Europarecht

Abschiebungsanordnung gegen syrischen Asylbewerber im Kirchenasyl im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  B 3 K 17.50037

Datum:
13.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AsylG AsylG § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 29 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Beansprucht ein Asylbewerber die Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 113723). Die erfolgreiche Anfechtungsklage versetzt das Verfahren in den Stand zurück, in dem es sich vor Erlass der streitgegenständlichen Regelung befunden hat, sodass das Bundesamt gem. §§ 24, 31 AsylG verpflichtet ist, das Asylverfahren weiterzuführen. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG unterbricht den Lauf der Frist für eine Überstellung nach den Regelungen der Dublin III-Verordnung. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über einen solchen Antrag wird die Frist auch dann neu in Lauf gesetzt, wenn der Antrag abgelehnt wurde (wie BayVGH BeckRS 2017, 107841). (Rn. 29) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Ein Asylbewerber ist bereits dann flüchtig, wenn er sich seiner sonst möglichen Überstellung durch sein Nichtdasein bewusst entzieht, wobei nicht erforderlich ist, dass er seine Wohnung dauerhaft verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch dem Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung “flüchtig ist” knüpft nämlich an die Überstellung an; in einem solchen Fall hat nicht der Mitgliedstaat, sondern der Asylbewerber den Ablauf der Frist zu vertreten (wie VG Ansbach BeckRS 2017, 123518). (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Der Eintritt ins Kirchenasyl ist einem Untertauchen gleichzusetzen, weil sich der Asylbewerber insoweit der staatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht unterordnet, sondern sich dieser bewusst und gerade solange entzieht, bis die Überstellungsfrist nach der Dublin III-Verordnung abgelaufen ist. Dabei ist es irrelevant, dass den zuständigen Behörden der Aufenthalt des Asylbewerbers jederzeit bekannt ist. (Rn. 34) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 In Italien bestehen aktuell keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen. (Rn. 40 – 43) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 06.11.2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die Klage ist bereits unzulässig, soweit der – zwischenzeitlich anwaltlich vertretene – Kläger „Verpflichtungsanträge“ auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bzw. auf Feststellung von Abschiebungsverboten im Hinblick auf das Herkunftsland (Syrien), gestellt bzw. in der mündlichen Verhandlung am 06.11.2017 die Anträge vom 15.02.2017 weiterhin aufrechterhalten hat. Geht es – wie vorliegend – um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart gegen den Bescheid des Bundesamts vom 10.02.2017 (BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris; BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris; BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.50003 – juris). Ist die Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung erfolgreich, wird das Verwaltungsverfahren in den Stand zurückversetzt, in dem es sich vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen befunden hat. Das Bundesamt ist in diesem Fall gemäß §§ 24, 31 AsylG gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren weiterzuführen. Die Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung führt somit zur weiteren Prüfung der Anträge des Klägers durch die Beklagte und damit zu dem erstrebten Rechtsschutzziel.
Weiterhin hat der Kläger jedoch die Anfechtungsklage gegen den Unzulässigkeitsbescheid mit einem hilfsweisen Verpflichtungsbegehren auf Feststellung nationalen Abschiebungsschutzes zu verbinden, wenn er die Nichtfeststellung von Abschiebungsverboten für fehlerhaft erachtet und in Bezug auf den Abschiebezielstaat (Italien) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG sieht (BVerwG, B.v. 3.4.2017 – 1 C 9/16 – juris; Berlit, Anmerkung zum B.v. 3.4.2017 – 1 C 9/16 vom 10.7.2017, jurisPR-BVerwG, 114/2017, Anm. 1 – juris). Für eine unbedingt beantragte klageweise Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung von Abschiebungsverboten fehlt dem Kläger hingegen das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist wegen der Regelung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG das Bundesamt auch in den Fällen zur Entscheidung über das Bestehen von Abschiebungsverboten verpflichtet, in welchen es den Asylantrag (hier nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) für unzulässig erachtet. Aufgrund der gesetzlichen Systematik des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG kann die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots aber nur für den Fall begehrt werden, dass der Bescheid in Ziffer 1 aufrechterhalten bleibt, also als Hilfsantrag. Denn im Falle der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung wird auch eine Feststellung, wonach Abschiebungsverbote nicht vorliegen, kassiert (BVerwG, B.v. 3.4.2017 – 1 C 9/16 – juris; BVerwG, U.v. 1.6.2017 – 1 C 9/17 – juris; vgl. auch VG Ansbach U.v. 6.9.2017 – AN 3 K 17.51126 – juris). Vorliegend wurde aber Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung von Abschiebungsverboten nicht für den Fall der erfolglosen Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bescheides) beantragt, sondern als (weiterer) Hilfsantrag für das – schon unzulässige – Verpflichtungsbegehren in Ziffer 2 des Klageantrags (Verpflichtung auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft).
