Europarecht

Asylverfahren, Dublin-III-VO, Zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, Systemischer Mangel, Asylantragsteller, Subsidiär Schutzberechtigter, Inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, Abschiebungsanordnung, Zuständiger Mitgliedstaat, Mitgliedstaaten, Erniedrigende Behandlung, Aufschiebende Wirkung, Antragsgegner, Abgelehnter Asylbewerber, Antragstellers, Rechtsanwaltsbeiordnung, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Flüchtlingseigenschaft, Flüchtlingskonvention

Aktenzeichen  AN 14 S 21.50018

Datum:
10.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4685
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG
§ 34a AsylG
Art. 3 Abs. 2 UA 1 Dublin III-VO
Art. 9 Dublin III-VO
Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh
Art. 33 GFK

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die in einem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ausgesprochene Anordnung ihrer Abschiebung nach Schweden.
Die Antragstellerin reiste eigenen Angaben zufolge am 8.Dezember 2020 ins Bundesgebiet ein und äußerte am 16. Dezember 2020 ein Asylgesuch. Am gleichen Tag wurden ihr Fingerabdrücke genommen, die zu EURODAC -Treffern der Kategorie 1 für Schweden (vom 28.01.2020) und der Kategorie 2 für Griechenland (vom 11.10.2019) führten. Am 11. Januar 2021 stellte die Antragstellerin einen förmlichen Asylantrag.
Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 11. Januar 2021 erklärte die Antragstellerin, dass ihre Schwester (Verfahren AN 14 S 21.50032 und AN 14 K 21.50033 beim VG Ansbach) zusammen mit ihr in … lebe, ihr Verlobter wohne in …, ein Bruder wohne mit Frau und Tochter in … Eine Schwester von ihr wohne in …, Schweden, während eine Tante von ihr in …, Schweden, lebe. In Schweden habe sie am 28. Januar 2020 Asyl beantragt und während dieser Zeit bei ihrer Tante gelebt.
Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 18. Januar 2021 gab die Antragstellerin an, dass sie in Schweden einen Asylantrag gestellt habe, der abgelehnt worden sei. Sie habe hiergegen geklagt, das Gericht habe ihren Asylantrag aber wieder abgelehnt. Sie hätte nach Syrien zurückgehen sollen. Ihr Verlobter lebe in Deutschland. Sie seien seit einem Jahr verlobt. Im Rahmen der informatorischen Anhörung im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG am 18. Januar 2021 gab die Antragstellerin an, dass sie zum Volk der Aramäer gehöre und orthodoxe Christin sei. Sie habe vor der Ausreise in … gelebt. Der Grund für ihre Ausweise sei ihre Mitgliedschaft in einer Flüchtlingshilfeorganisation für syrische Christen gewesen. Sie habe in Schweden für die Organisation Berichte erstellt und abgegeben, in denen über Christen in Syrien berichtet worden sei. In Syrien seien christliche Jugendliche auch von Soldaten des Assad Regimes rekrutiert worden. Kurdische Soldaten seien bewaffnet in private Schulen gestürmt und hätten verlangt, die Sprache auf kurdisch zu ändern. Sie hätten auch Geld von Christen verlangt. Sie sei bedroht worden, nicht mehr mit der Hilfsorganisation zusammenzuarbeiten. An Kontrollpunkten seien sie oft angehalten und diskriminiert worden. Ihr Onkel sei ein religiöser Mann gewesen, der 2013 entführt worden sei; sie hätten bis heute kein Lebenszeichen von ihm erhalten. Auch deswegen seien sie bedroht worden. Auf die Frage nach schutzwürdigen Belangen gab die Antragstellerin an, dass in Deutschland ihre Schwester, ihr Verlobter und ihr Bruder lebten. Zu ihrem Bruder habe sie keinen Kontakt mehr, er wohne in … Am 19. Januar 2021 stellte das Bundesamt aufgrund des festgestellten EURODAC-Treffers für Schweden an die schwedischen Behörden ein Wiederaufnahmegesuch nach der Dublin III-VO. Dieses wurde von den schwedischen Behörden mit Schreiben vom 20. Januar 2021 gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO akzeptiert. Darin wurde ausgeführt, dass der Asylantrag der Antragstellerin in 1. Instanz abgelehnt worden sei. Der Migrationsgerichtshof habe den Fall am 18. Dezember 2020 eingestellt, nachdem die Ausländerin ihren Antrag gegen die Entscheidung, sie nach Syrien abzuschieben, zurückgezogen hatte.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2021 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Schweden an (Ziffer 3) und befristete das Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 22 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). In der Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass dem schwedischen Zustimmungsschreiben zu entnehmen sei, dass der Asylantrag der Antragstellerin in Schweden abgelehnt worden sei. Es stehe ihr weiterhin frei, einen Folgeantrag in Schweden zu stellen. Es sei nicht ansatzweise erkennbar, dass in Schweden Asylantragstellern unmittelbar eine verfahrenswidrige Abschiebung in ihr Herkunftsland drohe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der schwedische Staat der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Prüfung des Asylbegehrens nachkomme, wenn er seine Zuständigkeit bejaht habe. Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung zu rechnen hätten sei zudem kein Mangel des Asylverfahrens und auch im Übrigen nicht menschenrechtswidrig. Ein europäischer Mitgliedstaat sei auch nicht berufen, die Entscheidungen eines anderen europäischen Mitgliedstaates zu überprüfen. Systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen lägen in Schweden nicht vor. Soweit die Antragstellerin vorgetragen habe, in Deutschland einen Bruder, eine Schwester und ihren Verlobten zu haben, könne dies nicht berücksichtigt werden. Die vorgetragenen Verwandtschaftsverhältnisse seien nicht von Art. 2 Buchstabe g) der Dublin III-VO umfasst. Auch ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne von Art. 16 Dublin III-VO liege nicht vor. Aus Verlöbnissen oder sonstigen Partnerschaften, die nicht staatlich registriert und anerkannt seien könnten ausländerrechtlich keine Ansprüche abgeleitet werden. Eine zivilrechtliche Eheschließung durch das zuständige Standesamt wäre erforderlich, die aber nicht vorliege. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 26. Januar 2021 ausgehändigt.
Mit am 29. Januar 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten ließ die Antragstellerin gegen den Bescheid Klage erheben (AN 14 K 21.50019) und stellte den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Gleichzeitig beantragte sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Rechtsanwaltsbeiordnung. Sie beantragt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin wird angeordnet.
Zur Begründung lässt sie ausführen, dass der Antragstellerin eine Rückkehr nach Schweden nicht zugemutet werden könne, da sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer Abschiebung nach Syrien rechnen müsse. Daher drohe ihr durch die Überstellung nach Schweden eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit. Denn die Situation in Syrien sei zunehmend von Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung geprägt. Es herrsche dort ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt. Da ihr aufgrund des bereits erfolglos abgeschlossenen Asylverfahrens in Schweden die Abschiebung nach Syrien drohe spreche diese Tatsache dafür, dass maßgebende Vorschriften in Schweden nicht beachtet würden und der Antragstellerin eine verfahrenswidrige und menschenrechtswidrige Abschiebung in ihr Herkunftsland drohe. Es müsse zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Schweden festgestellt werden, da die Antragstellerin bei einer Abschiebung nach Syrien Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt wäre. Die Antragstellerin könne nicht auf die Durchführung eines Folgeverfahrens in Schweden verwiesen werden, zumal hierfür strengere Voraussetzungen gälten. Ferner drohe ihr im Falle einer Rückkehr nach Syrien eine Verfolgung aufgrund ihrer Religion. Als Zugehörige zum christlichen Glauben sei sie mehrfach bedroht worden. Wegen dieser Bedrohungen auf dem Weg zur Universität habe sie nicht studieren können. Ihr Onkel sei ein Bischof, der als verschwunden gelte. Zu ihren Eltern, die zuletzt in die Türkei reisen wollten, habe sie seit zwei Wochen keinen Kontakt mehr. Ihr Verlobter habe in Deutschland ein Asylverfahren durchlaufen und sei im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Bundesamtsakten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
I.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 20. Januar 2021 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Schweden ist zulässig, aber unbegründet.
Die durch die Antragstellerin erhobene Klage gegen diesen Bescheid entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG).
Das Gericht der Hauptsache kann aber nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung der Klage, weil diese aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird.
Die in Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 20. Januar 2021 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Satz 1 VwGO).
Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Demnach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
1. Nach zutreffender Auffassung der Antragsgegnerin ist im vorliegenden Fall Schweden für die Behandlung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig. Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Abl. L 180 v. 19. Juni 2013, S.31 – „Dublin IIIVO“) wird der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird.
Vorliegend war aufgrund des vom Bundesamt festgestellten EURODAC-Treffers der Kategorie 2 zunächst wohl Griechenland zuständig, da dies der erste Mitgliedstaat der Europäischen Union war, in den die Antragstellerin (illegal) eingereist ist (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO). Diese Zuständigkeit endete nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO allerdings 12 Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts, mithin also spätestens am 11. Oktober 2020. Daher war die Zuständigkeit Griechenlands im Zeitpunkt des Bescheidserlasses wieder entfallen.
Die Anwesenheit des Verlobten der Antragstellerin im Bundesgebiet vermag eine Zuständigkeit Deutschlands nach Art. 9 Dublin III-VO nicht zu begründen, da, wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt, der Verlobte kein Familienangehöriger im Sinne von Art. 2 Buchstabe g) Dublin III-VO ist. Im Übrigen ist bisher auch lediglich behauptet, dass der Verlobte in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen erhalten hat. Ebenso wenig liegt bisher eine Äußerung beider Verlobter vor, dass der Asylantrag der Antragstellerin in Deutschland geprüft werden soll, wie sie Art. 9 Dublin III-VO verlangt. Auch die Anwesenheit des Bruders oder der noch im Asylverfahren befindlichen Schwester der Antragstellerin (AN 14 S 21.50032 bzw. AN 14 K 21.50033) kann eine Zuständigkeit Deutschlands nach Art. 9 Dublin III-VO nicht begründen, da auch diese Verwandten nicht zu dem in Art. 2 Buchstabe g) Dublin III-VO genannten Personenkreis gehören.
Bei den genannten Verwandten handelt es sich auch nicht um abhängige Personen im Sinne von Art. 16 Dublin III-VO, so dass auch danach eine Zuständigkeit Deutschlands nicht besteht. Und schließlich liegen auch keine Gründe für eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Dublin III-VO vor.
Aufgrund des festgestellten EURODAC-Treffers der Kategorie 1 für Schweden steht allerdings fest, dass die Antragstellerin in Schweden einen Asylantrag gestellt hat. Dies deckt sich auch mit ihren Angaben im Asylverfahren und dem in der Bundesamtsakte befindlichen ablehnenden Bescheid der schwedischen Behörden vom 4. September 2020. Daher ist Schweden nach Art. 3 Abs. 2 UA 1 Dublin III-VO für das Asylverfahren der Antragstellerin zuständig.
2. Die Abschiebung nach Schweden gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ist auch rechtlich möglich.
a) Es liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit Schwedens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnung entfallen ließen und zum Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO führen würden.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). An diese Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber derart defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B.v. 6.6.2014 – 10 B 25/14 – juris).
Ausgehend davon bestehen im gegenwärtigen Zeitpunkt nach dem der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnismaterial keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin im Falle ihrer Rücküberstellung nach Schweden aufgrund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. des Art. 3 EMRK drohen würde.
In Schweden besteht unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnisse (AIDA Country Report Sweden, 2019 Update; BFA Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Schweden, Stand 16.2.2018) ein mit den europäischen Asylrichtlinien konform gehendes Asylsystem, das die Anforderungen der EMRK, der Grundrechtecharta und der Genfer Flüchtlingskonvention einhält (vgl. VG Greifswald, B.v. 23.8. 2017 – 3 B 1650/17 As HGW – BeckRS 2017,122065, Rn.9; VG München, B.v. 11.1.2018 – M 9 S 17.52808 – juris Rn. 29 m.w.N.). Anhaltspunkte für systemische Mängel im dargestellten Sinn bestehen nicht. Insoweit wird nach § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
Entgegen der Argumentation der Bevollmächtigten der Antragstellerin kann der Umstand, dass der Asylantrag der Antragstellerin in Schweden abgelehnt wurde, keine systemischen Mängel begründen. Wie bereits oben ausgeführt wurde, sind an die Feststellung systemischer Mängel hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist erst auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen derart defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B.v. 6.6.2014 – 10 B 25/14). Die Antragstellerin macht derartige Mängel schon gar nicht geltend, sondern beruft sich allein darauf, dass der Asylantrag der Antragstellerin sachlich falsch behandelt wurde. Ein systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in der dargestellten Art wird damit schon gar nicht geltend gemacht, er ist auch nicht erkennbar.
Die diesbezügliche Argumentation ist aber schon aus systematischen Gründen ausgeschlossen. Wird ein Asylantrag in einem zuständigen Mitgliedstaat nach Auffassung des Antragstellers fälschlicherweise abgelehnt, so steht ihm hierfür die Möglichkeit, bei den Gerichten Rechtsschutz zu suchen, offen. So ist es auch in Schweden. Kommt das angerufene Gericht zu der Einschätzung, dass die Ablehnung des Asylantrags rechtlich zutreffend war und weist es die Klage daher ab, so hat der Asylantragsteller dies zu akzeptieren. Das gemeinsame europäische Asylsystem eröffnet ihm insbesondere nicht die Möglichkeit, in einem derartigen Fall in einem anderen, nach der Dublin III-VO nicht zuständigen Mitgliedstaat einen erneuten Asylantrag zu stellen. Ebenso steht es dem nach der Dublin III-VO nicht zuständigen Mitgliedstaat nicht zu, über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags durch den zuständigen Mitgliedstaat zu befinden.
b) Die Überstellung der Antragstellerin nach Schweden ist auch nicht deshalb rechtlich unmöglich, weil sie aufgrund der Umstände, denen die Antragstellerin im Falle einer Schutzgewährung in Schweden ausgesetzt wäre, Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh verletzen würden.
Mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – hat der Europäische Gerichtshof die Maßstäbe – aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GRCh für Asylbewerber und Anerkannte in gleicher Weise – für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert. Aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darf ein Asylbewerber hiernach grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin III-VO für die Bearbeitung seines Antrages zuständig ist, es sei denn, er würde dort im Falle einer Schutzgewährung ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände für längere Zeit dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. des insoweit inhaltlich gleichen Art. 3 EMRK verstößt, das heißt seine physische oder psychische Gesundheit würde beeinträchtigt oder er in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. dazu VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 38).
Die vom Europäischen Gerichtshof geforderte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre etwa dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland; vgl. auch BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris). Diese Schwelle ist selbst durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O. Rn. 93.). Es lässt sich allerdings nicht völlig ausschließen, dass ein Asylbewerber oder Schutzberechtigter nachweisen kann, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die im Fall der Überstellung bedeuten würden, dass er sich aufgrund besonderer Verletzlichkeit unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, a.a.O).
Nach diesen Maßstäben droht anerkannten internationalen Schutzberechtigten in Schweden keine gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung. Anerkannte Flüchtlinge erhalten in Schweden eine auf 3 Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis, subsidiär Schutzberechtigte eine Aufenthaltserlaubnis von 13 Monaten, die auf 2 Jahre verlängert werden kann (AIDA Country Report Sweden, 2019 update, S. 83; BFA Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Schweden, Gesamtaktualisierung 16.2.2018, S. 9). Nach ihrer Anerkennung werden Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte auf die schwedischen Gemeinden nach einem Quotensystem verteilt, die dann für 2 Jahre verantwortlich für Unterstützung und Unterkunft sind (AIDA a.a.O., S. 92; BFA a.a.O., S. 9). Nach dieser Zeit besteht die Möglichkeit für Schutzberechtigte, gegebenenfalls eine Sozialwohnung zu beantragen (AIDA a.a.O., S. 92). Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zum schwedischen Arbeitsmarkt, auch wenn es oft schwierig ist, sich dort erfolgreich zu integrieren (AIDA a.a.O., S. 93). Sie haben Zugang zu Bildung auf allen Ebenen. Für höhere Bildungsangebote sind häufig Sprachkenntnisse in Schwedisch oder Englisch gefordert (AIDA a.a.O., S. 93). Nach dem Ablauf der 2-jährigen Integrationsphase, in der die schwedischen Gemeinden für die ihnen zugewiesenen Schutzberechtigten für die Gewährung von Unterstützung und Unterkunft zuständig sind, haben Schutzberechtigte gleichen Zugang zu Sozialleistungen wie schwedische Staatsbürger (AIDA a.a.O., S. 94). Außerdem haben Sie Zugang zur Gesundheitsversorgung wie alle Schweden (AIDA a.a.O., S. 94; BFA a.a.O., S. 9).
3. Der Abschiebungsanordnung stehen keine Abschiebungshindernisse entgegen, die bei einer Überstellung der Antragstellerin nach Schweden Berücksichtigung finden müssten. Dies gilt sowohl für zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, als auch für inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, welche die Antragsgegnerin im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zu überprüfen hat (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – juris Rn. 4).
Der Antragstellerin droht bei einer Abschiebung nach Schweden keine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK, so dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegt. Dies kann (abgesehen von den oben bereits dargestellten Aspekten) insbesondere nicht daraus abgeleitet werden, dass der Antragstellerin aufgrund der Ablehnung ihres Asylantrags in Schweden eine Abschiebung nach Syrien droht. Wie das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid (dort Seite 5) zutreffend ausführt, ist es nicht menschenrechtswidrig, dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung zu rechnen haben. Denn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bezieht sich in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der der Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) AsylG abgelehnt wurde, allein auf die Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung, hier im nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedsstaat und nicht auf die Verhältnisse im Herkunftsland (vgl. nur Wittmann in BeckOK Migrationsrecht, Stand: 1.1.2021, § 31 AsylG Rn. 53, 54). In Schweden droht der Antragstellerin aber keinesfalls eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung.
In einer möglichen Abschiebung der Antragstellerin von Schweden nach Syrien liegt auch kein Verstoß gegen das in Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention normierte Verbot des „Non-Refoulement“. Denn die schwedischen Behörden sind in einem den einschlägigen Richtlinien entsprechenden Asylverfahren zu dem Schluss gelangt, dass der Antragstellerin der Flüchtlingsstatus nicht zusteht. In dieser Situation eine Abschiebung in den Herkunftsstaat vorzusehen ist nicht zu beanstanden und begründet auch keinen Verstoß gegen das Verbot des „Non-Refoulement“ (VG Hannover, B.v. 31.10.2016 – 10 B 6264/16 – juris Rn. 27 und LS 2; VG Düsseldorf, U.v. 9.12.2014 – 13 K 399/14.A – juris.
Auch liegt kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Hierbei führt insbesondere die COVID-19-Pandemie nicht dazu, dass für die Antragstellerin in Schweden eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen Gefahrenlage zu werden, kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt werden (vgl. VG Würzburg, U.v. 13.11.2020 – W 10 K 19.31019 – juris Rn. 58). Es kann nicht angenommen werden, dass die Antragstellerin in Schweden einer derartigen Gefahr durch das Corona-Virus ausgesetzt ist. Die Antragsteller gehört als junge Frau ohne erhebliche Vorerkrankungen nicht zu einer der Personengruppen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren oder lebensbedrohlichen Verlauf einer Corona-Erkrankung (Robert-Koch-Institut, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html, abgerufen am 08.03.2021).
Schließlich lässt sich aus der geltend gemachten Verlobung ebenfalls kein Abschiebungsverbot ableiten. Denn in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Verlobung grundsätzlich nur dann aufgrund des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen kann, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht (OVG Bremen, B.v. – 1 B 153/16 – juris Rn. 2 m.w.N.) Hierfür ist nichts dargelegt. Daneben ist auch die Frage, ob der Verlobte der Antragstellerin in Deutschland als Flüchtling anerkannt ist und daher hier ein Aufenthaltsrecht hat, nicht substantiiert dargelegt geschweige denn glaubhaft gemacht, sondern allein behauptet. Hierauf kommt es allerdings mangels rechtlicher Grundlage eines daraus resultierenden Abschiebungsverbots nicht an.
Im Übrigen wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids gemäß § 77 Abs. 2 AsylG verwiesen.
Die Abschiebung der Antragstellerin nach Schweden ist nach alledem rechtmäßig und möglich.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Aus den vorstehenden Gründen war die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung mangels Erfolgsaussicht im Sinne von § 166 VwGO, §§ 114ff ZPO nicht möglich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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