Europarecht

Bescheid, Gefahrenabwehr, Vollziehung, Zwangsgeld, Feststellung, Hund, Anordnung, Nachweis, Gutachten, Frist, Vollziehbarkeit, Rasse, Ermessen, Zwangsgeldandrohung, milderes Mittel, sofortige Vollziehung, nicht ausreichend

Aktenzeichen  B 1 K 20.481

Datum:
19.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6452
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 27.04.2020 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
1. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27.04.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, so dass dieser Bescheid aufzuheben ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Anordnung in Ziffer 1 des Bescheids, dass die Klägerin eine Begutachtung ihres Hundes „Jack“ zur Feststellung von dessen Rasse und Zuordnung zu einer Kampfhunde-Kategorie durch einen Hundesachverständigen vornehmen zu lassen hat, bzw. die weitere Aufrechterhaltung dieser Anordnung, nachdem die Klägerin den Gen-Test der Firma G vorgelegt hat, erweist sich als rechtswidrig. Dies hat ebenfalls die Rechtswidrigkeit der im Bescheid weiter getroffenen Nebenentscheidungen über die Zwangsgeldandrohung (Ziffer 3) und die Kosten (Ziffer 4) zur Folge.
Die Anordnung in Ziffer 1 des Bescheids muss als sicherheitsrechtliche Anordnung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 8 LStVG) entsprechen, sich also als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen, um den mit dieser Anordnung beabsichtigten Zweck zu erreichen. Vorliegend ist aber nicht erkennbar, dass die Anordnung für den verfolgten Zweck – die Klärung der Frage, ob weitere sicherheitsrechtliche Anordnungen nach Art. 37 LStVG i.V.m. § 1 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit (KampfhundeV) veranlasst sind – erforderlich wäre.
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das erkennende Gericht anschließt, wird bei Mischlingshunden als Kreuzungen unterschiedlicher Hunderassen die Kampfhundeeigenschaft nur bis zur sogenannten F1-Generation angenommen, es muss also (mindestens) ein Elternteil des Mischlingshundes ein reinrassiger Kampfhund im Sinne des § 1 Abs. 1 KampfhundeV sein (vgl. BayVGH, B.v. 02.04.2019 – 10 CS 19.277 – juris, Rn. 15 m.w.N.). Weiter ist eine zuverlässige Einordnung eines Mischlingshundes ohne Abstammungsnachweis als Kreuzung im Sinne des § 1 Abs. 1 KampfhundeV letztlich nur möglich, wenn ein aussagekräftiges Sachverständigengutachten und ein hinreichend valider DNA-Test zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 17). Damit müssen also diese beiden Voraussetzungen kumulativ vorliegen, um in Zweifelsfällen einen Mischlingshund als Kampfhund einstufen zu können. Es ist nichts dafür ersichtlich, diese Maßstäbe nicht auch auf Kampfhunde im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KampfhundeV – also die sogenannten Kampfhunde der Kategorie II – anzuwenden.
Demnach erscheint es hier nicht mehr möglich, dass der Hund „Jack“ der Klägerin als Kampfhund der Kategorie II eingestuft werden könnte. Denn sowohl der von der Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte DNA-Test der Firma W. als auch der von der Klägerin im Laufe des Gerichtsverfahrens vorgelegte Gen-Test der Firma G. schließen aus, dass es sich bei (auch nur) einem Elternteil von „Jack“ um einen reinrassigen Kampfhund im Sinne der KampfhundeV handeln könnte. Hinsichtlich der Validität des Gen-Tests der Firma G. bestehen für das Gericht auch keine durchgreifenden Zweifel, so dass dieser vom erkennenden Gericht auch als ausreichend valide im Sinne der Rechtsprechung des BayVGH eingestuft wird.
Der Vermerk über die vom Berichterstatter beim Geschäftsführer der Firma G. am 15.01.2021 eingeholte telefonische Auskunft wurde den Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung übersandt und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Die dort festgehaltenen Aussagen werden weder von den Beteiligten noch von der Kammer in Zweifel gezogen.
Hinsichtlich der Validität des von der Firma G. angewandten Verfahrens bestehen – anders noch als beim Gen-Test der Firma W. – auch von Seiten der Beklagten keine Einwände (vgl. S. 2 des Sitzungsprotokolls vom 19.01.2021). Fraglich erschien der Beklagten lediglich noch der Umstand, dass der Genpool aus internationalen Daten besteht. Es sei zu diskutieren, ob eine Validität nur dann gegeben sei, wenn der Genpool auf Deutschland bzw. Europa beschränkt sei (vgl. a.a.O.). Dies sieht die Kammer aber als keinen durchgreifenden Einwand an. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass es der Klägerin derzeit – zumindest mit praktikablem und vertretbarem Aufwand – möglich wäre, einen Gen-Test zu erhalten, der die Aussagekraft bzw. Validität des Gentests der Firma G. übertrifft. Insbesondere sind keine Anbieter von Gen-Tests für Hunde am Markt ersichtlich, die bei der Bestimmung der Hunderasse auf eine aussagekräftigere Datenbank als die Firma G. zugreifen.
Auch dass die Firma G. ihre Gen-Tests nicht als gerichtsverwertbare Gutachten im klassischen Sinne einstuft, sieht die Kammer nicht als einen die Validität ausschließenden Umstand an. Dies liegt nämlich alleine darin begründet, dass es nach den – nicht in Zweifel gezogenen – Angaben der Firma G. derzeit keine allgemein anerkannten wissenschaftlichen Standards in diesem Bereich der genetischen Bestimmung von Hunderassen gibt. Damit muss ein Gen-Test nach Stand der Forschung und Technik, wie von der Firma G. vorliegend erstellt, ausreichend sein. Andernfalls wäre es prinzipiell nicht möglich, überhaupt einen validen Gen-Test zur Bestimmung der Hunderasse zu erhalten, was aber, wie ausgeführt, als eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung der Kampfhundeeigenschaft verlangt wird.
Liegt, wie es hier der Fall ist, bereits ein negativer DNA-Test vor, kann nach den aufgezeigten Voraussetzungen selbst ein positives Gutachten eines Hundesachverständigen, wie in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids gefordert, nicht mehr zu einer Einstufung von „Jack“ als Kampfhund im Sinne der KampfhundeV führen. Denn die materielle Beweislast bzw. Feststellungslast dafür, dass ein (Mischlings-)Hund als Kampfhund im Sinne der KampfhundeV einzustufen ist, trifft die Behörde (vgl. BayVGH, a.a.O., – Rn. 18). Ein solcher positiver Nachweis kann aber nicht mehr geführt werden, wenn – auch nur – eine von zwei kumulativ erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben ist.
Die Anordnung einer Begutachtung durch einen Hundesachverständigen kann im vorliegend Fall damit nicht mehr gefordert werden, weil durch einen DNA-Test bereits ausreichend geklärt ist, dass es sich bei „Jack“ nicht um einen Kampfhund im Sinne der KampfhundeV handelt.
Auch der Verweis der Beklagten auf Nr. 37.3.1. der Vollzugsbekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium des Inneren zum LStVG führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar wird dort ausgeführt, dass eine Gen-Analyse zur Rassenzuordnung kaum hilfreich sei, weil sie angesichts der Bandbreite der körperlichen wie genetischen Merkmale einer Rasse kaum zu einem eindeutigen Ergebnis führen dürfte. Diese in einer Verwaltungsvorschrift geäußerte Auffassung ist aber für das Gericht nicht bindend. Zudem ist zu beachten, dass diese Vollzugsbekanntmachung zum LStVG zuletzt zum 01.06.2015 aktualisiert wurde und somit die zitierte Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 02.04.2019 noch nicht berücksichtigt.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegende Beteiligte hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
4. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nach § 124 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Es erscheint die Frage grundsätzlich klärungsbedürftig, welche Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf Gen-Tests, zu stellen sind, um in Zweifelsfällen einen Mischlingshund als Kampfhund im Sinne der KampfhundeV einzustufen.


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