Europarecht

Anordnung zur Verkleinerung des Tierbestands (Rinderzucht)

Aktenzeichen  B 1 S 20.563

Datum:
18.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53600
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 16 a Abs. 1 S. 1
TierSchG § 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seinem Antrag wendet sich der Antragsteller gegen sofort vollziehbare Anordnungen zur Tierhaltung in einem Bescheid des Landratsamts … (im Folgenden: Landratsamt) vom 27. April 2020. Der Antragsteller ist nach seinen Angaben als Vollerwerbslandwirt selbständig tätig. Sein Betrieb befindet sich in der Umstellung vom Milchviehbetrieb zur Mutterkuhhaltung.
Der Landwirtschaftsbetrieb wurde in der Vergangenheit mehrfach durch den Fachbereich Tierschutz des Landratsamts kontrolliert (am 1. Dezember 2016, 14. Dezember 2016 und 28. März 2017) und im Hinblick auf den Zustand und die Sauberkeit der Haltungseinrichtungen, die Hinzuziehung eines Tierarztes und den Zugang der Kälber zu Wasser beanstandet. Das Landratsamt erließ am 7. April 2017 eine Anordnung, die die am 28. März 2017 mündlich getroffenen Anordnungen des Veterinärs dokumentiert. In den Gründen ist zusammengefasst, dass im Jahr 2016 bei sieben verendeten Kälbern und fünf Rindern keine Untersuchungen durch den Tierarzt erfolgt seien. Die Tierhaltung entspreche nicht mehr den heutigen Mindestanforderungen. Die Ursachen für die mangelhaften Zustände seien ein unzureichender Hygienezustand und hoher Infektionsdruck. Bei den untersuchten Kälbern habe man Infektionskrankheiten des Magen-Darmtraktes, des Nabels und des Gehirns nachgewiesen. Es handele sich um virale, bakterielle und parasitäre Erkrankungen. Dabei seien Totgeburten, Geburten lebensschwacher Kälber und Verendungen in den ersten vier Lebenswochen nachgewiesen worden. Folgende Infektionserkrankungen seien aufgetreten: Rotaviren, (geeignete Maßnahme: Muttertierimpfung) Kryptosporidien (Gegenmaßnahme: Reinigung von Stalleinrichtung, Geräten und Futtermittel), bakterielle Infektionen (Maßnahme: Impfung der Tiere), Nabelinfektionen, Lahmheiten (unverzügliche Absonderung in geeignete Haltungseinrichtungen mit trockener und weicher Einstreu oder Unterlage erforderlich, zudem Klauenkontrolle und Stallhygiene).
Bei einer veterinärrechtlichen Kontrolle am 2. Mai 2017 wurde festgestellt, dass bei den Kälbern im Stall kein trockener und weicher Liegebereich vorhanden war, dass vier Kälber in einem Großiglu vor dem Stall im Matsch standen (ohne trockenen Liegeplatz), nahezu alle Einzeliglus der Kälber matschig und nass waren und keinen trockenen Liegeplatz boten. Ein Kalb wurde tot im Iglu aufgefunden. Die Veterinärin bemängelte am 7. Juni 2017, dass keine ausreichenden Maßnahmen bei erkrankten Tieren getroffen worden seien und dass nicht sichergestellt worden sei, dass die Kälber jederzeit Zugang zu Wasser hätten. Zudem wurden Sauberkeitsmängel bei den Haltungseinrichtungen festgestellt. Weitere Beanstandungen folgten (am 23. Oktober 2017, 14. November 2017, 22. Mai 2018, 8. Juni 2018 sowie am 5. und 6. September 2018).
Die Veterinärin verzeichnete am 12. Februar 2019, dass das gesamte Jungvieh im Kuhstall in mäßigem und schlechtem Ernährungszustand sei, die Haltungseinrichtungen nicht sauber und teilweise nicht eingestreut seien, 20 Kälber in den Außeniglus keinen Zugang zu Wasser hätten, im Großiglu die Selbsttränke nicht an Wasser angeschlossen worden sei und fünf Kälber keine trockene Liegefläche gehabt hätten. Die Tränkmöglichkeiten auf der Weide seien nicht sauber gewesen. Am 25. November 2019 wurde vom Veterinär ebenfalls bemängelt, dass Haltungseinrichtungen nicht sicher und sauber seien und nicht alle Tiere mit sauberem Futter und Wasser versorgt gewesen seien. Selbst bei der Nachkontrolle am 28. November 2019 musste noch einmal die nicht ausreichende Versorgung aller Kälber mit Wasser beanstandet werden.
Bei der Überprüfung am 21. Februar 2020 fiel auf, dass ein festliegendes Tier nicht mit Wasser versorgt war und die Abkalbebucht schlecht eingestreut war, fünf Kälber hatten keine trockene Liegefläche, bei 20 Kälbern war kein Wasser vorhanden. Die Nachkontrolle ergab, dass drei festliegende Tiere nicht regelmäßig gewendet wurden und weiterhin Mängel an der Sauberkeit der Haltungseinrichtungen und der Wasserversorgung vorlagen. Ähnliche Beanstandungen erfolgten am 9. März 2020, 11. März 2020 und 26. März 2020 (wobei zusätzlich beanstandet wurde, dass bei kranken oder verletzten Tieren kein Tierarzt in ausreichendem Maß herangezogen worden sei. In den letzten vier Monaten seien 13 Tiere verendet).
Mit Bescheid vom 27. April 2020 (zugestellt am 30. April 2020) untersagte das Landratsamt dem Antragsteller (nach erfolgter Anhörung mit Schreiben vom 1. April 2020) das Halten und Betreuen von mehr als 80 Rindern, wobei bei der Ermittlung der Anzahl der gehaltenen Tiere die eigene Nachzucht bis zu einem Alter von 8 Wochen unbeachtlich sein soll (Nr. 1). In Nr. 2 des Bescheids wurde angeordnet, dass die in Nr. 1 überzähligen Rinder zu verkaufen oder anderweitig abzugeben seien. Ein Nachweis mit der Benennung des neuen Halters sei vorzulegen (Nr. 3). Für den Fall der Nichterfüllung der Verpflichtung in Nr. 2 bis zum 30. Juni 2020 habe der Antragsteller die Wegnahme der überzähligen Rinder zu dulden. Hierfür würden Kosten in Höhe von 100 EUR je Rind veranschlagt (Nr. 4). Für den Fall der Nichterfüllung der Nr. 2 des Bescheids bis zum 30. Juni 2020 wurde die Veräußerung der Rinder angeordnet (Nr. 5). Für die Durchsetzung der Duldungspflicht aus Nr. 4 des Bescheids wurde die Anordnung unmittelbaren Zwangs angedroht (Nr. 6). Die Nrn. 1 bis 5 wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 7).
Zur Begründung wurden die Beanstandungen in den Jahren 2017 bis 2019 angeführt. Zwar sei der Betrieb auf Grund des Milchlieferverbots ab August 2019 auf Mutterkuhhaltung umgestellt worden. Das zeitintensive Melken der Kühe werde aber weiter durchgeführt, um die Kälber mit Milch zu versorgen bzw. zu tränken. Ein Zusammenhalten von Kälbern und Muttertieren zur „Selbstbedienung“ wie bei einer klassischen Mutterkuhhaltung mit dem Vorteil eines reduzierten Arbeitsaufwandes erfolge nicht. Die in Zusammenhang mit einem verendeten Jungrind und einem verendeten Kalb festgestellten tierschutzrechtlichen Auffälligkeiten hätten am 21. Januar 2019 zu einer Strafanzeige geführt. Dies habe einen Strafbefehl zur Folge gehabt, der nun rechtskräftig geworden sei. Ab Dezember 2019 seien erhöhte Verendungsraten festgestellt worden. Die verendeten Tiere seien überwiegend stark abgemagert gewesen und keinem Tierarzt zur Untersuchung und Behandlung vorgestellt worden. Die festgestellten Beanstandungen ließen einen Zusammenhang zur Arbeitsbelastung im Betrieb erkennen. Eine Reduzierung ermögliche, die Arbeitsbelastung zu bewerkstelligen. Da seit August 2019 keine Milch mehr an die Molkerei geliefert werde und nur 24 Tiere verkauft worden seien (bei 167 gehaltenen Tieren in diesem Zeitraum), stelle die Tierhaltung keinen wesentlichen Beitrag zum Betriebseinkommen dar. Bei der geforderten Teiluntersagung handele es sich um die letzte Möglichkeit, durch zukünftige tierschutzkonforme Haltung ein komplettes Tierhaltungs- und Betreuungsverbot zu umgehen. Wie sich aus dem bisherigen Geschehensablauf herleiten lasse, verspreche ein Zwangsgeld keinen Erfolg.
Der Kläger ließ durch Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20. Mai 2020 Widerspruch gegen den Bescheid erheben.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2020 ließ der Kläger beim Verwaltungsgericht Bayreuth beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 20. Mai 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. April 2020 zu Az.: …, mit dem die Reduzierung des Tierbestands des Antragstellers angeordnet wurde, wiederherzustellen.
Der Antragsteller habe gegen frühere Anordnungen des Landratsamts keine Rechtsbehelfe eingelegt, da er sich nicht ausreichend zu verteidigen gewusst habe. Es sei unzulässig, Kontrollen ohne vorherige Ankündigung und ohne Hinzuziehung des Antragstellers oder einer von ihm beauftragten Person durchführen zu lassen. Aktuell halte der Antragsteller 149 Tiere, neun Tiere habe er bereits verkauft, er plane die Veräußerung weiterer Tiere. Auf Grund der Corona-Pandemie sei der Markt für entsprechende Tiere eingebrochen und die Tiere könnten kaum oder nur zu ruinösen Preisen verkauft werden. Hierzu wurde ein Ausdruck aus der Zeitschrift Agrarheute vorgelegt. Die Veräußerung von 69 Stück Vieh in so kurzer Zeit würde zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden im Betrieb des Antragstellers führen, welche auch bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren nicht ausgeglichen werden könnten. Die Wegnahme der überzähligen Rinder würde den Betrieb ruinieren, da sie fast den einzigen Wert des Betriebs darstellen würden. Die übrige bewirtschaftete Fläche des Betriebs (84 ha Pachtland) diene der Futtererzeugung. Der Bestand der Tiere sei in einem ausreichenden Betreuungs-, Haltungs- und Ernährungszustand. Zum Beweis dienten die vorgelegten Lichtbilder. Der Antragsteller beschäftige eine ausgebildete Landwirtin in seinem Betrieb. Er werde nach Entspannung der Corona-Pandemielage Beratungsleistungen des Rinderverbands in Anspruch nehmen in Bezug auf die Umstellung zur Mutterkuhhaltung. Es lägen keine gewichtigen Tatsachen vor, die die Annahme gravierender Zuwiderhandlungen gegen das Tierschutzgesetz beweisen würden. Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die angefochtene Verfügung in einem Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweise, genüge für die sofortige Vollziehung eines Tierhaltungs- und Betreuungsverbots nicht, da die berufliche Betätigung schon vor einer Entscheidung in der Hauptsache untersagt werde (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 27.10.2017 – 3 M 240/17 und BVerfG, B.v. 8.11.2010 – 1 BvR 722/10). Der Wegfall von nahezu 50% des Tierbestandes würde zum wirtschaftlichen Ende des Betriebs führen. Deshalb seien die Wirkungen einem vollständigen Haltungsverbot vergleichbar. Für ein hinreichendes Vollzugsinteresse müssten zusätzlich zur rechtmäßigen Verfügung Anhaltspunkte vorliegen, dass der Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren sein bisheriges Verhalten fortsetzen werde. Hiervon könne keine Rede sein. Es sei nicht ersichtlich, weshalb sich die Reduzierung des Tierbestands auf die Verbesserung des Tierwohls durchschlagen solle, obwohl die Ställe und Kapazitäten unschwer für mehr als die gehaltenen Tiere ausreichen würden. Durch zwei Vollzeitkräfte sei die Versorgung der Tiere jederzeit gewährleistet. Der Bestand der Tiere sei in gutem Zustand und werde veterinärärztlich betreut.
Beigefügt ist eine Bestätigung des Dr. med. vet. P. vom 26. Juni 2020, dass sich die Haltungs- und Futterzustände in der letzten Zeit verbessert hätten. Zurzeit habe er keine tierschutzrelevanten Mängel feststellen können.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2020 beantragte das Landratsamt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird auf die wiederholten Verstöße gegen das Tierschutzgesetz durch den Antragsteller verwiesen. Das Landratsamt habe am 2. April 2020 eine zweite Strafanzeige wegen vier verendeter Rinder erstattet. Der Antragsteller komme seinen Verpflichtungen nicht nach, die notwendigen Meldungen in der HIT-Datenbank pünktlich und zuverlässig vorzunehmen. Die Bestätigung des Herrn Dr. P. vom 26. Juni 2020 sei nicht ausschlaggebend, da die Aussage nur auf dieses Datum bezogen sei. Zudem habe Dr. P. in einem Gespräch mit dem Landratsamt geäußert, dass nur die Tiere, die er hätte sehen dürfen, keine Auffälligkeiten gezeigt hätten. Auch die Fotos erschütterten die gemachten Feststellungen nicht. Auf einem der Fotos sei sogar zu erkennen, dass die Liegebuchtabtrennung defekt sei, auf einem anderen seien größere Mistansammlungen zu erkennen. Zudem würden nur drei Iglus gezeigt.
Der Antragsteller ließ mit Schreiben vom 13. Juli 2020 ausführen, dass man im Jahr 2019 nur fünf Tiere zur Tierkörperbeseitigungsanlage habe bringen müssen. Dass diese Zahl im Jahr 2020 höher gewesen sei, läge daran, dass das Veterinäramt die Tötung von Tieren gefordert habe, die von dem Tierarzt Dr. P. als behandlungsfähig angesehen worden seien. Es handele sich dabei um vier Rinder, die Gegenstand der zweiten Strafanzeige des Landratsamts seien. Dr. P. habe immer freien Zugang zu allen Tieren gehabt. Alle Tiere, die Gegenstand der dritten Strafanzeige seien, seien in tierärztlicher Behandlung gewesen. Es seien nur drei Kälberiglus fotografiert worden, da auch nur diese besetzt gewesen seien. Die Bilder seien während des Betriebs gefertigt worden. Dass hierbei am Vormittag noch nicht aller Mist vollständig entfernt gewesen sei, sei selbstverständlich. Eine Gefahr für die Rinder des Antragstellers liege zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor. Die Beschränkung auf 80 Rinder sei willkürlich, eine echte Interessenabwägung für den Sofortvollzug sei nicht erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Behördenakte ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
Der Antragsteller begehrt nach der Wortauslegung seines Antrags die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Reduzierung seines Tierbestands durch Bescheid des Landratsamts … vom 27. April 2020 (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Androhung unmittelbaren Zwangs in Nr. 6 des Bescheids (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG) wurde vom Bevollmächtigten des Antragstellers ausdrücklich nicht gestellt.
Der Antrag ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag abzulehnen, da der Widerspruch des Antragstellers nach summarischer Überprüfung keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides wiegt insoweit schwerer als das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.
Ergänzend zu den Gründen des angegriffenen Bescheids vom 27. April 2020 – auf den zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen und insoweit von einer gesonderten Darstellung abgesehen wird (§ 117 Abs. 5 VwGO analog) – ist zur Sache sowie zum Antragsvorbringen noch das Folgende auszuführen:
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist – obwohl es sich beim Tierhaltungsverbot um einen Dauerverwaltungsakt handelt – der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Denn der maßgebliche Zeitpunkt ergibt sich aus dem materiellen Recht (vgl. BVerwG, B.v. 23.11.1990 – 1 B 155.90 – juris Rn. 3; U.v. 29.3.1996 – 1 C 28.94 – juris Rn. 15). Ist ein Widerspruchsbescheid jedoch – wie hier – noch nicht ergangen, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes auf die aktuelle Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (Sächs. OVG, B.v. 11.6.2020 – 3 B 124/20 – juris Rn. 4).
2. Die in Nr. 1 des Bescheids enthaltene Untersagung der Haltung und Betreuen von mehr als 80 Rindern, wobei bei der Ermittlung der Anzahl der gehaltenen Tiere die eigene Nachzucht bis zu einem Alter von 8 Wochen unbeachtlich sein soll, erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.
Nach § 16a Abs. 1 Satz 1 Tierschutzgesetz (TierSchG) trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Nach Satz 2 Nr. 1 des § 16a Abs. 1 TierSchG kann die Behörde insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen. Gemäß § 2 Nr. 1 TierSchG muss, wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. Die Pflege eines Tieres umfasst allgemein die Fütterung, Reinhaltung, Reinigung, Gesundheitsfürsorge, Heilbehandlung, den Schutz vor Witterungseinflüssen und die Schaffung günstiger Luft- und Lichtverhältnisse (vgl. VG Bayreuth, GB v. 24.10.2012 – B 1 K 10.534 – juris Rn. 16).
Zutreffend ist das Landratsamt im streitgegenständlichen Bescheid davon ausgegangen, dass seitens des Antragstellers wiederholte Zuwiderhandlungen gegen § 2 TierSchG und erhebliche Mängel in der Tierhaltung vorlagen. Für die Untersagung/Reduzierung der Tierhaltung ist maßgebend darauf abzustellen, ob im Rahmen einer Prognoseentscheidung Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Betreffende weiterhin Zuwiderhandlungen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen begehen wird (BayVGH, B.v. 31.1.2017 – 9 C 16.2021 – juris Rn. 10). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass den Feststellungen des beamteten Tierarztes sowohl hinsichtlich der Frage, ob grobe oder wiederholte Zuwiderhandlungen gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen vorliegen als auch hinsichtlich der Frage, ob den Tieren die in § 16a Abs. 1 TierSchG vorausgesetzten qualifizierten Folgen zugefügt worden sind, eine vorrangige Beurteilungskompetenz zukommt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 31.1.2017 – 9 CS 16.2021 – juris Rn. 15 m.w.N.).
In den vorgelegten Akten sind die tierschutzwidrigen Zustände beim Antragsteller ausführlich dokumentiert. Der Antragsteller hat der Anordnung vom 7. April 2017 (die gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG erging) wiederholt zuwidergehandelt und bis zum Bescheidserlass gegen Vorschriften des § 2 TierSchG verstoßen. Die Zuwiderhandlungen des Antragstellers sind im Bescheid aufgeführt und zutreffend gewürdigt worden. Für das Gericht ist insbesondere maßgeblich, dass er die Tiere nicht ausreichend mit Wasser versorgt hat, die Haltungseinrichtungen nicht sauber gehalten hat und kranke Tiere mehrmals keinem Tierarzt vorgestellt hat. Dies geschah in einem Zeitraum von mehr als drei Jahren. Der Antragsteller wurde mit seit 18. März 2020 rechtskräftigem Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 60 EUR wegen quälerischer Tiermisshandlung in zwei tatmehrheitlichen Fällen verurteilt. Die Bilddokumentationen in der Akte verdeutlichen die verheerenden Missstände im Betrieb des Antragstellers.
Die Argumentation des Antragstellers, er habe die Mängel behoben, führt nicht dazu, dass von einer positiven Prognose im Sinne des Tierschutzes ausgegangen werden kann, da die wiederholten Verstöße gegen die ausreichende Bereitstellung von Trinkwasser und gegen die Säuberung der Haltungseinrichtungen sehr schwer wiegen. Selbst wenn der am 26. Juni 2020 hinzugezogene Tierarzt bestätigen konnte, dass bei den Tieren keine Beanstandungen feststellbar gewesen seien, kann ein einmaliges Wohlverhalten nach drei Jahren der Zuwiderhandlung nicht dazu führen, dass augenblicklich von einer positiven Prognose ausgegangen werden kann. Nach der Rechtsprechung rechtfertigt eine Kette von Verfehlungen die Annahme weiterer Verstöße, und zwar auch dann, wenn es in der Zwischenzeit einzelne, kurzfristige Verbesserungen in der Tierhaltung gegeben hat; ein Wohlverhalten unter dem Druck eines laufenden Verfahrens ist grundsätzlich nicht geeignet, die Gefahrenprognose zu erschüttern (Bay.VGH, B.v. 8.5.2019 – 23 ZB 18.756 – juris Rn. 8; Hirt in Maisack/Moritz/Hirt, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 48).
Bei der Entscheidung des Landratsamts sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Im angefochtenen Bescheid wurde ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen die Behörde die konkret getroffene Maßnahme für geboten erachtet hat. Als milderes Mittel zum vollständigen Haltungs- und Betreuungsverbot hat das Landratsamt die Haltung zahlenmäßig beschränkt. Den wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Antragsteller wurde damit Rechnung getragen. Angemerkt wird, dass nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG auch die vollständige Untersagung der Haltung in Betracht kommt, wobei hier die Möglichkeit einer Leidensverursachung, die bei Verstößen im Bereich der Ernährung und Reinhaltung angenommen werden kann, ausreicht (BayVGH, Beschluss vom 9.8.2017 – 9 ZB 15.2487 – juris Rn. 10). Angesichts der hochrangigen Stellung des Tierschutzes müssen betriebswirtschaftliche Einbußen eines reduzierten Tierbestandes hingenommen werden (auch in Zeiten der Corona-Pandemie). Wegen der hohen Zahl verendeter Tiere in den letzten Monaten vor Bescheiderlass kann zudem nicht erkannt werden, dass der Antragsteller seinen Betrieb nachhaltig führt. Durch sein tierschutzwidriges Verhalten hat er es selbst verursacht, den Bestand seines Betriebs zu verringern. Insofern ist unglaubhaft, dass der wirtschaftliche Bestand des Betriebs nur mit unveränderter Tierzahl aufrechterhalten werden kann. Dem Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers, der Bescheid des Landratsamts laufe auf ein Berufsverbot hinaus, kann demnach nicht gefolgt werden. Aber selbst wenn man die strengen Anforderungen an ein Berufsverbot heranziehen würde, so wäre auch dies zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtlich zulässig. Das Vollzugsinteresse setzt dann voraus, dass überwiegende öffentliche Belange es auch mit Blick auf die Berufsfreiheit des Betroffenen aus Art. 12 GG rechtfertigen, seinen Rechtsschutzanspruch gegen die Grundverfügung einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (BVerfG, B.v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 – juris Rn. 16 – wobei letztere Entscheidung zu einem vollständigen Approbationsentzug ergangen ist). Auf Grund der gravierenden Verstöße und Vernachlässigung der Tiere über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren ist davon auszugehen, dass eine Gefahr für das Tierwohl und den Tierschutz, welches ebenfalls wichtige Gemeinschaftsgüter sind, gegeben ist (vgl. VG Würzburg, U.v. 23.9.2019 – W 8 K 19.648 – juris Rn. 36 unter Berufung auf OVG LSA, B.v. 27.10.2017 – 3 M 240/17 – LKV 2018, 80; zudem: BayVGH B.v. 10.4.2019 – 23 CS 19.624 – juris Rn. 11: „Der Umstand, dass im Laufe von jedenfalls vier Jahren bei zahlreichen Kontrollen immer wieder tierschutzwidrige Haltungsbedingungen bei Rindern festgestellt wurden, rechtfertigt die Annahme der zuständigen Behörde, dass der Landwirt zur Haltung von Rindern ungeeignet ist und bei einer weiteren Tätigkeit im Zusammenhang mit der Haltung weitere Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen zu erwarten sind“).
Nicht gefolgt werden kann der Argumentation des Antragstellers, dass in seinem Betrieb für die Tiere genügend Platz vorhanden sei. Grund für das Haltungs- und Betreuungsverbot war nie der nicht ausreichende Platz für die Tiere, sondern die Tatsache, dass der Antragsteller offensichtlich überfordert war, die Tiere mit Wasser und sauberem Futter zu versorgen, die Ställe und Aufenthaltsplätze der Tiere regelmäßig zu reinigen und einzustreuen und kranke Tiere rechtzeitig einem Tierarzt vorzustellen. Die im Antrag erwähnte Vollzeitkraft war schon während der Zeit der Beanstandungen im Betrieb tätig. Das Gericht sieht auch im neuen Sachvortrag nicht, welche Anhaltspunkte dafür sprechen sollten, dass der Antragsteller weiterhin einen zahlenmäßig unveränderten Tierbestand führen kann – zumal in einem Fall, in welchem über derart lange Zeiträume so massiv gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen wird, selbst ein vollständiges Haltungs- und Betreuungsverbot zulässig wäre. Der Antragsteller mag bei einer relevanten Veränderung der Sachlage die Aufhebung der Verfügung beim Antragsgegner beantragen. Denn nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 TierSchG kann ihm auf Antrag das Halten oder Betreuen von Rindern wieder gestattet werden, wenn der Grund für die Annahme weiterer Zuwiderhandlungen entfallen ist und ein individueller Lernprozesses festgestellt werden kann (BayVGH, B.v. 10.4.2019 – 23 CS 19.624 – juris Rn. 11 unter Berufung auf BayVGH, B.v. 28.3.2019 – 23 C 19.134 – m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.11.2018 – 9 ZB 16.2467 – juris Rn. 9; OVG MV, B.v. 1.3.2016 – 1 M 470/15 – juris Rn. 31).
3. a) Ebenfalls bei summarischer Prüfung rechtmäßig erscheint die Bestandsreduzierung in Nr. 2, 3 und 5 des angefochtenen Bescheids. Es handelt sich hierbei um eine Anordnung, die die ordnungsgemäße Umsetzung des teilweisen Haltungs- und Betreuungsverbots sicherstellt. Rechtsgrundlage hierfür ist ebenfalls § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG (BayVGH, B.v. 29.5.2002 – 25 CS 02.834 – juris).
Das Nachweisverlangen (Nr. 3 des Bescheids) wird insbesondere durch § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 TierSchG gestützt, wonach natürliche und juristische Personen der zuständigen Behörde auf Verlangen die Auskünfte zu erteilen haben, die zur Durchführung der der Behörde durch das TierSchG übertragenen Aufgaben erforderlich sind (vgl. hierzu VG Aachen, B.v. 9.12.2003 – 6 L 890/03 – juris Rn. 23 und 25).
b) Die Anordnungen in Nr. 4 und 5 des Bescheids haben sich nicht i.S.v. Art. 43 Abs. 2 Var. 4 BayVwVfG durch Zeitablauf erledigt, soweit im Bescheid eine Frist bis zum 30. Juni 2020 gesetzt wurde, da die dem Antragsteller auferlegten Verpflichtungen hierdurch nicht befristet wurden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Auflage 2015, § 43 Rn. 40c m.w.N.). Im Übrigen war die ursprünglich gesetzte Frist zur Erfüllung der angeordneten Verpflichtungen angemessen. Beim Vollzug der Anordnungen wird das Landratsamt dem Antragsteller nunmehr eine erneute, angemessene Frist zur Erfüllung seiner Verpflichtungen setzen.
4. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit entspricht den formalen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Das Landratsamt hat hinreichend und einzelfallbezogen dargelegt, weswegen das Abwarten einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache nicht möglich ist. Im Übrigen folgt das besondere Vollzugsinteresse im Tierschutzrecht nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs regelmäßig aus der Grundverfügung (vgl. etwa BayVGH, B.v. 5.10.2016 – 9 CS 16.1257 – juris Rn. 16, B.v. 31.1.2017 – 9 CS 16.2021 – juris Rn. 12).
5. Nach alledem ist der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung basiert auf §§ 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 und 35.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57). Der Wert ist im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben