Europarecht

Anerkennung eines internationalen Schutzstatus in Spanien – keine systemischen Mängel im spanischen Asylsystem

Aktenzeichen  W 8 S 20.50228

Datum:
22.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25106
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a, § 77 Abs. 2
EMRK Art. 3
Dublin III-VO Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. d
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1. Aufgrund der aktuellen Erkenntnislage des Gerichts liegen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel im spanischen Asylsystem vor (so auch OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2020, 21117; VG Würzburg BeckRS 2020, 39903; BeckRS 2019, 6556; VG Ansbach BeckRS 2020, 4810; VG Berlin BeckRS 2019, 4884; VG Lüneburg BeckRS 2019, 3621; VG Magdeburg BeckRS 2019, 2427; VG Aachen BeckRS 2018, 22196 jeweils mwN). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist gewährleistet, dass Asylbewerber in Spanien die erforderliche medizinische Versorgung erhalten. Dies umfasst auch die medizinische oder sonstige Hilfe für Asylbewerber mit besonderen Bedürfnissen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die gilt auch im Falle einer eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatus in Spanien. (redaktioneller Leitsatz)
4. Die weltweite COVID 19-Pandemie führt in Spanien nach dem für das Gericht maßgeblichen gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht zur Feststellung eines  zielstaatbezogenen Abschiebungsverbots. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
5. Zu berücksichtigen sind unter anderem die örtlichen Gegebenheiten im Zielland und auch die Frage, welche Schutzmaßnahme der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (vgl. OVG Münster BeckRS 2020, 13678). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 18. Juli 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 18. Juli 2020 Kenntnis erlangte, und stellte am 6. August 2020 einen förmlichen Asylantrag.
Nach Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates (Spanien) gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 1. September 2020 erklärten die spanischen Behörden mit Schreiben vom 8. September 2020 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 8. September 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 18. September 2020 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 20.50227 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Spanien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.50227) sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Begehrens des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO) ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Spanien in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 8. September 2020 begehrt.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. September 2020 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet bleiben zu dürfen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Spanien ist gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Verordnung Nr. 604/2013/EU – Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Spaniens ergibt sich vorliegend aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO. Die spanischen Behörden haben ihre Zuständigkeit mit Schreiben vom 8. September 2020 ausdrücklich erklärt.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand auch unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das spanische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) ausgesetzt wären.
Das gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80). Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12. 2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens stehen deshalb nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind hoch. Konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019 (C-163/17 – juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92 f.).
Ausgehend von vorstehenden Grundsätzen bestehen aufgrund der aktuellen Erkenntnislage des Gerichts keine Anhaltspunkte für das Vorliegen derartiger systemischer Mängel im spanischen Asylsystem (so auch OVG Bln-Bbg, U.v. 24.8.2020 – OVG 3 B 35.19 – juris; VG Würzburg, U.v. 21.7.2020 – W 8 K 20.50174; B.v. 5.4.2019 – W 8 S 19.50286 – juris; VG Ansbach, B.v. 18.3.2020 – AN 17 S 20.50116; VG München, B.v. 17.10.2018 – M 22 S. 52859; VG Berlin, B.v. 14.3.2019 – 31 L 828.18 A; VG Chemnitz, U.v. 7.3.2019 – 4 L 155/19.A; VG Lüneburg, B.v. 21.2.2019 – 8 B 16/19; VG Magdeburg, B.v. 18.1.2019 – 6 B 60/19; VG Aachen, B.v. 13.8.2018 – 4 L 1065/18.A – alle juris; jeweils m.w.N.), zumal der Antragsteller nichts Gegenteiliges substantiiert vorgebracht hat.
Denn Spanien verfügt über ein rechtsstaatliches Asylsystem mit administrativen und gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Sofern Dublin-Rückkehrer einen (weiteren) Asylantrag stellen, wird in Spanien ein Asylverfahren durchgeführt. Dublin-Rückkehrer können ein eventuelles Asylverfahren in Spanien fortsetzen bzw. einen neuen Asylantrag stellen. Außerdem ist der Zugang zur Versorgung, wie er auch anderen Asylbewerbern offensteht, garantiert. Asylbewerber, die über keine finanziellen Mittel verfügen, haben das Recht auf Unterbringung und Versorgung zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse. Sie haben auch rechtlich vollen Zugang zu öffentlicher medizinischer Versorgung wie spanische Staatsbürger, darunter auch zu psychologischer Betreuung für Opfer von Folter, Misshandlung und anderer Traumatisierung. Im spanischen Unterbringungssystem werden die Antragsteller in Absprache zwischen der Asylbehörde und der NGO, welche das Unterbringungszentrum führt, untergebracht. Für vulnerable Fälle gibt es Unterbringungskapazitäten verschiedener NGOs. Besonders vulnerable Fälle, die nicht abgedeckt werden können, werden bei Bedarf an externe, noch spezialisiertere Stellen übergeben. Asylbewerber haben Zugang zu allgemeiner und spezialisierter medizinischer Hilfe, die kostenlos durch den Staat gewährleistet wird. Spezialisierte Mitarbeiter überwachen die psychische und physische Gesundheit. Geschulte Psychologen kümmern sich um Asylbewerber mit psychischen Problemen (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Spanien vom 13.3.2019 m.w.N.). Infolgedessen ist gewährleistet, dass Asylbewerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten. Dies umfasst auch die medizinische oder sonstige Hilfe für Asylbewerber mit besonderen Bedürfnissen (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 21.7.2020 – W 8 K 20.50174; B.v. 18.1.2019 – W 8 S 19.50035 – juris; B.v. 11.1.2019 – W 2 S 19.50022 – juris; VG Berlin, B.v. 14.3.2019 – 31 L 828.18 A – juris; VG Lüneburg, B.v. 21.2.2019 – 8 B 16/19 – juris; VG Magdeburg, B.v. 18.1.2019 – 6 B 60/19 – juris; VG München, B.v. 17.10.2018 – M 22 S 18.52859 – juris; VG Aachen, B.v. 13.8.2018 – 4 L 1065/18.A – juris; jeweils m.w.N.).
Vorstehendes gilt auch im Falle einer eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatus in Spanien (BVerfG, B.v. 7.10.2019 – 2 BvR 721/19; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – jeweils juris). Zu beachten ist dabei, dass zur Abschätzung der Gefahrenprognose eine Zuerkennung internationalen Schutzes ohne weiteres zu unterstellen ist, insbesondere also keine inzidente Prüfung des Anspruchs auf Asyl vorzunehmen ist (vgl. VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 40).
Schutzberechtigte haben denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie spanische Bürger. Hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung sind sie Asylbewerbern gleichgestellt. Personen mit internationalem Schutz genießen Freizügigkeit in ganz Spanien und haben Zugang zum 18-monatigen dreiphasigen Unterbringungs-/Integrationsprozess, in welchem sie individuelle Unterstützungsprogramme für Ausbildung, Anerkennung von Qualifikationen usw. erhalten. Nach Abschluss des dreiphasigen Prozesses können die Begünstigten Arbeitsintegrations- und Orientierungsdienste von NGOs in Anspruch nehmen, die mit EU-Mitteln vom Ministerium für Beschäftigung finanziert werden und auch personalisierte Programme, Beschäftigungsorientierung, Schulungen usw. umfassen. Zwar bestehen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit generell in Spanien in der Praxis Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt, welche für anerkannt Schutzberechtigte häufig durch fehlende Qualifikationen und mangelnde Sprachkenntnisse noch verstärkt werden. Jedoch haben sie gleichermaßen und unter denselben Bedingungen Zugang zu Sozialhilfe wie Spanier. Das Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit ist für die Bereitstellung von Sozialhilfe zuständig und in der Praxis besteht dieser Zugang ohne besondere Hindernisse. Auch wenn gemäß UNHCR das spanische System zur Integration von Flüchtlingen, speziell Vulnerabler, verbessert werden muss, kann nach Vorstehendem nicht davon ausgegangen werden, dass die Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Spanien generell derart defizitär wären, als dass sie zu einer Verletzung der in Art. 3 EMRK niedergelegten Rechte in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen würden und damit einer Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig entgegenstünden (vgl. zu alledem BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Spanien vom 13.3.2019., S. 14 f.).
Eine andere Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides in Bezug auf die Unzulässigkeitsentscheidung in Nr. 1 ist insbesondere auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der COVID 19-Pandemie (Corona-Krise) gerechtfertigt (ebenso VG Würzburg, U.v. 21.7.2020 – W 8 K 20.50174).
Das Gericht geht nicht davon aus, dass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG die Verhältnisse in Spanien mit Blick auf das „Coronavirus“ entgegenstehen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Kläger in Spanien aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Dies gilt aber wegen des oben näher erläuterten Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nur in Extremfällen (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 26. Edition Stand: 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 22-24). Das Gericht hat – auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in Spanien getroffenen Maßnahmen – keine substantiierten Erkenntnisse, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person der Kläger oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in Spanien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Spanien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen.
Nach alledem ist auch nicht erkennbar, dass die Beklagte rechtsfehlerhaft nicht von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht hat.
Des Weiteren hat der Antragsteller weder einen Anspruch auf die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG – bezogen auf Spanien – noch liegen inlandsbezogene Vollzugshindernisse vor.
Eine abweichende Sichtweise ergibt sich zudem nicht in Bezug auf die weltweite COVID 19-Pandemie („Corona-Krise“). Diese führt in Spanien nach dem für das Gericht maßgeblichen gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht zur Feststellung eines solchen zielstaatbezogenen Abschiebungsverbots. Nach der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längsten drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt, kann der Kläger in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn er bei Überstellung aufgrund der herrschenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – BVerwGE 147, 8). Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller nicht vor, denn es fehlt an einer derart extremen Gefahrenlage.
Denn nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, etwa wenn das Fehlen eines Abschiebungsstopps dazu führen würde, dass ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, wird die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbrochen und es ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 26. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 45 m.w.N.).
Für das Vorliegen einer derartigen Gefahrenlage bestehen für das Gericht auch aufgrund der in Spanien getroffenen Maßnahmen (vgl. etwa https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/spanien-node/ spanien-sicherheit/210534) keine greifbaren Anhaltspunkte.
Der Antragsteller gehört offensichtlich nicht zu einer Personengruppe für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid 19-Erkrankung. Im Übrigen genügt nicht eine allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Covid 19-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, um zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende in seinem Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, rechnen muss. Zu berücksichtigen sind unter anderem die örtlichen Gegebenheiten im Zielland und auch die Frage, welche Schutzmaßnahme der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20 A – juris). Dahingehend hat der Antragsteller nichts vorgebracht. Darüberhinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuelle persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske, die Einhaltung der Hygieneregeln (z.B. Hände waschen) oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in Spanien – einschließlich international Schutzsuchender bzw. Schutzberechtigter – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte.
Das Gericht geht weiter nicht davon aus, dass eine Dublin-Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat sonst aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich wäre.
Insbesondere stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen COVID 19-Pandemie und damit zusammenhängenden Reisebeschränkungen keine tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen.
Nach alledem ist die Abschiebung des Antragstellers nach Spanien weiterhin rechtlich zulässig und möglich.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war daher nach alledem abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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