Europarecht

Abschiebung nach Bulgarien – Keine systemischen Mängel in Bulgarien

Aktenzeichen  M 1 S 16.50380

Datum:
5.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Die vorhandenen, nicht unerheblichen Mängel des bulgarischen Aufnahme- und Versorgungssystems sind nicht derart gravierend, dass von einem grundlegenden, systemischen Versagen Bulgariens in dem Sinne ausgegangen werden könnte, dass Asylsuchende mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSv Art. 4 GRCh zu rechnen hätten (ebenso BayVGH BeckRS 2015, 43013). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist am … geboren, afghanischer Staatsangehöriger und wurde am 18. Januar 2016 im Bundesgebiet ohne Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels angetroffen.
Eine Eurodac-Anfrage ergab am 26. Januar 2016 einen Treffer für Bulgarien. Auf ein Wiederaufnahmegesuch der deutschen Behörden vom 29. Februar 2016 auf Grundlage des Art. 23, Art. 18 Abs. 1 b der VO (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) an die zuständigen bulgarischen Behörden erklärten diese mit Schreiben vom 9. März 2016 ihre Zuständigkeit und Bereitschaft, den Antragsteller zu übernehmen.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2016, zugestellt am 15. Juni 2016, ordnete das Bundesamt die Abschiebung nach Bulgarien an (Nr. 1). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 2). Bulgarien sei aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO für die Behandlung dieses Antrags zuständig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Bulgarien sprächen, seien nicht ersichtlich. Die Anordnung der Abschiebung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots richte sich nach § 75 Nr. 12, § 11 Abs. 2 AufenthG.
Gegen den Bescheid des Bundesamts hat der Antragsteller am … Juni 2016 Klage erhoben (M 1 K 16.50379). Er beantragt zudem,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung lässt er vortragen, er habe im Juni 2016 über soziale Medien herausgefunden, dass sein noch minderjähriger Bruder sich in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft befinde, der ebenfalls einen Asylantrag in Deutschland gestellt habe. Er berufe sich auf Art.6 und 10 der Dublin-III-Verordnung, auf Art. 6 Grundgesetz (GG) und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Den Namen des Bruders benannte der Antragsteller ebenso wenig wie nähere Angabe zu dessen Aufenthaltsort.
Die Antragsgegnerin legte am 16. Juni 2016 die Behördenakten vor und stellte bisher keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist unbegründet.
Die vom Antragsteller eingelegte Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine auf-schiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Vorliegend ist Bulgarien als erster Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die bulgarischen Behörden haben das Übernahmeersuchen vom 29. Februar 2016 am 9. März 2016 akzeptiert. Es liegen keine Gründe i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO vor, die der Überstellung des Antragstellers nach Bulgarien entgegenstünden. Solche Gründe ergeben sich weder aus den Ausführungen zur Begründung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch sind sie sonst ersichtlich.
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der EMRK steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt vielmehr die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizieren (EuGH v. 21.12.2011 a. a. O. Rn. 86). Dabei ist die Vermutung nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. Vielmehr ist von systemischen Mängeln nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B. v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris).
Gemessen an diesem Maßstab und übereinstimmend mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris) stehen der Rückführung des Antragstellers nach Bulgarien derzeit keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen. Auch wenn es vorkommen mag, dass das Asylverfahren in Bulgarien zum Teil lange dauert und Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrags auf sich alleine gestellt und zum Teil obdachlos sind, ist dies doch darauf zurückzuführen, dass das bulgarische Asylsystem aufgrund der hohen Asylbewerberzahlen stark ausgelastet und an der Kapazitätsgrenze ist. Dennoch ist in Bulgarien ein an sich funktionierendes Asylsystem vorhanden. Es gibt Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern und von Dublin-Rückkehrern. Die vorhandenen, nicht unerheblichen Mängel des bulgarischen Aufnahme- und Versorgungssystems sind zur Überzeugung des entscheidenden Gerichts nicht derart gravierend, dass von einem grundlegenden, systemischen Versagen Bulgariens in dem Sinne ausgegangen werden könnte, dass Asylsuchende mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta zu rechnen hätten (vgl. BayVGH, B. v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – juris Rn. 29).
Darüber hinaus sind außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichten würden, nicht ersichtlich.
Die vom Antragsteller eingewandten persönlichen Umstände stehen seiner Überstellung nach Bulgarien ebenfalls nicht entgegen. Sein Vortrag, ein minderjähriger Bruder befinde sich als Asylbewerber in Berlin, ist mangels näherer Angaben zu dessen Namen und Aufenthaltsort nach im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlicher, aber auch ausreichender überschlägiger Prüfung unsubstantiiert, daher unzureichend und kein Grund, das Asylverfahren des Antragstellers nicht in Bulgarien durchzuführen. Die von ihm benannten Bestimmen des Art. 6 und 10 Dublin-III-Verordnung, Art. 6 Grundgesetz und Art. 8 EMRK stehen wegen fehlender Substantiierung der Angaben nicht entgegen
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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