Europarecht

Anspruch auf Schadensersatz gegenüber der Fahrzeugherstellerin bei Erwerb eines vom Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeugs, auch wenn diese nicht Herstellerin des manipulierten Motors ist (hier: Audi A4, Avant, 2.0 TDI)

Aktenzeichen  21 U 7239/19

Datum:
30.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34151
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826

 

Leitsatz

1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch OLG München BeckRS 2020, 34041; OLG Bamberg BeckRS 2020, 33045; BeckRS 2020, 33157; sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei OLG München BeckRS 2020, 25691 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27215 (dort Ls. 1); OLG Köln BeckRS 2019, 42328 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 14352 (dort Ls. 1), OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7002 (dort Ls. 1), OLG Jena BeckRS 2020, 8618 (dort Ls. 1), OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6234 (dort Ls. 1) und KG BeckRS 2019, 29883 (dort Ls. 5); mit gegenteiligem Ergebnis noch: OLG München BeckRS 2019, 33738; BeckRS 2019, 33753; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 2737. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal erfassten Fahrzeugs steht gegen die Herstellerin, auch wenn diese nicht Herstellerin des manipulierten Motors ist, ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des Fahrzeugs bezahlten Kaufpreises zu abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die Nutzung sowie des bei der Weiterveräußerung des Fahrzeugs erzielten Kaufpreises. (Rn. 28 und 62 – 65) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Fahrzeugherstellerin ist eine eigene arglistige Täuschung vorwerfbar, ohne dass sie sich darauf berufen kann, dass allein die VW AG Pflichten verletzt hätte, was ihr verborgen geblieben sei und ihr nicht zurechenbar sei. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zu typischen Detailfragen aus VW-Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 300.000 km; Keine Verzugszinsen, wenn vorgerichtlich Abzug einer Nutzungsentschädigung zwar angeboten, ein Kilometerstand aber nicht mitgeteilt wird; kein Annahmeverzug; Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, da zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig. (Rn. 64, 67, 69 und 71) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

71 O 1066/19 2019-11-12 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 12.11.2019, Az.: 71 O 1066/19, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 15.869,29 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.07.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.07.2019 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. 1. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klagepartei 66% und die Beklagte 34%.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat nur in Bezug auf den ausgeurteilten Zinslauf und die außerdem ausgeurteilte Feststellung der Erledigung des Antrags auf Feststellung des Annahmeverzugs Erfolg. Im Ergebnis hat das Landgericht aber zu Recht angenommen, dass die Beklagte der Klagepartei nach § 826 BGB haftet. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Der Senat berücksichtigt bei seiner Entscheidung den ergänzenden Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 24.09.2020, dem die Klagepartei mit nachgelassenem Schriftsatz vom 09.11.2020 entgegengetreten ist. Auch erstinstanzlich hat sie sich wiederholt dazu geäußert, dass und warum ihrer Ansicht nach die Beklagte (mit-)verantwortlich ist für den Einsatz der manipulativen Software in dem von ihr hergestellten Fahrzeug und dies auch in dem nachgelassenen Schriftsatz weiter ausgeführt. Zur Überzeugung des Senats ist jedoch auch auf der Basis des ergänzenden Vortrags der Beklagten im Schriftsatz vom 24.09.2020 zu den Arbeitsabläufen und der arbeitsteiligen Aufgabenverteilung zwischen der Beklagten und der V.-AG eine Haftung der Beklagten zu bejahen. Im Einzelnen:
1. In weiten Teilen kann bezüglich der Haftung der Beklagten nach § 826 BGB auf die grundsätzliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Konzernmutter, die V.-AG, Bezug genommen werden, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19. Die dort getroffenen Aussagen zur Frage der Täuschung, der Sittenwidrigkeit, des Vorliegens eines Schadens, der Kausalität, der Verpflichtung zu einer sekundären Darlegungslast und Teilen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen können auch auf vorliegende Fallgestaltung übertragen werden. Gründe, die Sach- und Rechtslage vorliegend anders zu beurteilen, sind nicht ersichtlich. Anders als die Beklagte meint, ist die Frage der sekundären Darlegungslast hier nicht abweichend zu beurteilen im Hinblick auf die von ihr geltend gemachte fehlende Schutzbedürftigkeit der Klagepartei wegen des Bestehens eines anderen Schuldners, nämlich der V.-AG. Die Reichweite der sekundären Darlegungslast unter dem Aspekt des fairen Verfahrens ist bezogen auf das konkrete Prozessrechtsverhältnis zu beurteilen; Dritte spielen dabei keine Rolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.02.2019, Az.: 1 BvR 2556/17, Rdnr. 12 f.).
Zentraler und höchstrichterlich noch nicht geklärter Streitpunkt des Verfahrens ist die Frage, ob für den unstreitigen Einsatz der „Umschaltlogik“ im Fahrzeug der Klagepartei auch die Beklagte deliktisch haftet oder nur die in diesem Verfahren nicht beteiligte V.-AG. Der Senat sieht eine Haftung der hiesigen Beklagten nach §§ 826, 31 BGB gegenüber der Klagepartei nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern im Kern aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dies beruht auf dem von der Beklagten zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer manipulativen, auf Täuschung ausgerichteten unzulässigen Abschalteinrichtung.
a) Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Klagepartei durch die Beklagte dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. Tatsächlich enthielt der Motor – wie dargelegt – zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch den Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware reduziert worden ist. Die Technik war nicht nur zweifelsfrei unzulässig, sie diente vielmehr der gezielten Täuschung über die Einhaltung der zulässigen Abgaswerte. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19.
b) Durch diese Täuschung entstand der Klagepartei als Käuferin eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs ein Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen ist. Dieser Schaden ist auch nicht durch das später durchgeführte Software-Update entfallen, vgl. BGH, Urteil vom 25.05.20, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 44 ff.
c) Der Schaden in Form des Kaufvertragsabschlusses wurde durch das Handeln der Beklagten verursacht. Die haftungsbegründende Kausalität zwischen schädigender Handlung der Beklagten und dem Eintritt des Schadens bei der Klagepartei ist zu bejahen, weil bereits die allgemeine Lebenserfahrung die Annahme rechtfertigt, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte, vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 51. Die erstinstanzlichen Feststellungen insoweit sind nicht zu beanstanden. Mit Verfügung vom 10.06.2020 (Bl. 399 f. d.A. – hierauf Schriftsatz der Beklagten vom 18.08.2020, Bl. 407 ff. d. A.) hat der Senat hierauf vorab hingewiesen.
d) Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig, auch wenn sie – anders als die V.-AG – den Motor EA 189 nicht (mit-)entwickelt haben sollte.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15, vom 07.05.2019, Az.: VI ZR 512/17, zuletzt 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19).
Nicht nur das Verhalten der V.-AG, sondern auch der hiesigen Beklagten ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, weil auch die beklagte A.-AG auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte auf dem Prüfstand nur mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und es bestand die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, BGH, a.a.O. Rdnr. 16. Auch die hier beklagte A.-AG hat nach Überzeugung des Senats das an sich erlaubte Ziel der Gewinnerhöhung ausschließlich dadurch erreicht, dass sie auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung die zuständige EG-Typgenehmigungsbehörde und die für sie handelnden Technischen Dienste arglistig getäuscht hat. Die Einwände der Beklagten, dass das Emissions-Zulassungsverfahren durch die V.-AG erfolgt ist und die Beklagte nur die Rechnungen und beanstandungsfreien Prüfberichte erhalten hat, greifen nicht durch.
Die Beklagte als Herstellerin des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs hat gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt als zuständiger EG-Typengenehmigungsbehörde in dem erforderlichen EG-Typengenehmigungsverfahren eine eigene falsche Erklärung dahingehend abgegeben, dass der Fahrzeugtyp genehmigungsfähig ist und mithin nicht über die tatsächlich bestehende unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Sie handelte dabei arglistig.
aa) Fahrzeuge dürfen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie einer amtlichen Genehmigung für das Gesamtfahrzeug entsprechen. Dabei ist für Personenkraftwagen die RL 2007/46/EG (RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge – Rahmenrichtlinie) maßgeblich. Diese enthält eine Vielzahl von Einzelvorschriften für die verschiedenen technischen Systeme und Bauteile der Fahrzeuge. Die an die Abgasemissionen der Fahrzeuge zu stellenden Anforderungen regelt die VO (EG) 715/2007 (Euro 5 und 6 – Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge) und die dazu erlassene Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 (Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge). Diese Vorgaben sind in nationales Recht umgesetzt, soweit erforderlich, durch die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV – Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge). Aber auch vor Inkrafttreten der genannten Normen war zur Zulassung eine EG-Typengenehmigung erforderlich, und zwar auf der Grundlage der RL 70/156/EWG (RL 70/156/EWG des Rates vom 6. Februar 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger), geändert durch die RL 2001/116/EG (RL 2001/116/EG der Kommission vom 20. Dezember 2001 zur Anpassung der RL 70/156/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt). Die Anforderungen im Hinblick auf die Abgase regelte hierzu ergänzend die RL 70/220/EWG (RL 70/220/EWG des Rates vom 20. März 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Abgase von Kraftfahrzeugmotoren mit Fremdzündung), geändert durch die RL 98/69/EG (Euro 4 – RL 98/69/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen und zu Änderung der RL 70/220/EWG des Rates). Diese Vorgaben waren im nationalen Recht umgesetzt in der Verordnung über die EG-Typengenehmigung für Fahrzeuge und Fahrzeugteile (EG-TypV).
Zuständige nationale Genehmigungsbehörde ist das Kraftfahrtbundesamt, § 2 Abs. 1 EG-FGV. Verantwortlich für die Beantragung der EG-Typengenehmigung für das Gesamtfahrzeug in Bezug auf einen Fahrzeugtyp ist der Hersteller, hier die Beklagte, § 3 Abs. 5 S. 1 EG-FGV.
bb) Zur Überzeugung des Senats hat die Beklagte mit dem Antrag auf EG-Typengenehmigung gleichzeitig konkludent erklärt, dass der Fahrzeugtyp den materiellrechtlichen Genehmigungsanforderungen genügt, mithin die vorgeschriebenen Grenzwerte auf dem Prüfstand gerade nicht nur mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten werden, § 4 Abs. 4 EG-FGV i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Anhang IV Teil I Nr. 2a der RL 2007/46/EG i.V.m. Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 und Abs. 2 VO (EG) 715/2007.
Zum einen lässt sich dem Anhang III Teil I Ziffer 3 zu Richtline 2007/46/EG entnehmen, dass bei der Antragstellung auch zur Antriebsmaschine eine ausführliche Beschreibung jedenfalls des Systems zu erfolgen hat. Diese Beschreibungsbögen waren zu unterzeichnen und mit Datum sowie Dienststellung des Unterzeichners zu versehen (siehe am Ende [nach dortigem Teil III] der eben genannten Fundstelle).
Zum anderen lassen die europäischen Bestimmungen – anders als die Beklagte meint – schon nach Wortlaut, Sinn und Zweck keinen Raum für die von der Beklagten vorgenommene Auslegung, der Antrag auf Erteilung der Typengenehmigung habe nur den Erklärungswert, dass das Fahrzeug die vorgeschriebenen Abgaswerte in den Testprüfstandsverfahren einhalte und umfasse gerade nicht die Erklärung, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen. Zwar hat der europäische Gesetzgeber die Anforderungen im Laufe der Zeit weiter verschärft und stellt nunmehr das Abgasverhalten im realen Betrieb in den Vordergrund. Gleichwohl war schon nach der bis dahin geltenden Rechtslage klargestellt, dass Abschalteinrichtungen grundsätzlich unzulässig sind, mithin Grenzwerte in den vorgeschriebenen Testverfahren gerade nicht allein wegen einer solchen Abschalteinrichtung eingehalten werden dürfen. Ausgangspunkt der europäischen Rechtssetzung bereits in den 1970er Jahren war die Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Gemeinsamen Marktes; unter anderem die deutschen Bestimmungen in der Straßenverkehrszulassungsordnung zu Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Kraftfahrzeugmotoren gaben den Anstoß (Erwägungsgründe der Richtlinien 70/156/EWG und 70/220/EWG). Mit dem ersten Aktionsprogramm der EG für den Umweltschutz, das bereits 1973 vom Rat gebilligt wurde, wurde dazu aufgerufen, den neuesten wissenschaftlichen Fortschritten bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung durch Abgase von Fahrzeugen Rechnung zu tragen und das bereits bestehende europäische Recht entsprechend anzupassen (Erwägungsgrund Nr. 2 der RL 98/69/EG). Seither und bis heute ist das Ziel der Verbesserung der Luftqualität durch Verringerung von Abgasen mittels Verschärfung von Emissionsvorschriften – unter anderem Stickoxidemissionen – fortwährend Teil der Agenda der europäischen Rechtsetzung (Erwägungsgründe Nr. 3, 4, 5, 11, 12 RL 98/69/EG, Erwägungsgründe 4, 5, 6 Verordnung (EG) 715/2007). Ziel der Maßnahmen ist die Eindämmung der Luftverschmutzung und damit die Reduktion der Emissionen bei normalem Fahrzeugbetrieb und -gebrauch. Bereits mit der RL 98/69/EG, d.h. schon Ende der 1990er Jahre, sah sich der Europäische Gesetzgeber gezwungen, Abschalteinrichtungen für emissionsmindernde Einrichtungen zu begrenzen und nur dann nicht als solche zu werten, wenn sie u.a. zum Motorschutz notwendig sind (Art. 1 Nr. 2 i.V.m. Anhang zur Änderung der Anhänge der RL 70/220/EWG – Anhang I, dort Nr. 4 der RL 98/69/EG). Im Rahmen der VO (EG) 715/2007 fand dies seinen Niederschlag in Art. 5: Art. 5 Abs. 1 verpflichtet den Hersteller, dass das Fahrzeug so auszurüsten ist, dass die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussenden Bauteile so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Gemeint sind damit die realen Betriebsbedingungen, die sich unter Umständen im Labor nicht vollständig nachbilden lassen. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 (so auch bereits Art. 1 Nr. 2 i.V.m. Anhang zur Änderung der Anhänge der RL 70/220/EWG – Anhang I, dort Nr. 4 der RL 98/69/EG) definiert „Abschalteinrichtungen“ als ein Konstruktionsteil, das bestimmte Parameter ermittelt, um die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, zu verringern. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 bestimmt, dass die Verwendung solcher Abschalteinrichtungen grundsätzlich unzulässig ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten zitierten Erwägungsgrund Nr. 5 der VO (EU) 2016/646 (Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20. April 2016 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 6)). Dieser lautet: „‘Abschalteinrichtungen‘ im Sinne von Artikel 3 Absatz 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zur Verringerung der Emissionsminderungsleistung sind verboten. Die jüngsten Ereignisse haben deutlich gemacht, dass die Durchsetzung von Rechtsvorschriften in dieser Hinsicht verstärkt werden muss. Daher ist es angemessen, eine bessere Überwachung der vom Hersteller bei der Typgenehmigung angewandten Emissionsminderungsstrategie zu verlangen, gemäß den Grundsätzen, die nach der Verordnung (EG) Nr. 595/2009 und ihren Durchführungsbestimmungen bereits für schwere Nutzfahrzeuge gelten (Euro 6).“ Nach dem klaren Wortlaut steht das Verbot außer Frage, lediglich seine Durchsetzung soll verstärkt werden.
Schließlich lassen die europäischen Vorgaben keinen Zweifel an der umfassenden Verantwortlichkeit des Herstellers im Typengenehmigungsverfahren, derer die Beklagte sich als weltweit tätiger, großer Motoren- und Automobilhersteller zur Überzeugung des Senats bewusst war: Art. 3 Nr. 27 RL 2007/46/EG (früher ähnlich bereits in Art. 2 RL 70/156/EWG) definiert den Hersteller als die „Person oder Stelle, die gegenüber der Genehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungsverfahrens- oder … verantwortlich ist. Die Person oder Stelle muss nicht notwendigerweise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems, des Bauteils oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw. die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist, unmittelbar beteiligt sein.“ Dies wird unter der Überschrift „Pflichten des Herstellers“ in Art. 5 Abs. 1 RL 2007/46/EG wiederholt. Nach Art. 4 „Pflichten des Herstellers“ der VO (EG) 715/2007 bzw. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 6 VO (EG) 692/2008 „weist (der Hersteller) nach“, dass alle von ihm verantworteten Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung verfügen, die Grenzwerte eingehalten werden und die Fahrzeuge den ausführlichen Prüfanforderungen entsprechen, bzw. er „gewährleistet, dass die bei der Emissionsprüfung ermittelten Werte unter den in dieser Verordnung angegebenen Prüfbedingungen den geltenden Grenzwert nicht überschreiten.“ (Anm.: Hervorhebungen durch den Senat). Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 verpflichtet den Hersteller, dass das Fahrzeug so auszurüsten ist, dass die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussenden Bauteile so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Art. 5 Abs. 2 legt die grundsätzliche Unzulässigkeit von Abschalteinrichtungen fest.
cc) Diese eigene und falsche Erklärung der Beklagten gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt als zuständiger EG-Genehmigungsbehörde ist der Beklagten als arglistige Täuschung vorwerfbar. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass allein die V.-AG Pflichten verletzt hätte, was ihr verborgen geblieben sei und ihr nicht zurechenbar sei, obwohl vorgetragen wird, dass die V.-AG im Auftrag der A.-AG gehandelt hat.
(1) Der Beklagten ist vorzuwerfen, dass die Abgabe einer eigenen Erklärung gegenüber der EG-Typgenehmigungsbehörde die Verpflichtung einschloss, den Motor eigenständig auf Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen, weil – wie ausgeführt – mit dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung zumindest konkludent erklärt wird, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhält, insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt, und der Hersteller im EG-Typengenehmigungsverfahren umfassend verantwortlich ist.
Juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete, hier dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge, ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig sein muss, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft, vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1980, Az.: VI ZR 158/78, Rdnr. 61 ff. Die Beklagte kann damit einen so elementaren Teilbereich wie das Emissions-Typgenehmigungsverfahren nicht auf die Konzernmutter übertragen und sich so einer Haftung entziehen. Sie muss sich dann das Wissen der V.-AG von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Denn die Beklagte schildert selbst, dass die V.-AG in ihrem Auftrag im behördlichen Verfahren tätig geworden ist, mithin eine rechtsgeschäftliche Handlung des Vertreters vorliegt, vgl. Art. 3 Nr. 28 RL 2007/46/EG. Wer sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen, hier dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung, eines Vertreters bedient, muss es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, dass ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird. Oder anders ausgedrückt, wer sich zur Erledigung eigener Angelegenheiten Dritter bedient, muss sich deren Wissen zurechnen lassen, vgl. BeckOK, BGB Hau/Poseck, 55. Edition, Stand 01.08.2020, Rdnr. 1 zu § 166 BGB.
Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass im Zulassungsverfahren die Emissionsgrenzwerte nur auf dem Rollenprüfstand geprüft werden und ihr es nicht möglich gewesen wäre, Prüfungen im realen Fahrbetrieb vorzunehmen bzw. es damals kein Prüfverfahren gab, mit dem das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen hätte ermittelt werden können. Unabhängig von den zur Verfügung stehenden Überprüfungsmöglichkeiten hätte die Beklagte jedenfalls bei der V.-AG nachfragen können – und müssen, wie die Motorsteuerungssoftware programmiert ist, damit die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden können. Die Beklagte hätte sich auch ohne Weiteres von der Konzernmutter die entsprechenden Unterlagen geben lassen können. Insoweit wird nicht vorgetragen, dass man dies versucht hätte, aber von Seiten der Konzernmutter dies abgelehnt worden sei oder dass man solche Unterlagen bekommen hätte, die aber geschönt gewesen seien. Selbst das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. geht auf S. 23 davon aus, dass „die Möglichkeit der Aufdeckung der Abschalteinrichtung durch die AUDIeigene Entwicklungsabteilung – vermittels einer grundlegenden Prüfung der Software bzw. einer Neuentwicklung von Testverfahren – nicht vollständig ausgeschlossen werden kann…“.
Zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des streitgegenständlichen Motors war das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Begrenzung der Stickoxidemissionen – notwendig wegen der strengen EU-Vorgaben – außerdem allgemein bekannt, was die Beklagte – die selbst aufgrund ihrer eigenen Entwicklung und Herstellung von u.a. Dieselmotoren sachkundig ist – zum Anlass für eine genaue Prüfung hätte nehmen müssen, als aus Sicht der für die Motorenentwicklung zuständigen Konzernmutter die Auflösung dieses Konflikts angeblich gelungen war. Zudem stand bereits zum Zeitpunkt der Entwicklung des streitgegenständlichen Motors, dem der Einbau durch die Beklagte folgte, die Problematik der Verwendung von Abschalteinrichtungen lange und fortwährend auf der Agenda des europäischen Gesetzgebers (auf die vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen), was der Beklagten als weltweit tätiger (Diesel-)Motoren- und Fahrzeughersteller zur Überzeugung des Senats bekannt war.
(2) Aber auch unabhängig hiervon ist der Senat davon überzeugt, dass eine entsprechende Kenntnis von der Funktionsweise der Software bei der Beklagten vorhanden war.
Die Beklagte schildert, dass die grundsätzliche Entscheidung in Bezug auf die Verwendung des Motors EA 189 in den Jahren 2005/2006 von dem Produkt-Strategie-Komitee getroffen worden ist, dem auch Vorstandsmitglieder angehört haben. Dass das vorgenannte Komitee der Beklagten keine Kenntnis von den Details des Motors – das Herzstück eines Autos, und eben nicht nur ein Zuliefererteil wie jedes andere – gehabt hat, dessen serienmäßiger Einsatz ab 2007 beschlossen worden ist, hält der Senat nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz des Motors in einer großen Vielzahl von Fahrzeugen angeordnet wird, die beteiligten Vorstandsmitglieder sich bei dieser Entscheidung, die die Beklagte selbst als „Meilenstein“ bezeichnet, – trotz der im Raum stehenden auch persönlichen Haftungsrisiken – nicht darüber informieren, welche Eigenschaften der Motor hat und wie es gelingt, den bekannten Zielkonflikt zwischen kostengünstiger Produktion und strengen EU-Vorgaben zu Stickoxidwerten zu lösen.
Die Beklagte trägt hier aber nicht einmal vor, welche Vorstandsmitglieder dem Produkt-Strategie-Komitee angehört haben, ob diese in Bezug auf ihren Kenntnisstand befragt worden sind und was gegebenenfalls die Antwort war. Der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte hier damit nicht in ausreichendem Maß nachgekommen. Die Kenntnis gilt damit als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Senat auf die Notwendigkeit zum weiteren Vortrag explizit vorab hingewiesen hat (Verfügung vom 10.06.2020, Bl. 399 f. d.A.).
Ergänzend untermauert wird dies durch den folgenden von der Klagepartei vorgetragenen Aspekt: Die Klagepartei hat in zweiter Instanz unter Vorlage der Anlage BB3 unbestritten vorgetragen, dass die von der Beklagten in ihren selbst entwickelten V6-Diesel-Motoren (EU4) eingesetzte sog. Akustikfunktion durch das Kraftfahrtbundesamt in den Fällen einer Grenzwertüberschreitung als unerlaubte Abschalteinrichtung zur Prüfstandserkennung eingestuft wurde. Zwar beruft sich die Beklagte darauf, dass es sich bei den von ihr entwickelten Motoren um andere Motoren (V-Sechs- und V-Achtzylinder im Gegensatz zu den kleineren Reihenzylindermotoren beim Typ EA 189) handelt. Es handelt sich aber jedenfalls um Dieselmotoren, für die auch einheitliche gesetzliche Stickoxidgrenzwerte gelten (vgl. Anhang I zu VO (EG) 715/2007 – Fahrzeugklasse M).
dd) Auch die Käufer von Fahrzeugen der hiesigen Beklagten vertrauten darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden und wurden darin arglistig getäuscht. Die Sittenwidrigkeit des Handelns ergibt sich aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden, der Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse.
e) Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung nach § 826 BGB sind ebenfalls erfüllt. In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB einen Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der das Sittenwidrigkeitsurteil begründenden tatsächlichen Umstände voraus. Der Schädigungsvorsatz enthält ein Wissensund Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15.
Die Haftung einer juristischen Person nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt zudem voraus, dass ihr „verfassungsmäßig berufender Vertreter“ den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen dabei kumuliert bei einem solchen Vertreter vorliegen, der auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat, eine mosaikartige Zusammensetzung der kognitiven Elemente bei verschiedenen Personen ist hingegen nicht zulässig, vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2019, Az.: VI ZR 536/15. Darauf weist zutreffend auch das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten hin, S. 15.
Der Senat geht nicht davon aus, dass eine Wissenszurechnung im Konzern die Haftung der Beklagten begründet. Der Umstand, dass die beteiligten Gesellschaften in einem Konzern verbunden sind, genügt nämlich für sich genommen nicht, um eine Wissenszurechnung zu begründen, vgl. BGH, Urteil vom 13.12.1989, Az.: IV a ZR 177/88, Rdnr. 14, OLG Stuttgart, Urteil vom 04.09.2019, Az.: 13 U 136/18, Müko-BGB, 7. Auflage 2018, § 166 Rdnr. 61.
Die Haftung der Beklagten beruht vielmehr – wie schon ausgeführt – auf ihrem eigenen deliktischen Handeln, dem von ihr zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Im Hinblick auf den neuen Vortrag im Schriftsatz vom 24.09.2020 ist die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast in größerem Umfang als bisher nachgekommen, weil sie zur Organisationsstruktur, der Arbeitsorganisation, den damaligen internen Zuständigkeiten, den Berichtspflichten und den von ihr veranlassten Ermittlungen näher vorgetragen hat. Die Beklagte argumentiert allerdings damit, dass schon keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn oder von potentiellen Repräsentanten bestünden, weshalb ein vertieftes Vorgehen nicht angezeigt sei und keine Verpflichtung zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen von Seiten des Aufsichtsrats bestehe. Dies teilt der Senat in Bezug auf die Vorstandsmitglieder, die in dem Produkt-Strategie-Komitee mitgewirkt haben, aus nachfolgenden Gründen nicht:
Zur Produktion erklärt die Beklagte nunmehr, dass bereits in den Jahren 2005/2006 vom Produkt-Strategie-Komitee, dem auch nicht namentlich benannte Vorstandsmitglieder angehört haben, die grundsätzliche Entscheidung getroffen worden ist, dass in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten der von der Konzernmutter entwickelte Motor vom Typ EA 189 eingebaut wird, was letztlich ab 2007 zu einem serienmäßigen Einsatz geführt hat. Die Beklagte behauptet dazu weiter, dass weder Organe noch Repräsentanten, nicht einmal Werksmitarbeiter der Beklagten Kenntnis von den Details des Motors, insbesondere der Software gehabt hätten, weil diese verschlossen und verriegelt war und so vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden ist. Dies hält der Senat – wie oben bereits ausgeführt – nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das oben genannte Komitee, dem auch ein Organ der Beklagten angehört hat, den Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen befürwortet, sich aber keine Gedanken darüber macht, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat und wie es gelingt, die entsprechenden Stickoxidgrenzwerte einzuhalten. Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut hat. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war. Dies folgt schon aus der Tragweite der Entscheidung, aber auch aus den gesamten Umständen.
Deshalb kann auch vorliegend – entgegen den Ausführungen im Rechtsgutachten G., Seite 17 ff. – in Bezug auf die Frage der personalen Anknüpfung – wie es der BGH in dem Urteil vom 25.05.2020 getan hat – auf die bewusste Beteiligung eines Organmitglieds an der grundlegenden strategischen Entscheidung abgestellt werden.
Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sie den Motor samt Software nur als externes Produkt von der V.-AG zugekauft hat und dieser vertrauen durfte. Der Bundesgerichtshof hat in der von der Beklagten zitierten Entscheidung vom 03.06.1975, Az.: VI ZR 192/73, ausgeführt, dass einem Unternehmer, der für die von ihm hergestellten Geräte vorgefertigte Einbauteile verwendet, grundsätzlich die Sorgfaltspflichten eines Herstellers obliegen. Davon kann es zwar Ausnahmen geben, wovon hier allerdings schon wegen der Bedeutung des Motors für das Fahrzeug keine Rede sein kann. Der Motor eines Fahrzeugs ist eben nicht bloß ein Zuliefererteil wie jedes andere. Die Beklagte durfte sich vorliegend nicht allein auf die fachliche Betriebserfahrung ihrer Konzernmutter und deren durchgeführte Prüfungen verlassen. Sie hätte vielmehr die konkreten Eigenschaften bei der V.-AG erfragen müssen und sich selbst von der mangelfreien Beschaffenheit des Motors im Hinblick auf ihre eigene Verantwortlichkeit im EG-Typgenehmigungsverfahren überzeugen müssen. Der Auffassung von Prof. Dr. G. auf Seite 22 ff. des Gutachtens folgt der Senat aus den obigen Gründen, letztlich wegen der abweichenden Wertung des Sachverhalts, nicht.
Was das Zulassungsverfahren betrifft, zu dem die Beklagte vorträgt, dass hier in Bezug auf den Motor nur Mitarbeiter der V.-AG gehandelt hätten, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Beklagte hat gegenüber der EG-Typgenehmigungsbehörde eine eigene Erklärung abgegeben und zumindest konkludent erklärt, dass die dem Technischen Dienst von der V.-AG vorgestellten Fahrzeuge keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthalten und den Gesetzen entsprechen. Da dies tatsächlich nicht zutraf, ist das Verhalten der Beklagten als vorsätzlich zu bewerten, weil die Folgen des Handelns bewusst in Kauf genommen worden sind. Selbst wenn man dies nicht so sehen wollte, hält der Senat aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte sich im Hinblick auf das Emissions-Typengenehmigungsverfahren vollständig und ohne weitere Kontrolle auf die Konzernmutter verlassen hat, eine Zurechnung des bei der WV-AG zweifelsfrei vorhandenen Täuschungs- und Schädigungsvorsatzes entsprechend § 31 BGB für gerechtfertigt.
f) Auf der Basis der getroffenen Feststellungen ist damit von einem Schädigungsvorsatz der handelnden Personen auszugehen, die von den sittenwidrigen, strategischen Unternehmensentscheidungen Kenntnis hatten. Nicht nur der objektive Tatbestand, sondern auch sämtliche für den Vorsatz nach § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente sind damit bei den entsprechenden Entscheidungsträgern verwirklicht. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in eigener oder zurechenbarer Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
2. Die Beklagte hat gemäß §§ 826, 31, 249 ff. BGB der Klagepartei sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen. Die Klagepartei kann damit den von ihr aufgewendeten Kaufpreis zurückverlangen.
Sie muss sich aber dasjenige anrechnen lassen, was ihr durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. Dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch bei einem Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB anzuwenden sind, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, ausdrücklich bestätigt, Rdnr. 66 ff. Er hat auch ausgeführt, dass dem keine europarechtlichen Normen entgegenstehen. Der Senat nimmt auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs Bezug, a.a.O., Rdnr. 73 ff. Geklärt ist mit dieser Entscheidung weiter, dass eine lineare Berechnungsweise nach der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Gesamt- bzw. Restlaufleistung – wie vom Landgericht durchgeführt – keinen rechtlichen Bedenken unterliegt und die Höhe der gezogenen Vorteile nach § 287 ZPO geschätzt werden kann.
Vorliegend hatte das Fahrzeug beim Erwerb durch die Klagepartei einen Kilometerstand von 0 km. Zum Zeitpunkt der Veräußerung hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 92.000 km. Unter Zugrundelegung des Kaufpreises von 35.148,01 € und einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer in Höhe von 10.778,72 €. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt der Senat – wie das Landgericht – im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km, da von einer durchschnittlichen Laufleistung des hier verbauten Dieselmotors 2.0 TDI, 105 kw, Euro 5, auszugehen ist. Es verbleibt somit ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 24.369,29 €, abzüglich der weiter erhaltenen 8.500,00 € in Höhe von 15.869,29 €.
Die Weiterveräußerung des Wagens steht dem Anspruch nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2014, Az.: VI ZR 15/14, Rdnr. 25, 36). Anders als die Beklagte meint, ist lediglich der Betrag von 8.500,00 € anzusetzen und nicht der ursprüngliche Fahrzeugbruttopreis, sonst würde die Beklagte im Verhältnis zur Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs bereichert. Anhaltspunkte, dass die Klagepartei den Wagen vorwerfbar unter Wert veräußert und ihr so zu Lasten der Beklagten eine Spekulation ermöglicht wird, sind nicht ersichtlich, zumal der Wagen bei einem Audi-Händler in Zahlung gegeben wurde.
3. Der Klagepartei stehen entgegen den Ausführungen des Landgerichts Zinsen nur aufgrund der Rechtshängigkeit zu, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, ab dem 02.07.2019.
Die Beklagte befand sich nicht bereits vor der Zustellung der Klageschrift im Schuldnerverzug, § 286 BGB. Zwar hat die Klagepartei außergerichtlich gegenüber der Beklagten ihre Ansprüche mit Anwaltsschreiben vom 13.12.2018 angemeldet und eine Frist bis zum 19.12.2018 gesetzt. Jedoch ist dieses Schreiben nicht geeignet, einen Schuldnerverzug der Beklagten zu begründen, weil der Abzug einer Nutzungsentschädigung zwar angeboten, ein Kilometerstand aber nicht mitgeteilt worden ist, so dass von einer Zuvielforderung auszugehen ist. Die Beklagte wäre nur dann in Schuldnerverzug geraten, wenn seitens der Klagepartei die ihr obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß angeboten worden wäre, vgl. BGH a.a.O., Rdnr. 85.
4. Dem Antrag auf Feststellung der Erledigung des Antrags auf Feststellung, dass sich die 21 U 7239/19 – Seite 20 – Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, hätte ebenfalls nicht entsprochen werden dürfen.
Der Feststellungsantrag zum Annahmeverzug war zwar im Moment des erledigenden Ereignisses, hier der Weiterveräußerung, zulässig, vgl. §§ 756, 726 Abs. 1 ZPO, er war aber unbegründet, weil die Voraussetzungen der §§ 293, 295 BGB vorliegend nicht erfüllt waren. Das außergerichtliche Anwaltsschreiben der Klagepartei war – wie oben ausgeführt – nicht geeignet, den Annahmeverzug zu begründen, weil die Klagepartei die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten hat, von denen sie diese hätte abhängig machen dürfen. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben. Noch bis zur Veräußerung wandte sich die Klagepartei gegen den Abzug einer Nutzungsentschädigung.
5. Die Entscheidung des Landgerichts zu den zugesprochenen Rechtsanwaltskosten begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Grundsätzlich können entstandene außergerichtliche Rechtsanwaltskosten als Teil des Schadens nach §§ 826, 249 ff. BGB verlangt werden. Der Anspruch besteht in der vom Landgericht zugesprochenen Höhe. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind von der Beklagten in der ausgeurteilten Höhe zu erstatten, weil sie – entgegen der Auffassung der Beklagten – zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig waren. Angesichts der sich stellenden Rechtsfragen ist es nicht zu beanstanden, wenn sich die Klagepartei anwaltlich vorab hat beraten lassen und zunächst mit anwaltlicher Hilfe versucht hat, vorgerichtlich eine gütliche Einigung zu erzielen. Da sich die Beklagte im Lauf der Zeit durchaus auf außergerichtliche Lösungen eingelassen hat, musste ein betroffener Käufer nicht von vornherein davon ausgehen, dass ein anwaltliches Aufforderungsschreiben zwecklos ist. Zwar stammt die Klageschrift vom 14.12.2018, das anwaltliche Mahnschreiben vom 13.12.2018. Bis zur Klageerhebung vergingen allerdings mehrere Monate, weshalb davon auszugehen ist, dass beabsichtigt war, vorgerichtlich eine gütliche Einigung zu erzielen. Zinsen sind diesbezüglich allerdings erst ab Rechtshängigkeit geschuldet.
III.
Die Kostenquote entspricht dem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
In Bezug auf die von der Klagepartei in erster Instanz geltend gemachten deliktischen Zinsen war erstinstanzlich ein fiktiver Streitwert anzusetzen, um der Zuvielforderung Rechnung zu tragen. Der fiktive Streitwert erster Instanz beträgt damit gerundet 46.288 €. Da die Klagepartei wegen des Veräußerungserlöses des streitgegenständlichen Wagens nicht die Feststellung der Teilerledigung beantragte (Bl. 312 d.A.), unterliegt sie erstinstanzlich insgesamt in Höhe von 66%.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, Nr. 711, 713 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Einige wesentliche Punkte sind zwar durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 geklärt, offen ist jedoch die Frage, ob auch die Konzerntöchter der V.-AG, insbesondere die Beklagte, für die von ihnen hergestellten, mit einem Motor des Typs EA 189 (nebst unzulässiger Abschalttechnik) ausgestatteten Fahrzeuge deliktisch haften. Diese Frage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten.
 Verkündet am 30.11.2020


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