Europarecht

Dieselskandal: Vorsätzlich sittenwidrige Schädigung durch Einbau eines Thermofensters

Aktenzeichen  3 O 4218/20

Datum:
25.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28259
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249, § 826
VO (EG) 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ein Abgasrückführungssystem, das die Außentemperatur erkennt und die Funktion des Emissionskontrollsystems verändert (Thermofenster), wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems infolge der Reduktion der Abgasrückführung unter normalen Bedingungen des Fahrzeugbetriebs verringert wird (hier: Reduktion um 30 % bei Temperaturen von unter 15 Grad Celsius), stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 dar. (Rn. 28 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch den Einbau eines solchen Thermofensters in die Motoren seiner Fahrzeuge (hier: EA 288) schädigt der Hersteller den Kunden in vorsätzlich sittenwidirger Weise. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 21.375,57 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.04.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des zu Ziff. 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 1.474,88 € freizustellen
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 31% und die Beklagte 69%.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 30.890,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
I.
Das Landgericht München ist gem. §§ 71 Abs. 1, 23, 23a GVG, 32 ZPO sachlich und örtlich zuständig.
Gem. § 32 ZPO ist für Klagen wegen unerlaubter Handlung das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Der Kläger stützt seinen geltend gemachten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages im Wege des Schadensersatz auf §§ 826, 249 BGB und damit auf eine unerlaubte Handlung. Nachdem es sich hierbei um eine doppelrelevante Tatsache handelt, genügt es für die Annahme der Zuständigkeit, wenn schlüssige Tatsachen behauptet werden, aus denen bei rechtlich zutreffender Würdigung eine unerlaubte Handlung folgt (Thomas/Putzo – Hüßtege, ZPO, 39. Aufl., § 32 – Rn.14). Der Kläger hat schlüssig vorgetragen, dass die Beklagte ichm in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einen Schaden zugefügt hat, indem sie ein Fahrzeug bzw. einen Motor herstellte, der über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt und daher gesetzeswidrig ist. Zuständig ist damit auch das Gericht, an dem der Erfolg der Handlung eingetreten ist, regelmäßig am Sitz des Geschädigten (Thomas/Putzo, a.a.O, § 32 – Rn. 7). Nachdem der Kläger seinen Wohnsitz in … also im Bezirk des Landgerichts München I sowie das KFZ in … erworben hat, ist das angerufene Gericht örtlich zuständig.
Für den Klageantrag Ziff. 2 bezüglich der Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs besteht das Feststellungsinteresse angesichts der mit der Feststellung verbundenen Vereinfachung und Beschleunigung des Zugriffs in der Zwangsvollstreckung (vgl. § 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO).
II.
Die Klage ist überwiegend begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges. Er muss sich jedoch gezogene Nutzungen anrechnen lassen. Ein Anspruch auf deliktische Zinsen bzw. ein gleichgelagerter Anspruch sind nicht gegeben. Der Annahmeverzug war festzustellen (vgl. i.Ü. auch Rspr. LG Duisburg Urt. v. 30.10.2018 1 O 231/18 TZ 37ff; LG Stuttgart Urt. v. 8.1.2019 7 O 265/18; LG Düsseldorf Urt. v. 31.7.2019 7 O 166/18).
1. Zur Haftungsbegründung
Der Anspruch auf Schadensersatz ergibt sich jedenfalls aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB.
Das Fahrzeug verfügt über eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007. Der Kläger hat deshalb einen Schaden erlitten, welcher durch ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten entstanden ist. Die Beklagte hat dabei vorsätzlich gehandelt. