Europarecht

Befristete einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung

Aktenzeichen  21 O 9793/21

Datum:
29.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 37988
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG § 58 Abs. 1, § 83
ZPO § 924, § 927, § 935, § 942

 

Leitsatz

1. Nach der Rechtsprechung des Landgerichts München I ist es für den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentsachen grundsätzlich nicht notwendig, dass das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat; ausreichend ist bereits ein mit hoher Wahrscheinlichkeit zu prognostizierender, d.h. hinreichend gesicherter, Rechtsbestand des Verfügungspatents (Bestätigung von LG München I GRUR 2021, 466 – Rechtsbestand im Verfügungsverfahren). (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Überzeugungsbildung des Verletzungsgerichts hinsichtlich des Rechtsbestands des Verfügungspatents wird vom jeweiligen Verfahrensstadium des Nichtigkeitsverfahrens beeinflusst: Je weiter das Nichtigkeitsverfahren fortgeschritten ist und je deutlicher hierbei eine für die Nichtigkeitsbeklagte negative Tendenz erkennbar wird, umso schwerer wird es dem Verletzungsgericht fallen, vom Rechtsbestand des Verfügungspatents überzeugt sein zu können.  (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Hinweis gemäß § 83 PatG stellt als vorläufige Einschätzung des Bundespatentgerichts ein von dem Verletzungsgericht in besonderem Maße zu würdigendes Indiz dar. Gleichwohl kann eine ihrer Natur nach nur vorläufige Einschätzung des Rechtsbestands die Möglichkeit der Durchsetzung eines Patents im Wege der einstweiligen Verfügung nicht per se ausschließen; vielmehr sind insbesondere eine etwaige Ergebnisoffenheit des Hinweises, die Art und Gewichtigkeit der technischen Argumente sowie die Begründungstiefe von Bedeutung (Bestätigung vo OLG Düsseldorf GRUR-RS 2021, 4420). (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung der gegenläufigen Interessen überwiegt trotz eines negativen Hinweises des Bundespatentgerichts zum Rechtsbestand das Interesse der Patentinhaberin, bis zur kurz bevorstehenden Entscheidung des Bundespatentgerichts über den Rechtsbestand des Verfügungspatents vor dem Markteintritt eines Generikums für ihr Originalpräparat geschützt zu sein. (Rn. 102 – 108) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Den Antragsgegnerinnen wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an dem jeweiligen gesetzlichen Vertreter, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu insgesamt zwei Jahren,
untersagt,
Arylharnstoff-Verbindungen, die ein Tosylatsalz von N-(4-Chlor-3-(trifluormethyl) phenyl)- N’-(4-(2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy) phenyl) harnstoff sind,
insbesondere als pharmazeutisches Produkt unter der Bezeichnung „S. 200 mg Filmtabletten“,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen und/oder diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen bzw. diese zu diesen Handlungen zu veranlassen;
und
einen Antrag auf Aufnahme von Produkten mit dem Wirkstoff Sorafenibtosilat bzw. Sorafenibtosylat in die IFA-Datenbank und/oder auf Veröffentlichung in den IFA-Informationsdiensten zu stellen;
wobei das Verbot zeitlich begrenzt bis zum 29. September 2021 gilt.
Ferner werden die Antragsgegnerinnen verpflichtet, bereits gestellte Anträge auf Aufnahme von Produkten mit dem Wirkstoff Sorafenibtosilat bzw. Sorafenibtosylat in die IFA-Datenbank und/oder auf Veröffentlichung in den IFA-Informationsdiensten zurückzunehmen.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerinnen haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und überwiegend begründet.
A. Zulässigkeit
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht München I sachlich, örtlich und international zuständig, § 143 PatG, §§ 937, 32 ZPO i.V.m. § 38 Nr. 1 BayGZVJu, Art. 7 Abs. 2 EuGVVO.
B. Begründetheit
Der Antrag ist auch begründet, da das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs und eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht ist.
I. Verfügungsanspruch
1. Die Antragstellerin zu 1) ist als Patentinhaberin des Verfügungspatents aktivlegitimiert.
Auch die Antragstellerin zu 2) ist als ausschließliche Lizenznehmerin aktivlegitimiert. Der diesbezügliche Vortrag der Antragstellerin zu 2) wurde durch die Antragsgegnerinnen – nach Vorlage der teilweise geschwärzten Lizenzverträge in der mündlichen Verhandlung am 26.07.2021 (Anlagenkonvolut ASt 24) – nicht weiter bestritten (Bl. 46 d.A.).
2. Die Rechtsverletzung durch das Produkt S. 200 mg Filmtabletten als Generikum zu Abc ist unstreitig.
3. Die Beantragung der Marktzulassung für das Produkt S. 200 mg Filmtabletten als Generikum zu Abc durch die Antragsgegnerin zu 1) und deren Erteilung, der Antrag der Antragsgegnerin zu 1) auf Aufnahme des Produkts in die IFA-Datenbank und auf Veröffentlichung in den IFAInformationsdiensten, die Mitteilung der IFA vom 13.07.2021, ihr sei aufgrund eines Beschlusses des Landgerichts Frankfurt vom 12.07.2021 untersagt, die Substanz „Sorafenibtosilat“ als Prüfungsmerkmal anzuwenden, sowie die Antwortschreiben der Antragsgegnerin zu 2) vom 29.06.2021 (Anlage ASt 9) und 15.07.2021 (Anlage ASt 11) begründen in der Gesamtschau eine Erstbegehungsgefahr für patentverletzende Handlungen der Antragsgegnerinnen bezogen auf S. 200 mg Filmtabletten als Generikum zu Abc.
Die Antragsgegnerinnen haben trotz entsprechender Aufforderung der Antragstellerseite, bis zum 29.06.2021 zu bestätigen, dass sie die in dem Schreiben aufgeführten Schutzrechte und damit auch das Verfügungspatent respektieren werden (Anlage ASt 8), keine entsprechende Erklärung abgegeben. Vielmehr hat die Antragsgegnerin zu 2) im Schreiben vom 29.06.2021 (Anlage ASt 9) erklärt, dass sie nicht vorhabe, Sorafenib-Produkte in Deutschland vor Auslauf des relevanten ergänzenden Schutzzertifikats am 21.07.2021 auf den Markt zu bringen. Bezüglich des Verfügungspatents erklärte die Antragsgegnerin zu 2), dieses könne den Markteintritt von „sorafenib …“ nach Ablauf des ergänzenden Schutzzertifikats nicht verhindern, es seien Nichtigkeitsklagen anderer Mitbewerber in verschiedenen Ländern anhängig und der Rechtsbestand des Verfügungspatents sei eindeutig zweifelhaft, wie der vorläufigen Einschätzung des Bundespatentgerichts zu entnehmen sei (Anlage ASt 9). Auch auf die erneute Aufforderung mit Schreiben vom 08.07.2021, bis zum 15.07.2021 unmissverständlich und ernstlich zu erklären, die Antragsgegnerin zu 2) würde den Rechtsbestand des Anspruchs 12 des Verfügungspatents respektieren und von Verletzungshandlungen sämtlicher Art auch nach dem 21.07.2021 Abstand zu nehmen (Anlage ASt 10), wurde keine entsprechende Erklärung abgegeben. Vielmehr erklärte die Antragsgegnerin zu 2) mit Schreiben vom 15.07.2021, sie habe bereits in ihrem Schreiben vom 29.07.2021 ihre Auffassung zum Rechtsbestand des Verfügungspatents dargelegt und werde die geforderte Erklärung nicht abgeben (Anlage ASt 11). Auch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens wurde keine entsprechende Erklärung von der Antragsgegnerseite abgegeben. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist eine Erstbegehungsgefahr zu bejahen.
4. Die Antragsgegnerin zu 1) ist passivlegitimiert, da sie Inhaberin der Marktzulassung für das streitgegenständliche Generikum „S. 200 mg Filmtabletten“ ist und die Anträge bei der IFA auf Aufnahme des Generikums in die IFA-Datenbank und auf Veröffentlichung in den IFA-Informationsdiensten gestellt hat. Auch die Antragsgegnerin zu 2) ist passivlegitimiert, da sie auf das an die Antragsgegnerin zu 1) gerichtete Schreiben der Antragstellerseite vom 14.07.2021 (Anlage ASt 8) mit Schreiben vom 29.06.2021 (Anlage ASt 9) geantwortet, hierbei insgesamt für „…“ ihre rechtliche Auffassung dargelegt und sich insbesondere auch zur Frage der Markteinführung in Deutschland geäußert hat („Please note that … does not intend to launch any Sorafenib product in Germany before July 21st, 2021, (…).“). Welche konzerninternen Hintergründe hierbei eine Rolle gespielt haben, ist angesichts dieser allgemein für den „…“-Konzern getätigten und zugleich speziell auf den deutschen Markt bezogenen Äußerungen durch Mitarbeiterinnen der Antragsgegnerin zu 2) unerheblich.
II. Verfügungsgrund
1. Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, dass sie die im OLG-Bezirk München im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes geltende Monatsfrist ab Kenntnis von Tat und Täter unter den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls eingehalten haben.
Im OLG-Bezirk München ist im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes grundsätzlich eine Dringlichkeitsfrist von einem Monat ab Kenntnis von Tat und Täter einzuhalten. Soweit der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Besitz der notwendigen Glaubhaftmachungsmittel ist, um mit einigen Erfolgsaussichten einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen, so ist die zur Erlangung dieser Glaubhaftmachungsmittel notwendige Zeit hinzuzuaddieren, soweit der Antragsteller durchgängig zügig vorgeht und alsbald nach dem Vorliegen dieser Glaubhaftmachungsmittel den Verfügungsantrag stellt (Nachweise bei Retzer, in: Harte/Henning, UWG, 4. Aufl. 2016, Anh. zu § 12 Rn. 957).
Bei Zugrundelegung der oben dargelegten Maßstäbe haben die Antragstellerinnen die Monatsfrist für die Beantragung der vorliegenden einstweiligen Verfügung durch ihre Antragsschrift vom 19.07.2021 gewahrt.
Für den Beginn der Monatsfrist kann nicht an die Beantragung und die Erteilung der Marktzulassung für das Generikum S. 200 mg Filmtabletten angeknüpft werden, da diese für sich genommen keine Erstbegehungsgefahr begründen (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.2006, Az. X ZR 76/05, juris – Simvastatin). Vielmehr ist für den Beginn der Monatsfrist das zweite Antwortschreiben der Antragsgegnerseite vom 15.07.2021 (Anlage ASt 11) maßgeblich, weil darin die Antragsgegnerseite auf die explizite Aufforderung mit Schreiben vom 08.07.2021, bis zum 15.07.2021 unmissverständlich und ernstlich zu erklären, sie würde den Rechtsbestand des Anspruchs 12 des Verfügungspatents respektieren und von Verletzungshandlungen sämtlicher Art auch nach dem 21.07.2021 Abstand zu nehmen (Anlage ASt 10), mitteilte, dass sie die geforderte Erklärung nicht abgeben werde. Die Antragsschrift vom 19.07.2021 ist am 20.07.2021 und damit innerhalb der Monatsfrist bei Gericht eingegangen.
2. Ein Verweis auf ein Hauptsacheverfahren ist den Antragstellerinnen nicht zuzumuten. Der Unterlassungsanspruch steht dem Patentinhaber nur während der begrenzten Laufzeit des Patents zur Verfügung. Die Restlaufzeit des Verfügungspatents beträgt im vorliegenden Fall nur noch ca. 15 Monate. Hiervon wäre voraussichtlich jedenfalls ein sehr erheblicher Anteil bereits verstrichen, bis die Antragstellerinnen im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens gegebenenfalls ein vorläufig vollstreckbares Urteil, gerichtet auf Unterlassung, erhalten würden. Der Unterlassungsanspruch ist das Wesensmerkmal eines Ausschließlichkeitsrechts, wie das Patent eines ist, und stellt gleichzeitig auch die schärfste Waffe des Patentinhabers dar (LG München I BeckRS 2021, 17662, Rn. 73). Im vorliegenden Fall wäre dabei die Versagung eines Unterlassungsanspruchs bis zu einem vorläufig vollstreckbaren Urteil in der Hauptsache für die Antragstellerinnen besonders gravierend, da nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerseite (Bl. 35/36 d.A.) der Markteintritt eines Generikums zu einem massiven Verfall des Preises für ein Originalpräparat führen würde, der auch nicht wiederhergestellt werden könne, wenn das Generikum zu einem späteren Zeitpunkt, d.h. infolge eines vorläufig vollstreckbaren erstinstanzlichen Urteils, wieder vom Markt genommen werde. Preisreduzierungen in Höhe von etwa 67%- 77% seien in derartigen Fällen nicht unüblich. Bei Eintritt des ersten Generikums auf den Markt endeten Abnahmeverträge für das Originalarzneimittel Abc entweder automatisch und sofort oder seien kurzfristig kündbar. Diese Abnahmeverträge würden bei Rückzug der Generika vom Markt auch nicht wieder aufleben, sondern müssten neu ausgehandelt werden. Der Preis des Originalpräparats sei in vergangenen Fällen, in denen Generikahersteller ihre Nachahmerpräparate nach erfolgtem Markteintritt wieder vom Markt nehmen mussten, für die Restlaufzeit des Patentschutzes bzw. der Marktexklusivität in der Regel substanziell unterhalb des vorherigen Preises verblieben. Zur Glaubhaftmachung dieser Aspekte haben die Antragstellerinnen eine eidesstattliche Versicherung der Frau Laura Mauss, Head of Pricing and Reimbursement bei der N Vital GmbH, der deutschen Vertriebsgesellschaft von N, vom 14.07.2021 vorgelegt (Anlage ASt 23). Diese Erwägungen liegen auch der Rechtsprechung zum drohenden Markteintritt eines Generikums als Sonderfall im Rahmen von einstweiligen Verfügungsverfahren zugrunde (vgl. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236, 240 – Flupirtin-Maleat; LG München I BeckRS 2017, 126085, Rn. 54 – TRUVADA).
3. Der Rechtsbestand des Verfügungspatents ist hinreichend gesichert.
a) Aus Sicht der Kammer sind hinsichtlich des insoweit geltenden Prüfungsmaßstabs folgende allgemeine Erwägungen maßgeblich:
aa) Nach der Rechtsprechung des Landgerichts München I ist es für den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentsachen grundsätzlich nicht notwendig, dass das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat; ausreichend ist bereits vielmehr – neben der Glaubhaftmachung einer Patentverletzung sowie der zeitlichen Dringlichkeit – ein mit hoher Wahrscheinlichkeit zu prognostizierender, d.h. hinreichend gesicherter, Rechtsbestand des Verfügungspatents. Grund hierfür ist, dass anderenfalls, d.h. wenn ein unbeschadetes Überstehen eines erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren als erforderlich erachtet würde, für einen erheblichen Zeitraum ein einstweiliger Rechtsschutz aus einem erteilten Schutzrecht faktisch ausgeschlossen wäre (LG München I GRUR 2021, 466 – Rechtsbestand im Verfügungsverfahren; BeckRS 2017, 126085, Rn. 52 – TRUVADA). Obgleich bei Anwendung dieser allgemeinen Maßstäbe das Interesse eines Verfügungsbeklagten der gesetzlichen Regelung nach über die Schadensersatzregelung des § 945 ZPO für den Fall abgesichert ist, dass sich eine einstweilige Verfügung nachträglich als ungerechtfertigt erweisen sollte, müssen jedoch mit einem vorläufigen Unterlassungstitel gegebenenfalls verbundene, unverhältnismäßige Härten gerade auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 2 der Durchsetzungsrichtlinie vermieden werden. Daher kommt nach Auffassung der Kammer jedenfalls in Fällen, in denen sich die Unwirksamkeit eines Patents geradezu aufdrängt und ein Widerruf im Rahmen eines anhängigen Einspruchsverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, die Annahme der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendigen Dringlichkeit nicht in Betracht (LG München I GRUR-RS 2020, 31236, Rn. 28 – Schnellauflösungsformulierung II).
bb) Demgegenüber kommt nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, des Oberlandesgerichts Karlsruhe und des Oberlandesgerichts München der Erlass einer einstweiligen Verfügung – insbesondere auf Unterlassung – in Patentsachen prinzipiell nur dann in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungsschutzrechts im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand kann danach grundsätzlich nur dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungsschutzrecht bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (OLG Düsseldorf InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 112, 114 – Harnkatheter; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2009, 442 – Vorläufiger Rechtsschutz; GRUR-RR 2015, 509 – Ausrüstungssatz; OLG München GRUR 2020, 385 – Elektrische Anschlussklemme).
cc) Dieser Meinungsstreit kann jedoch vorliegend dahinstehen, da auch nach der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in Sonderfällen von dem Erfordernis einer dem Antragsteller günstigen kontradiktorischen Rechtsbestandsentscheidung abgesehen werden kann. Ein derartiger Sonderfall kommt u.a. in Betracht, wenn (z.B. mit Rücksicht auf die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile) außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die es für den Antragsteller ausnahmsweise unzumutbar machen, den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten (OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; OLG München GRUR 2020, 385 – Elektrische Anschlussklemme). Derartige außergewöhnliche Umstände sind regelmäßig zu bejahen, wenn – wie im vorliegenden Fall – Verletzungshandlungen durch Generikaunternehmen in Rede stehen (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat). Während nämlich der von ihnen angerichtete Schaden im Falle einer späteren Aufrechterhaltung des Patents vielfach enorm und (mit Rücksicht auf den durch eine entsprechende Festsetzung von Festbeträgen verursachten Preisverfall) nicht wiedergutzumachen ist, hat eine (wegen späterer Vernichtung des Patents) unberechtigte Verfügung lediglich zur Folge, dass das Generikaunternehmen vorübergehend zu Unrecht vom Markt ferngehalten wird, was durch entsprechende Schadenersatzansprüche gegen den Patentinhaber vollständig ausgeglichen werden kann. Berücksichtigt man außerdem, dass das Generikaunternehmen für seine Marktpräsenz im Allgemeinen keine eigenen wirtschaftlichen Risiken eingeht (weil das Präparat dank des Patentinhabers medizinisch hinreichend erprobt und am Markt etabliert ist), hat eine Verbotsverfügung zu ergehen, auch wenn für das Verletzungsgericht wegen des Fehlens eines fachkundigen Votums zum Rechtsbestand keine endgültige Sicherheit über den Bestand des Verfügungsschutzrechts gewonnen werden kann. Erforderlich ist aber, dass das Verletzungsgericht die Überzeugung von der Rechtsbeständigkeit des Verfügungsschutzrechts gewonnen hat. Hierfür müssen aus der Sicht des Verletzungsgerichts entweder die besseren Argumente für die Patentfähigkeit sprechen, so dass sich diese positiv bejahen lässt, oder es muss (mit Rücksicht auf die im Rechtsbestandsverfahren geltende Beweislastverteilung) die Frage der Patentfähigkeit mindestens ungeklärt bleiben, so dass das Verletzungsgericht, wenn es anstelle des Patentamts oder des Bundespatentgerichts in der Sache selbst zu befinden hätte, dessen Rechtsbestand zu bejahen hätte (OLG Düsseldorf GRUR 2020, 272, Rn. 8 – Hydroxysubstituierte Azetidinone; GRUR-RS 2017, 142305, Rn. 15 – Kombinationszusammensetzung; GRUR-RS 2014, 4902 – Desogetrel; so auch der Vortrag der Antragsgegnerinnnen, Schutzschrift, S. 9). Mit anderen Worten: Ausreichend, aber auch notwendig sind eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür und eine darauf gegründete subjektive Überzeugung des Verletzungsgerichts davon, dass das Verfügungsschutzrecht einen Angriff auf seinen Rechtsbestand unbeschadet überstehen wird (LG München I BeckRS 2017, 126085, Rn. 54 – TRUVADA).
dd) Dass im vorliegenden Fall bereits zwei Hinweise des Bundespatentgerichts gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 PatG vom 01.04.2021 und 21.04.2021 (Anlagen ASt 12 und ASt 13) ergangen sind, die sich nach dem damaligen Verfahrensstand im Nichtigkeitsverfahren tendenziell gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents aussprechen (im Einzelnen hierzu sogleich), ist im Rahmen der Rechtsbestandsprognose zu berücksichtigen, führt aber aus Sicht der Kammer nicht zu einer grundsätzlichen Änderung des geltenden Prüfungsmaßstabs. Unabhängig vom jeweiligen Stadium des Nichtigkeitsverfahrens ist ein hinreichend gesicherter Rechtsbestand zu bejahen, wenn nach der subjektiven Überzeugung des Verletzungsgerichts das Verfügungsschutzrecht einen Angriff auf seinen Rechtsbestand unbeschadet überstehen wird. Hierbei ist stets auch die Beweislastverteilung im Nichtigkeitsverfahren in den Blick zu nehmen (vgl. (OLG Düsseldorf GRUR 2020, 272, Rn. 8 – Hydroxysubstituierte Azetidinone; GRUR-RS 2017, 142305, Rn. 15 – Kombinationszusammensetzung; GRUR-RS 2014, 4902 – Desogetrel), wobei die materielle Beweislast für das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrunds grundsätzlich (zur Ausnahme der wirksamen Insanspruchnahme der Priorität, siehe sogleich unten) die Nichtigkeitsklägerin trägt (BGH GRUR 2016, 1260, Rn. 29 – Yttrium-Aluminium-Granat; GRUR 2015, 472, Rn. 43 – Stabilisierung der Wasserqualität; NJW-RR 1999, 834, 836 – Herzklappenprothese; GRUR 1984, 339, 340 – Überlappungsnaht; Asendorf/Schmidt, in: Benkard, 11. Aufl. 2015, § 4 Rn. 38).
Die Überzeugungsbildung des Verletzungsgerichts hinsichtlich des Rechtsbestands des Verfügungspatents wird aber vom jeweiligen Verfahrensstadium des Nichtigkeitsverfahrens beeinflusst: Je weiter das Nichtigkeitsverfahren fortgeschritten ist und je deutlicher hierbei eine für die Nichtigkeitsbeklagte negative Tendenz erkennbar wird, umso schwerer wird es dem Verletzungsgericht fallen, vom Rechtsbestand des Verfügungspatents überzeugt sein zu können. Hierbei lassen sich in einem Verfahren wie dem vorliegenden, in dem kein Einspruchsverfahren stattgefunden hat, grundsätzlich drei Phasen des Nichtigkeitsverfahrens unterscheiden: (1) zwischen Klageerhebung und Erteilung eines Hinweises gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 PatG, (2) zwischen Hinweis und erstinstanzlicher Entscheidung sowie (3) nach Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung.
(1) Vor Ergehen eines Hinweises gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 PatG stellt die Patenterteilung die einzige Entscheidung einer inländischen fachkundigen Stelle dar, die gemäß § 58 Abs. 1 S. 3 PatG mit Veröffentlichung ihre gesetzlichen Wirkungen entfaltet. Das Verletzungsgericht kann und wird seine Überzeugung daher allein auf der Grundlage des Vorbringens der Parteien im Verletzungsverfahren bilden. Die gegen oder für den Rechtsbestand vorgebrachten Tatsachen und Glaubhaftmachungsmittel können jedoch grundsätzlich nur Berücksichtigung finden, wenn sie bereits als Tatsachenvortrag oder Beweismittel in das Nichtigkeitsverfahren eingeführt wurden, ein Einbringen im Nichtigkeitsverfahren ernstlich und glaubhaft angekündigt wurde oder jedenfalls objektiv zu erwarten sind. Trotz des im Nichtigkeitsverfahren grundsätzlich bestehenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 87 Abs. 1 S. 1 PatG) kann andernfalls eine Berücksichtigung im Nichtigkeitsverfahren nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, da das als kontradiktorisches Streitverfahren ausgeprägte Nichtigkeitsverfahren in besonderem Maße der Disposition der Parteien Rechnung trägt (vgl. BGH BeckRS 2013, 12864 – Arretiervorrichtung; Keukenschrijver, in: Busse/Keukenschrijver, 9. Aufl. 2020, § 82 Rn. 91; Meier-Beck, GRUR 2014, 1033, 1038, Fn. 35). So obliegt es der Nichtigkeitsklägerin, vorzutragen und geltend zu machen, auf welchen (technischen) Sachverhalt sie ihr Vorbringen stützt, und insoweit ihren Vortrag zu den verfahrensgegenständlichen Nichtigkeitsgründen zu substantiieren (vgl. BGH BeckRS 2013, 12864 – Arretiervorrichtung; Keukenschrijver, in: Busse/Keukenschrijver, 9. Aufl. 2020, § 82 Rn. 91; Meier-Beck, GRUR 2014, 1033, 1038, Fn. 35). Dies gilt insbesondere für das Vorlegen entsprechender Entgegenhaltungen durch die Nichtigkeitsklägerin (vgl. Meier-Beck, GRUR 2014, 1033, 1038, Fn. 35). Zu berücksichtigen ist schließlich die im Nichtigkeitsverfahren geltende Beweislastverteilung (s.o.).
(2) Ist bereits ein negativer Hinweis des Bundespatentgerichts ergangen, d.h. ein Hinweis, der eine Tendenz gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents erkennen lässt, ist für die Überzeugungsbildung des Verletzungsgerichts eine eingehende, einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit dem konkreten Inhalt des Hinweises erforderlich. Dabei stellt ein Hinweis gemäß § 83 PatG als vorläufige Einschätzung des für den Rechtsbestand zuständigen und mit technisch fachkundigen Richtern besetzten Spruchkörpers des Bundespatentgerichts ein von dem Verletzungsgericht in besonderem Maße zu würdigendes Indiz dar. Gleichwohl kann eine ihrer Natur nach eben nur vorläufige negative Einschätzung des Rechtsbestands die Möglichkeit der Durchsetzung eines Patents im Wege der einstweiligen Verfügung nicht per se ausschließen. Vielmehr sind insbesondere eine etwaige – gegebenenfalls in einzelnen Formulierungen zum Ausdruck kommende – Ergebnisoffenheit des Hinweises, die Art und Gewichtigkeit der technischen Argumente sowie die Begründungstiefe (vgl. OLG Düsseldorf GRUR-RS 2021, 4420, Rn. 23 f. – Cinacalcet II; LG München I BeckRS 2017, 126085, Rn. 57 – TRUVADA) von Bedeutung, wobei gegebenenfalls zwischen den einzelnen Argumenten, die dem Rechtsbestand nach vorläufiger Ansicht des Bundespatentgerichts (möglicherweise) entgegenstehen, zu differenzieren ist. Auch in diesem Stadium des Nichtigkeitsverfahrens ist für die vom Verletzungsgericht anzustellende Prognose die Beweislastverteilung im Nichtigkeitsverfahren zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob das Bundespatentgericht hierauf in seinem Hinweis ausdrücklich Bezug nimmt. Gelangt danach das Verletzungsgericht zur Überzeugung, dass die Nichtigkeitsklägerin als beweisbelastete Partei treffende Beweisfragen im Nichtigkeitsverfahren nicht eindeutig werden beantwortet werden können, ist ein hinreichend gesicherter Rechtsbestand nach dem eingangs dargelegten Grundsatz zu bejahen. Der Umstand des Vorliegens des negativen Hinweises führt dann für sich genommen nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Patent steht vielmehr unverändert in Kraft, so dass es in rechtlicher Hinsicht auch insoweit bei den gesetzlichen Wirkungen des Patents gemäß § 58 Abs. 1 S. 3 PatG bleibt. Der negative Hinweis ist aber unter Umständen als ein Aspekt im Rahmen der Interessenabwägung unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu berücksichtigen (s.u.).
(3) Ist schließlich bereits eine erstinstanzlichen Nichtigerklärung ergangen, wird dagegen eine Überzeugung des Verletzungsgerichts, das Verfügungspatent werde das Nichtigkeitsverfahren unbeschadet überstehen, nur ausnahmsweise bei evidenter Unrichtigkeit dieser Entscheidung in Betracht kommen (vgl. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2008, 329, 331 – Olanzapin; LG München I BeckRS 2015, 7460 – Google Maps; BeckRS 2017, 126085, Rn. 55 f. – TRUVADA BeckRS 2019, 6166, Rn. 113 – Pemetrexed).
b) Im vorliegenden Fall ist – auch unter Berücksichtigung der Hinweise des Bundespatentgerichts vom 01.04.2021 (Anlage ASt 12) und 21.04.2021 (Anlage ASt 13) – ein hinreichend gesicherter Rechtsbestand des Verfügungspatents zu bejahen. Nach den Hinweisen des Bundespatentgerichts sowie dem Vorbringen der Parteien kommt es vorliegend für die Prüfung des hinreichend gesicherten Rechtsbestands auf die Fragen der Priorität bzw. Neuheit des Verfügungspatents gegenüber den Entgegenhaltungen NiK8 und NiK9 im Nichtigkeitsverfahren, der Neuheit gegenüber der Entgegenhaltung WO ’012 (Anlage ASt 16 bzw. NiK4 im Nichtigkeitsverfahren), der erfinderischen Tätigkeit gegenüber den Entgegenhaltungen NiK2 und NiK4 sowie der unzulässigen Erweiterung an.
