Europarecht

Berufung, Sittenwidrigkeit, Fahrzeug, Schadensersatzanspruch, Haftung, Beweislast, Software, Feststellung, Form, Darlegungslast, Vorsatz, Rechtsfehler, Vergleich, Anlage, nicht ausreichend, billigend in Kauf, Darlegungs und Beweislast

Aktenzeichen  27 U 7045/20

Datum:
22.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31946
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

33 O 663/20 2020-11-06 LGMEMMINGEN LG Memmingen

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 06.11.2020, Az. 33 O 663/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert im Berufungsverfahren auf 54.552,21 € (vgl. S. 4 f. Berufungsbegründung) festzusetzen. Binnen vorgenannter Frist können die Parteien auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens Stellung nehmen

Gründe

I.
Das Endurteil des Landgerichts Memmingen entspricht der Sach- und Rechtslage.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
2. Die Berufung ist aber offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
Die tatsächliche und rechtliche Würdigung im angefochtenen Urteil ist frei von Rechtsfehlern. Zu Recht ist das Landgericht in der angefochtenen und ausführlich begründeten Entscheidung davon ausgegangen, dass ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte sowie ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht begründet ist. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die mit der Berufung erhobenen Rügen verfangen nicht. Zu den Berufungsangriffen ist Folgendes anzumerken: a) Mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien kommt allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit dem vom Kläger vorgenommenen Erwerb des Pkws Mercedes Benz, Typ V 250d 4 M, FIN: …44, Erstzulassung: 18.01.2016, Kilometerstand 33.894, zum Preis von 49.777,00 €, ausgestattet mit einem Dieselmotor Typ OM 651, am 02.09.2017 bei der A.GmbH in Betracht.
Der Senat teilt in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung, dass für eine deliktische Haftung der Beklagten der Kläger grundsätzlich die volle Darlegungsund Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen trägt (BGH, NJW 2019, 3638, 3641; OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1498; Senat, Hinweisbeschluss vom 13.11.2020 – 27 U 4262/20). Eine etwaige sekundäre Darlegungslast der Gegenseite kommt nur ausnahmsweise und unter ganz besonderen tatsächlichen Umständen zum Tragen, setzt aber voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichende, greifbare Anhaltspunkte hierfür dargelegt hat (OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1500 Rn. 44).
b) Selbst wenn man zugunsten der Klagepartei hinsichtlich des Schadenseintritts das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO für ausreichend erachten würde, steht vorliegend dem Kläger gegen die Beklagte weder ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB i. V. m. § 31 BGB (analog) bzw. § 831 BGB noch aus anderen deliktsrechtlichen Vorschriften zu. Das Landgericht hat das Verhalten der Beklagten auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen mit Recht nicht als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB angesehen. Es fehlt bezüglich eines Anspruchs aus § 826 BGB jedenfalls an der schlüssigen Darlegung eines sittenwidrigen Verhaltens wie auch eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten.
aa) (1) Ob die Funktionsweise des sogenannten „Thermofensters“ mit den Vorgaben des einschlägigen Unionsrechts in Einklang steht, wurde von Rechtsprechung und Literatur bislang – wie das Landgericht ausführlich dargelegt hat (vgl. Urteilsgründe S. 12 ff.) – nicht einheitlich bewertet. Umstritten war dabei nicht nur, ob es sich bei diesem Mechanismus um eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen Verordnung 2007/715/EG handelt. Unklar war darüber hinaus auch, ob der Mechanismus dem Regelverbot des Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung unterfällt oder nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung ausnahmsweise als zulässig anzusehen ist, weil er notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen (vgl. zum Meinungsstand OLG München, BeckRS 2020, 24517 Rn. 27 f.; OLG Schleswig, BeckRS 2020, 9840 Rn. 32 m. w. N.). Nunmehr hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass ein Pkw-Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen darf, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, um ihre Zulassung zu erreichen. Auch die Tatsache, dass eine solche Abschalteinrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern, könne ihr Vorhandensein nicht rechtfertigen (EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18, BeckRS 2020, 35477).
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann es letztlich aber dahinstehen, ob der Vortrag des Klägers, in seinem Fahrzeug befinde sich eine im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO 2007/715/EG unzulässige Abschaltrichtung, unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 (vgl. BGH, NJW 2020, 1740) und der vom Kläger vorlegten Bescheinigung vom 17.11.2018 zur Durchführung eines Software-Updates im Rahmen einer vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten Rückrufaktion (Anlage K 1d) als ausreichend substantiiert anzusehen ist. Denn ein Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 VO 2007/715/EG allein wäre nicht ausreichend, um von einem sittenwidrigen Verhalten mit Schädigungsvorsatz auszugehen.
(2) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten; vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2014, 1380 Rn. 8 m. w. N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen (vgl. BGH, BeckRS 2016, 17389 Rn. 17 m. w. N.). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, BeckRS 2016, 17389 Rn. 17).
Bezüglich einer eventuellen sittenwidrigen Täuschungshandlung der Beklagten ist hierbei im vorliegenden Fall nicht allein auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Pkws mit dem Motor OM 651 abzustellen. Vielmehr ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, wobei hierbei der Betrachtung das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat (vgl. BGH, NJW 2020, 2798, 2802).
(3) Vorliegend vermag der Senat auch auf Basis des klägerischen Vortrags nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau des konkreten Motors in das Fahrzeug des Klägers unter Berücksichtigung des am 17.11.2018 vorgenommenen Software-Updates (Anlage K 1 d) in sittenwidriger Weise tätig wurde.
Entgegen dem Vortrag des Klägers (vgl. S. 10 der Berufungsbegründung) hat die Beklagte in der Klageerwiderung nicht ausdrücklich eingeräumt, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine manipulative Umschaltlogik verbaut ist, also das Fahrzeug direkt darauf reagiert, ob es auf einem Prüfstand steht und deshalb in einen anderen Modus schaltet (vgl. S. 2 f. der Klageerwiderung vom 07.09.2020). Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das vom Kläger behauptete Thermofenster nach dessen Vortrag darauf, dass die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert beziehungsweise abgeschaltet wird. Wenn das für das Fahrzeug des Klägers allein konkret in Rede stehende Thermofenster nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Umgebungstemperatur richtet, ist es nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 30; OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2019, 30856 Rn. 31).
Bei einer die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes – bis zur Entscheidung des EuGH, s. o. – als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden konnten, kann bei Fehlen jedweder, konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation auch eine falsche, aber vertretbare Gesetzesauslegung und – anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 32; OLG Köln, BeckRS 2019, 15640 Rn. 5). Eine Sittenwidrigkeit kommt nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung der Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dieses von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (vgl. OLG Düsseldorf, a. a. O.; OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 584 f.).
Vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Informationen und der von dem Kläger entsprechend geschilderten Funktionsweise des „Thermofensters“ war die von der Beklagten vorgenommenen Auslegung einer unbestimmten Norm, wonach ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes (Vgl. zur Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der VO 2007/715/EG auch die Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“, Stand April 2016, S. 126, zitiert nach OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585, demnach ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vorliege) und möglicherweise auch einer gewissen Kostensensibilität (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 39) kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585; OLG Koblenz, BeckRS 2020, 21725 Rn. 21).
bb) (1) Zudem fehlt es jedenfalls an dem für eine deliktische Haftung notwendigen Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. OLG Schleswig, BeckRS 2020, 9840). Vorsatz enthält ein „Wissens “ und ein „Wollenselement“. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss – im Fall des § 826 BGB die Schädigung des Anspruchsstellers -, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben (vgl. BGH, VersR 2002, 613, 615; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Auflage 2021, § 276 Rn. 10). Die Annahme der – vorliegend auch in Betracht kommenden – Form des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 1207, 1210). Der Vorsatz muss sich auch auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht (BGH, NJW 2001, 2880, 2882). Dagegen reicht es nicht aus, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen. In einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, NJW-RR 2012, 404 Rn. 10).
Von den materiellen Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes sind die Anforderungen zu unterscheiden, die an seinen Beweis zu stellen sind. So kann sich im Rahmen des § 826 BGB aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Auch kann es im Einzelfall beweisrechtlich naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. Allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch einverstanden war. Vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich (BGH, NJW-RR 2012, 404 Rn. 11 m. w. N.).
(2) Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) lässt sich entgegen der Berufungsbegründung nicht daraus ableiten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem sogenannten „Thermofenster“-Mechanismus ausgestattet ist.
Anders als bei einer Software, die die Situation auf dem Prüfstand erkennt, deswegen in einen anderen Modus schaltet und deren Unzulässigkeit deshalb ebenso wie die Gefahr eines Widerrufs der erschlichenen Betriebszulassung auf der Hand liegt, ist dies beim sog. „Thermofenster“ – wie das Landgericht ausführlich dargestellt hat (vgl. S. 12 ff.) – gerade nicht der Fall. Es sind vorliegend auch unter Berücksichtigung des Rückrufbescheids des Kraftfahrt-Bundesamtes bzw. des durchgeführten Software-Updates (vgl. Anlage K 1 d) keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Einbau der Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor OM 651 in dem Bewusstsein geschehen ist, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Denn der Einschätzung im Hinblick auf das Thermofenster konnte auch eine möglicherweise falsche, aber bis zur Entscheidung des Gerichtshof der Europäischen Union vom 17.12.2020 dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele. Unerheblich ist hierbei, ob es andere technische Möglichkeiten gab, mit denen auch bei geringerer Reduzierung der Abgasrückstände das Risiko von Motorschäden vermieden und zugleich die weiteren Schadstoffgrenzen eingehalten werden konnten. Unabhängig davon, ob solche Möglichkeiten der Beklagten auch bekannt gewesen waren, kann es keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellen, wenn ein Kfz-Hersteller nicht der Vorreiter der technischen Entwicklung ist (OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 42).
cc) Etwas anderes ergibt sich hinsichtlich Sittenwidrigkeit und Vorsatz der Beklagten nicht daraus, dass der Kläger auf weitere, aus seiner Sicht unzulässige Abschalteinrichtungen (Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, S. 13 ff. der Berufungsbegründung, SCR-System/AdBluespezifische Abschalteinrichtung, S. 21 ff. der Berufungsbegründung) abstellt.
(1) Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BGH, BeckRS 2019, 7939 Rn. 11 m. w. N.).
(2) Hiergegen hat das Landgericht nicht verstoßen, indem es den Sachvortrag des Klägers als nicht hinreichend konkret angesehen und deshalb eine Beweisaufnahme abgelehnt hat. Der Vortrag des Klägers ist wegen nicht hinreichender Substantiierung unschlüssig.
Der Kläger hat bezüglich der/des Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung/SCR-Systems/AdBluespezifische Abschalteinrichtung – gemessen an den oben genannten Maßstäben – eine im Fall ihrer Erweislichkeit die Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB erfüllende Indizienkette nicht vorgetragen. Zwar durfte er sich auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, denn er kann mangels Sachkunde und Einblick in die Produktionsabläufe der Beklagten keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben, weswegen er diese als Vermutungen in den Rechtsstreit einführen können muss (vgl. BGH, VersR 1995, 433 Rn. 15 ff.). Dem Kläger ist es aber nicht gelungen darzulegen, aufgrund welcher Untersuchungen bzw. Feststellungen hinsichtlich seines Pkws sich ergeben haben soll, dass die in diesem vorhandene Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung tatsächlich eine Unterscheidung zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem normalen Straßenbetrieb trifft und somit als unzulässig im Sinne der Verordnung 715/2007/EG angesehen werden muss.
Hinsichtlich des Vortrags des Klägers, dass das System so konditioniert sei, dass das Fahrzeug sehr wohl zwischen dem Prüfstand und dem allgemeinen Straßenbetrieb unterscheide und es infolge dessen zu unterschiedlichen Abgasrückführungen komme, ist nicht belastbar dargelegt, wer dies (und wie) in dem betroffenen Fahrzeug des Klägers tatsächlich festgestellt haben will. Soweit der Kläger in der Anlage BK 3 im Zusammenhang mit der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung auf ein Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts vom 20.10.2020 Bezug nimmt (S. 13 f. der Berufungsbegründung), das einen Mercedes GLK CDI, Baujahr 2012, OM 642, Schadstoffklasse Euro 5, betrifft, handelt es sich um ein anderes Fahrzeug als den hier streitgegenständlichen Pkw Mercedes Benz, Typ V 250d 4 M, Erstzulassung 18.01.2016, ausgestattet mit einem Dieselmotor Typ OM 651, Schadstoffklasse Euro 6. Gleiches gilt, soweit aus Sicht des Klägers unter Hinweis auf Ausführungen des als Anlage BK 4 vorgelegten Sachverständigengutachtens, das zu einem Fahrzeug der Schadstoffklasse Euro 5 Stellung nimmt (S. 14 f. der Berufungsbegründung), davon ausgegangen werden kann, dass auch die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung des gegenständlichen Fahrzeugs entsprechende Prüfstandsbedingungen erkennt. Auch der Vortrag, es sei davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine Kühlerjalousie verfüge, die im normalen Fahrbetrieb meistens geschlossen sei bzw. dass die Betriebsdauer des geregelten Kühlmittelthermostats in zeitlicher Hinsicht (“Timer“) ungefähr so lange greife, wie der Test auf einem Prüfstand läuft bzw. unwesentlich länger, beinhaltet keine greifbaren Anhaltspunkte, bei der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Diese Behauptung ist auch in Verbindung mit den klägerseits in Bezug genommenen Urteilen des Landgerichts Stuttgart vom 01.12.2020, Az. 23 O 122/20, und des Oberlandesgerichts Naumburg vom 18.09.2020, Az. 8 U 8/20, nicht ausreichend, um einen Mangel des Fahrzeugs des Klägers in Form des Vorhandenseins einer illegalen Abschalteinrichtung schlüssig darzutun. Denn entgegen dem Vortrag des Klägers (S. 17 f. der Berufungsbegründung) und der von der 23. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vertretenen Auffassung ist es aus Sicht des Senats nicht maßgeblich, ob eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung zum Motorschutz nicht notwendig gewesen ist, weil sich eine Abschalteinrichtung durch Konzeption, Konstruktion oder Werkstoffwahl vermeiden lässt. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass solche Möglichkeiten der Beklagten auch bekannt gewesen wären. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Kfz-Hersteller nicht der Vorreiter der technischen Entwicklung ist (OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 42). Ebenfalls ist es aus Sicht des Senats entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Naumburg (vgl. OLG Naumburg, BeckRS 2020, 23552 Rn. 15 ff.), dessen Urteil vom 18.09.2020 einen Pkw Mercedes GLK 220 CDI 4MATIC mit dem Motor OM 651, Schadstoffklasse Euro 5, betraf nicht angängig, sämtliche Motoren einer Motorenfamilie ohne Berücksichtigung ihrer individuellen technischen Merkmale dem Generalverdacht einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterwerfen. Es ist in technischer Hinsicht unmittelbar einleuchtend, dass die Motorsteuerung in Abhängigkeit von Fahrzeugtyp, Volumen und Leistung erfolgt (vgl. OLG Köln, BeckRS 2019, 15640 Rn. 5). Aus den vorgenannten Gründen ist damit auch ein drohender Verlust der Zulassung und die Gefahr einer Stilllegung gemäß § 5 FVZ durch die örtliche Zulassungsbehörde nicht belegt.
Gleiches gilt hinsichtlich des klägerischen Vortrags zur Regelung des SCR-Katalysators (AdBluespezifische Abschalteinrichtungen, S. 21 ff. der Berufungsbegründung) und die in diesem Zusammenhang skizzierten Abschaltvorrichtungen Bit 13, Bit 14 und Bit 15 sowie Slipguard. Dass die Beklagte im September 2020 angesichts der als Anlage BK 6 vorgelegten Anklageschrift des US-Justizministeriums einen Vergleich mit den US-Behörden geschlossen hat, in dem sich die Beklagte verpflichtete, im Zusammenhang mit dem Export von ca. 174.000 Dieselfahrzeugen in die USA ein zivilrechtliches Bußgeld in Höhe von 875 Mio. US-$ sowie eine weitere Strafzahlung von rund 600 Mio. US-$ vorzunehmen (vgl. Berufungsbegründung S. 23 ff.), ändert an dieser Bewertung nichts Entscheidendes. Ob die in den Fahrzeugen verwendeten Funktionen „defeat devices“ sind, also eine unzulässige Abschalteinrichtung der Abgasreinigung, ist aufgrund des geschlossenen Vergleichs gerade nicht abschließend festgestellt. Ebenso wenig lässt der Vergleich einen Rückschluss auf ein vorsätzliches Handeln der Beklagten zu.
Das Landgericht hat damit mit seiner Forderung nach präziserem Vortrag die Anforderungen an die Substantiierung des klägerischen Vorbringens nicht überspannt.
(3) Entsprechend gehen auch die Hinweise des Klägers auf die sekundäre Darlegungs- und Beweislast der Beklagten (vgl. S. 10, 12, 25 f. der Berufungsbegründung) ins Leere. Einer sekundären Darlegungslast fehlt es vorliegend an der erforderlichen Grundlage. Denn diese kommt erst zum Tragen, wenn die primär darlegungs- und beweisbelastete Partei Anknüpfungstatsachen schlüssig vorgetragen hat und sich daraus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit ihres Vortrags ergibt (BGH, NJW 2015, 947, 948; OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 586 Rn. 90). Es bleibt auch im Rahmen der sekundären Darlegungslast bei dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen (Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, vor § 284 Rn. 34).
c) Auch die Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 31 BGB/831 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB sind nicht erfüllt, da es auch hier an der substantiierten Darlegung eines entsprechenden Vorsatzes der Beklagten fehlt. Im Übrigen wäre im vorliegenden Fall auch die für den Betrugstatbestand erforderliche Stoffgleichheit zwischen einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfe (§ 831 BGB) der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte, nicht gegeben, weil diese bzw. die Beklagte keinen unmittelbaren Vorteil aus dem Kaufvertrag des Klägers mit der A.GmbH ziehen konnten (vgl. BGH, NJW 2020, 2798, 2801). Ein etwaiger dem Kläger entstandener Schaden kann stoffgleich allenfalls mit dem Vorteil sein, der der A.GmbH als Verkäuferin aus dem Fahrzeugverkauf zugeflossen ist (vgl. BGH, a. a. O.).
d) Ebenfalls kann der Kläger den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 5 Abs. 1, 2 i. V. m. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Dieser Anspruch scheitert – neben der fehlenden schlüssigen Darlegung des erforderlichen subjektiven Tatbestandes, s. o. – bereits am Schutzcharakter des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, NJW 2020, 2798, 2799 f.; OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 47 ff.).
e) Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache stehen dem Kläger auch keine Ansprüche auf Erstattung oder Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Mangels eines Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs befindet sich die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug.
II.
Aus den dargelegten Gründen hat die Berufung unter keinem Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg. Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Nach Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen o. g. Frist zu prüfen. Im Falle einer Rücknahme ermäßigt sich gemäß Nr. 1222 S. 2 KV zum GKG die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen von 4,0 auf 2,0.
Verfügung
1. Beschluss vom 22.01.2021 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers …
Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten …
2. Wiedervorlage mit Fristablauf
… Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht


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