Europarecht

Aufenthalt eines Leistungsberechtigten

Aktenzeichen  S 10 AS 524/18

Datum:
22.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53481
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 37 Abs. 1 S. 2, § 44b
SGG § 65a Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Beigeladene wird verurteilt, die dem Kläger bereits darlehensweise gewährte Erstausstattung stattdessen zuschussweise zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Gründe

Die fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Klage führt in der Sache zu der aus dem Tenor ersichtlichen Verurteilung des Beigeladenen nach. Darüber hinaus bleibt die Klage ohne Erfolg.
1. Der Bescheid des Beklagten vom 12.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2018, mit welchem der Beklagte konkludent seine fehlende Zuständigkeit für eine Entscheidung über den Wohnungserstausstattungsantrag des Klägers in der Sache erklärte, ist rechtmäßig.
Bedarfe für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten werden gem. § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SGB II gesondert, d.h. losgelöst von den Regelbedarfen nach § 20 SGB II, erbracht. Sie können gem. § 24 Abs. 3 S. 5 SGB II wahlweise als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Die Leistungen sind dabei gem. § 37 Abs. 1 S. 2 SGB II gesondert zu beantragen.
Dass in der Sache zu Gunsten des Klägers ein Anspruch auf Gewährung einer solchen Erstausstattung besteht, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Der Beklagte ist zur Erfüllung dieses Anspruchs aber nicht passivlegitimiert, d.h. er ist nicht der hierfür zuständige Träger.
Die Erbringung einer Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten fällt gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II in den Verantwortungsbereich des kommunalen Trägers, der entweder als zugelassener kommunaler Träger gem. §§ 6a, 6b SGB II selbstständig agiert oder gem. § 44b SGB II zusammen mit der Agentur für Arbeit Teil einer gemeinsamen Einrichtung ist.
Für die Frage der örtlichen Zuständigkeit als solches bestimmt § 36 Abs. 1 SGB II in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung:
„Für die Leistungen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 ist die Agentur für Arbeit zuständig, in deren Bezirk die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für die Leistungen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 ist der kommunale Träger zuständig, in dessen Gebiet die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 an Minderjährige, die Leistungen für die Zeit der Ausübung des Umgangsrechts nur für einen kurzen Zeitraum beanspruchen, ist der jeweilige Träger an dem Ort zuständig, an dem die umgangsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Kann ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht festgestellt werden, so ist der Träger nach diesem Buch örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Für nicht erwerbsfähige Personen, deren Leistungsberechtigung sich aus § 7 Absatz 2 Satz 3 ergibt, gelten die Sätze 1 bis 4 entsprechend.“
Nach Auffassung des BSG (Urteil vom 23.05.2012, Az.: B 14 AS 156/11 R, Leitsätze bzw. Rn. 23 f.) folge weder aus § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II a.F. (= § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II n.F.) noch aus § 36 SGB II, dass es wegen der örtlichen Zuständigkeit für die Erbringung dieser Leistungen auf den Ort der auszustattenden Unterkunft ankomme. Auch insoweit sei für die örtliche Zuständigkeit maßgeblich allein der Aufenthalt der Leistungsberechtigten im Zeitpunkt der Antragstellung. Zwar sei der Anspruch auf Erstausstattung einer Wohnung bedarfsbezogen, also bezogen auf den Ausstattungsbedarf für eine bestimmte Wohnung zu prüfen. Daraus folge aber keine Regelung für die örtliche Zuständigkeit. Solche ausdrücklichen Zuständigkeitsregelungen, die nicht an den Aufenthalt der leistungsberechtigten Person, sondern an den Ort der Unterkunft anknüpfen würden, treffe allein § 22 Abs. 3 S. 1 SGB II (in der seit dem 1.8.2006 geltenden Fassung des Fortentwicklungsgesetzes; jetzt § 22 Abs. 6 S. 1 SGB II) für Kosten des Umzuges einerseits und Wohnungsbeschaffungskosten andererseits. Nur insoweit habe der Gesetzgeber eine Regelung abweichend von der allgemeinen örtlichen Zuständigkeit geschaffen. Schon weil § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II a.F. (= § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II n.F.) als weitere bedarfsbezogene Leistung für die Unterkunft nicht zugleich (und auch nicht in der Folge) geändert worden sei, knüpfe insoweit die Zuständigkeit entsprechend dem Grundgedanken des § 36 SGB II allein an den Aufenthalt der leistungsberechtigten Person bei Antragstellung an.
Entsprechend den vorstehend wiedergegebenen Ausführungen soll es nach Auffassung des BSG also primär auf den Aufenthalt des Leistungsberechtigten im Zeitpunkt der Antragstellung ankommen.
Die erkennende Kammer schließt sich stattdessen der sinngemäßen Auffassung der B. des hiesigen Gerichts – geäußert beispielsweise in einem Erörterungstermin am 28.01.2019 im Verfahren S 15 AS 13/19 ER – an, dass damit die Prüfung der Zuständigkeit noch nicht zu Ende ist:
So richtet sich die örtliche Zuständigkeit – anders als z.B. nach § 327 Abs. 1 SGB Ill – nicht dauerhaft danach, wo die leistungsberechtigte Person bei Eintritt der leistungsbegründenden Tatbestände ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder in Ermangelung eines gewöhnlichen Aufenthalts ihren tatsächlichen Aufenthalt gehabt hat. Es ist vielmehr – wie im Recht der Sozialhilfe – für jeden Leistungstag zu prüfen, wo die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen bzw. tatsächlichen Aufenthalt habe, so dass eine Änderung des gewöhnlichen bzw. tatsächlichen Aufenthalts auch einen Zuständigkeitswechsel zur Folge habe (Aubel, in: jurisPK-SGB II, § 36 Rn. 44, Stand: 27.06.2019). Die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes in den örtlichen Zuständigkeitsbereich eines anderen Grundsicherungsträgers bzw. Wahrnehmungszuständigen hat also zugleich zwingend einen gesetzlichen Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zur Folge (Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 36 Rn. 135, Stand: 02/17; Böttiger, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. (2017), § 36 Rn. 34, 52; Jenak, in: Oestreicher/Decker, SGB II, § 36 Rn. 34 Stand: 85. EL Oktober 2018; Striebinger in: Gagel, SGB II, § 36 Rn. 21, Stand: 71. EL September 2018).
Ergänzend sei seitens der erkennenden Kammer angemerkt, dass vom BSG unbeantwortet bleibt, warum die hier aufgezeigte regelhafte Veränderung der örtlichen Zuständigkeit für die Beantragung einer Wohnungserstausstattung unbeachtlich bleiben soll. Abgesehen davon fehlt im Wortlaut des § 36 Abs. 1 SGB II auch jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass es entsprechend der Auffassung des BSG (s.o.) allein auf den Aufenthalt im Zeitpunkt der Antragstellung ankommen soll.
Im Sinne der hier vertretenen Auffassung eines Zuständigkeitswechsels hat jedenfalls auch das LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 27.07.2016, Az.: L 29 AS 544/13, Rn. 72 i.V.m. Rn. 40) entschieden, auch wenn es auf die Thematik nicht näher eingegangen ist.
2. Das Gericht macht von dem ihm durch § 75 Abs. 5 SGG eingeräumten Ermessen (dazu Schmidt, in: Mayer-Ladewig, SGG, 12. Aufl. (2017), § 75 Rn. 18c) Gebrauch, indem es den Beigeladenen verurteilt, die dem Kläger von dort bereits darlehensweise gewährte Erstausstattung stattdessen zuschussweise zu gewähren.
Einer solchen Verurteilung stehen die Bescheide des Beigeladenen vom 29.08.2018 bzw. 05.09.2018 und vom 20.09.2018 als auch der Erlass des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2018 nicht entgegen.
Zwar kann der Beigeladene nicht verurteilt werden, wenn bei ihm schon ein Vorverfahren durchgeführt worden ist und der Beigeladene den Anspruch durch bindenden Verwaltungsakt abgelehnt hat (Schmidt, a.a.O., § 75 Rn. 18b m.w.N.; ebenso Littmann, in: Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Aufl. (2017), § 75 Rn. 16).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger gegen den Bescheid vom 20.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2018 Klage erhoben. Die Klage ist gegenwärtig noch unter dem Az. anhängig. Dass nicht explizit gegen die Bescheide vom 29.08.2018 bzw. 05.09.2018 Widerspruch bzw. Klage erhoben worden ist, sieht das erkennende Gericht als unschädlich an. Denn entweder ist der Widerspruch vom 02.10.2018 erweiternd auch als Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.09.2018, der seinerseits im Verhältnis zum Bescheid vom 29.08.2018 als Zweitbescheid einzustufen ist (zur den Klageweg wiedereröffnenden Wirkung eines Zweitbescheides siehe etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.10.2009, Az.: L 3 AS 668/09, Rn. 39 m.w.N.), auszulegen. Oder der Widerspruchsbescheid selbst enthält, weil sich der Beklagte auf den entsprechenden Einwand des Klägers in dessen Widerspruch hin auf eine Sachprüfung der Frage einer zuschussweisen Leistung eingelassen hat, eine gegenüber den Bescheiden vom 29.08.2018 bzw. 05.09.2018 neue eigenständige und sei es rein überprüfende Regelung.
Was den Umfang des zuzusprechenden Anspruchs auf Erstausstattung angeht, wurden von keiner Seite Bedenken vorgebracht, dass es sich bei den vom Kläger bereits mithilfe des vom Beigeladenen gewährten Darlehens angeschafften Gegenständen nicht um solche handeln würde, die vom Begriff der Wohnungserstausstattung i.S.d. § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II erfasst wären. Ebenso wenig wurde vorgebracht, dass noch ein Bedarf hinsichtlich der Wohnungserstausstattung offen wäre.
3. Aus den genannten Gründen war der Klage daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben. Im Übrigen war sie abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG und berücksichtigt dabei den Erfolg des Klägers zu Lasten des Beigeladenen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben