Europarecht

Berufung, Anordnung, Annullierung, Ermessen, Zulassung, Kostenentscheidung, Verfahren, Flug, Bedeutung, Beklagte, EuGH, Zuteilung, Fluggastrechteverordnung, Hinweis, billigem Ermessen, Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  240 C 8633/19

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 37852
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Das Vorliegen einer Anordnung der Flugsicherheit stellt sich nicht per se einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung dar. Entscheidend ist, ob der der Anordnung zugrundeliegenden Umstand die Kriterien des außergewöhnlichen Umstandes erfüllt.

Gründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
A.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 250 € pro Fluggast, gesamt 500 €, aus Art. 5 Abs. 1 c iVm Art. 7 Abs. 1 a) Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: Fluggastrechteverordnung).
1) Der von der Beklagten ausgeführte Flug von London-Stasted nach Nürnberg hatte mehr als 3 Stunden Verspätung. Eine Verspätung von über 3 Stunden ist einer Annullierung gleichzustellen (EuGH, Urteil vom 19.11.2009, C-402/07, Celex-Nr. 62007CJ0402). Der Flug wurde von der Beklagten durchgeführt. Die Distanz zwischen Abflugs- und Ankunftsort beträgt unstreitig 810 km.
2) Zwischen den Parteien ist lediglich streitig, ob die Beklagte aufgrund außergewöhnlicher Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung von ihre Verpflichtung zur Ausgleichszahlung frei wird. Danach ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Die Beklagte beruft sich hinsichtlich der außergewöhnlichen Umstände auf eine Slotverschiebung aufgrund eines Gewitters sowie weiterer Slotverschiebungen durch Eurocontrol, deren Grundlage die Beklagte nicht weiter konkretisierte.
a) Dahinstehen kann, ob es sich bei der Slotverschiebung aufgrund eines Gewitters um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, weil dieser allein nur zu einer Slotverschiebung auf 19:45 Uhr UTC und damit einer Verspätung von unter 3 Stunden geführt hätte. Er wäre daher nur dann relevant, wenn die weitere Verspätung ebenfalls auf außergewöhnlichen Umständen beruht hätte. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall.
b) Die weiteren Slotverschiebungen stellen keinen außergewöhnlichen Umstand dar.
Außergewöhnliche Umstände sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Vorkommnisse, „die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind“ (EuGH, Urteil vom 17. April 2018 – C-195/17 -, juris Rn. 32 mwN). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.
Den den weiteren Slotverschiebungen zugrunde liegenden Grund hat die Beklagte jedoch trotz richterlichen Hinweises nicht vorgetragen. Es verblieb bei der in Englisch gefassten Erklärung von Eurocontrol, deren Bedeutung des Gerichts aufgrund der vielen Fachtermini bzw. Abkürzungen nicht bekannt ist, worauf das Gericht auch mit Verfügung vom 16.11.2020 hingewiesen hat. Den ursprünglichen Vortrag, dass die weiteren Slotverschiebungen ebenfalls auf einem Gewitter beruhten, hat die Beklagte nach richterlichen Hinweis vom 16.11.2020 nicht mehr aufrechterhalten.
Ob allein das Vorliegen einer Anordnung durch die Flugsicherheit Eurocontrol für die Annahme eines außergewöhnlichen Umstandes genügt, ist umstritten (zum Meinungsstand vgl. BeckOK, Fluggastrechte-Verordnung, Schmid, 16. Edition, Stand 01.10.2020, Art. 5 Rn. 102 ff.). Soweit erkennbar ist die Rechtsfrage durch den EuGH noch nicht entschieden. Der BGH hat mit Urteil vom 13.11.2013, Az. X ZR 115/12, in: NJW 2014,859, entschieden, dass die Verweigerung oder verzögerte Erteilung einer Landeerlaubnis grundsätzlich einen außergewöhnlichen Umstand darstellt, weil das Luftverkehrsunternehmen keinen Einfluss darauf hat, ob ihm tatsächlich auch der Abflug bzw. die Landung zur vorgegebenen Zeit gestattet werde. Das erkennende Gericht vertritt jedoch die Auffassung, dass es nicht allein darauf ankommt, ob eine Anordnung des Luftfahrtmanagements vorliegt, sondern maßgeblich ist, ob die der Anordnung zugrunde liegenden Umstände die Voraussetzungen eines außergewöhnlichen Umstandes erfüllen. Denn eine Maßnahme der Flugsicherheit mag für die Beklagte zwar nicht beherrschbar sein, sie kann jedoch Teil der normalen Ausübung ihrer Tätigkeit sein. Wie schon dargelegt, müssen jedoch beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen, um einen außergewöhnlichen Umstand annehmen zu können. (so auch LG Korneuburg, Urteil vom 26.05.2020 – 22 R 67/20p, in: BeckRS 2020, 15835). Dem steht auch nicht Erwägungsgrund 15 der Fluggastrechteverordnung entgegen, wonach vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden sollte, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern. Der Erwägungsgrund ist nicht so zu verstehen, dass bei Vorliegen einer Entscheidung des Flugverkehrsmanagements automatisch ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt, denn der europäische Gesetzgeber hat lediglich ausdrücken wolle, dass die in den Erwägungsgründen 14,15 genannten Vorkommnisse zu außergewöhnlichen Umständen führen können (BeckOK, aaO Rn. 102b ff.). Nur diese Auslegung entspricht dem Schutzzweck der Fluggastrechteverordnung. Ob die Maßnahme der Flugsicherheit Eurocontrol jedoch Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens war, kann nur dann geprüft werden, wenn vorgetragen und gegebenenfalls bewiesen wird, was Ursache der Anordnung von Eurocontrol war. Dazu hat sich die Beklagte trotz richterlichen Hinweises nicht verhalten.
B.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben