Europarecht

Anspruch auf die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten bzw. die Versorgung der Opfer des Krieges

Aktenzeichen  L 15 VG 16/11

Datum:
28.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BVG BVG § 30
OEG OEG § 1
SGB X SGB X § 27
SGB X SGB X § 44

 

Leitsatz

1. § 60 Abs. 1 BVG regelt den Beginn der Leistungen der Beschädigtenversorgung nur beim Erstantrag. (Rn. 39)
2. Bei Erlass eines Zugunstenbescheides wird § 44 Abs. 4 SGB X nicht durch § 60 Abs. 1 BVG verdrängt, sondern findet daneben voll Anwendung. (Rn. 35)
3. Über die in § 60 Abs. 1 S. 3 BVG praktisch enthaltene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Eintritt der Schädigung erfasst der sozialrechtliche Herstellungsanspruch zusätzlich auch Fristversäumnisse, die auf Behördenfehlern beruhen. (Rn. 44 – 47)

Verfahrensgang

S 5 VG 5/10 2011-07-07 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 7. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Vor dem Hintergrund der zahlreichen Verwaltungsverfahren und Rechtsstreite der Klägerin ist festzustellen, dass Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ausschließlich der Bescheid des Beklagten vom 09.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.06.2010 ist.
Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen des Beklagten sind rechtmäßig. Wie das SG zu Recht entschieden hat, steht der Klägerin vor Oktober 1996 ein Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG nicht zu.
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind. Danach erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.
In Altfällen – also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (23.05.1949) und dem des OEG (16.05.1976) – müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG i.V.m. § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in dem genannten Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Versorgung nach Maßgabe dieser Regelung erhalten auch Personen, die in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 07.10.1949 bis zum 02.10.1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG beginnen die Leistungen der Beschädigtenversorgung mit dem Antragsmonat, wenn die sonstigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen, insbesondere das Vorliegen einer Schädigung und der Eintritt der Schädigungsfolgen, erfüllt sind. Der Antrag ist im sozialen Entschädigungsrecht materiell-rechtliche Voraussetzung des Anspruchs auf Leistungen der Beschädigtenversorgung (§ 1 BVG). Nach Satz 2 der genannten Vorschrift erfolgt im Sinne eines Ausnahmetatbestands eine rückwirkende Leistungsgewährung, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. Der Gesetzgeber wollte damit den Versorgungsberechtigten eine Überlegensfrist einräumen (vgl. Knörr, in: Knickrehm, Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 60 BVG, Rdnr. 6). § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG verlängert als weiterer Ausnahmetatbestand den Zeitraum der rückwirkenden Leistungsgewährung bei unverschuldeter Verhinderung der Antragstellung.
1. Einem Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung vor dem 01.10.1996 steht die Bestandskraft des Bescheides des Beklagten vom 21.01.2008 entgegen, § 77 SGG. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 04.05.2011, L 15 VG 19/10 B PKH, wie dargelegt entschieden hat, hat der Beklagte in dem genannten Bescheid bereits die Regelung getroffen, dass für die Zeit vor Oktober 1996 keine Versorgungsansprüche bestehen.
Damit kann nur im Rahmen einer Abänderung dieses Bescheids ein Leistungsanspruch der Klägerin bestehen. Entgegen der Ansicht der Klägerseite ist damit die Regelung des § 44 SGB X maßgeblich (vgl. den Beschluss des Senats vom 04.05.2011, a.a.O.). Wie der Beklagte im Ergebnis zu Recht entschieden hat – das SG hat zutreffend dargelegt, dass der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid nicht ausdrücklich als Zugunstenbescheid im Sinne dieser Vorschrift gekennzeichnet hat, jedoch darin (auch) eine solche Regelung enthalten ist -, bestehen Versorgungsansprüche der Klägerin vor dem genannten Zeitpunkt nicht.
Denn § 44 Abs. 4 SGB X beseitigt diese Ansprüche, sofern sie überhaupt bestehen würden, wovon der Senat nicht ausgeht (s.u.), materiell-rechtlich.
Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB, wozu auch das BVG zählt (§ 68 Nr. 7 f des SGB I), längstens bis zu einem Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an angerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt wie hier die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.
Bei Erlass eines Zugunstenbescheids wird § 44 Abs. 4 SGB X nicht durch § 60 Abs. 1 BVG verdrängt, sondern findet, wie der Senat in dem o.g. Beschluss bereits entschieden hat, daneben voll Anwendung. Das BSG hat im Urteil vom 02.10.2008 (B 9 VH 1/07 R) unzweifelhaft die Sperrwirkung des § 44 Abs. 4 SGB X auch im sozialen Entschädigungsrecht bejaht und diesbezüglich klar den Unterschied zum Rangverhältnis von § 60 Abs. 2 BVG zu § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X dargelegt.
§ 44 Abs. 4 SGB X bewirkt ungeachtet der versorgungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung für die Zeit vor Oktober 1996 hat. Hierzu hat der Senat bereits am 04.05.2011 (a.a.O.) festgestellt:
„Die Vorschrift führt zu einer materiell-rechtlichen Anspruchsvernichtung (vgl. BSG, SGb 1994, S. 85) und berührt nicht nur die Durchsetzbarkeit eines Leistungsanspruchs. Dabei zählt als Sozialleistung im Sinn von Satz 1 schon die Versorgung nach dem OEG als Anspruch dem Grunde nach; solche „Sozial-leistungen“ sind nicht erst die in § 9 BVG genannten Einzelkomponenten der Beschädigtenversorgung. Deshalb darf im vorliegenden Verfahren der Bf nicht ein Versorgungsanspruch quasi in Form eines „Stammrechts“, welches von § 44 Abs. 4 SGB X unberührt bliebe, zuerkannt und erst der von ihr letztlich erstrebte Rentenanspruch aufgrund dieser Ausschlussregelung abgelehnt werden. Liegt aber wie hier ein materiell-rechtlicher Wegfall des Versorgungsanspruchs in seiner Gesamtheit vor, besteht kein „berechtigtes Interesse“ im Sinn von § 55 Abs. 1 SGG für die Bf, für die Zeit vor Oktober 1996 eine Schädigungsfolge und einen Grad der Schädigung feststellen zu lassen. Denn auch wenn das Bestehen einer Schädigungsfolge und eines relevanten Grads der Schädigung verfahrensrechtlich nicht bloße Begründungselemente in Bezug auf die Zuerkennung eines Versorgungsanspruchs sind, sondern eigenständige Regelungsgegenstände verkörpern, so haben entsprechende Feststellungen gleichwohl keinen Selbstzweck (anders § 69 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch).
Die in die Vergangenheit gerichtete Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X endet bei dem gebotenen Anknüpfen an den Rücknahmeantrag … bereits mit dem 01.01.2004, so dass die von der Bf begehrte Versorgung vollständig von der anspruchsvernichtenden Wirkung erfasst wird.“
2. Ein Anspruch auf Beschädigtenversorgung vor Oktober 1996 ergibt sich entsprechend der zutreffenden Entscheidung des Beklagten und des SG auch nicht etwa deshalb, weil die Voraussetzungen des Verlängerungstatbestands des § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG gegeben wären. Nach dieser Vorschrift wird die Jahresfrist des § 60 Abs. 1 Satz 2 BVG um den Zeitraum verlängert, in dem der Beschädigte ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Antragstellung verhindert gewesen ist (s.o.).
Die Vorschrift ist vorliegend jedoch nicht einschlägig (a.). Selbst wenn man dies anders sehen würde, ergäbe sich keine Verlängerungswirkung bis zum Antrag der Klägerin im Juli 2008 (b.).
a. § 60 Abs. 1 BVG regelt den Beginn der Leistungen der Beschädigtenversorgung nur beim Erstantrag (vgl. Knörr, a.a.O., Rdnr. 3). Vorliegend handelt es sich jedoch um eine nachträgliche Antragstellung bzgl. eines neuen Leistungsbeginns. Erstantrag in diesem Sinn war vielmehr der Antrag vom 29.10.1996; dieser ist jedoch aufgrund der bestandskräftigen Entscheidung hierüber – das Urteil des SG vom 19.01.2007 ist in Rechtskraft erwachsen – verbraucht. Maßgeblich ist somit ausschließlich der Antrag der Klägerin vom 23.07.2008.
b. Sofern man entgegen der in a. geschilderten Auffassung § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG vorliegend für anwendbar halten würde, müsste eine bis 03.10.1990 rückwirkende Leistungsgewährung jedoch dennoch ausscheiden, da der Antrag im Jahr 2008 weit außerhalb der Jahresfrist nach Eintritt der Schädigung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 2 BVG gestellt worden ist und eine Verlängerung dieser Jahresfrist im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG um den Zeitraum, in dem die Klägerin ohne ihr Verschulden an der rechtzeitigen Antragstellung verhindert gewesen wäre, bis 2008 ausscheidet. Denn die Klägerin war seit Oktober 1996, allerspätestens jedoch seit Vorlage des Traumagutachtens der Fa. T. vom Dezember 2005, in dem erstmals festgestellt wurde, dass bei der Klägerin eine schizotype Störung mit Borderlinestruktur mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 (bezogen auf den Zeitraum ab dem Jahr 2002) vorlag, nicht „ohne ihr Verschulden an der rechtzeitigen Antragstellung verhindert“ im Sinne der genannten Vorschrift. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste sie, dass ihre psychischen Beschwerden auf den Missbrauch zurückzuführen waren. Warum die fachkundig vertretene Klägerin erst am 23.07.2008 beantragt hat, der Beklagte solle Beschädigtenversorgung bereits vor der Erstantragstellung erbringen, erschließt sich dem Senat nicht. Andere Gründe als ein Versehen sind nicht erkennbar, zumal von der Vertretung der Klägerin ausschließlich auf die (im Hinblick auf den Antrag bereits) im Jahr 1996 erfolgte Erkenntnis der Klägerin hinsichtlich der schädigenden Handlungen abgestellt worden ist (s. im Einzelnen oben).
Auf die im Verfahren von den Beteiligten hervorgehobene Frage, ob die Klägerin überhaupt grundsätzlich an einer rechtzeitigen Antragstellung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG unverschuldet verhindert war, ob sie also an einer schädigungsbedingten Amnesie (bis 1996) gelitten hat oder ob ähnliche Phänomene aufgetreten sind und ob dies als unverschuldete Verhinderung zu werten wäre, kommt es vorliegend also nicht an.
3. Anders als die Klägerin meint, hat sie auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X.
Nach dieser Vorschrift ist dem Betroffenen, der ohne Verschulden verhindert gewesen ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb dieser Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Nach einem Jahr seit Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden (außer in Fällen höherer Gewalt).
§ 27 SGB X ist vorliegend jedoch nicht anwendbar. Wie das BSG bereits entschieden hat (vgl. Urteile vom 30.09.2009 – B 9 VG 3/08 sowie vom 16.03.2016 – B 9 V 6/15 R), ist in § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits enthalten, die genannte Vorschrift „verschafft praktisch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Eintritt der Schädigung“ (a.a.O.). § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG geht somit der allgemeinen Wiedereinsetzungsregel in § 27 SGB X vor.
Selbst wenn man dies anders sehen würde, wären vorliegend die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung nicht erfüllt, da der Antrag auf Wiedereinsetzung und die Nachholung der versäumten Handlung – wie unter Ziffer 2 dargelegt – (viel) zu spät erfolgt sind. Nähere Ausführungen hierzu sind nicht veranlasst (s. oben).
4. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung vor Oktober 1996 aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Sie kann auch unter diesem Gesichtspunkt nicht so gestellt werden, als sei ein Antrag früher gestellt worden.
Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Hauptoder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Demnach ist eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist, Anspruchsvoraussetzung. Zudem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (z.B. BSG, Urteil vom 16.03.2016 – B 9 V 6/15 R, m.w.N.) Nach der Rspr. des BSG (a.a.O.) schließt die Regelung des § 60 Abs. 1 BVG die Begründung eines früheren Leistungsbeginns im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht aus, insbesondere wenn feststeht, dass eine Behörde pflichtwidrig eine gebotene Beratung über bestehende Antragsmöglichkeiten unterlassen hat. Über die in § 60 Abs. 1 S. 3 BVG praktisch enthaltene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Eintritt der Schädigung erfasst der Herstellungsanspruch zusätzlich auch Fristversäumnisse, die auf Behördenfehlern beruhen (im Einzelnen zum – nicht deckungsgleichen – Anwendungsbereich beider Rechtsinstitute s. BSG, Urteil vom 02.02.2006 – B 10 EG 9/05 R). Insoweit ist insbesondere § 14 SGB I Grundlage für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, wonach jeder Betroffene Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch hat.
Schon hieraus wird deutlich, dass die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im Falle der Klägerin nicht gegeben sind. Wie der Beklagte in seiner Stellungnahme vom 26.03.2015 zutreffend herausgestellt hat, ist bereits keine Pflichtverletzung im Hinblick auf eine unterlassene Beratung etc. ersichtlich. Auch dem Senat erschließt sich nicht, weshalb der Beklagte spätestens mit Vorlage des Gutachtens der Fa. T. die fachkundig vertretene Klägerin auf die Möglichkeit eines vor Antragstellung im Oktober 1996 früheren Leistungsbeginns hätte hinweisen müssen. Vor allem aber ergäbe sich selbst bei einer unterstellten Pflichtverletzung kein Anspruch der Klägerin auf Versorgung vor dem Jahr 1996. Denn auch wenn ein Berechtigter Anspruch auf rückwirkende Leistungen aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hat, werden diese nach der Rechtsprechung längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren rückwirkend erbracht, weil die Vorschrift von § 44 Abs. 4 SGB X insoweit entsprechend anzuwenden ist (vgl. z.B. Urteil des BSG vom 24.04.2014 – B 13 R 23/13 R; Kreikebohm/von Koch, in: Sozialrechtshandbuch, 5. Aufl. 2012, § 6, Rdnr. 122 ff., m.w.N.). Ansprüche könnten somit längstens bis 2001 zurückwirken.
5. Soweit die Klägerseite das Prinzip von Treu und Glauben, den Aspekt der langen Verfahrensdauer und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bemüht, um zu einem Versorgungsanspruch bereits vor Oktober 1996 zu gelangen, kann der Senat dem nicht folgen (zum „Griff in die Zauberkiste des § 242 BGB“ vgl. bereits den Beschluss des Senats vom 09.03.2016 – L 15 SF 109/15, mit Verweis auf Staudinger/Olzen/Looschelders, 2015, BGB, § 242, Rdnrn. 1 ff.). Er wertet ihn vielmehr als Indiz für die Aussichtslosigkeit des klägerischen Begehrens. Zu einer Anspruchsbegründung unter Umgehung von § 44 Abs. 4 SGB X, § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG taugen die genannten Aspekte jedenfalls nicht.
6. Im Übrigen ist vorliegend ein Antrag auf Neufeststellung gemäß § 48 SGB X nicht gegeben. Voraussetzung des § 48 SGB X ist stets eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, wobei der Zeitpunkt des Bescheiderlasses entscheidend ist, dessen Korrektur in Frage steht. Hier ist offensichtlich, dass diese Grundvoraussetzung bereits nicht vorliegt.
7. Ferner kommt hinzu, dass ein Anspruch auf Beschädigtenversorgung auch aus materiell-rechtlichen Gründen vor Oktober ausscheidet. Auch ist die Kausalität zwischen dem schädigenden Ereignis (sexuellem Missbrauch) und einer psychiatrischen Beeinträchtigung vor 1996 nicht wahrscheinlich im Sinne des hier geltenden Beweismaßstabes (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG).
Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dipl.-Med. S. vom 16.02.2016 ist nachvollziehbar herausgearbeitet worden, dass damals mit Blick auf den Befundbericht von Dr. U. vom 30.10.1990 allenfalls eine leichtgradige psychische Beeinträchtigung vorlag und dass bis 1996 allenfalls ein GdS von 20 für die psychische Beeinträchtigung gerechtfertigt war.
Letztlich kommt es hierauf entsprechend den obigen Darlegungen jedoch nicht entscheidend an, so dass auch die Frage unerörtert bleiben kann, ob noch weitere Ermittlungen auf medizinischem Gebiet angezeigt sein könnten. Dem Beweisantrag der Klägerin, die diesen über ihre Bevollmächtigte noch in der mündlichen Verhandlung des Senats gestellt hat, war daher nicht zu folgen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Verfahrens.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


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