Im Einzelnen:
aa) Nach dem Vorbringen der – im Hinblick auf die wirksame Inanspruchnahme der Priorität im Nichtigkeitsverfahren darlegungs- und beweispflichtigen (vgl. Hinweis des Bundespatentgerichts vom 01.04.2021, Anlage ASt 12, S. 2/3) – Antragstellerseite erscheint es – auch unter Berücksichtigung der Hinweise des Bundespatentgerichts vom 01.04.2021 (Anlage ASt 12) und 21.04.2021 (Anlage ASt 13) – hinreichend gesichert, dass Anspruch 12 des Verfügungspatents nicht neuheitsschädlich durch die in den Heften 8 und 25 des Jahres 2002 der Zeitschrift Current Pharmaceutical Design erschienenen Aufsätze NiK8 und NiK9 vorweggenommen ist, da das Verfügungspatent seine Priorität aus der amerikanischen Anmeldung US ’609 vom 03.12.2001 wirksam in Anspruch nimmt.
(1) Das Bundespatentgericht hat in seinem Hinweis vom 01.04.2021 angemerkt, dass sich aus der bislang nur seitens der Nichtigkeitsklägerin als NiK7 zur Akte gereichten Prioritätsschrift US ’609 nicht einmal die Identität der Erfinder ergebe, so dass es auch hierzu weiterer Angaben und Belege bedürfe. Sofern die Nichtigkeitsbeklagte weiter die Priorität aus der US ’609 in Anspruch nehmen wolle, müsse sie diesbezüglichen fehlenden Vortrag und die erforderlichen Belege innerhalb der Äußerungsfrist nachholen (Anlage ASt 12, S. 2/3). Auf Nachfrage der Nichtigkeitsbeklagten bzw. hiesigen Antragstellerin zu 1) mit Schriftsatz vom 14.04.2021 wies das Bundespatentgericht mit Hinweis vom 21.04.2021 ergänzend darauf hin, dass die bibliografischen Angaben im Dokument NIB1 Annex 5 (liegt hier nicht vor) indiziell dafür sprächen, dass die Voranmeldung von den dort genannten 18 Erfindern angemeldet wurde, die tatsächliche Voranmeldung aber bislang nicht zur Akte gereicht worden sei (Anlage ASt 13, S. 1).
In der Schutzschrift vom 14.07.2021 haben die Antragsgegnerinnen – unter Bezugnahme auf die oben genannten Hinweise des Bundespatentgerichts – vorgetragen, die Antragstellerseite habe bislang noch keinen Nachweis über die tatsächlichen Anmelder der Prioritätsanmeldung erbracht, da diese ohne Nennung der Erfinder eingereicht worden sei (Anlage AR 7 = Anlage ASt 14 NIB6A). Das Register des USPTO zeige nunmehr unter „Inventor Information“ 18 Erfinder (Schutzschrift, S. 10).
Zu den Hinweisen des Bundespatentgerichts vom 01.04.2021 und 21.04.2021 hat die Antragstellerin zu 1) im Nichtigkeitsverfahren mit Schriftsätzen vom 14.04.2021 und 27.05.2021 ausführlich Stellung genommen, die im hiesigen Verfügungsverfahren als Anlagen ASt 14 (mit den entsprechenden Anlagen) und ASt 17 vorgelegt und deren wesentliche Argumente im hiesigen Verfügungsantrag dargelegt wurden. Hinsichtlich der Identität der Erfinder-Anmelder der amerikanischen Prioritätsschrift US ’609 erläutert die Antragstellerin zu 1), dass die Erfinder-Anmelder bei Einreichung der Prioritätsschrift im Einklang mit dem hier maßgeblichen US-Recht noch nicht benannt, sodann aber fristgemäß nachgemeldet worden seien. Das USamerikanische Patentamt (USPTO) hätte daraufhin mit Schreiben vom 15.08.2002 (Anlage ASt 14 NIB7 RT-6) bestätigt, dass die Anmeldung vollständig sei (Bl. 25 d.A.). In der internationalen Patentanmeldung WO ’579, die am 03.12.2002 unter Inanspruchnahme der Priorität der US ’609 eingereicht worden sei, seien die Erfinder-Anmelder benannt worden (Anlage ASt 14 NIB6B).
Unter Berücksichtigung dieses Vortrags und der als Anlagen vorgelegten Unterlagen ist aus Sicht der Kammer die Identität der Erfinder-Anmelder durch die Antragstellerinnen hinreichend schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht und somit mit Blick auf den im Verfügungsverfahren gemäß § 920 Abs. 2 ZPO geltenden Beweismaßstab zugleich hinreichend gesichert, dass die Antragstellerin zu 1) im Nichtigkeitsverfahren die Identität der Erfinder-Anmelder wird darlegen und beweisen können. Hierbei ist insbesondere das Schreiben des USPTO vom 15.08.2002 maßgeblich, aus dem die – mit den in der WO ’579 identischen – Namen der Erfinder-Anmelder hervorgehen und das verdeutlicht, dass die nachträgliche Benennung der Erfinder-Anmelder bezogen auf die US ’609 erfolgt ist und offensichtlich wirksam möglich ist (vgl. Anlage ASt 14 NIB7 RT- 6: „Receipt is acknowledged of this provisional Patent Application“; Anlage ASt 15, Ziff. 8/12).
(2) Weiter hat das Bundespatentgericht in seinem Hinweis vom 01.04.2021 ausgeführt, es sei „fraglich, ob das Prioritätsrecht (oder, was hierzu auch ausreichen würde, die Voranmeldung selbst) von dem Erfinder-Anmelder oder den Erfinder-Anmeldern der amerikanischen Prioritätsschrift auf die ursprüngliche Anmelderin des Streitpatents (das war die N H, LLC, Tarrytown, N.Y., US) oder deren Rechtsnachfolgerin wirksam übertragen wurde, wobei eine solche Übertragung auch noch nach Anmeldung des Streitpatents möglich gewesen wäre“ (Anlage ASt 12, S. 2). Eine solche Übertragung sei von der insoweit darlegungspflichtigen Nichtigkeitsbeklagten bislang allerdings nicht hinreichend vorgetragen oder belegt worden. Für die Übertragung des Prioritätsrechts (oder der Voranmeldung) auf die Nichtigkeitsbeklagte gelte nach ständiger Rechtsprechung amerikanisches Recht (BGH GRUR 2013, 712, Rn. 12 – Fahrzeugscheibe), dessen Regelungen von der Nichtigkeitsbeklagten ebenfalls im Einzelnen vorzutragen und zu beweisen seien. Dabei sei dem Bundespatentgericht bekannt und ergebe sich auch aus dem von der Nichtigkeitsbeklagten als NIB1 vorgelegten Gutachten (nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerseite handelt es sich hierbei um das im vorliegenden Verfahren als Anlage ASt 15 vorgelegte Gutachten von Prof. J. R. T vom 03.08.2020, s.u.), dass das insoweit mangels Regelungen im Statute Law allein einschlägige Common Law der amerikanischen Rechtspraxis zwischen der für eine wirksame Übertragung noch nicht ausreichenden bloßen Verpflichtung zur Übertragung und dem Übertragungsvorgang selbst unterscheide, der nach amerikanischem Recht wohl auch schon vor Anmeldung der Prioritätsschrift möglich sei (in deutscher Rechtsterminologie werde eine solche im Voraus vollzogene Übertragung als Vorausabtretung bezeichnet). Ob nur eine Übertragungsverpflichtung oder eine allein ausreichende (Voraus-) Abtretung, deren Voraussetzungen für eine wirksame Übertragung im amerikanischen Recht im Übrigen ebenfalls näher darzulegen wären, im hier zu entscheidenden konkreten Fall vorläge, könne allerdings erst nach Vorlage der konkreten Arbeitsverträge der Erfinder-Anmelder der Prioritätsschrift beurteilt werden; ein bloßer Hinweis auf „übliche“ arbeitsvertragliche Regelungen reiche demgegenüber nicht – auch nicht indiziell – aus. Sofern die Nichtigkeitsbeklagte weiter die Priorität aus der US ’609 in Anspruch nehmen wolle, müsse sie den fehlenden Vortrag und die erforderlichen Belege innerhalb der Äußerungsfrist nachholen (Anlage ASt 12, S. 2/3).
Mit Hinweis vom 21.04.2021 wies das Bundespatentgericht ergänzend darauf hin, dass das Vorliegen wirksamer übereinstimmender Übertragungserklärungen aller 18 Erfinder-Anmelder von der Nichtigkeitsbeklagten noch darzulegen und zu beweisen sei. Bislang sei lediglich ein einziger – durch die Arbeitgeberin nicht gegengezeichneter – Arbeitsvertrag einer Erfinderin vorgelegt worden. Es sei nicht zwingend, dass die Arbeitsverträge der anderen 17 Erfinder inhaltlich identisch seien, hierbei handele es sich bislang nur um unbelegten Parteivortrag. Dies schließe auch eine „Declaration“ von Jonathan H. H vom 14.11.2014 ein, so dass die bekannten Personen ggf. als Zeugen zu vernehmen wären. Die Frage, ob die Arbeitsverträge eine zulässige Vorausabtretung enthielten, sei unstreitig nach USamerikanischem Recht zu beurteilen. Das Gutachten NIB1 selbst sei als Beweis hierfür ungeeignet, da es sich um ein Parteigutachten handele; es biete aber Anhaltspunkte genug, dieser Frage von Amts wegen nachzugehen, wozu nach Vorlage der Arbeitsverträge eine Beurteilung durch einen vom Senat bestellten Sachverständigen zu erwägen sei. Es bedürfe daher noch weiteren Vortrags, um eine Berechtigung der Nichtigkeitsbeklagten zur Inanspruchnahme der Priorität darzulegen und durch geeignete Beweismittel nachzuweisen (Anlage ASt 13, S. 1/2).
Hierzu haben die Antragsgegnerinnen in ihrer Schutzschrift – unter Bezugnahme auf die oben genannten Hinweise des Bundespatentgerichts – vorgetragen, die Übertragung des Prioritätsrechts von den 18 Erfindern auf die Antragstellerin zu 1) als Anmelderin des Verfügungspatents sei nicht nachgewiesen, da nicht alle 18 Arbeitsverträge vorgelegt worden seien und der Übertragungsvorgang von der Arbeitgeberin der Erfinder auf die Antragstellerin zu 1) nicht dargelegt worden sei (Schutzschrift, S. 11). Zudem haben sie in der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2021 vorgetragen, dass eine arbeitsvertragliche Übertragung der Rechte an der Erfindung von der Übertragung der Rechte an der Anmeldung gemäß Art. 87 EPÜ zu unterscheiden sei.
Zu den Hinweisen des Bundespatentgerichts vom 01.04.2021 und 21.04.2021 hat die Antragstellerin zu 1) im Nichtigkeitsverfahren mit Schriftsätzen vom 14.04.2021 (Anlage ASt 17) und 27.05.2021 (Anlage ASt 14) ausführlich Stellung genommen, deren wesentliche Argumente im hiesigen Verfügungsantrag dargelegt wurden (Bl. 23/25 d.A.). Hierzu legte sie als Anlage NIB8 zum Schriftsatz vom 27.05.2021 ein eidesstattliche Versicherung des Herrn Jonathan R. H vor, der als Patent Counsel bei der N … beschäftigt sei und in der eidesstattlichen Versicherung versichere, dass alle in der US Provisional Anmeldung US ’609 genannten Erfinder-Anmelder zum Zeitpunkt der Erfindung Angestellte der N … gewesen seien (Anlage ASt 14, NIB8, Ziff. 4). In ihrem Schriftsatz im Nichtigkeitsverfahren vom 27.05.2021 hat die Antragstellerin zu 1) Herrn H als Zeugen benannt (Anlage ASt 14, S. 6). Als Annex 1 seiner Erklärung habe Herr H die Arbeitsverträge von sieben der insgesamt 18 Erfinder-Anmelder vorgelegt (Anlage ASt 14, NIB8 – Annex 1). Er versichere, die übrigen Arbeitsverträge nicht auffinden zu können und vermute, dass diese im Zuge der Schließung des Werks in West Haven im Jahr 2007 nach Ablauf der betriebsinternen Aufbewahrungspflichten vernichtet worden seien (Anlage ASt 14, NIB8, Ziff. 9). Es sei ersichtlich, dass alle sieben vorliegenden Arbeitsverträge den identischen Wortlaut hätten. Darüber hinaus versichere Herr H, dass es sich bei den Arbeitsverträgen um Standard-Arbeitsverträge handele, die alle Mitarbeiter, also auch die 18 Erfinder-Anmelder zwingend unterschrieben hätten müssen (Anlage ASt 14, NIB8, Ziff. 12). Die in den Arbeitsverträgen enthaltene Klausel 3 treffe folgende Regelung zu Rechten an Erfindungen von Arbeitnehmern: „Each and every invention I Make during the period of time I am actually employed by N shall become the property of N without additional compensation or consideration to me, except for any invention for which no equipment, supplies, facility or N’s Confidential Information was used and which was developed entirely on my own time (…).“ Der vorliegend zugrundezulegende Beweismaßstab erfordere nicht die Vorlage jedes einzelnen Arbeitsvertrages der 18 Erfinder-Anmelder, da die Klägerin des Nichtigkeitsverfahrens überhaupt keine Umstände vorgetragen habe, die gegen eine Übertragung der Prioritätsrechte sprächen, sondern diese lediglich bestritten habe. Im Übrigen begründe das anwendbare US-Recht in der Person des Arbeitgebers sogar unmittelbar (ohne gesonderten Übertragungsakt) einen sogenannten „equitable title“, der Grundlage für die Inanspruchnahme einer Priorität sein könne. Insoweit käme es nicht einmal auf die ausdrückliche Übertragungsklausel im Arbeitsvertrag an. Zur Anwendung des USamerikanischen Rechts hätte die Antragstellerin zu 1) im Verfahren vor dem Bundespatentgericht mit Schriftsatz vom 03.08.2020 als NIB1 (im vorliegenden Verfahren: Anlage ASt 15) ein Gutachten von Prof. J. R. T vorgelegt, einem Rechtsprofessor an der Georgetown University in Washington D.C., der auf Patentrecht spezialisiert sei. Prof. T führe aus, dass nach dem entsprechend den Regeln des internationalen Privatrechts maßgeblichen USamerikanischen Recht die oben genannte Klausel zu einer automatischen Übertragung der Rechte an der Erfindung auf den Arbeitgeber führe, ohne dass irgendwelche weiteren Schritte von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer erforderlich wären. Nach Einschätzung von Prof. T führe die Klausel dazu, dass das Recht an der Erfindung von den Erfindern auf die N … bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem die Erfindung gemacht wurde, automatisch übergegangen sei (Anlage ASt 15, Ziff. 15 und 29). Das Recht an der Erfindung sei somit lange vor dem Anmeldetag der PCTAnmeldung durch Vorausabtretung der Anmelder-Erfinder auf die N … übergegangen. Es sei auch aufschlussreich, dass Teva (die Muttergesellschaft der deutschen Nichtigkeitsklägerin ratiopharm GmbH) im von ihr angestrengten Nichtigkeitsverfahren im Vereinigten Königreich ihre Einwände gegen die Wirksamkeit der Prioritätsinanspruchnahme aufgegeben habe und hiermit zumindest die Vermutung nahelege, dass sie diesen Einwänden keine Substanz beimesse.
Unter Berücksichtigung dieses Vortrags und der als Anlagen vorgelegten Unterlagen ist aus Sicht der Kammer hinreichend schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht und somit gemäß § 920 Abs. 2 ZPO zugleich hinreichend gesichert, dass die Antragstellerin zu 1) im Nichtigkeitsverfahren wird darlegen und beweisen können (s.o.), dass eine wirksame Übertragung des in Anspruch genommenen Prioritätsrechts aus der US ’609 von den Erfinder-Anmeldern auf die N … erfolgt ist.
Nach Ansicht der Kammer ist für einen Nachweis einer entsprechenden Übertragungsvereinbarung im Nichtigkeitsverfahren – jedenfalls zur Glaubhaftmachung im Rahmen des vorliegenden Verfügungsverfahrens – nicht zwingend die Vorlage aller schriftlichen Arbeitsverträge der 18 Erfinder-Anmelder erforderlich. Darüber hinaus geht aus dem Hinweis des Bundespatentgerichts vom 21.04.2021 hervor, dass auch der Beweis im Nichtigkeitsverfahren auf andere Weise als durch die Vorlage aller Arbeitsverträge, insbesondere durch entsprechende Zeugenaussagen über den Abschluss und Inhalt der entsprechenden Vereinbarungen geführt werden kann (Anlage ASt 13, S. 2: „ggf. wären die dem Senat bekannten Personen daher als Zeugen zu vernehmen“). Die Antragstellerin zu 1) hat im Nichtigkeitsverfahren den Patent Counsel der N …, Herrn H, als Zeugen für das Vorliegen einer entsprechenden Übertragungsklausel in den Arbeitsverträgen aller 18 Erfinder-Anmelder benannt. Als für patentrechtliche Fragen der N … (als Arbeitgeberin) zuständiger Anwalt (Anlage ASt 14 NIB8, Ziff. 1), der nach eigenem Bekunden auch Rückgriff auf die bei der N … vorhanden Aufzeichnungen nehmen konnte bzw. kann (Anlage ASt 14 NIB8, Ziff. 2), erscheint die Zeugenaussage des Herrn H für diese Fragen auch als ein taugliches Beweismittel. Demgegenüber stellt die eidesstattliche Versicherung des Herrn H vom 21.05.2021 (Anlage ASt 14 NIB8) zwar kein taugliches Beweismittel für den Nachweis dieser Aspekte im Nichtigkeitsverfahren dar (siehe Hinweis des Bundespatentgerichts vom 21.04.2021, Anlage ASt 13, S. 2), aber ein Mittel der Glaubhaftmachung im vorliegenden Verfügungsverfahren gemäß §§ 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO. Insbesondere kann sie im vorliegenden Verfügungsverfahren herangezogen werden, um eine Prognose zu treffen, welchen Inhalt seine Zeugenaussage im Nichtigkeitsverfahren, für das er als Zeuge benannt wurde (s.o.), voraussichtlich haben wird. Eine zusätzliche eidesstattliche Versicherung der 18 Erfinder-Anmelder (als Arbeitnehmer) ist dagegen jedenfalls für die Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Vertragsschlusses und der Vertragsinhalte im vorliegenden Verfügungsverfahren nicht erforderlich. Die eidesstattliche Versicherung für jeweils eine der beiden Vertragsparteien reicht für die diesbezügliche Glaubhaftmachung aus, sofern – wie im vorliegenden Fall – keine Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der eidesstattlichen Versicherung bzw. der Aussage des im Nichtigkeitsverfahren zu vernehmenden Zeugen bestehen. Dies gilt vorliegend umso mehr, als zur Stützung der Aussage von Herrn H insgesamt sieben von 18 Arbeitsverträgen als Annex 1 zur eidesstattlichen Versicherung (Anlage ASt 14 NIB8) vorgelegt wurden, deren Inhalte sich mit dem von ihm (in seiner eidesstattlichen Versicherung) wiedergegebenen Inhalt decken. Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze kann danach davon ausgegangen werden, dass zwischen der N … und allen 18 Erfinder-Anmeldern Arbeitsverträge bestanden, die die oben beschriebene Klausel 3 enthielten.
Ob die genannte Klausel 3 als zulässige Vorausabtretung anzusehen ist, ist nach den Hinweisen des Bundespatentgerichts 01.04.2021 und 21.04.2021 „nach ständiger Rechtsprechung“ (Anlage ASt 12, S. 2) bzw. „unstreitig“ (Anlage ASt 13, S. 2) nach USamerikanischem Recht zu beurteilen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu diesen Fragen kommt im vorliegenden Verfügungsverfahren angesichts der zeitlichen Dringlichkeit – anders als im Nichtigkeitsverfahren (vgl. Anlage ASt 13, S. 2) – nicht in Betracht (vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 12 Rn. 2.21; Krüger, WRP 1991, 68). Das von der Antragstellerseite im Nichtigkeitsverfahren als NIB1 und im vorliegenden Verfahren als Anlage ASt 15 vorgelegte Gutachten von Prof. T vom 03.08.2020 stellt als Parteigutachten im Nichtigkeitsverfahren kein taugliches Beweismittel dar, sondern (lediglich) entsprechend substantiierten Parteivortrag. Allerdings enthält es nach dem Hinweis des Bundespatentgerichts vom 21.04.2021 „Anhaltspunkte genug, dieser Frage von Amts wegen nachzugehen“ (Anlage ASt 13, S. 2). Zu berücksichtigen ist außerdem, dass das Gericht gemäß § 293 ZPO zur Ermittlung der ausländischen Rechtsnormen, also auch der geltenden Auslegungsmaßstäbe, auf sämtliche verfügbaren Erkenntnisquellen zurückgreifen kann, was insbesondere vorliegende Parteigutachten umfasst (Prütting, in: MüKo ZPO, 6. Auf. 2020, § 293 Rn. 6). Dies gilt im Verfügungsverfahren im besonderen Maße, da das Gericht gehalten ist, bei seiner summarischen Prüfung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit alle verfügbaren Erkenntnisquellen, d.h. auch private Parteigutachten, zur Erlangung der notwendigen Sachkunde auszuschöpfen (Krüger, WRP 1991, 68, 71; vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 12 Rn. 2.21; Böhler, GRUR 2011, 965, 969). Andernfalls wäre Patentinhabern in Konstellationen wie der vorliegenden, die im Nichtigkeitsverfahren unter Umständen die Erholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens erfordern, die Rechtsdurchsetzung im Verfügungsverfahren gänzlich abgeschnitten, was dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes widersprechen würde. Darüber hinaus wurde das durch das Parteigutachten von Prof. T substantiierte Vorbringen der Antragstellerinnen durch die Antragsgegnerseite nicht im gleichen Maße substantiiert bestritten. Insoweit war ihr Vortrag in der Schutzschrift vom 14.07.2021 (Schutzschrift, S. 11) und in der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2021 weitgehend auf eine Bezugnahme auf die Hinweise des Bundespatentgerichts beschränkt.
Nach den Erläuterungen von Prof. T begründet die Klausel 3 der Arbeitsverträge einen automatischen Übergang des Rechts an der Erfindung von den Erfinder-Anmeldern (als Arbeitnehmer) auf die N … (als Arbeitgeberin) (Anlage ASt 15, Ziff. 15, 29, 33). Diese Auffassung wird durch die Kammer geteilt, insbesondere aufgrund der Formulierung der Klausel 3 („Each and every invention I Make during the period of time I am actually employed by N shall become the property of N without additional compensation or consideration to me“), zumal auch keine entgegenstehenden Anhaltspunkte in Klausel 3 oder anderen Regelungen der Arbeitsverträge ersichtlich sind.
Dies schließt auch die in Anspruch genommene Priorität der Anmeldung US ’609 ein. Soweit die Antragsgegnerinnen vortragen, das Recht an der Erfindung, wie es in Klausel 3 der Arbeitsverträge genannt werde, sei von dem Recht an der Anmeldung gemäß Art. 87 EPÜ zu unterscheiden, ist dieses Argument offensichtlich schon nicht zum Gegenstand des für den Rechtsbestand des Verfügungspatents maßgeblichen Nichtigkeitsverfahrens gemacht worden, da es jedenfalls in den beiden Hinweisen des Bundespatentgerichts vom 01.04.2021 und 21.04.2021 (Anlagen ASt 12 und 13) keinen Niederschlag gefunden hat. Vielmehr weist das Bundespatentgericht darin allgemein darauf hin, dass für die Frage der Übertragung des Prioritätsrechts (oder der Voranmeldung) „nach ständiger Rechtsprechung“ (Anlage ASt 12, S. 2) bzw. „unstreitig“ (Anlage ASt 13, S. 2) USamerikanisches Recht Anwendung findet. Für diese Auslegung der Antragsgegnerinnen finden sich auch weder in den vorliegenden sieben Arbeitsverträgen (Anlage ASt 14 NIB8 – Annex 1) noch in den Erläuterungen von Prof. T (Anlage ASt 15) noch in den Anmeldeunterlagen (Anlagen ASt 14 NIB6A und NIB6B) Anhaltspunkte. Vielmehr werden in der internationalen Patentanmeldung WO ’579, die die Priorität der US ’609 in Anspruch nimmt (Anlage ASt 14 NIB6B), für die USA die Bezeichnungen Erfinder und Anmelder gerade gemeinsam genannt („Inventors/Applicants“).
(3) In seinem Hinweis vom 21.04.2021 hat das Bundespatentgericht außerdem ergänzend noch darauf hingewiesen, dass die Arbeitsverträge der Erfinder-Anmelder der Prioritätsschrift nach dem Vortrag der Nichtigkeitsbeklagten nur eine Übertragung des Prioritätsrechts auf die N … als jeweilige Arbeitgeberin vorsähen, nicht auf die Nichtigkeitsbeklagte als Anmelderin des Verfügungspatents (Anlage ASt 13, S. 2).
Auch die Antragsgegnerinnen haben in ihrer Schutzschrift – unter Bezugnahme auf die oben genannten Hinweise des Bundespatentgerichts – vorgebracht, dass der Übertragungsvorgang von der Arbeitgeberin der Erfinder auf die Antragstellerin zu 1) nicht dargelegt worden sei (Schutzschrift, S. 11).
Zu diesem Punkt hat die Antragstellerin zu 1) im Nichtigkeitsverfahren mit Schriftsatz vom 27.05.2021 (Anlage ASt 14) und im hiesigen Verfügungsantrag (Bl. 25/27 d.A.) ebenfalls ausführlich Stellung genommen und die jeweiligen Unterlagen als Anlagen jeweils in beiden Verfahren vorgelegt. Am 03.12.2002 sei die internationale Patentanmeldung WO ’579 im Namen der N … und unter Inanspruchnahme der Priorität der vorläufigen Anmeldung US ’609 vom 03.12.2001 eingereicht worden. Bei Einreichung seien, im Einklang mit dem maßgeblichen US-Recht, die Erfinder noch nicht benannt, sodann aber fristgemäß nachgemeldet worden. Das US-Patentbüro USPTO hätte daraufhin mit Schreiben vom 15.08.2002 (Anlage ASt 14 NIB7 RT-6) bestätigt, dass die Anmeldung vollständig sei (Anlage ASt 15, Ziff. 13). Während der internationalen Phase sei mit Schreiben vom 14.05.2004 (Request to record change, Anlage ASt 14 NIB6C) beantragt worden, die PCT-Anmeldung von der N … auf die N L … zu übertragen. Die der Übertragung zugrunde liegende Erklärung werde als Anlage ASt 14 NIB6 vorgelegt. Die Eintragung der Umschreibung sei von der WIPO bestätigt worden (Notification of the Recording of a Change, Anlage ASt 14 NIB6E). Der Antrag auf Eintritt der internationalen Anmeldung PCT/US02/38439 in die europäische Phase sei beim EPA am 03.06.2004 gestellt worden (Anlage ASt 14 NIB6F). Der europäischen Anmeldung sei die Anmeldenummer EP 02 786 842.1 / EP 1 450 799 zugeordnet worden. Am 14.11.2006 sei eine Teilanmeldung eingereicht worden (Anlage ASt 14 NIB6G). Dieser Teilanmeldung sei die Anmeldenummer EP 06 023 696.5 / EP 1 769 795 zugeordnet worden. Am 26.05.2009 und am 01.12.2009 sei beantragt worden, die Teilanmeldung EP 06 023 696.5 / EP 1 769 795 und die Stammanmeldung EP 02 786 842.1 / EP 1 450 799 von der N L … auf die N H LLC, die heutige Patentinhaberin und Antragstellerin zu 1), umzuschreiben (Anlage ASt 14 NIB6H, S. 65). Der Rechtsübergang sei am 06.07.2009 bzw. am 15.12.2009 vom EPA bestätigt worden (Anlage ASt 14 NIB6I). Auf Basis der ersten Teilanmeldung EP 06 023 696.5 / EP 1 769 795 sei im Namen der Antragstellerin zu 1) am 30.09.2010 eine Teilanmeldung als Teilanmeldung zweiter Generation eingereicht worden (Request for grant of a European Patent, Anlage ASt 14 NIB6J). Dieser Teilanmeldung sei die Anmeldenummer EP 10 183 659.1 / EP 2 305 255 zugeordnet worden. Hierbei handele es sich um die Anmeldung zum vorliegenden Verfügungspatent. Schließlich sei am 26.07.2018 im deutschen Teil des Verfügungspatents eine Adressänderung der Antragstellerin zu 1) mitgeteilt worden. Die neue und aktuelle Adresse der Antragstellerin zu 1) liege in K in New Jersey, USA (Anlage ASt 14 NIB6K). Die Adressänderung sei am 13.08.2018 vom DPMA bestätigt worden (Anlage ASt 14 NIB6K).
Die von der Antragstellerseite derart detailliert dargelegten Übertragungsvorgänge wurden von den Antragsgegnerinnen nicht in vergleichbarem Maße substantiiert bestritten. Auch insoweit war ihr Vortrag in der Schutzschrift vom 14.07.2021 (Schutzschrift, S. 11) und in der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2021 auf eine Bezugnahme auf die Hinweise des Bundespatentgerichts beschränkt. Insbesondere erfolgte keinerlei Bestreiten bezogen auf die einzelnen Schritte der Übertragungskette.
Aus Sicht der Kammer wurde durch den oben geschilderten detaillierten Vortrag der Antragstellerseite und die vorgelegten Dokumente die Übertragung des Prioritätsrechts von der N … auf die Antragstellerin zu 1) als Anmelderin und Inhaberin des Verfügungspatents hinreichend schlüssig und lückenlos dargelegt sowie durch die entsprechenden Unterlagen glaubhaft gemacht.
(4) Schließlich haben die Antragsgegnerinnen in der Schutzschrift vom 14.07.2021 vorgetragen, bei der Prioritätsanmeldung handele es sich nicht um die erste Anmeldung für SorafenibTosylat, das bereits in der früheren Anmeldung US ’915 vom 10.09.2001 (veröffentlicht als US 2002/0042517 A1, Anlage AR 8 bzw. NiK12 im Nichtigkeitsverfahren) offenbart worden sei (Schutzschrift, S. 11/12). Diesbezüglich hat das Bundespatentgericht im Hinweis vom 01.04.2021 ausdrücklich erklärt, dass Sorafenib-Tosylat in der NiK12 nicht individualisiert offenbart wäre, vielmehr sei Sorafenib dort nur als eine unter sehr vielen Arylharnstoff-Verbindungen genannt, von denen keine einzige ein Tosylatsalz explizit aufzeige (Anlage ASt 12, S. 3). Dies ist zutreffend. Die von der Antragsgegnerseite in der Schutzschrift in Bezug genommene Formulierung in Absatz [0026] des Verfügungspatents, „die skalierbare Synthese eines Tosylatsalzes von [Sorafenib] (…) [ist] offengelegt in Organic Process Research and Development (2002), Vol.6, Issue #6, 777-781, und der dazugehörigen Patentanmeldung mit der Nummer 09/948,915, eingereicht am 10. September 2001“, ist insoweit jedenfalls ungenau und kann insbesondere auch nicht festlegen, welche Offenbarung die NiK12 tatsächlich enthält.
bb) Anspruch 12 des Verfügungspatents ist bei der im Verfügungsverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten im Nichtigkeitsverfahren auch nicht neuheitsschädlich durch die internationale Patentanmeldung WO ’012 (Anlage ASt 16 bzw. NiK4 im Nichtigkeitsverfahren) vorweggenommen.
Hierzu tragen die Antragsgegnerinnen in der Schutzschrift vom 14.07.2021 vor, diese Patentanmeldung offenbare, dass Arylharnstoff-Verbindungen als pharmazeutisch verträgliche Salze bereitgestellt werden können, die dem Fachmann bekannt sind. Zu diesem Zweck benenne die Druckschrift beispielhaft die p-Toluolsulfonsäure, deren Salz das Tosylat sei. Sodann werde (in Anspruch 61) Sorafenib als eine dieser Arylharnstoff-Verbindungen unter der chemischen Bezeichnung N-(4-chloro-3-(trifluoromethyl) phenylN-(4-(2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy) phenyl) urea beansprucht. Die Offenbarung des Sorafenib-Tosylats durch die NiK4 werde auch durch die internationale Anmeldung WO 2006/034797 A1 der N H (Anlage AR 11) bestätigt, die auf die NiK4 Bezug nehme (WO 2006/034797 A1, S. 1, Z. 14-20: „The compound 4-[4-({[4-chloro-3-(trifluoromethyl) phenyl]carbamoyl}amino) phenoxy]N-methylpyridine-2-carboxamide is described in WO 00/42012 and corresponds to the compound of the formula (II) [sorafenib formula]. The compounds and their salts, disclosed in WO 00/42012, for example tosylates, are described there as inhibitors of the enzyme Raf kinase (…).“) (Schutzschrift, S. 15/16).
Die Antragstellerinnen bringen hierzu in ihrer Antragsschrift vor, dass sich die NiK4, wie auch die Überschrift verdeutliche, mit bestimmten Verbindungen, die als Raf-Kinase-Inhibitoren wirken können, darunter auch Sorafenib, befasse. Dazu würden insgesamt 103 Verbindungen einschließlich deren Synthese vorgestellt, wobei sich Sorafenib in Tabelle 4 auf Seite 81 als Verbindung 42 sowie in Anspruch 61 auf Seite 110, Zeilen 9 -10 unter seiner chemischen Bezeichnung N-(4-Chlor-3-(trifluormethyl) phenyl)-N’-(4-(2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy)-phenyl) harnstoff finde. Dass in der NiK4 auf Seite 6, Zeilen 11- 15, sowie in Anspruch 50 auf Seite 106 auch pharmazeutisch verträgliche Salze der in der NiK4 offenbarten Verbindungen bereitgestellt würden, stelle gerade keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung der Verbindung Sorafenibtosylat dar, da sich die entsprechende Zitatstelle auf Seite 6 sowie Anspruch 50 ganz allgemein auf pharmazeutisch verträgliche Salze der allgemeinen Formel bezögen und eine Vielzahl von denkbaren Salzen und Verbindungen aufgelistet (Bl. 27/28 d.A.).
Diese Einschätzung der Antragstellerinnen wurde vom Bundespatentgericht in seinem Hinweis vom 01.04.2021 geteilt. NiK4 sei nicht neuheitsschädlich, da diese Druckschrift nicht unmittelbar und eindeutig die im Patentanspruch 12 beanspruchte Verbindung Sorafenib-Tosylat in individualisierter Form offenbare (Anlage ASt 12, S. 3).
Dieser Einschätzung des Bundespatentgerichts ist zuzustimmen. Die NiK4 beinhaltet keine neuheitsschädliche, d.h. unmittelbare und eindeutige Offenbarung der Verbindung Sorafenib-Tosylat. Sie offenbart (lediglich) eine generische Struktur, die eine große Anzahl von Substanzen abdeckt (Formel I), und 103 individualisierte Arylharnstoffverbindungen (darunter Sorafenib) sowie zusätzlich eine umfangreiche Liste pharmazeutischer Salze durch Bezugnahme auf Formel I, darunter 24 saure Salze (darunter Tosylatsalz) und 16 basische Salze. Offenbart wird somit eine Vielzahl von Auswahl- und Kombinationsmöglichkeiten, aber gerade nicht spezifisch die Verbindung Sorafenib-Tosylat (vgl. BGH GRUR 2009, 382, Rn. 25, 27 f. – Olanzapin). Dies wird auch durch die Erteilungshistorie des EP ’840 bestätigt, das auf der internationalen Patentanmeldung WO ’012 (NiK4) basiert. Die Prüfungsabteilung des EPA lehnte hierbei die Erteilung neu eingereichter Ansprüche, die auch das Tosylatsalz der beanspruchten Arylharnstoffverbindungen und insbesondere Sorafenib-Tosylat unter Schutz stellen sollten (Anlage ASt 5), gerade mit der Begründung ab, dass die Verbindung Sorafenib-Tosylat über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, obwohl die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung neben anderen potenziell verfügbaren Salzen auch Tosylat aufführte (Anlage ASt 6).
cc) Aus Sicht der Kammer erscheint der Rechtsbestand des Verfügungspatents bei der im Verfügungsverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten im Nichtigkeitsverfahren auch im Hinblick auf die erforderliche erfinderische Tätigkeit hinreichend gesichert.
Zwar hat das Bundespatentgericht in seinem Hinweis vom 01.04.2021 die Auffassung geäußert, dass eine erfinderische Tätigkeit im vorliegenden Fall zu verneinen sein „dürfte“, „was Schwerpunkt der mündlichen Verhandlung sein dürfte“ (Anlage ASt 12, S. 3). Dem Verfügungspatent liege die Aufgabe zugrunde, eine verbesserte Therapie zur Behandlung von Raf-Kinase vermittelten Krebserkrankungen bereitzustellen sowie eine als Raf-Kinase-Inhibitor wirksamen Arylharnstoffverbindung, die für die orale Verabreichung, z.B. in Form einer Tablette, geeignet sei, bereitzustellen. Letztere Aufgabe werde durch den Gegenstand des Anspruchs 12 gelöst (Anlage ASt 12, S. 1/2). Zuständiger Fachmann sei ein Team aus einem medizinischen Chemiker, einem Pharmakologen und einem Mediziner, alle mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Verwendung von Krebstherapeutika (Anlage ASt 12, S. 1). Geeignete Ausgangspunkte zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe stellten sowohl die NiK2 (Anlage ASt 18 bzw. AR 12) als auch die NiK4 (Anlage ASt 16 bzw. AR 10) dar, die beide Raf-Kinase-Inhibitoren auf Arylharnstoff-Basis beträfen. Die NiK2 fokussiere den Blick des Fachmanns bereits auf Sorafenib. Ausgehend davon gehöre es zur fachmännischen Routine bei der klinischen Entwicklung von Wirkstoffen, hydrophobe und damit schwer wasserlösliche Verbindungen wie Sorafenib für eine bessere Bioverfügbarkeit in Form von Salzen zu formulieren. Auch die Auswahl des Tosylatsalzes begründe keine erfinderische Tätigkeit, da Tosylat als pharmazeutisch verträgliches Salz schwerlöslicher Wirkstoffe dem Fachmann bekannt gewesen sei und damit in seinem Griffbereich gelegen habe. Zudem sei Tosylat bereits im Zusammenhang der Raf-Kinase-Inhibitor Wirkstoffklasse der Arylharnstoffe vorbeschrieben. Die NiK4 richte das Augenmerk des Fachmanns auf die Arylharnstoffe als potentielle Raf-Kinase-Inihibitoren zur Behandlung verschiedener Krebsarten. In Zusammenschau mit der NiK2, die den Fokus auf Sorafenib lege, habe die Auswahl von Sorafenib für die klinische Entwicklung als Antitumorwirkstoff nahe gelegen. Im Rahmen der routinemäßigen Wirkstoffentwicklung habe es dann keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft, das hydrophobe und damit schwer wasserlösliche Sorafenib als Tosylatsalz bereitzustellen, zumal Tosylate bereits in NiK4 als mögliche und dem Fachmann gut bekannte pharmazeutische verträgliche Salze im Zusammenhang mit Arylharnstoffen aufgezeigt seien.
An diesen Hinweis des Bundespatentgerichts knüpfen die Antragsgegnerinnen an (Schutzschrift, S. 16, 18, 21 f.). Darüber hinaus weisen sie in der Schutzschrift vom 14.07.2021 darauf hin, dass aus der NiK5 (Anlage AR 13 bzw. ASt 22), S. 225, rechte Spalte („Accordingly, if nothing else is measured, the solubility and pKa must be determined.“) hervorgehe, dass der Fachmann zu Beginn der Entwicklung eines Wirkstoffs im Hinblick auf seine mögliche Zulassung jedenfalls dessen Löslichkeit messen und feststellen würde. Die Möglichkeit, die Löslichkeit schwer wasserlöslicher Stoffe durch Auswahl eines Salzes wesentlich zu verbessern, gehe aus NiK5, S. 227, rechte Spalte („A major improvement in solubility can be achieved by selection of a salt.“), hervor. Die Tabelle 13.4 auf Seite 227 der NiK5 zeige sodann geeignete Salze, unter anderem Tosylate als dritten Eintrag. Auch die NiK11 (Anlage AR 14) zeige die Relevanz der Salzauswahl für die Wasserlöslichkeit von Wirkstoffen. Danach würden Salze am häufigsten zur Modifizierung der Wasserlöslichkeit eingesetzt (Anlage AR 14, S. 427). In der Tabelle 1 auf Seite 428 würden sodann Tosylate unter den Salzbildnern genannt, die als die am häufigsten genutzten Salzbildner beschrieben würden (Anlage AR 14, S. 428: „Choice of the Salt Former (…) Some of the most frequently used examples are listed in Table 1.“).
Der Einschätzung des Bundespatentgerichts im Hinweis vom 01.04.2021 und dem Vorbringen der Antragsgegnerseite sind die Antragstellerinnen im Nichtigkeitsverfahren mit Schriftsatz vom 14.04.2021 (Anlage ASt 17), im vorliegenden Verfahren mit dem Antragsschriftsatz vom 19.07.2021 (Bl. 28/35 d.A.) und in der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2021 mit umfangreichen Ausführungen entgegengetreten. Anspruch 12 des Verfügungspatents beruhe auf erfinderischer Tätigkeit. Der Hinweis des Bundespatentgerichts stelle ganz offensichtlich nur eine sehr vorläufige technische Einschätzung dar, was daraus hervorginge, dass „die Frage der erfinderischen Tätigkeit auf Seite 4 des Hinweises vom 01.04.2021 lediglich in zwei Absätzen unter Hinweis auf fachmännische Routine ganz allgemein abgehandelt wird, ohne die Schritte, die seitens der Erfinder erforderlich waren, um die Aufgabe des Verfügungspatentes durch Anspruch 12 zu lösen, näher zu prüfen“ (Bl. 28 d.A.). Auch liege den Ausführungen des Bundespatentgerichts sowohl hinsichtlich des Ausgangspunkts der Überlegungen des Fachmanns als auch hinsichtlich seiner weiteren Bemühungen eine unzulässige expost-Betrachtung zugrunde. Angesichts dessen sei die knappe vorläufige Einschätzung des Bundespatentgerichts im Hinweis vom 01.04.2021 technisch nicht zutreffend (Bl. 28/29 d.A.; Anlage ASt 17, S. 8). Dem Bundespatentgericht könne noch dahingehend gefolgt werden, dass die NiK2 und NiK4 als möglicher Ausgangspunkt für fachmännische Überlegungen in Betracht kämen, die jeweils den Wirkstoff Sorafenib offenbarten (Bl. 29 d.A.). Die NiK4 beschränke sich in ihrer Offenbarung jedoch darauf, eine Vielzahl von Verbindungen zur Verfügung zu stellen, die das Enzym Raf-Kinase inhibieren, und enthalte keine Anhaltspunkte, sich spezifisch mit Sorafenib, insbesondere mit einem Salz und insbesondere mit dem Tosylatsalz zu befassen, die auf Seite 6 in den Zeilen 11 -15 bzw. auf Seite 106 in Anspruch 50 lediglich eine unspezifische Aufstellung aller pharmazeutisch verträglichen Salze enthalte. Die NiK2 gehe nicht über die Offenbarung der NiK4 hinaus, sondern offenbare lediglich Sorafenib als guten Kandidaten zur Entwicklung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung von Tumorwachstum. Ausgehend von NiK2 und NiK4 als dem nächstkommenden Stand der Technik stelle sich dann schon die Frage, ob und aus welchem Grund der Fachmann überhaupt weitergehende Überlegungen angestellt hätte, eine Salzverbindung von Sorafenib herzustellen, zu untersuchen und entsprechende Versuche anzustellen, ob diese Salzverbindung verbesserte Eigenschaften aufweise. Die NiK2 lege dies nicht nahe, die NiK4 beinhalte lediglich, dass Salze eines Wirkstoffs nach dem allgemeinen Fachwissen möglicherweise eine verbesserte Verabreichungsform darstellen könnten.
Selbst wenn sich der Fachmann ungeachtet eines fehlenden Hinweises einer ungenügenden Bioverfügbarkeit von Sorafenib bei oraler Verabreichung routinemäßig auch mit Salzverbindungen von Sorafenib befasst hätte, führe dies ohne erfinderische Tätigkeit nicht zum Gegenstand von Anspruch 12. Bei näherer Untersuchung von Sorafenib hätte der Fachmann die geringe Wasserlöslichkeit von Sorafenib festgestellt (< 0,01 mg pro 100 ml Wasser bei einer Temperatur von 25°C, d.h. unterhalb der Nachweisgrenze). Hätte der Fachmann angesichts dessen ein Salzscreening (= Untersuchung verschiedener Salze im Hinblick auf den Wirkstoff) durchgeführt, hätte er - wie die Erfinder - gerade auch im Hinblick auf die am häufigsten eingesetzten Chlorid- und Sulfatsalze festgestellt, dass diese nicht zu einer im Wesentlichen verbesserten Wasserlöslichkeit führen. Konkret für das Tosylatsalz von Sorafenib habe die Löslichkeit im Rahmen des Salzscreenings der Erfinder - bei einem pH-Wert von 7 - unterhalb der Nachweisgrenze gelegen. Dies werde durch die von einem der Erfinder, Prof. Dr. R., abgegebene eidesstattliche Versicherung vom 28.07.2020 (Anlage ASt 19) bestätigt. Daneben offenbare der veröffentlichte European Public Assessment Report (EPAR), dass die Löslichkeit von Sorafenibtosylat (auch) bei einem pH-Wert von 1.0 extrem niedrig sei, ebenso wie bei einem pH-Wert von 4.5 (Anlage ASt 20, S. 17: „The solubility of sorafenib tosylate ranges from 0.034 mg/100 ml at pH 1.0, to 0.013 mg/100 ml at pH 4.5“). Da nach dem Stand der Technik davon auszugehen gewesen sei, dass Wasserlöslichkeit und Bioverfügbarkeit korrelierten (Anlage ASt 22 bzw. NiK5, S. 224), hätte bereits dieses Ergebnis den Fachmann von der Verwendung von Tosylatsalz von Sorafenib abgehalten. Der Fachmann würde dann auch nicht mehr die Auflösungsrate bzw. Auflösungsgeschwindigkeit überprüfen, da auch diese beiden Faktoren nach dem damaligen Stand der Technik zusammenhingen, wie aus Anlage ASt 22 (NiK5), S. 234, Formel 13.9, hervorgehe.
Darüber hinaus seien Wirkstoffe in Form des Tosylatsalzes am Prioritätstag des Verfügungspatentes für handelsübliche Medikamente absolut unüblich gewesen. Dies gehe aus der Veröffentlichung „Pharmaceutics: The science of dosage form design“, herausgegeben von Michael E. Aulton (Anlagen ASt 21 und ASt 22), hervor. In der ersten Auflage der genannten Veröffentlichung aus dem Jahr 1988 (Anlage ASt 22) sei Tosylatsalz noch in der Tabelle 13.4 genannt worden, offensichtlich weil im Jahr 1982 ein Tosylatsalz eines Wirkstoffs für Injektionszwecke von der USamerikanischen Food and Drug Administration zugelassen worden sei. Tosylat sei ein Exot, wie auch aus dem prozentualen Wert seiner Nutzung in Tabelle 13.4 (0,1%) hervorgehe. In der Folgeauflage (Anlage ASt 21), die gemäß Verlagsauskunft bereits seit dem 20.10.2001 in Großbritannien der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei, sei Tosylatsalz in der entsprechenden Tabelle überhaupt nicht mehr genannt worden. Zum Prioritätszeitpunkt habe es außer dem genannten Tosylatsalz des Wirkstoffs für Injektionszwecke kein weiteres Beispiel eines Wirkstoffs in Form eines Tosylatsalzes gegeben. Zudem hätten zum damaligen Zeitpunkt praktische Lieferschwierigkeiten bestanden, da keine reine para-Toluolsulfonsäure für die Herstellung eines Tosylatsalzes in ausreichenden Mengen hätte bezogen werden können. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Tosylat-Anion ein relatives hohes Molekulargewicht im Vergleich zum Chlorid oder Sulfat habe, was – wegen des höheren Gesamtgewichts – die Anzahl der oral zu verabreichenden Dosen pro Tag gegebenenfalls erheblich gesteigert hätte und gegen eine Verwendung eines Tosylatsalzes gesprochen habe. Die Herstellung eines Tosylatsalzes habe angesichts dieser Aspekte zum Prioritätszeitpunkt nicht zum Standardrepertoire gehört, sondern ferngelegen. Der Fachmann hätte sich vielmehr alternativen Verabreichungsformen wie Gelkapseln zugewandt, zumal derartige Verabreichungsformen für schwer lösliche Wirkstoffe im Stand der Technik vorgeschlagen würden (Anlage ASt 22, S. 226, linke Spalte). Dem stehe auch nicht entgegen, dass zum Prioritätszeitpunkt hätte angenommen werden müssen, dass die Herstellung eines Tosylatsalzes die Löslichkeit der Verbindung Sorafenib in Wasser gegebenenfalls erhöhe. Selbst wenn der Fachmann – trotz der oben genannten entgegenstehenden Aspekte – para-Toluolsulfonsäure zur Herstellung eines Tosylatsalzes von Sorafenib überhaupt in Betracht gezogen hätte, hätte er die niedrige Wasserlöslichkeit von Sorafenibtosylat (unterhalb der Nachweisgrenze) festgestellt (s.o.). Diesen Befund habe das Bundespatentgericht in seinem Hinweis vom 01.04.2021 wohl schlichtweg übersehen.
Zusammenfassend sprächen ganz erhebliche Gründe dafür, dass der Fachmann gerade nicht basierend auf Routineversuchen zu Anspruch 12 des Verfügungspatentes gelangt wäre. Vielmehr seien eine Vielzahl von Hürden zu überwinden gewesen, die gegen die Herstellung eines Tosylatsalzes von Sorafenib gesprochen hätten, nämlich überhaupt ein Salzscreening zu starten, para-Toluolsfulfonsäure (und damit das Tosylat-Anion) trotz fehlender Erfahrung im Stand der Technik einzubeziehen sowie trotz der gescheiterten Versuche, den Wirkstoff Sorafenib löslicher zu machen, mit Sorafenibtosylat weitergehende pharmakokinetische Untersuchungen durchzuführen. Was die Erfindung ausmache, sei, dass die Erfinder trotz der „desaströsen“ Ergebnisses aus dem Salzscreening an der Salzlösung festgehalten hätten und pharmakokinetische Studien mit Sorafenib und dessen Salzen an Hunden durchgeführt hätten, die zu dem überraschenden Ergebnis geführt hätten, dass die Bioverfügbarkeit von Sorafenibtosylat mit Abstand die höchste sei (24,2% gegenüber 3,5% von Sorafenib als solchem; Anlage ASt 19, S. 4/5), wobei die genauen Gründe hierfür unklar seien. Für das Überwinden der genannten Hürden hätten weder Anreize bestanden noch sei der Weg bekannt gewesen und es hätten auch erhebliche Aufwendungen und Überlegungen, auch im Hinblick auf pharmakokinetische Versuche an Hunden, getroffen werden müssen.
In Erwiderung hierauf haben die Antragsgegnerinnen in der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2021 vorgetragen, dass die im Verfügungsantrag enthaltenen Argumente zur erfinderischen Tätigkeit sämtlich bereits im Nichtigkeitsverfahren vor Erlass des vorläufigen Hinweises des Bundespatentgerichts vorgetragen worden seien. Die Kürze der diesbezüglichen Ausführungen des Bundespatentgerichts im Hinweis vom 01.04.20201 sei der Einfachheit des Falls geschuldet. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass Tosylatsalz in den Studien besonders gute Werte hinsichtlich der Auflösungsgeschwindigkeit in Wasser aufgewiesen habe. Dieser Faktor wäre vom angesprochenen Fachmann standardmäßig berücksichtigt worden. Hierbei seien gerade nicht die Kenntnisse von Prof. Dr. R. maßgeblich, da dieser über größeres Wissen als der Durchschnittsfachmann verfüge, welcher im Rahmen der Stoffauswahl die Standardschritte durchgehen würde.
Unter Berücksichtigung des beiderseitigen Vorbringens, der von der Antragstellerseite zur Glaubhaftmachung vorgelegten Unterlagen sowie des Hinweises des Bundespatentgerichts vom 01.04.2021 erscheint das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit für Anspruch 12 des Verfügungspatents aus Sicht der Kammer hinreichend gesichert.
Dabei ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass sowohl die Prüfungsabteilung des EPA (im Erteilungsverfahren) als auch das Bundespatentgericht (im Hinweis vom 01.04.2021 im Rahmen der Prüfung der Neuheit) eine hinreichend individualisierte Offenbarung der mit Anspruch 12 beanspruchten Verbindung gerade spezifisch des Tosylatsalzes von Sorafenib durch die NiK4 ausdrücklich verneint haben (s.o. B. II. 3. b) bb)). Danach ist also ersichtlich eine gewisse Auswahlentscheidung hinsichtlich der Darreichung speziell von Sorafenib als Tosylatsalz erforderlich. Damit beschränkt sich die Begründung des Bundespatentgerichts zur Verneinung der erfinderischen Tätigkeit im Ergebnis im Wesentlichen darauf, dass es „zur fachmännischen Routine bei der klinischen Entwicklung von Wirkstoffen [gehört], hydrophobe und damit schwer wasserlösliche Verbindungen wie Sorafenib für eine bessere Bioverfügbarkeit in Form von Salzen zu formulieren“ und „[auch] die Auswahl des Salzes der para-Toluolsulfonsäure (= Tosylat) (…) keine erfinderische Tätigkeit [begründet], da Tosylat als pharmazeutisch verträgliches Salz schwerlöslicher Wirkstoffe dem Fachmann bekannt gewesen ist und damit in seinem Griffbereich gelegen hat“ (Anlage ASt 12, S. 4).
Aus Sicht der Kammer kann bei Zugrundelegung des von beiden Seiten beigebrachten Standes der Technik dem ersten Teil dieser Aussage zugestimmt werden, jedoch nicht ihrem zweiten Teil. Im Hinblick auf den ersten Teil der Aussage trägt die Antragstellerseite zwar unwidersprochen vor, dass sich aus der NiK2 und NiK4 kein Hinweis auf die ungenügende Bioverfügbarkeit ergebe. Allerdings erscheint jedenfalls die Messung der Wasserlöslichkeit des Wirkstoffs und davon ausgehend die Durchführung eines Salzscreenings (und damit die Überwindung der laut Antragstellerseite ersten „Hürde“, Bl. 34 d.A.) angesichts der von der Antragsgegnerseite aus der NiK5 (Anlage ASt 22 bzw. AR 13) zitierten Auszüge (s.o.) zur fachmännischen Routine zu gehören und damit auch nahezuliegen.
Demgegenüber kann jedoch bereits die Auswahlentscheidung der Einbeziehung des Tosylatsalzes in das Salzscreening (d.h. die Überwindung der laut Antragstellerseite zweiten „Hürde“, Bl. 34 d.A.) nicht als für den Fachmann naheliegend eingestuft werden. Insoweit kommt aus Sicht der Kammer der Veröffentlichung „Pharmaceutics: The science of dosage form design“, herausgegeben von Michael E. Aulton (NiK5 bzw. Anlagen ASt 21 und ASt 22 bzw. Anlage AR 13), bei der Bestimmung des Stands der Technik erhebliche Bedeutung zu, was offensichtlich auch der Sicht beider Parteien entspricht, die jeweils umfangreich auf diese Veröffentlichung Bezug nehmen und sie jeweils – zumindest in einer Auflage – als Anlage(n) vorgelegt haben (s.o.). Maßgeblich ist dabei zunächst die zweite Auflage (Anlage ASt 21), da diese nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerseite bereits seit dem 20.10.2001 und damit über einen Monat vor dem Prioritätstag, dem 03.12.2001, der Öffentlichkeit zugänglich war und grundsätzlich von einem Fachmann auszugehen ist, der innerhalb seines Fachbereichs auf die aktuellsten Publikationen zurückgreift. In der dortigen Tabelle 8.4 zu den pharmazeutisch verträglichen Salzen (S. 117; siehe S. 116: „Acceptable pharmaceutical salt counterions are shown in Table 8.4.“) ist Tosylatsalz überhaupt nicht aufgeführt. Selbst wenn man unterstellte, der Fachmann würde zusätzlich noch die Vorauflage (Anlage ASt 22) zu Rate ziehen und auf die dortige entsprechende Tabelle 13.4 (S. 227) zurückgreifen, wäre eine Einbeziehung von Tosylatsalz nicht als naheliegend anzusehen, weil in der genannten Tabelle Tosylatsalz den geringsten prozentualen Wert aller genannten Salze, d.h. sowohl der Anionen als auch der Kationen, aufweist (0,1%). Dies entspricht auch der Aussage von Prof. Dr. R. in seiner eidesstattlichen Versicherung, dass Tosylatsalz „in der Pharmazie zum damaligen Zeitpunkt nicht sehr häufig zum Einsatz kam(…)“ (Anlage ASt 19, S. 3). Es kann nicht angenommen werden, dass ein Fachmann für die Durchführung von Versuchen im Rahmen eines Salzscreenings routinemäßig, d.h. ohne weitere Anhaltspunkte, immer alle bekannten pharmazeutisch verträglichen Salze einbeziehen würde, da davon auszugehen ist, dass hiermit auch jedenfalls gewisse zeitliche und finanzielle Aufwendungen verbunden sind. Dies gilt für Tosylatsalz umso mehr, als nach dem auch insoweit unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragstellerseite zum Prioritätszeitpunkt praktische Lieferschwierigkeiten für ausreichende Mengen reiner para-Toluolsulfonsäure bestanden und die Verwendung von Tosylatsalz aufgrund seines höheren Molekulargewichts eine Erhöhung der Anzahl der Tagesdosen erforderlich gemacht hat. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Prof. Dr. R. in seiner eidesstattlichen Erklärung angegeben hat, dass seines Wissens „die kommerziell erhältliche paraToluolsulfonsäure mit geringen aber signifikanten Mengen des otho-Isomers verunreinigt [war]“ (Anlage ASt 19, S. 4). Aus den genannten Gründen führt auch der Umstand, dass Tosylatsalz in der NiK11 (Anlage AR 14, S. 428) ebenfalls als eines der am häufigsten verwendeten Salze genannt wird, nicht dazu, dass es vom Fachmann routinemäßig in ein Salzscreening einzubeziehen wäre, zumal in der dortigen Aufstellung sogar insgesamt 47 Salze genannt sind.
Selbst aber dann, wenn man mit der Antragsgegnerseite davon ausgeht, dass die Einbeziehung des Tosylatsalzes in das Salzscreening für sich genommen nicht eine erfinderische Tätigkeit begründen kann, begründet jedenfalls die Durchführung weiterer Versuche mit Tosylatsalz als möglicher Verabreichungsform von Sorafenib nach Durchführung des Salzscreenings und Feststellung der Messwerte der Wasserlöslichkeit der verschiedenen Salze (d.h. die Überwindung der laut Antragstellerseite dritten „Hürde“, Bl. 34 d.A.) eine hinreichende erfinderische Tätigkeit. Sowohl aus der NiK5 (Anlage ASt 22 bzw. AR 13) als auch aus der NiK11 (Anlage AR 14, S. 428/429) geht für den Fachmann die entscheidende Bedeutung der Wasserlöslichkeit für die Bioverfügbarkeit hervor. Insbesondere betont die NiK5, dass jedenfalls immer die Wasserlöslichkeit zu messen ist (S. 224, rechte Spalte: „However, a knowledge of two fundamental properties is mandatory for a new compound: 1 intrinsic solubility (Co), 2 dissociation constant (pKa).“; S. 225, rechte Spalte: „Accordingly, if nothing else is measured, the solubility and pKa must be determined.“; S. 251/252: „The need for adequate drug solubility cannot be overemphasized.“). Die Verwendung eines Salzes ist nach der NiK5 bei einer Löslichkeit von weniger als 1 mg/ ml indiziert, im Bereich zwischen 1- 10 mg / ml sollte sie ernstlich in Betracht gezogen werden (S. 226: „A solubility of less than 1 mg ml-1 indicates the need for a salt, particularly if the drug will be formulated as a tablet or capsule. In the range 1 -10 mg ml-1 serious consideration should be given to salt formation.“). Zwischen den Parteien ist vorliegend unstreitig, dass das Tosylatsalz von Sorafenib eine sehr schlechte, gegenüber Sorafenib für sich genommen nicht signifikant erhöhte Wasserlöslichkeit aufweist (pH-Wert 7: 0,01 mg/100 ml; pH-Wert 1: 0,034 mg/100 ml; pHWert 4,5: 0,013 mg/100 ml). Bei der Durchführung der entsprechenden Versuche durch die Erfinder führte die Bildung des Tosylatsalzes zu keiner signifikanten Erhöhung der Löslichkeit im Vergleich zu Sorafenib als freier Base (siehe Anlage ASt 19, S. 3, Tabelle 1: jeweils 0,01 mg/100 ml Wasser). Die unstreitigen Werte gerade des Tosylatsalzes liegen dabei sogar um ein Vielfaches (bei einem pH-Wert von 7 sogar um das 10.000-fache) unterhalb der von der NiK5 genannten Schwelle, unterhalb welcher die Verwendung von Salzen allgemein indiziert sein soll (1 mg/ ml = 100 mg/ 100 ml). Tosylatsalz trotz seines sehr niedrigen Werts der Wasserlöslichkeit (und trotz der oben dargelegten in praktischer Hinsicht entgegenstehenden Gründe) weiterhin in die Untersuchung und die Versuche einzubeziehen, obwohl nach dem zum Prioritätszeitpunkt vorhandenen Stand der Technik die Wasserlöslichkeit für die Bioverfügbarkeit von entscheidender Bedeutung ist, war für den Fachmann fernliegend und stellt daher eine Auswahlentscheidung dar, die eine hinreichende erfinderische Tätigkeit begründet.
Dass das Tosylatsalz von Sorafenib nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragsgegnerseite gemäß den von den Erfindern durchgeführten Versuchen eine besonders gute Auflösungsrate bzw. -geschwindigkeit aufweist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar stellt das Vergleichen der Auflösungsrate laut der NiK11 einen Versuch dar, der normalerweise für den Vergleich von Salzen in Betracht gezogen wird (Anlage AR 14, S. 429, Tabelle 2: „Preformulation studies that are normally considered for comparison of salt forms and parent compound for oral dosage forms“ (…) „compare dissolution rates at various pHs (can provide data on wettability“). Allerdings ist angesichts der oben dargelegten grundsätzlichen Bedeutung, die sowohl die NiK5 als auch die NiK11 der Wasserlöslichkeit als Wert beimessen, nicht davon auszugehen, dass der Fachmann weitere Werte naheliegender Weise überhaupt messen und berücksichtigen würde, wenn ein Salz eine derart niedrige Wasserlöslichkeit aufweist. Dies gilt umso mehr, als der Fachmann nach dem Stand der Technik zum Prioritätszeitpunkt aufgrund der NiK5 davon ausgehen musste, dass dieser Wert mit dem Wert der Wasserlöslichkeit korreliert (Anlage ASt 22, S. 234: „the dissolution rate (dm/dr) from a constant surface area (A) will be constant and related solely to solubility“, und Formel 13.9; ebenso in der 2. Auflage der NiK5, Anlage ASt 21, S. 122/123 und Formel 8.9), so dass danach eine gesonderte Messung dieses Werts einen nicht erforderlichen zusätzlichen Aufwand dargestellt hätte.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die an das Salzscreening anschließende „pharmakokinetische Studie mit Sorafenib freier Base und dessen Hydrochlorid-, Sulfat-, Tosylat- oder Mesylatsalz an Hunden (Beagles)“ (Anlage 19, S. 4) (wiederum) erhebliche zeitliche und finanzielle Aufwendungen erforderlich machte. Es kann daher nicht angenommen werden, dass ein Fachmann – trotz der oben dargelegten praktischen Schwierigkeiten, der geringen Verbreitung der Nutzung von Tosylatsalz und seiner niedrigen Wasserlöslichkeit – Tosylatsalz routinemäßig in diese Versuche miteinbezogen hätte. Dies gilt umso mehr, als die zum Prioritätszeitpunkt weitaus verbreiteteren Hydrochlorid- und Sulfatsalze (Anlage ASt 22, S. 227, Tabelle 13.4) im Rahmen des Salzscreenings hinsichtlich ihrer Wasserlöslichkeit deutlich bessere Werte (0,03 mg/100 ml bzw. 0,05 mg/100 ml) aufwiesen.
Aus den soeben dargelegten Gründen, die insbesondere auch an den von der Antragsgegnerseite beigebrachten Stand der Technik anknüpfen, kann auch nicht der Ansicht der Antragsgegnerseite gefolgt werden, der Durchschnittsfachmann würde – anders als der besonders erfahrene Erfinder Prof. Dr. R. – nach Ermittlung der Wasserlöslichkeit – unabhängig vom Ergebnis der Löslichkeitsprüfung – stets routinemäßig auch alle weiteren Folgeschritte durchführen. Diese aus Sicht der Kammer für die Beurteilung des Rechtsbestands besonders bedeutsame Behauptung hat die Antragsgegnerseite in ihrem schriftsätzlichen Vortrag mit Verweis auf diverse Druckschriften nicht belegen können; auch aus den intensiven Erörterungen in der mündlichen Verhandlung zu dieser Frage haben sich keine Umstände ergeben, aufgrund derer ein entsprechend routinemäßiges Vorgehen des Fachmanns angenommen werden müsste.
Dass die oben dargelegten Argumente der Antragstellerseite von dieser im Nichtigkeitsverfahren bereits vor Ergehen des Hinweises des Bundespatentgerichts am 01.04.2021 vorgebracht worden waren, führt – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerseite – ebenfalls zu keiner abweichenden Beurteilung der Rechtsbestandsprognose im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Argumenten der Antragstellerseite, insbesondere hinsichtlich der vom Fachmann zu überwindenden Hürden, die sich sowohl aus dem Stand der Technik als auch aus praktischen Gegebenheiten als auch aus dem ermittelten niedrigen Wert der Wasserlöslichkeit des Tosylatsalzes von Sorafenib ergeben, erfolgte im Rahmen der Hinweise des Bundespatentgerichts bislang nicht. Angesichts der aus diesen Aspekten folgenden Schwierigkeiten kann – zumindest im Rahmen des vorliegenden Verfügungsverfahrens – auch nicht der Ansicht der Antragsgegnerseite gefolgt werden, die Kürze der Ausführungen des Bundespatentgerichts zur Frage der erfinderischen Tätigkeit sei lediglich der „Einfachheit“ des Falls geschuldet. Die Antragstellerseite hat die im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Argumente auch im Nichtigkeitsverfahren nach Ergehen des Hinweises vom 01.04.2021 (nochmals) ausführlich dargelegt mit Schriftsatz vom 14.04.2021 (Anlage ASt 17), so dass eine entsprechende Erörterung im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht am 29.09.2021 zu erwarten ist. Das Bundespatentgericht hat in seinem Hinweis vom 01.04.2021 mitgeteilt, dass die Erörterung der erfinderischen Tätigkeit „Schwerpunkt der mündlichen Verhandlung sein dürfte“ (Anlage ASt 12, S. 3).
dd) Schließlich tragen die Antragsgegnerinnen vor, Anspruch 12 des Verfügungspatents stelle eine unzulässige Erweiterung dar. Die Erteilungshistorie des Verfügungspatents zeige, dass Anspruch 12 lediglich „versehentlich“ erteilt worden sei. Die Antragstellerin zu 1) habe im März 2011 in Reaktion auf den Recherchenbericht des EPA eine geänderte Anspruchsfassung eingereicht, die erstmalig das streitgegenständliche Sorafenib-Tosylat in den Patentansprüchen 14, 15 sowie 16 umfasste (Anlage AR 15). Daraufhin habe die Prüfungsabteilung des EPA am 25.05.2011 mitgeteilt, die Verwendungsansprüche 14 und 15 stellten eine unzulässige Erweiterung dar, da die Stammanmeldung keine alleinige Verwendung der Arylharnstoff-Verbindung offenbare, sondern lediglich in Verbindung mit zytotoxischen oder zytostatischen Wirkstoffen für die Behandlung in der Krebstherapie (Anlage AR 16). Dass die Prüfungsabteilung dabei ihre Ausführungen nicht auch auf den Stoffanspruch 16 (den erteilten Anspruch 12) erstreckt habe, sei offensichtlich einem Versehen geschuldet gewesen, da Anspruch 16 ausschließlich eine ArylharnstoffVerbindung, konkret das Tosylatsalz von Sorafenib, beanspruche. Diese Änderung sei von der Antragstellerin zu 1 auf eine einzige Angabe in der Beschreibung der WO ’579 gestützt worden, wonach das Tosylatsalz „für die Durchführung der Versuche, die in den Ausführungsbeispielen beschrieben wurde“ (Anlage ASt 14 NIB6B, S. 21, Absatz 5) verwendet worden sei (Anlage AR 17). Bei einem Ausführungsbeispiel handele es sich jedoch nur um eine exemplarische Erläuterung des Erfindungsgegenstandes. Der in Bezug genommene Abschnitt beziehe sich also unmittelbar und ausschließlich auf Beispiele, die die Wirkung des Tosylatsalzes in Kombination mit zytotoxischen oder zytostatischen Wirkstoffen zur Behandlung von Krebs zeigen sollen. Es sei daher widersinnig anzunehmen, dass die Prüfungsabteilung zu dem Schluss kommen würde, dass ein Verwendungsanspruch, der die Arylharnstoffverbindung nicht auf eine Verwendung zusammen mit zytotoxischen oder zytostatischen Wirkstoffen zur Behandlung von Krebs beschränke, von der Anmeldung in der eingereichten Fassung nicht gestützt werde, dass aber ein breiterer Stoffanspruch, der ebenfalls nicht auf eine Kombination mit zytotoxischen oder zytostatischen Wirkstoffen beschränkt sei, von der Anmeldung gestützt werde. Die Antragstellerin zu 1) habe in Reaktion auf die Mitteilung des EPA mit Schreiben vom 29.07.2011 unter anderem die Ansprüche 14 und 15 gelöscht (Anlage AR 18). Anspruch 16 sei sodann „versehentlich“ als Anspruch 12 erteilt worden (Schutzschrift, S. 22/15).
In der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2021 teilte die anwaltliche Vertreterin der Antragsgegnerinnen mit, dass dieser Vortrag in den Nichtigkeitsverfahren bislang nicht von den Nichtigkeitsklägerinnen vorgetragen worden sei. Dementsprechend verhalten sich auch die Hinweise des Bundespatentgerichts vom 01.04.2021 und 21.04.2021 nicht zu diesem Vorbringen.
Die Antragstellerinnen sind diesem Vortrag der Antragsgegnerinnen in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten. Tosylatsalze seien bereits in der Anmeldung genannt worden.
Nach Auffassung der Kammer stellt die von der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 23.03.2011 in Bezug genommene Abschnitt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Form eine hinreichende Offenbarung des Sorafenib-Tosylates dar, da darin zwar auf die in den Ausführungsbeispielen genannten Experimente Bezug genommen wird (Anlage ASt 14 NIB6B, S. 21, Absatz 5: „For purposes of the experiments herein described in the Examples (…)“), aber dennoch das Tosylatsalz von Sorafenib gerade für sich genommen, d.h. ohne weitere Wirkstoffe, mit denen es zu kombinieren wäre, aufgeführt ist (Anlage ASt 14 NIB6B, S. 21, Absatz 5: „(…) the aryl urea pound (compound A) is a tosylate salt of N-(4-chloro-3-(trifluoromethyl) phenyl)-N’-(4- (2-(N-methylcarbamoyl)-4-pyridyloxy) phenyl) urea.“). Insoweit ist auch – entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerinnen (s.o.) – eine unterschiedliche Behandlung der Verwendungsansprüche 14 und 15 einerseits und des Stoffanspruchs 16 andererseits durch die Prüfungsabteilung des EPA nicht „widersinnig“. Es kann hier jedoch ohnehin dahinstehen, ob Sorafenib-Tosylat in der Anmeldung hinreichend offenbart wurde oder Anspruch 12 eine unzulässige Erweiterung gegenüber der Offenbarung der ursprünglichen Anmeldung darstellt. Im Rahmen der im vorliegenden Verfahren zu treffenden Prognose über den Rechtsbestand des Verfügungspatents ist dieser Einwand nicht zu berücksichtigen, weil er unstreitig von den Nichtigkeitsklägerinnen bisher nicht zum Gegenstand eines der Nichtigkeitsverfahren gemacht wurde. Die Antragsgegnerinnen selbst haben bislang eine Nichtigkeitsklage – trotz Möglichkeit – weder erhoben noch angekündigt. Es ist daher nicht ersichtlich, dass dieser Einwand den Rechtsbestand des Verfügungspatents wird zu Fall bringen können.
4. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung der gegenläufigen Interessen überwiegt das Interesse der Antragstellerinnen, bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts über den Rechtsbestand des Verfügungspatents vor dem Markteintritt eines Generikums für ihr Originalpräparat Abc geschützt zu sein, das Interesse der Antragsgegnerinnen an einem Markteintritt bereits zum jetzigen Zeitpunkt bzw. nach Ablauf des ergänzenden Schutzzertifikats ESZ ’059 am 21.07.2021.
a) Im Rahmen der Interessenabwägung ist zunächst zu Gunsten der Verfügungsklägerin zu berücksichtigen, dass ein Unterlassungsanspruch nicht für die gesamte Restlaufzeit des Verfügungspatents geltend gemacht, sondern lediglich ein zeitlich bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts befristeter Unterlassungsantrag gestellt wurde. Damit verfolgen die Antragstellerinnen indes statt eines – wie üblich – für die Laufzeit eines Streitpatents geltenden Marktausschlusses lediglich eine Sicherung der sich infolge der Erteilung des Verfügungspatents zu ihren Gunsten ergebenden Rechtsposition bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts. Somit entspricht der Antrag zum einen der sich aus § 58 Abs. 1 S. 3 PatG ergebenden rechtlichen Wirkung des Erteilungsaktes und trägt zum anderen zugleich der angesichts des negativen Hinweises des Bundespatentgerichts bestehenden Möglichkeit einer Vernichtung des Verfügungspatents Rechnung. Durch diese zeitliche Beschränkung wird gewährleistet, dass nicht – trotz der negativen Tendenz der Hinweise – durch den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung Fakten zugunsten des Patentinhabers geschaffen werden, die gegebenenfalls eine spätere erstinstanzliche Nichtigerklärung konterkarieren würden und erst durch einen Widerspruch (§§ 935, 924 ZPO) oder Antrag auf Aufhebung (§§ 935, 927 ZPO) beseitigt werden müssten (jedenfalls, wenn diese Entscheidung nicht als evident unrichtig angesehen wird, s.o.). Vielmehr entfällt die den Antragsgegnerinnen auferlegte Beschränkung durch die zeitliche Begrenzung automatisch mit Fristablauf.
b) Für die Antragstellerinnen sprechen weiterhin die mit einem unmittelbaren Markteintritt eines generischen Produktes zu ihrem Nachteil drohenden, irreversiblen wirtschaftlichen Nachteile.
Die Antragstellerinnen haben hierzu – unwidersprochen – vorgetragen, dass der Markteintritt eines Generikums zu einem massiven Verfall des Preises für ein Originalpräparat führen würde, der auch nicht wiederhergestellt werden könne, wenn das Generikum zu einem späteren Zeitpunkt wieder vom Markt genommen werde. Preisreduzierungen in Höhe von etwa 67%-77% seien in derartigen Fällen nicht unüblich. Bei Eintritt des ersten Generikums auf den Markt endeten Abnahmeverträge für das Originalarzneimittel Abc entweder automatisch und sofort oder seien kurzfristig kündbar. Diese Abnahmeverträge würden bei Rückzug der Generika vom Markt auch nicht wieder aufleben, sondern müssten neu ausgehandelt werden. Der Preis des Originalpräparats sei in vergangenen Fällen, in denen Generikahersteller ihre Nachahmerpräparate nach erfolgtem Markteintritt wieder vom Markt nehmen gemusst hätten, für die Restlaufzeit des Patentschutzes bzw. der Marktexklusivität in der Regel substanziell unterhalb des vorherigen Preises verblieben. Zur Glaubhaftmachung dieser Aspekte haben die Antragstellerinnen eine eidesstattliche Versicherung der Frau Laura Mauss, Head of Pricing and Reimbursement bei der N Vital GmbH, der deutschen Vertriebsgesellschaft von N, vom 14.07.2021 vorgelegt (Anlage ASt 23). Zu berücksichtigen sei auch, dass die aktuelle Restlaufzeit des Verfügungspatents ca. 15 Monate betrage. Demgegenüber sei auf Seiten der Antragsgegnerinnen lediglich die Absatzmöglichkeit eines neu auf den Markt eintretenden Nachahmerprodukts vom Zeitpunkt des erstmalig möglichen Markteintritts bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichts, d.h. aller Wahrscheinlichkeit für einen Zeitraum von weniger als zwei Monaten, betroffen. Diese Entscheidung des Bundespatentgerichts über den Rechtsbestand, die voraussichtlich bereits am 29.09.2021 vorliegen werde, dürfe nicht faktisch durch andere Gerichte vorweggenommen werden, indem trotz bestehenden Patentschutzes kein effektiver Rechtsschutz gewährt werde. Schließlich weisen die Antragstellerinnen darauf hin, dass bislang trotz mehrerer anhängiger Rechtsbestandsverfahren in verschiedenen europäischen Ländern (einschließlich dem Vereinigten Königreich, Spanien, Belgien, Österreich, Rumänien, Portugal, Tschechien und der Slowakei) keine Entscheidung vorliege, die den Rechtsbestand des Verfügungspatents negativ bescheiden würde. Vielmehr sei bereits in mehreren europäischen Ländern, wie etwa Finnland und Rumänien, der Rechtsbestand als hinreichend gesichert angesehen worden, um auf seiner Basis einstweilige Verfügungen zu erlassen, die Generikaherstellern den Markteintritt ihrer Nachahmerprodukte zu Abc untersagen (Bl. 35/36 d.A.).
Die Antragsgegnerinnen haben demgegenüber in der Schutzschrift vom 24.07.2021 vorgebracht, dass bereits aufgrund der negativen vorläufigen Einschätzung des Bundespatentgerichts hinsichtlich des Rechtsbestands des Verfügungspatents die gebotene Interessenabwägung zu ihren Gunsten ausfalle, da ihnen andernfalls die Erschließung eines für sie wirtschaftlich wichtigen Marktes vollständig verwehrt bliebe, obwohl sie aufgrund der Hinweise des Bundespatentgerichts davon ausgehen dürften, dass ihr Produkt das Verfügungspatent im relevanten Umfang nicht verletze. Der ihnen drohende Schaden stehe dabei außer Verhältnis zu der Möglichkeit einer anderslautenden Entscheidung des Bundespatentgerichts bzw. etwaigen Berufungsentscheidung im Nichtigkeitsverfahren (Bl. 25 d.A.). In der mündlichen Verhandlung hat die anwaltliche Vertreterin der Antragsgegnerinnen den Vortrag noch dahingehend ergänzt, dass deren wirtschaftliche Schaden nicht allein auf den Ausfall der Einnahmen für die zwei Monate bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichts beschränkt sei, sondern auch den entgangenen Vorteil eines Markteintritts als erste Generikaherstellerin (sog. „First Mover Advantage“) umfasse, der jedoch nicht bezifferbar sei.
Bei der Abwägung dieser widerstreitenden Interessen überwiegt das Interesse der Antragstellerinnen an dem Schutz vor einem erheblichen und irreversiblen Preisverfall für ihr Originalpräparat für die Restlaufzeit des Patents gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse der Antragsgegnerinnen an einem Markteintritt bereits zum jetzigen Zeitpunkt. Die Antragsgegnerinnen haben den Vortrag der Antragstellerseite, dass der Markteintritt eines Generikums zu einem erheblichen und irreversiblen Preisverfall für das jeweilige Originalpräparat führe, nicht bestritten. Diese Erwägungen liegen auch der Rechtsprechung zum drohenden Markteintritt eines Generikums als Sonderfall im Rahmen von einstweiligen Verfügungsverfahren zugrunde (vgl. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236, 240 – Flupirtin-Maleat; LG München I BeckRS 2017, 126085, Rn. 54 – TRUVADA). Angesichts des hohen jährlichen Umsatzes von N mit dem Originalpräparat Abc (nach unwidersprochen gebliebenen Vortrag ca. EUR … Millionen in der Bundesrepublik Deutschland) und der aktuellen Restlaufzeit von ca. 15 Monaten ist dieser Schaden auch als voraussichtlich sehr erheblich einzustufen. Demgegenüber werden die Antragsgegnerinnen aufgrund der zeitlichen Beschränkung der vorliegenden Unterlassungsverfügung bis zum Zeitpunkt der am 29.09.2021 zu erwartenden erstinstanzlichen Entscheidung (s.u. zu den angeordneten Rechtsfolgen) – auch unter Berücksichtigung etwaiger zeitlicher Verzögerungen für eine (Wieder-)Aufnahme in die IFAInformationsdienste durch redaktionelle Abläufe bei der IFA – lediglich für einen Zeitraum von wenigen Monaten vom Markt ferngehalten. Der in diesem Zeitraum entstehende Schaden könnte – im Falle einer späteren Vernichtung des Patents – durch entsprechende Schadensersatzansprüche gegen die Antragsgegnerinnen vollständig ausgeglichen werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass ein Generikaunternehmen für seine Marktpräsenz im Allgemeinen keine eigenen wirtschaftlichen Risiken eingeht, weil das Präparat dank des Patentinhabers medizinisch hinreichend erprobt und am Markt etabliert ist (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236, 240 – Flupirtin-Maleat; LG München I BeckRS 2017, 126085, Rn. 54 – TRUVADA). Angesichts dieses deutlich niedrigeren wirtschaftlichen Risikos kann im vorliegenden Fall auch der Umstand, dass die Antragsgegnerinnen aus ihrer Sicht aufgrund der vorläufigen negativen Einschätzung des Bundespatentgerichts von einer späteren Vernichtung des Verfügungspatents ausgehen dürften, nicht zu einem Überwiegen ihrer Interessen führen. Zudem ist die durch die Hinweise geschaffene Vertrauensgrundlage angesichts ihrer Offenheit in Bezug auf die Frage der Priorität bzw. der geringen Begründungstiefe in Bezug auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit, des umfangreichen Vorbringens der Antragstellerinnen in Erwiderung auf die Hinweise sowie der fehlenden und nicht zu erwartenden Beteiligung der Antragsgegnerinnen (s.o.) nicht derart ausgeprägt, dass sie den Ausschlag zugunsten der Antragsgegnerinnen geben kann. Soweit die Antragsgegnerinnen vortragen, durch die Unterlassungsverfügung werde ihnen der Vorteil genommen, als erste Produzentinnen ein Generikum von Abc auf den Markt zu bringen, wurde dieser Schaden weder beziffert noch sonst konkret und detailliert darlegt. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerinnen bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte für eine Erstbegehungsgefahr auch gegen sonstige Generikahersteller vorgehen werden. Für eine entsprechende Beobachtung der Generikahersteller spricht dabei bereits die intensive Auseinandersetzung der Antragstellerseite mit den Nichtigkeitsverfahren der ratiopharm GmbH und der X. Arzneimittel GmbH (Bl. 4, 25 d.A.) sowie die in Finnland und Rumänien beantragten (und erlassenen) einstweiligen Verfügungen (Bl. 36 d.A.). Zudem ist auch insoweit das geringere wirtschaftliche Risiko der Antragsgegnerinnen als Generikaherstellerinnen (s.o.) zu berücksichtigen.
C. Rechtsfolgen
I. Die ausgesprochene Untersagungsverfügung war entsprechend dem Hilfsantrag der Antragstellerinnen bis zum 29.09.2021 zu begrenzen. Eine – dem Hauptantrag der Antragstellerinnen entsprechende – weitergehende Untersagung bis zu einem nicht datumsmäßig bestimmten, d.h. gegebenenfalls auch späteren Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichts über den Rechtsbestand des Verfügungspatents war nicht angezeigt, da keine Anhaltspunkte bestehen, dass seitens des Bundespatentgerichts am 29.09.2021 keine erstinstanzliche Entscheidung ausgesprochen werden wird. Zudem würde eine entsprechende Untersagungsverfügung der Antragstellerin zu 1) die theoretische Möglichkeit eröffnen, durch Terminverlegungsanträge im Nichtigkeitsverfahren den Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung herauszuzögern.
II. Eine Sicherheitsleistung für den Vollzug der einstweiligen Verfügung war unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes nicht festzusetzen. Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, dass angesichts der drohenden Aufnahme des Generikums in den IFAInformationsdiensten und in der Folge auch in der LAUER-TAXE® zum 01.08.2021 eine besondere Dringlichkeit besteht, so dass bereits eine geringfügige Verzögerung durch die Anforderungen an die wirksame Erbringung der Sicherheitsleistung die effektive Rechtsdurchsetzung durch die Antragstellerinnen jedenfalls erheblich beeinträchtigt hätte.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit die Antragstellerin im Hauptantrag eine Untersagung bis zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichts über den Rechtsbestand des Verfügungspatents beantragt hat, handelt es sich gegenüber der hilfsweise beantragten und zugesprochenen Untersagung bis zum 29.09.2021 nur um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung i.S.v. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, insbesondere da vorliegend keine Anhaltspunkte bestehen, dass seitens des Bundespatentgerichts am 29.09.2021 keine erstinstanzliche Entscheidung ausgesprochen werden wird (s.o.). Auch wurden durch die Antragstellung der Antragsstellerin allenfalls geringfügig höhere Kosten veranlasst.


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