Europarecht

Antrag auf Zuweisung einer anderen Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  M 22 E 16.4009

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 82 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 123

 

Leitsatz

1 Außer dem Namen des Rechtsschutzsuchenden ist mit der Klage bzw. dem Antrag auch dessen ladungsfähige Anschrift anzugeben. Dies ist die Anschrift, unter der er tatsächlich zu erreichen ist. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist ein Antragsteller obdachlos, ist es ihm in aller Regel zuzumuten, dem Gericht zumindest einen Zustellungsbevollmächtigten oder eine Adresse zu benennen, unter der er sich regelmäßig aufhält und unter der seine Erreichbarkeit sichergestellt ist oder aber eine Telefonnummer, über die mit ihm Kontakt aufgenommen werden kann. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Obdachlosenbehörde hat bei der Erfüllung ihrer Aufgaben einen weiten Ermessensspielraum und muss nur ein vorübergehendes Unterkommen einfacher Art gewährleisten. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft sind im Laufe der Zeit Schwankungen unterworfen, die vom Wandel der Verhältnisse und Anschauungen bestimmt sind. Dabei ist nicht nur eine Entwicklung im Sinne einer Verbesserung der Lebensverhältnisse möglich, sondern auch eine Entwicklung der Anforderungen nach unten denkbar, wenn es hierfür – etwa infolge von Flüchtlingswellen mit dem damit verbundenen Unterbringungsbedarf – sachliche Gründe gibt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,00 festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm eine andere Notunterkunft als die bereits zur Verfügung gestellte zuzuweisen und ihm mitzuteilen, wie er ihr gegenüber sein „Bemühen um eigenen Wohnraum“ nachweisen solle, hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig, da der Antragsteller dem Gericht trotz Aufforderung und Fristsetzung keine aktuelle ladungsfähige Anschrift oder anderweitige Kontaktmöglichkeit mitgeteilt hat.
Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der für selbständige Beschlussverfahren nach § 123 VwGO entsprechend gilt (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.1992,BayVBl. 1992, 594; Eyermann, VwGO, § 122 Rn. 5), muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Außer dem Namen des Rechtsschutzsuchenden ist mit der Klage bzw. dem Antrag nach ständiger Rechtsprechung auch dessen ladungsfähige Anschrift anzugeben. Dies ist die Anschrift, unter der die Partei tatsächlich zu erreichen ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 82 Rn. 4). Bei einer natürlichen Person ist dies in der Regel die Wohnungsanschrift (Anlehner in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 82 Rn. 8). Auch bei einer Änderung während des Prozesses ist die neue Anschrift mitzuteilen. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift soll nämlich nicht nur die hinreichende Individualisier- und Identifizierbarkeit des Rechtsschutzsuchenden sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; sie soll vielmehr darüber hinaus auch gewährleisten, dass der jeweilige Kläger bzw. Antragsteller nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Falle des Unterliegens seiner Kostentragungspflicht nicht entziehen kann (Anlehner, a.a.O.; Ortloff/Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 82 Rn. 4; Geiger in: Eyermann, VwGO, § 82 Rn. 3). Die Pflicht zur Angabe der Wohnungsanschrift entfällt, wenn ihre Erfüllung unmöglich oder unzumutbar ist. Ist ein Antragsteller obdachlos, ist es ihm aber in aller Regel zuzumuten, dem Gericht zumindest einen Zustellungsbevollmächtigten oder eine Adresse zu benennen, unter der er sich regelmäßig aufhält und unter der seine Erreichbarkeit sichergestellt ist (insgesamt hierzu: Geiger in Eyermann, VwGO, § 82 Rn. 3) oder aber eine Telefonnummer, über die mit ihm Kontakt aufgenommen werden kann.
All dies hat der Antragsteller nach seinem Auszug aus der ihm von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 8. August 2016 bis zum 10. Februar 2017 zur Verfügung gestellten Obdachlosennotunterkunft in …- … jedoch nicht getan.
Das Gericht war daher gehalten, dem Antragsteller eine Frist gemäß § 82 Abs. 2 VwGO zur Benennung einer ladungsfähigen Anschrift zu setzen (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24/97 – juris Rn. 41), was mit Schreiben vom 21. März 2017, dem Antragsteller öffentlich zugestellt am 29. April 2017, auch erfolgte.
Eine ladungsfähige Anschrift, ein Zustellbevollmächtigter oder eine c/o- (care of)-Anschrift wurde dem Gericht innerhalb der gesetzten Frist und auch danach von der Antragspartei jedoch nicht mitgeteilt. Auch eine Telefon-Nummer, über die der Antragsteller erreichbar wäre, liegt dem Gericht nicht vor. Eine gerichtlich veranlasste Aufenthaltsermittlung verlief ergebnislos. Der Antrag des Antragstellers ist daher wegen fehlender ladungsfähiger Anschrift unzulässig.
Darüber dürfte für den Antrag des Antragstellers auf Zuweisung einer anderen Obdachlosenunterkunft auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sein, da die Zuweisung der dem Antragsteller zur Verfügung gestellten Obdachlosenunterkunft zum 10. Februar 2017 nach Aktenlage auslief, ohne dass der Antragsteller bei der Antragsgegnerin, um eine Anschlussunterbringung nachgesucht hätte.
Soweit der Antragsteller darüber hinaus begehrt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm mitzuteilen, wie er ihr gegenüber sein „Bemühen um eigenen Wohnraum“ nachweisen könne, fehlt das Rechtsbedürfnis ebenfalls, weil der Antragsteller vor Anrufung des Gerichts noch keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde gestellt hat.
2. Der Antrag auf Zuweisung einer anderen Obdachlosenunterkunft hätte mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes darüber hinaus wohl auch in der Sache keinen Erfolgt gehabt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die dem Antragsteller zur Verfügung gestellte Unterkunft menschenunwürdig war.
Die Obdachlosenbehörde hat ihre Aufgabe Obdachlosigkeit als Störung der öffentlichen Ordnung zu verhindern bzw. zu beseitigen unter Berücksichtigung aller Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfüllen. Sie hat hierbei einen weiten Ermessensspielraum und muss nur ein vorübergehendes Unterkommen einfacher Art gewährleisten. Die Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft darf weder von der Verwaltung noch von dem Betroffenen als Dauerlösung betrachtet werden; die Gewährung und Sicherung einer Unterkunft auf Dauer ist, soweit sich ein Hilfebedürftiger nicht selbst helfen kann und die Hilfe nicht von anderen erhält, grundsätzlich Aufgabe der zuständigen Träger der Sozialhilfe nicht aber der Obdachlosenbehörde. Aus dem Überbrückungscharakter der Obdachlosenunterbringung folgt, dass die an eine Normalwohnung zu stellenden Anforderungen bezüglich Lage, Größe, Einrichtung und sonstiger Verhältnisse nicht erfüllt zu sein brauchen; die Unterkunft muss daher auch nicht den Anforderungen an eine wohnungsmäßige Versorgung entsprechen. Es reicht aus, eine Unterkunft bereitzuhalten, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt. Welche Mindestanforderungen bei einer Obdachlosenunterkunft gegeben sein müssen, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft sind im Laufe der Zeit Schwankungen unterworfen, die vom Wandel der Verhältnisse und Anschauungen bestimmt sind, wobei das allgemeine zivilisatorische Niveau zu berücksichtigen ist. Dabei ist nicht nur eine Entwicklung i. S. einer Verbesserung der Lebensverhältnisse maßgeblich, sondern auch eine Entwicklung der Anforderungen nach unten denkbar, wenn es hierfür – etwa infolge von Flüchtlingswellen mit dem damit verbundenen Unterbringungsbedarf – sachliche Gründe gibt. Demzufolge ist bei gegebener Wohnraumnot obdachlosen Einzelpersonen auch eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften mit Schlaf- und Tagesräumen für mehrere Personen zumutbar.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist es weder zu beanstanden, dass der Antragsteller in dem ihm überlassenen Notunterkunftsraum selbst gemäß der Satzung der Antragsgegnerin über die Benutzung von Obdachlosenunterkünften (zur Vermeidung von Schimmelbildung) keine Wäsche waschen und trocknen darf, noch, dass die Antragsgegnerin ihre Haftung und die ihrer Organe und Bediensteten gegenüber Benutzern und Besuchern der Obdachlosenunterkunft auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt hat.
Zu dem Vorbringen der Antragstellers, für die Nutzung des Grundstücks als Obdachlosenunterkunft liege bislang keine Baugenehmigung vor, ist anzumerken, dass, auch wenn dies zutreffen sollte – wofür jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich sind – hieraus nicht notwendig ein Anspruch auf Zuweisung einer anderen Unterkunft folgen würde. Vielmehr wäre insoweit wohl darauf abzustellen, ob spezifisch baurechtliche Bestimmungen eine Untersagung der Nutzung (insbesondere im Hinblick auf bauordnungsrechtliche Anforderungen) geboten erscheinen lassen. Dafür, dass eine solche Fallgestaltung hier gegeben wäre, ist aber nichts dargetan oder sonst ersichtlich.
3. Die Festsetzung des Streitwerts hinsichtlich des Antrags nach § 123 VwGO beruht auf § 53 Abs. 2 Nr.1, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes.
4. Der (gerichtsgebührenfreie) Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war schon deshalb abzulehnen, weil der Antragsteller trotz gerichtlichem Aufforderungsschreiben vom 26. September 2016 mit Fristsetzung („zwei Wochen nach Zustellung“ des Aufforderungsschreibens) keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat (§ 166 VwGO, § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben