgeltung wird jedoch der zulässige Rahmen einer Durchführungsbestimmung überschritten. Der Beklagte hätte sich nicht mit einer vorläufigen Regelung im Wege der Verwaltungsvorschrift begnügen dürfen, sondern eine entsprechende Änderung der Urlaubsverordnung noch im Jahr 2012 auf den Weg bringen müssen. Hat er dies unterlassen, gilt für den hier maßgeblichen unionsrechtlichen Abgeltungsanspruch ohne weitere normative Vorgabe durch Rechtsverordnung der Staatsregierung die zeitliche Beschränkung von 18 Monaten (so im Ergebnis schon: VG Regensburg, U.v. 1.10.2014 – RN 1 K 13.1973 – juris Rn. 62 f; VG Würzburg, U.v. 11.3.2014 – W 1 K 13.1254 – juris Rn. 27 f.; a.A. ohne Eingehen auf diese Problematik BayVGH, B.v. 10.6.2015 – 3 ZB 13.2337 – juris Rn. 8; VG Augsburg, U.v. 13.2.2014 – Au 2 K 13.892 – juris Rn. 28 f.; VG Ansbach, U.v. 24.9.2013 – AN 1 K 13.668 – juris Rn. 57).
Im Übrigen ergibt sich die im vorliegenden Verfahren strittige 15-Monatsfrist nicht als zwingende Frist aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2011 (a.a.O.), der nur über die Vorlagefrage zu befinden hatte, ob ein tarifvertraglich festgeschriebener Übertragungszeitraum von 15 Monaten mit Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG vereinbar war. Von einer „Begrenzung“ des Übertragungszeitraums durch dieses Urteil kann dagegen nicht die Rede sein (VG Würzburg, U.v. 11.3.2014 – W 1 K 13.1254 – juris Rn. 28). Auch die weiteren Motive für den Erlass der Verwaltungsvorschrift sind angesichts ihrer fehlenden rechtlichen Möglichkeit, eine anderslautende Rechtsverordnung auch nur für einen Übergangszeitraum „außer Kraft zu setzen“, unerheblich.
3. Nach alldem kommt es auf die im angefochtenen Urteil – dementsprechend in der Berufungsbegründung – thematisierte Frage nicht an, ob die angeführten FMS (vom 3. Juni 2012 und 4. April 2013) eine „einzelstaatliche Gepflogenheit“ im Sinn von Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG begründet haben. Zwar hat der Senat in seinem Beschluss vom 10. Juni 2015 (3 ZB 13.2337 – juris Rn. 8), mit dem der Antrag auf Zulassung der Berufung des dortigen Klägers in einer vergleichbaren Konstellation abgelehnt wurde, entschieden, dass für die Übertragung des Urlaubsanspruchs bis 31. März des übernächsten, auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres das FMS vom 3. Juni 2012 (S. 2, 3) als „einzelstaatliche Gepflogenheit ausreichend war“ (offengelassen in BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 3 B 16.1866 – juris Rn. 15). Hieran hält der Senat aber nicht fest, denn die Verwaltungsvorschriften bildeten nach den vorstehenden Ausführungen (2.2) für das Urlaubsjahr 2012 keine nach innerstaatlichem Recht „ausreichenden“ Vorschriften über den Verfall von Urlaubsansprüchen und ihre Abgeltung.
Der Europäische Gerichtshof hatte in seinem Urteil vom 22. November 2011 (a.a.O.) auch nicht der Frage nachzugehen, ob ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten nur dann mit Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG vereinbar ist, wenn er in Form einer einzelstaatlichen Rechtsvorschrift oder Gepflogenheit, nicht aber dann, wenn er etwa im Wege einer Verwaltungsvorschrift festgelegt wird. Vielmehr hatte er sich zur Frage der Rechtsqualität des einzelstaatlichen Akts, mit dem der Übertragungszeitraum geregelt wird, schon in Ermangelung einer entsprechenden Vorlagefrage, aber auch deshalb, weil es hierbei um eine rein innerstaatliche Anforderung geht, nicht geäußert und auch nicht äußern dürfen. Ihm ging es – entsprechend der beiden Vorlagefragen (vgl. U.v. 22.11.2011, a.a.O. Rn. 21) – ausschließlich um die Länge der Übertragungsfrist, also darum, ob Gemeinschaftsrecht (hier: Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG) nationalem Recht entgegensteht, das für einen längerfristig arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Übertragung von Urlaubsansprüchen auf einen bestimmten Zeitraum (15 Monate) begrenzt. Vom Bestehen einer formell wirksamen nationalen Vorschrift – dort: Tarifvertrag – ging der Europäische Gerichtshof aus. Dementsprechend bestand weder ein Anlass noch die Möglichkeit, über die Vorlagefragen hinaus Anforderungen an die Rechtsqualität derjenigen nationalen Vorschriften zu erörtern oder aufzustellen, die sich mit der Übertragung von Urlaubsansprüchen und Einräumung von Abgeltungsansprüchen befassen. Die auf die Vorlagefragen gegebene Antwort (U.v. 22.1.2011, a.a.O., Leitsatz und Rn. 44), wonach Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG unter bestimmten Voraussetzungen „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen“ nicht entgegensteht, enthält daher keine Aussage zu den einzelstaatlichen Anforderungen an die formelle rechtliche Qualität der maßgeblichen Vorschrift.
4. Mangels Verfalls des Urlaubsanspruchs für das Urlaubsjahr 2012 bestand zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Beamtenverhältnis zum 30. April 2014 damit ein Abgeltungsanspruch. Die Berechnung auf der Basis der Besoldung der letzten drei Monate vor Eintritt in den Ruhestand (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 2 C 10.12 – juris Rn. 36) ergibt einen Anspruch in Höhe von 126,97 EUR pro abzugeltendem Urlaubstag, für insgesamt 20 Urlaubstage demnach einen Betrag von 2.539,40 EUR (vgl. FMS v. 4.4.2013 – Az. 21-P 1120 – 028 – 10667/13 – S. 6).
Der Anspruch auf die zugesprochenen Zinsen ab Rechtshängigkeit beruht auf § 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist § 291 Satz 1 BGB im öffentlichen Recht entsprechend anwendbar, wenn das einschlägige Fachgesetz keine abweichende Regelung enthält (vgl. BVerwG v. 26.7.2012 – 2 C 29.11 – juris Rn. 47 m.w.N.).
Der Berufung war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Kläger im Vorverfahren war für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht zuzulassen, zumal sich die streitgegenständliche rechtliche Problematik nach der ab 1. August 2014 geltenden Neufassung der Urlaubsverordnung nicht mehr ergeben wird („außer Kraft getretenes Recht“).


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