Europarecht

Abgewiesene Klage im Streit um Schadensersatzforderung (sog. Abgasskandal)

Aktenzeichen  4 O 1068/18

Datum:
19.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19107
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 263
UWG § 16
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 952
EG-FGV § 6, § 27

 

Leitsatz

1. Aktiv legitmiert im Schadensersatzprozess gegen den Motorenhersteller ist nur der Käufer des Pkw, nicht auch der Zweiterwerber. (Rn. 9 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verhalten der Verantwortlichen im des Motorenherstellers im sog. Abgasskandal ist nach seinem Gesamtcharakter nicht als sittenwidrig einstufen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Vermögensschaden gem. § 263 StGB liegt vor, wenn der Vergleich von Leistung und Gegenleistung ergibt, dass es zu einem Wertgefälle gekommen ist. Bei Herstellung und Vertrieb zunächst minderwertiger weil mangelhafter Produkte kann es zu diesem Wertgefälle grundsätzlich nicht kommen. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Vorschriften der EG-FGV sind nicht drittschützend, da sie keine für die als Pkw-Käufer auftretenden Individualpersonen schützende Funktion haben. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 36.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Die Klage ist unbegründet.
a) Der Kläger ist für die von ihm geltend gemachten Ansprüche nicht aktivlegitimiert. Im vorliegenden Fall ist der Kläger Zweiterwerber des Fahrzeugs. Der Kläger hat beim ursprünglichen Kauf im August seinen Schwager gegenüber der Verkäuferin vorgeschoben, um einen Behindertenrabatt zu ergattern, tatsächlich jedoch alle Aufwendungen für den Kauf getragen und das Fahrzeug ab dem Kauf genutzt. Da der Kläger für den Behindertenrabatt nicht anspruchsberechtigt war, war der konkrete Kauf nur durch den Schwager möglich. Es handelt sich daher weder um ein Scheingeschäft, noch ist der Kläger unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des „Vertragsschlusses für den, den das Geschäft angeht“, Vertragspartner des Audizentrums geworden – der Vertrag war nur wegen arglistiger Täuschung anfechtbar, ist aber nicht angefochten worden. Konsequenterweise ist der Kläger nach dem Vertragsschluss ca. ein Jahr später Zweiterwerber.
Da das streitgegenständliche Fahrzeug mit der streitgegenständlichen Motorsteuerung mit dem Verkauf an den Ersterwerber in den Verkehr gebracht wurde, der Schaden von dem Kläger aus einem Minderwert des Fahrzeugs wegen genau dieser Motorsteuerung abgeleitet wird, hatte bereits der Ersterwerber das Fahrzeug mit dem behaupteten Schaden erworben. Der – unterstellte – Schaden war also zum Zeitpunkt des Kaufs bereits vorhanden und spätestens beim Ersterwerber eingetreten.
Der behauptete Schaden wurde von dem Kläger lediglich entdeckt. Dies führt aber nicht dazu, dass der Kläger an die Stelle des Geschädigten tritt. Ein Schadensersatzanspruch verbleibt beim Verkäufer (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2018, VII ZR 46/17, dort Rz. 64). Ein gesetzlicher Übergang von Ansprüchen oder Rechten an der Kaufsache über den Eigentumswechsel hinaus findet beim Kauf nicht statt. Eine dem § 952 BGB vergleichbare Vorschrift zu einem gesetzlichen Forderungsübergang von dem Voreigentümer im Zusammenhang mit der Kaufsache entstandener Schadensersatzansprüchen fehlt. Zu einer Abtretung von Schadensersatzansprüchen ist nichts vorgetragen. Die Liquidation des Drittschadens durch den Kläger scheidet aus, weil es an einer zufälligen Schadensverlagerung fehlt.
b) Es kann daher dahingestellt bleiben, dass auch die einzelnen Ansprüche aus folgenden Gründen nicht bestehen:
aa) § 826 BGB:
(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, dass nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzu treten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, S. 250 ff., Rdnr. 16).
Der für eine Haftung nach § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement, so dass der Handelnde die Schädigung gekannt, vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben muss – Erkennbarkeit alleine genügt nicht (BGH a.a.O., Rdnr. 25). Diese billigende Inkaufnahme einer Schädigung setzt korrespondierende Kenntnisse der handelnden natürlichen Person voraus und kann nicht losgelöst von dieser beurteilt werden. Im Fall der Organhaftung muss daher das handelnde Organ die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht haben (BGH a.a.O. Rdnr. 26 und 27).
Zudem müssen Sittenwidrigkeit und Schädigungsvorsatz des handelnden Organs getrennt festgestellt werden (BGH, a.a.O., Rdnr. 12).
Sämtliche oben aufgeführten Umstände liegen in der Darstellungslast des Klägers (vergl. OLG München, Beschluss vom 25.07.2017, 13 U 566/17, OLG Braunschweig, Urteil vom 19.2.2019, 7 U 134/17).
(1) Die Klage behauptet, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Beklagten wisse seit spätestens Mai 2014 von den Abschalteinrichtungen (Seite 14 der Klage). Dieser Zeitpunkt liegt nach dem Zeitpunkt, zu dem das Fahrzeug in den Verkehr gebracht wurde. Darüber hinaus enthält die Klage Darlegungen zu Vorgängen in den USA, ohne darzustellen, wie sich die Abgasvorschriften dort von den in der Europäischen Union geltenden unterscheiden. Organkenntnis ist damit nicht dargelegt.
Vorsatz zum konkreten Schädigungsvorsatz der Kunden fehlt.
Dieser Vorsatz muss sich nicht nur auf die Schädigungshandlung, sondern auch auf den Schadenseintritt beziehen. Zum Schädigungsvorsatz gehört, dass im Falle der Aufdeckung in Kauf genommen wird, dass eine technische Nachrüstung in welcher Form und mit welchem wirtschaftlichen Aufwand auch immer für unmöglich gehalten wird und deshalb die Zulassung dauerhaft entzogen wird.
(3) Im Übrigen lässt sich das Verhalten der Verantwortlichen der Beklagten nach seinem Gesamtcharakter nicht als sittenwidrig einstufen. Die Abgaswerte der typenzugelassenen Fahrzeuge der Beklagten werden in einem Testszenario erhoben, das der Kläger nicht dargestellt hat. Aber allein daraus, dass die stren- gen Abgaswerte nur in der Testsituation einzuhalten sind, ergibt sich, dass sie im tatsächlichen Verkehr in Einzelfällen über- schritten werden können – die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Abweichungen stellt der Kläger im übrigen ebenfalls weder qualitativ noch quantitativ dar. Wenn in dieser Situation vom Fahrzeughersteller die Grenzen des Zulässigen ausgereizt und dabei – davon geht das Gericht auf Grund der Maßnahmen des KBA aus – auch überschritten werden, so führt dies nicht zu ei- ner Bewertung des Gesamtcharakters als sittenwidriges Vor- gehen.
Dahingestellt bleiben kann, ob es beim Gebrauchtwagenkauf am Pflichtwidrigkeitszusammenhang fehlt (OLG München, Be- schluss vom 29.01.2019, 32 U 2720/18), weil der Hersteller durch Verkäufe im Gebrauchtwagenmarkt keinen zusätzlichen Vorteil hat.
bb) Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB
Die Haftung setzt voraus, dass aufgrund einer Täuschung eine Vermögensverfügung des Getäuschten erfolgt, die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwertesseines Vermögens führt. Dieses Prinzip der Gesamtsaldierung ist ständige Rechtsprechung des BGH (BGH, NJW 2016, S. 3543, Rdnr. 33).
Die Bewertung des Vermögens und des Vermögensschadens erfolgt nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten. § 263 StGB schützt weder das Affektionsinteresse, noch die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit, noch die Wahrheit im Geschäftsverkehr, sondern allein das Vermögen, so dass Leistung und Gegenleistung zunächst nach ihrem Verkehrs- und Marktwert zu vergleichen sind und auf dieser Basis zu beurteilen ist, ob es zu einem Wertgefälle gekommen ist (BGH aaO, Rdnr. 35).
Bei Herstellung und Vertrieb zunächst minderwertiger weil mangelhafter Produkte (hierzu zum streitgegenständlichen Produkt: BGH NJW 2019, 1133) kann es zu diesem Wertgefälle grundsätzlich nicht kommen. Klammert man die Problematik Täuschung und darauf folgender Vermögensverfügung aus, sondern bewertet allein unter dem Gesichtspunkt des Entstehens eines möglichen Vermögensschadens das zwischen dem Schwager des Klägers und dem … abgeschlossene Kaufgeschäft, so hat zwar der Schwager des Klägers durch das mit der Prüfstandserkennung ausgerüstete Fahrzeug ein mangelhaftes Fahrzeug erworben, gleichwohl zeitgleich mit dem Erwerb den Nacherfüllungsanspruch nach § 439 Abs. 1 BGB. Dieser Nacherfüllungsanspruch gleicht im gleichen Rechtsakt, nämlich dem Vertragsschluss, das durch die Lieferung des mangelhaften Fahrzeugs gegenüber dem bezahlten Kaufpreis entstandene Wertgefälle sofort und vollständig wieder aus, so dass ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB nicht entstehen kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Gewährleistungsansprüche gegenüber dem…  Passsau nicht werthaltig waren, sind nicht ansatzweise vorgetragen.
cc) §§ 823 II BGB iVm 6, 27 EG-FGV
Unstreitig ist, dass das streitgegenständliche Fahrzeug eine EG-Typengenehmigung hat, die nicht widerrufen wurde. Diese Entscheidung der Geneh- migungsbehörde hat für die Zivilgerichte Tatbestandswirkung (BGH NJ 2008, S. 124).
Im Übrigen sind die Vorschriften der EG-FGV nicht drittschützend (OLG Mün- chen, Beschluss vom 22.02.2018, 27 U 2827/17), da sie keine für die als Pkw-Käufer auftretenden Individualpersonen schützende Funktion haben.
dd) §§ 823 II BGB iVm § 16 UWG
Die Beklagte hat das streitgegenständliche Fahrzeug nicht hergestellt und offensichtlich dafür auch keine Werbung gemacht, weil der Kläger dazu kein Wort vorgetragen hat.
c) Dahingestellt bleiben kann, dass im Rahmen des Schadensersatzes aus unerlaubter Handlung das vom Kläger zuletzt geltend gemachte positive Interesse nicht ersatzfähig ist (OLG München, Beschluss vom 29.04.2019, 21 U 89/19, Beschluss vom 10.01.2019, 21 U 2723/18).
2. Kosten: § 91 ZPO
3. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO
4. Streitwert: § 3 ZPO
Die Klageänderung durch Schriftsatz vom 05.06.2019 ändert am Verfahrensstreitwert nichts mehr. Diesen hat das Gericht mit dem Kaufpreis bemessen. Der Klageantrag Ziffer III. ist ohne wirtschaftlichen Wert. Der Klageantrag Ziffer IV. bleibt nach § 4 ZPO außer Ansatz. Gleiches gilt für die Zinsen, auch dann, wenn sie beziffert sind. Den Klageantrag hat das Gericht im Lichte der Festsetzung des Verfahrensstreitwertes nicht neu eingewertet, weil sich im Lichte des ursprünglich gestellten Klageantrages kein anderer wirtschaftlicher Wert ergibt.


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