III.
Soweit die Klage zulässig ist, bleibt sie ebenfalls ohne Erfolg. Der Bescheid vom 10.02.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Asylantrag ist gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG in Deutschland unzulässig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG ist ein Asylantrag in Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
a) Vorliegend ist der Kläger von Ägypten aus nach Italien eingereist und wurde am 31.08.2016 in Italien erkennungsdienstlich behandelt. Dies ergibt sich aus dem EURODAC-Treffer der „Kategorie 2“. Damit ist Italien nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig.
Da Italien das am 25.11.2016 gestellte Übernahmeersuchen innerhalb der festgesetzten Frist (zwei Monate nach Erhalt des Gesuchs bei einem EURODAC-Treffer der „Kategorie 2“) nicht beantwortet hat, gilt das Übernahmeersuchen gem. Art. 22 Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 Dublin III-VO als angenommen und akzeptiert, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person aufzunehmen.
b) Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist wieder entfallen.
aa) Die Überstellungsfrist beträgt nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO sechs Monate ab dem Tag der Annahme des Auf- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedsstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 1 AsylG) unterbricht den Lauf der Frist für eine Überstellung nach den Regelungen der Dublin III-Verordnung. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über einen solchen Antrag wird die Frist auch dann neu in Lauf gesetzt, wenn – wie hier mit Beschluss vom 27.02.2017 – der Antrag abgelehnt wurde (BVerwG, U.v. 26.5.2016 – 1 C 15/15 – juris; BayVGH, U.v. 29.3.2017 – 15 B 16.50080 – juris).
bb) Zwar ist die Sechs-Monats-Frist am 27.08.2017 um 24 Uhr abgelaufen, die Beklagte hat jedoch mit Schreiben vom 21.08.2017 die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO in zulässigerweise auf 18 Monate, also bis zum 27.08.2018, verlängert.
Gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO kann die Überstellungsfrist auf höchstens 18 Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Die Beklagte hat Italien am 21.08.2017 über die „Flüchtigkeit“ des Klägers und die daraus folgende Unmöglichkeit der Überstellung informiert. Darin liegt auch eine – jedenfalls konkludent getroffene – nach dem Wortlaut von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO („Die Frist […] kann verlängert werden […]“) erforderliche Entscheidung der Beklagten über die Fristverlängerung (vgl. VG Dresden, U.v. 12.6.2015 – 7 K 2951/14.A – juris sowie VG Ansbach, B.v. 29.8.2017 – AN 14 E 17.50998 – juris und VG Ansbach, B.v. 26.9.2017 – AN 14 E 17.51000 – juris).
Der Kläger ist seit dem 24.07.2017, an dem der illegale Aufenthalt im Kirchenasyl begonnen hat, „flüchtig“ i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO, so dass die Verlängerung der Überstellungsfrist rechtmäßig erfolgte. Im Lichte von Sinn und Zweck der Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO konnte in der vorliegenden Konstellation die Verlängerung der Überstellungfrist erfolgen, weil dadurch vermieden wird (und werden soll), dass sich der Zuständigkeitsübergang durch pflichtwidriges Tun oder Unterlassen des Klägers vollzieht.
Ein Asylbewerber ist bereits dann „flüchtig“, wenn er sich seiner sonst möglichen Überstellung durch sein Nichtdasein bewusst entzieht. Erforderlich ist nicht, dass er seine Wohnung (dauerhaft) verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch den Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung „flüchtig ist“ knüpft nämlich an die Überstellung an. In einem solchen Fall hat nicht der Mitgliedstaat, sondern der Asylbewerber den Ablauf der Frist zu vertreten (vgl. VG Regensburg, U.v. 20.2.2015 – RN 3 K 14.50264 – juris; VG Magdeburg, B.v. 11.12.2014 – 1 B 1196/14 – juris; VG Ansbach, B.v. 29.8.2017 – AN 14 E 17.50998 – juris; VG Ansbach, B.v. 26.9.2017 – AN 14 E 17.51000 – juris).
Aus Sicht des Gerichts ist – zumindest im vorliegenden Einzelfall – der Eintritt ins Kirchenasyl einem „Untertauchen“ in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht gleichzusetzen, weil sich der Kläger insoweit der staatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht unterordnet, sondern sich dieser bewusst und gerade solange entzieht, bis die Überstellungsfrist nach der Dublin III-VO abgelaufen ist. Dabei ist unerheblich, dass den Behörden der Aufenthalt des Klägers jederzeit bekannt war. Dem Kläger ist nämlich geläufig, dass die bayerischen Ausländerbehörden aufgrund entsprechender Abreden mit den Kirchen und der bereits jahrelangen Praxis gegen vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer im Kirchenasyl nicht vorgehen. Aufgrund der politischen Entscheidung zur Respektierung des Kirchenasyls, besteht jedenfalls ein faktisches Vollzugshindernis für die Ausländerbehörden (BayLSG, B.v. 11.11.2016 – L 8 AY 28/16 B ER – juris). Obwohl die Ausländerbehörden rechtlich nicht gehindert sind auch aus dem Kirchenasyl abzuschieben, hat der Kläger de facto die (nahezu) hundertprozentige Sicherheit, dass er während des illegalen Kirchenasyls nicht überstellt wird. Sein Status gegenüber Ausländerbehörde ist damit kein anderer, als der eines „unbekannt“ Untergetauchten, da sich der Kläger ebenfalls vorsätzlich dem Zugriff der Ausländerbehörde entzieht (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 7.12.2016 – AN 14 S 16.50339 – juris; VG Bayreuth, GB.v. 7.6.2017– B 3 K 17.50070 –; VG Regensburg, U.v. 20.2.2015 – RN 3 K 14.50364 – juris; VG Augsburg, B.v. 8.10.2014 – Au 7 K 14.30121 – juris; VG Ansbach, U.v. 21.12.2015 – An 3 K 15.50498 – juris; VG Saarland, U.v. 6.3.2015 – 3 K 832/14 – juris; VG Bayreuth, U.v. 7.3.2016 – B 3 K 15.50293 – juris; a.A. beispielsweise VG München, B.v. 6.6.17– M 9 S 17.50290 – juris und VG Hannover, U.v. 31.5.2017 – 10 A 6796/16 – juris).
Dahinstehen kann, ob der „Gang ins Kirchenasyl“ generell die Verlängerung der Überstellungsfrist rechtfertigt. Im vorliegenden Fall kommt jedoch hinzu, dass beim Kläger keinerlei humanitäre Gründe ersichtlich sind, die das Kirchenasyl als „ultima ratio“ rechtfertigen würden. Der Kläger ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er ist ledig und kinderlos. Ihm ist in Italien nichts zugestoßen. Die Aufnahme des Klägers in das Kirchenasyl erfüllt daher schon im Ansatz nicht die Kriterien, die Kirchen zur Gewährung des „übergesetzlichen Schutzes“ vorgesehen und mit dem Bundesamt vereinbart haben (vgl. nur http://www.kirchenasyl.de/erstinformation/). Der hiesige Kläger stellt sich vielmehr bewusst und grundlos gegen die deutsche Rechtsordnung. Er hat während des Verfahrens bereits wiederholt versucht, eine Sonderbehandlung zu erreichen (vgl. Bl. 33 ff. der Gerichtsakte). Nachdem diese Versuche gescheitert sind, unterwandert er die Rechtsordnung nunmehr mit dem offensichtlich illegalen Aufenthalt im Kirchenasyl.
Zumindest im vorliegenden Fall hat die Beklage – unter Anwendung des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO – die Überstellungsfrist rechtmäßig bis zum 27.08.2018 verlängert. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist daher kein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte gegeben.
cc) Letztlich wird noch darauf hingewiesen, dass es für die Rechtmäßigkeit der Verlängerung der Überstellungsfrist völlig unerheblich ist, ob Italien den Eintritt in das Kirchenasyl ebenfalls als Verlängerungsgrund i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO erachtet. Das Erfordernis der Information des Zielstaates vor Ablauf der Überstellungsfrist folgt aus Art. 9 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 in der Fassung von Art. 1 Nr. 5 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 i.V.m. Art. 29 Abs. 4 Dublin III-VO. Dem hat die Beklagte mit ihrem Schreiben an die italienischen Behörden genügt. Weitere Voraussetzungen, insbesondere die Zustimmung oder das Einverständnis des Zielstaats, sind gesetzlich nicht vorgesehen.
dd) Die Meldung der Beklagten an Italien vom 21.06.2017 bzgl. der Verlängerung der Überstellungsfrist bis zum 27.08.2018 wegen Nichtanwesenheit des Kläger vom 09.06.2017 bis 20.06.2017 in der zugewiesenen Unterkunft, stellt hingegen keine ordnungsgemäße Verlängerung der Überstellungsfirst dar, da der Kläger im obigen Zeitraum nicht „flüchtig“, sondern – zumindest zeitweise – erlaubt zu einer Familienfeier abwesend war. Dies ist vorliegend aber unerheblich, da die Beklagte jedenfalls aufgrund des Kirchenasyls die Überstellungsfrist am 21.08.2017 rechtzeitig und rechtmäßig bis zum 27.08.2018 verlängert hat.
c) Es liegen auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO begründen oder möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine Selbsteintrittspflicht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen.
aa) Systemische Mängel des italienischen Asylverfahrens liegen nach Auffassung des Gerichts nicht vor.
Nach dem vom Bundesverfassungsgericht zur Drittstaatenregelung entwickelten „Konzept der normativen Vergewisserung“ ist davon auszugehen, dass in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – sichergestellt ist (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris). Dieses vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Konzept steht im Einklang mit dem der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems zugrundeliegenden Prinzips des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – Rs. C-411/10 und C-493/10 – juris). Unter diesen Bedingungen muss die nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung gelten, dass die Behandlung eines Asylbewerbers bzw. als schutzberechtigt anerkannten Ausländers in jedem einzelnen dieser Staaten im Einklang mit den genannten Rechten steht.
Hiervon kann nur dann nicht ausgegangen werden, wenn sich auf Grund bestimmter Tatsachen aufdrängt, der Ausländer sei von einem Sonderfall betroffen, der von dem Konzept der normativen Vergewisserung bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens nicht aufgefangen wird (vgl. EuGH, U.v. 10.12.2013 – Rs. C-394/12 – juris, BVerfG, U.v. 14.5.1996 a.a.O.). Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Personen implizieren (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGrdRCh bzw. Art. 3 EMRK droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris, m.w.N., B.v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – juris). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d.h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Gemessen hieran ist in Bezug auf Italien nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse nicht davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Überstellung eine menschenunwürdige Behandlung im vorgenannten Sinne droht (so auch VG Augsburg, B.v. 6.10.2017 – Au 3 S 17.50239 – juris; VG München, B.v. 6.7.2017 – M 9 S 16.51285 – juris; VG Würzburg, B.v. 26.6.2017 – W 8 K 17.50340 – juris; VG München, B.v. 11.1.2017 – M 8 S 16.51193 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris; VG Hamburg, B.v. 8.2.2017 – 9 AE 5887/16 – juris). Es ist nicht ersichtlich, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen vorliegen. Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (s. hierzu statt vieler aktuell OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris, m.w.N., U.v. 7.7.2016 – 13 A 2302/15.A – juris). Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrags in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. Dies und auch die zum Teil lange Dauer der Asylverfahren sind darauf zurückzuführen, dass das italienische Asylsystem aufgrund der momentan hohen Asylbewerberzahlen stark ausgelastet und an der Kapazitätsgrenze ist. Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite sind aber weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen „Dublin-Rückkehrer“ nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGrdRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad nahelegt. (vgl. OVG NRW, U.v. 18.7.2016 a.a.O). Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, völker- und unionsrechtskonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. In Italien bestehen ausdifferenzierte Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern, auch speziell für „Dublin-Rückkehrer“. Diese befinden sich in staatlicher, in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft und werden zum Teil zentral koordiniert (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris, m.w.N.). Das italienische Recht gewährt den Asylsuchenden ab dem Zeitpunkt des Asylantrags Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten. In der Praxis wird zwar der Zugang zu den Aufnahmezentren häufig erst von der formellen Registrierung des Asylantrags abhängig gemacht, so dass hierdurch eine Zeitspanne ohne Unterbringung entstehen kann. Die Behörden sind jedoch darum bemüht, diese zu verringern (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 a.a.O.). Auch „Dublin-Rückkehrer“ haben bei ihrer Ankunft in Italien nach Kapazität sofort Zugang zu bestimmten Unterkünften. Es ist auch gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr ihr ursprüngliches Asylverfahren weiterbetreiben bzw. – wenn sie das noch nicht getan haben – einen Asylantrag oder – falls das Asylverfahren in Italien mit negativem Ergebnis bereits abgeschlossen sein sollte – einen Folgeantrag stellen können (s. OVG NRW, U.v. 19.5.2016 – 13A 516/14.A – juris)
bb) Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen könnten, sind nicht ersichtlich.
Der EGMR hat in seiner „Tarakhel“-Entscheidung zwar ausgeführt, dass insbesondere minderjährige Asylbewerber eines besonderen Schutzes bedürften, weil sie besondere Bedürfnisse hätten und extrem verwundbar seien. Das gelte auch, wenn die Kinder von ihren Eltern begleitet würden. Eine Überstellung nach Italien in solchen Fällen verstoße deshalb nur dann nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn die italienischen Behörden eine individuelle Garantieerklärung abgeben, wonach die Betroffenen eine Unterkunft erhalten und ihre elementaren Bedürfnisse abgedeckt sind (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014, Nr. 29217/12, Tarakhel ./. Schweiz, juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Nichtannahmebeschluss vom 17.09.2014 (2 BvR 732/14) festgestellt, dass auf Grund der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG im Dublin-System zur Vermeidung erheblicher konkreter Gesundheitsgefahren für neugeborene und Kleinstkinder bis drei Jahren eine ausreichende Versorgung im Zielstaat sicherzustellen ist. Hierzu sei es notwendig, sich mit den Behörden des Zielstaates abzustimmen. Der Kläger fällt aber ersichtlich nicht unter diesen besonders schutzbedürftigen Personenkreis. Eine Ausweitung der „Tarakhel“- Rechtsprechung erscheint auch unter Berücksichtigung der deutschen Grundrechte nicht geboten. Insoweit sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, weshalb sich die Lage in Italien soweit verändert haben sollte, dass die Rechtsprechung des BVerfG auszuweiten wäre. Dies widerspräche letztendlich dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens, das aus der uneingeschränkten und umfassenden Anwendung der Europäischen Grundrechtecharta und der Genfer Flüchtlingskonvention resultiert (vgl. VG Lüneburg, U.v. 13.12.2016 – 8 A 175/16 – juris; VG Bayreuth, U.v. 2.2.2017 – B 3 K 16.30085).
Der Kläger ist jung und gesund. Es ist nicht annährend ersichtlich, warum er das Asylverfahren nicht in Italien betreiben könnte.
2. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass das Begehren auf Verpflichtung der Beklagten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hinblick auf Italien festzustellen, in prozessual zulässigerweise zum Klagegegenstand gemacht wurde (s.o.), hat der Kläger jedenfalls keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Insbesondere droht dem Kläger keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zum einen beruft sich der Kläger weder im Klageverfahren noch im Eilverfahren auf gesundheitliche Einschränkungen. Andererseits ergibt sich auch aus dem in der Behördenakte befindlichen Arztbrief des Klinikums C … vom 18.12.2016 kein Krankheitsbild, das einer Überstellung nach Italien entgegenstehen würde. Dem Arztbrief vom 18.12.2016 ist zwar zu entnehmen, dass am 17.12.2016 der Verdacht eines epileptischen Anfalls bestand; im Nachhinein war wohl ein deutlicher Schlaf- und Ernährungsmangel sowie der plötzliche Kontakt mit drei Hunden für das Zusammensacken des Klägers am 17.12.2016 ursächlich. Nachdem der Kläger die Klinik gegen ärztlichen Rat verlassen hat und daher keine weiteren Untersuchungen möglich waren, wird im Arztbrief von einer konvulsiven Synkope, am ehesten vaso-vagaler Genese, im Rahmen einer Angstreaktion ausgegangen. Weitere, über diesen einmaligen Zusammenbruch hinausgehende, Vorfälle sind nicht ersichtlich bzw. attestiert. Für das Gericht ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass – sollte es überhaupt nochmal zu einem solchen Vorfall kommen – dieser in Italien nicht ausreichend behandelt werden könnte. Der Kläger leidet daher nicht an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Krankheit, die sich bei einer Abschiebung wesentlich verschlimmern würde (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Bei einer Abschiebung nach Italien kann daher nicht von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben des Antragstellers im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgegangen werden.
Anhaltspunkte für innerstaatliche Abschiebungsverbote sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
3. Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach § 34a Abs. 1 AsylG wird die Abschiebung ohne das Erfordernis einer vorherigen Androhung und Fristsetzung insbesondere dann angeordnet, wenn der Ausländer in einem für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Zuständigkeit des anderen Staates gegeben ist und feststeht, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat nicht aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier – wie vorstehend sowie im angefochtenen Bescheid ausgeführt – im Hinblick auf die Abschiebung nach Italien vor.
4. Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 AufenthG) beruht auf § 11 Abs. 2 i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG und begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.


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