Europarecht

Abgewiesene Klage im Streit um Kostenerstattung für Jugendhilfe

Aktenzeichen  S 15 SO 107/16

Datum:
12.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56334
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 102, § 104 Abs. 1 S. 1
SGB IX § 14 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 39.880,69 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Streitgegenstand ist ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Erstattung von Kosten für die ambulante Einzelbetreuung der Leistungsberechtigten in der Zeit vom 3.8.2015 bis 31.10.2018 in Höhe von insgesamt 34.880,69 € nebst Zinsen sowie die Feststellung einer Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung der weiteren Kosten bis zu dessen Fallübernahme.
2. Eine echte notwendige Beiladung der Leistungsberechtigten gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) war nicht erforderlich. Danach sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Vorliegend handelt es sich um einen Erstattungsstreit zweier Sozialleistungsträger. Bei dem zuvörderst in Betracht kommenden Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F. bzw. § 16 Abs. 1 SGB IX n.F. handelt es sich nicht um von der Rechtsposition der Leistungsberechtigten abgeleitete, sondern um eigenständige Ansprüche, die nur die Verteilung leistungsrechtlicher Verpflichtungen zwischen Klägerin und Beklagtem betreffen. Durch die Weiterleitung des Antrags nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX wird gegenüber der Leistungsberechtigten eine eigene gesetzliche Verpflichtung des sog. „zweitangegangenen“ Leistungs- und Rehabilitationsträgers im Außenverhältnis begründet, und die Leistungsbewilligung bildet für die Leistungsberechtigte den Rechtsgrund zum Behaltendürfen der Leistung. In diesem Fall wird die Position der leistungsberechtigten Sozialleistungsempfängerin durch den Erstattungsstreit der Sozialleistungsträger nicht berührt (vgl. BSG, Urteil vom 25.9.2014 – B 8 SO 7/13 R – Rn. 18; BSG, Urteil vom 25.4.2013 – B 8 SO 6/12 R – Rn. 10).
3. Soweit die Klage in ihrem Antrag zu 1 auf Leistung gerichtet ist, ist sie im Erstattungsstreit zwischen einander im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts als allgemeine Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die im Lauf des Verfahrens von der Klägerin durch die Erhöhung der Klageforderung vorgenommene Änderung der Leistungsklage stellt keine Klageänderung dar, § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG.
Soweit die Klage in ihrem Antrag zu 2 auf Feststellung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gerichtet ist, ist sie bereits unzulässig. Eine rechtliche Grundlage für ein solches Vorgehen ist nicht ersichtlich. Im Anwendungsbereich des § 14 SGB IX ist bei einem einheitlichen Leistungsgeschehen bereits eine „Fallübernahme“ durch den gegebenenfalls eigentlich zuständigen Rehabilitationsträger mit Sinn und Zweck des § 14 SGB IX nicht vereinbar, der gegenüber dem behinderten Menschen eine abschließende und ausschließliche Zuständigkeit normiert. Daher kann die Klägerin, soweit sie sich nicht oder nicht mehr für zuständig hält, ihre Leistungen nicht einfach einstellen. Sie kann aber auf der Grundlage des § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. bzw. § 16 Abs. 1 SGB IX n.F. Erstattungsansprüche geltend machen, wodurch ihre Interessen ausreichend gewahrt sind. Der gerichtlichen Feststellung steht damit die grundsätzliche Subsidiarität einer Feststellungsklage entgegen (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII [2. Aufl. 2014], § 98 Rn. 61.1; BSG, Urteil vom 1.3.2018 – B 8 SO 22/16 R – Rn. 30 jeweils m.w.N.).
4. Die Leistungsklage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin kann von Beklagten keine Erstattung ihrer in der Zeit vom 3.8.2015 bis 31.10.2018 der Leistungsberechtigten gewährten Leistungen für deren ambulante Einzelbetreuung verlangen.
a) Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin geltend gemachte Erstattung kann vorliegend nur § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. bzw. § 16 Abs. 1 SGB IX n.F. sein, weil die Klägerin aufgrund eines an sie weitergeleiteten Antrages als zweitangegangener Rehabilitationsträger zuständig und leistungspflichtig geworden ist.
Nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX hat der mit einem Rehabilitationsantrag angegangene Rehabilitationsträger nach einer Prüfung seiner Zuständigkeit bei deren Fehlen den Antrag unverzüglich an den zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten. Wird der Antrag weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, den Rehabilitationsbedarf unverzüglich und umfassend fest und erbringt die Leistungen (Abs. 2 S. 1 und 4 n.F.). Für die Anwendung des § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX genügt es, dass die Klägerin als kreisfreie Stadt ein Rehabilitationsträger (dazu §§ 69 Abs. 1, 85 SGB VIII in Verbindung mit Art. 15 S. 1 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze des Freistaates Bayern vom 8.12.2006 – Gesetz- und Verordnungsblatt 942) im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX und der maßgebliche Antrag an sie weitergeleitet worden ist.
Dies ist vorliegend der Fall. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung war der Antrag der Eltern der Leistungsberechtigten beim Beklagten zumindest auch als Rehabilitationsantrag auszulegen: Die Leistungsberechtigte wollte die Leistung unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt erhalten. Dieser Antrag wurde vom Beklagten innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX an die Klägerin weitergeleitet. Entscheidungserheblich ist für die Anwendung des § 14 SGB IX nicht, ob die nach dem SGB VIII erbrachten Leistungen solche der Teilhabe waren.
Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. SGB X sind damit ausgeschlossen, weil die Klägerin aufgrund eines an sie weitergeleiteten Antrages zuständiger – mithin zweitangegangener – Rehabilitationsträger geworden ist. Die Erstattungsregelung nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F. bzw. § 16 Abs. 1 SGB IX n.F., welche Ansprüche eben dieses zweitangegangenen Trägers betrifft, geht als „lex specialis“ den allgemeinen Erstattungsansprüchen zwischen Sozialleistungsträgern nach den §§ 102 ff. SGB X vor und verdrängt diese in seinem Anwendungsbereich (BSG, Urteil vom 25.4.2013 – B 8 SO 12/12 R – Rn. 10; Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX [2. Aufl 2015], § 14 Rn. 7, 119; Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX [3. Aufl. 2018], § 16 Rn. 2, 24 jeweils m.w.N.). Darüber hinaus ist ein Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X bereits auch deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin als zweitangegangener Rehabilitationsträger im Verhältnis zur Leistungsberechtigten nicht vorläufig, sondern endgültig und umfassend leistungspflichtig ist (Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX [3. Aufl. 2018], § 16 Rn. 9; BayVGH, Beschluss vom 21.1.2008 – 12 C 07.474 – Rn. 16).
b) Nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F. erstattet, wenn nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 Sätze 2 bis 4 festgestellt wird, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Vorschriften. Nach § 16 Abs. 1 SGB IX n.F. erstattet, wenn ein leistender Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 S. 4 n.F. Leistungen erbracht hat, für die ein anderer Rehabilitationsträger insgesamt zuständig ist, der zuständige Rehabilitationsträger die Aufwendungen des leistenden Rehabilitationsträgers nach den für den leistenden Rehabilitationsträger geltenden Rechtsvorschriften.
Die Regelungen des § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F. bzw. des § 16 Abs. 1 SGB IX n.F. beziehen sich nach ihrem Zweck und dem Regelungssystem lediglich auf Erstattungen für erfolgte Rehabilitationsleistungen. Sie scheiden jedenfalls dann von vornherein als Anspruchsgrundlage aus, wenn der Erstattung begehrende Träger weder nach eigenem Recht eine Rehabilitationsleistung erbracht hat noch seine Leistung einen Rehabilitationsanspruch erfüllte, der eigentlich gegen den als erstattungspflichtig in Anspruch genommenen Träger bestand. „Zuständig“ im Verhältnis der Leistungsträger untereinander im Sinne von § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F. bzw. § 16 Abs. 1 SGB IX n.F. ist der Träger, der auch materiell zur Leistungsgewährung verpflichtet ist. Im Innenverhältnis der Rehabilitationsträger untereinander sind die Zuständigkeitsregeln maßgeblich, die sich aus den speziellen Leistungsgesetzen ergeben. Die Zuständigkeit der einzelnen Zweige der sozialen Sicherheit für Rehabilitationsleistungen soll im gegliederten System grundsätzlich unberührt bleiben.
Der Anspruch nach diesen Vorschriften ist demnach begründet, soweit die Leistungsberechtigte die gewährte Maßnahme ihrer Art nach von demjenigen Träger nach dessen materiellen Rechtsvorschriften hätte beanspruchen können, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX zuständig wäre (Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX [2. Aufl 2015], § 14 Rn. 119 f., 125; Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX [3. Aufl. 2018], § 16 Rn. 28 jeweils m.w.N.), hier nach den §§ 53 ff. SGB XII vom Beklagten als überörtlichen Träger der Sozialhilfe.
Der Anspruch scheitert dabei nicht bereits an einer (grundsätzlichen) Unzuständigkeit des Beklagten. Für eine Leistungserbringung in Form der Eingliederungshilfe gegenüber der Leistungsberechtigten wäre dieser vielmehr – sieht man von § 14 SGB IX ab — als überörtlicher Sozialhilfeträger sachlich und örtlich zuständig.
Dem Anspruch steht vielmehr entgegen, dass die als Jugendhilfe erbrachte ambulante Einzelbetreuung keine Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII darstellt. Wäre die als Jugendhilfe erbrachte Einzelbetreuung auch als Eingliederungshilfe nach dem SGB XII möglich, regelt § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen. Für den Vorrang der Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII genügt dabei bereits jede (wesentliche) Überschneidung der Leistungsbereiche. Es ist dafür nicht (weitergehend) erforderlich, dass der Schwerpunkt des Hilfebedarfs bzw. -zwecks im Bereich einer der den Eingliederungsbedarf auslösenden Behinderungen liegt oder eine von ihnen für die konkrete Maßnahme ursächlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.2.2012 – 5 C 3/11 – Rn. 31 m.w.N.). Für die Beurteilung der Leistungsidentität ist ebenso ohne Bedeutung, wem der jeweilige Anspruch nach der Systematik des SGB VIII und des SGB XII zusteht; entscheidend ist nur, dass die Bedarfe derselben Person – vorliegend der Leistungsberechtigten – gedeckt werden (BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11 – Rn. 17). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Voraussetzung für das Rangverhältnis zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe nach § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII lediglich, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe gegeben und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urteil vom 23.9.1999 – 5 C 26/98). Allerdings setzt die Frage der Leistungskongruenz nach ebendieser Rechtsprechung auch eine wesentliche Überschneidung voraus. Es ist erforderlich, dass sich die Leistungen in qualifizierter Weise überschneiden oder einander gleichartig sind. Die bloße Verknüpfung einer Maßnahme mit einer zwangsläufig damit einhergehenden Annexleistung reicht dafür nicht aus. Vielmehr ist auf die Hauptaufgaben der jeweiligen speziellen sozialhilferechtlichen oder jugendhilferechtlichen Maßnahme abzustellen (Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII [2. Aufl. 2018], § 10 Rn. 15 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 2.3.2006 – 5 C 15/05 – Rn. 10 f.; BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 – 5 C 19/08 – Rn. 28).
c) Die Leistungsberechtigte hätte aber gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ambulante Einzelbetreuung als Leistung der Eingliederungshilfe nach §§ 19 Abs. 3, 53, 54 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX in der am 31.12.2017 geltenden Fassung gehabt.
Leistungsidentität liegt unter den hier vorliegenden Umständen vor, wenn bei einem Kind behinderungsbedingt Entwicklungsstörungen sowohl in seelischer als auch in geistiger Hinsicht bestehen, die zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft führen, und dadurch als Betreuungsleistungen sowohl Maßnahmen der Jugendhilfe als auch der Eingliederungshilfe zu erbringen sind. Neben einem erzieherischen Defizit kann eine behinderungsbedingt erforderliche (zur Voraussetzung der Erforderlichkeit vgl. § 53 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit § 4 Abs. 1 und 2 SGB IX) Eingliederungshilfeleistung im Sinne der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Betracht kommen, wenn eine über die Erziehung hinausgehende qualitative Betreuung erfolgt, die dem Kind das Leben in der Gemeinschaft außerhalb der Familie ermöglichen soll. Grundsätzlich unschädlich ist, dass die ambulante Einzelbetreuung im Leistungskatalog des § 54 Abs. 1 SGB XII nicht genannt ist. Denn dessen Aufzählung ist ausdrücklich nicht abschließend (BSG, Urteil vom 25.9.2014 – B 8 SO 7/13 R – Rn. 29 m.w.N.).
Aufgrund der vorliegenden Unterlagen lässt sich zur Überzeugung der erkennenden Kammer kein zusätzlicher Bedarf der Leistungsberechtigten für Eingliederungsmaßnahmen nach §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX in der am 31.12.2017 geltenden Fassung feststellen, der über die gewährte ambulante Einzelbetreuung als Leistung der sozialpädagogischen Familienhilfe nach § 31 SGB VIII hinausgeht.
Aus den Berichten des Allgemeinen Sozialdienstes der Klägerin vom 13.2.2015 und vom 29.6.2015 ergibt sich, dass die damals schon lang geplante Beratung der Eltern der Leistungsberechtigten im häuslichen Umfeld dringend installiert werden musste. Die Eltern mussten die Leistungsberechtigte dringend konsequenter erziehen sowie Grenzen und Handlungsstrategien entwickeln. Aus pädagogischer Sicht wurde die Notwendigkeit der Familienberatung geschildert. Es wurde eine Familienentlastung und Elternberatung vorgeschlagen. Als Ziel sollte unter anderem mit den Eltern eine konsequente und möglichst einheitliche Regel- und Grenzsetzung eingeübt werden, da diese mit den beiden schwer behinderten Kindern überfordert waren. Vor diesem Hintergrund wurde eine sozialpädagogische Familienhilfe befürwortet. Ausweislich der Entwicklungsberichte des diakonischen Werkes A-Stadt vom 26.10.2015, vom 14.4.2016, vom 9.11.2016, vom 28.4.2017 sowie vom 24.10.2017 bestimmte die Leistungsberechtigte zu Beginn der Hilfemaßnahmen mit ihren Stimmungen das Familienleben. Die Eltern waren überfordert und unfähig zu einer konstanten und konsequenten Erziehung. Diese Situation hat sich im Lauf der Maßnahme kaum bzw. wenig verändert. Die Leistungsberechtigte beeinflusste und lenkte die Familienmitglieder. Deren Eltern zeigten keine Einsicht für die Notwendigkeit einer konstanten und konsequenten Erziehung. Als Ziel der Maßnahme war unter anderem mit den Eltern eine konsequente und möglichst einheitliche Regel- und Grenzsetzung einzuüben. Die Eltern sollten in der Lage sein, die Leistungsberechtigte konsequent zu erziehen und ihr eine möglichst einheitliche Regel- und Grenzsetzung vorzugeben. Die Leistungsberechtigte sollte auf Regeln und Grenzen ohne Schreien und Schlagen reagieren. Die Eltern benötigten daher kontinuierliche Anregung und Unterstützung durch die Familienhilfe, um eine ausreichende Versorgung und Förderung der Leistungsberechtigten und eine Entlastung für die Eltern zu gewährleisten und dadurch den Verbleib der Leistungsberechtigten in der Familie zu sichern. Die Jugendhilfemaßnahme wurde dabei als Eingliederungshilfe bzw. Familienhilfe bezeichnet. Der Hilfeplan der Klägerin vom 9.11.2015 sowie dessen Fortschreibungen vom 26.4.2016, vom 18.11.2016, vom 31.5.2017 sowie vom 21.11.2017 stellen als Hilfebedarf fest, dass die unerwünschten Verhaltensweisen der Leistungsberechtigten mit einer konsequenten Erziehung verbessert werden sollten. Deren Eltern hatten die Unfähigkeit einer konstanten und konsequenten Erziehung offen geäußert. Es sollte darauf geachtet werden, dass Nachbarn möglichst wenig Unruhe und Lärm mitbekommen. Die Leistungsberechtigte konnte nur mit sehr konsequentem Verhalten und ständiger körperlicher Nähe einer Respektsperson geführt werden. Die Unterstützung durch die Familienhilfe war weiterhin dringend notwendig. Dies sollte unter anderem dadurch erreicht werden, dass die Eltern in der Lage sein sollten, die Leistungsberechtigte konsequent zu erziehen und ihr eine möglichst einheitliche Regel- und Grenzsetzung vorzugeben, so dass diese auf Regeln und Grenzen ohne Schreien und Schlagen reagieren sollte. Darin brauchten die Eltern stets Beratung und Unterstützung. Daher wurde ursprünglich die sozialpädagogische Familienhilfe als geeignete Art der Hilfe als Ergebnis des Hilfeplangespräches festgehalten. In den jüngeren Hilfeplanfortschreibungen wurde die geeignete Art der Hilfe als ambulante Eingliederungshilfe bezeichnet.
Dieser derart festgestellte Bedarf der Leistungsberechtigten stellt sich zusammenfassend als eine Betreuung, Begleitung und Unterstützung der Erziehungsberechtigten bzw. der Familie bei der Erziehung der Leistungsberechtigten und der Bewältigung von Alltagsproblemen dar. Dieser Bedarf wurde vollständig durch die streitgegenständlichen Hilfen gedeckt, welche in Form einer ambulanten Einzelbetreuung durch die Klägerin mit Bewilligungsbescheiden vom 3.9.2015, vom 2.11.2015, vom 26.11.2015, vom 18.5.2016, vom 15.12.2016, vom 26.6.2017 sowie vom 19.12.2017 gewährt wurden. Vor dem Hintergrund des gedeckten Hilfebedarfs stellen sich diese Hilfeleistungen damit als eine sozialpädagogische Familienhilfe nach § 31 SGB VIII dar. Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie als zweitangegangener Leistungsträger nicht nach allen Leistungsvorschriften Leistungen zu gewähren habe und dass sie selbstständig prüfen dürfe, dass es sich bei der bewilligten Kostenübernahme um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe und nicht um eine solche der Hilfe zur Erziehung handele, verkennt sie den Zweck des § 14 SGB IX. Die in § 14 Abs. 2 S. 1 und 4 SGB IX n.F. geregelte Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Betroffenen auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Rehabilitationsträger in Betracht kommen (Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX [2. Aufl 2015], § 14 Rn. 124, 125; Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX [3. Aufl. 2018], § 16 Rn. 22). Es muss daher auch geleistet werden (nach den Vorschriften der SGB II, III, V, VI, VII oder XII), wenn die Behörde für die beantragte Leistung gar nicht Rehabilitationsträger im Sinne von § 6 SGB IX ist (Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX [3. Aufl. 2018], § 14 Rn. 39). Die Zuordnung eines bestehenden Hilfebedarfs zu einem bestimmten Leistungssystem steht auch nicht im Ermessen der Behörde. Vielmehr ist im Einzelfall zu klären, worauf der Hilfebedarf konkret zurückzuführen ist (BayVGH, Urteil vom 29.3.2010 – 12 BV 08.942 – Rn. 40 m.w.N.). Dieser Bedarf ist sodann durch das einschlägige Leistungssystem – wie vorliegend durch dasjenige des SGB VIII – zu decken.
Eine über diese gewährte, reine Erziehungshilfe hinausgehende Förderung, die der Leistungsberechtigten das Leben in der Gemeinschaft außerhalb der Familie ermöglichen soll, mithin eine behinderungsbedingt erforderliche Eingliederungshilfeleistung im Sinne der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach dem SGB XII, ist dabei nicht ersichtlich. Dass eine konsequente Erziehung der Leistungsberechtigten für deren Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sicherlich förderlich ist, ist als mit den streitgegenständlich gewährten Hilfen zwangsläufig einhergehende Annexleistung im Sinne obiger Rechtsprechung für eine Leistungskongruenz nicht ausreichend.
Darüber hinaus ist eine Gewährung der streitgegenständlichen Hilfen im vorliegenden Fall nach den Vorschriften der §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX auch nicht möglich. Zwar ist der Leistungskatalog des § 54 Abs. 1 SGB XII nicht abschließend. Gleichwohl müssen andere, dort nicht ausdrücklich genannte Leistungen nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls zur Erfüllung der Aufgaben der Eingliederungshilfe geeignet und erforderlich sein (BSG, Urteil vom 24.3.2009 – B 8 SO 29/07 R – Rn. 20; Bieback in: Grube/Wahrendorf, SGB XII [6. Aufl. 2018], § 54 Rn. 1). Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Mit den streitgegenständlich bewilligten Leistungen sollte die Leistungsberechtigte gerade nicht in die Gesellschaft eingegliedert werden, vgl. § 53 Abs. 3 S. 1 SGB XII. Ziel der Leistungen war vielmehr die Stärkung und Sicherung der Erziehungsfähigkeit der Familie. Benachteiligungen der Familie sollten vermieden bzw. abgebaut werden. Die Familie sollte langfristig befähigt werden, die bestehende Schwierigkeiten mit der Leistungsberechtigten selbst zu lösen, um so deren Verbleib in der Familie zu sichern (vgl. Nellissen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII [2. Aufl. 2018], § 31 Rn. 18). Dies ist das typische Ziel der sozialpädagogischen Familienhilfe im Sinne des § 31 SGB VIII. Derartige reine Erziehungshilfen gibt es auch nur im SGB VIII (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII [2. Aufl. 2018], § 10 Rn. 16).
Eine über die reine sozialpädagogische Familienhilfe hinausgehende Überschneidung zur Eingliederungshilfe liegt daher bei der vorliegend gewährten ambulanten Einzelbetreuung nicht vor. Eine Leistungsidentität der gewährten Jugendhilfeleistungen mit Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII scheidet daher aus.
d) Da die Klägerin somit mit ihrer Hauptforderung unterliegt, kann sie von der Beklagten auch keine Prozesszinsen verlangen.
Darüber hinaus existiert nach der herrschenden sozialgerichtlichen Rechtsprechung auch keine rechtliche Grundlage für Prozesszinsen. Mangels planwidriger Regelungslücke kommt auch eine analoge Anwendung des § 291 BGB auf Erstattungsansprüche nicht in Betracht (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2. Aufl. 2017], § 108 Rn. 48 m.w.N.).
Die Klage war somit nach alledem in vollem Umfang abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
5. Die Feststellung des Streitwertes beruht auf §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 2, 3 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Die erkennende Kammer hat ihrer Berechnung die mit der Leistungsklage verfolgte Erstattungssumme von 34.880,69 € sowie für den Feststellungsantrag den Auffangstreitwert von 5.000 € zu Grunde gelegt. Sind außer dem Hauptanspruch noch Nebenforderungen wie z.B. Zinsen betroffen, wird der Wert der Nebenforderungen nicht berücksichtigt, § 43 Abs. 1 GKG. Daher ist nach § 52 Abs. 2 und 3 S. 1 GKG der Streitwert auf insgesamt 39.880,69 € festzusetzen. Eine Streitwertfestsetzung kann auch im Urteil erfolgen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 22.9.2009 – B 2 U 32/08 R; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl. 2017], § 197a Rn. 5).


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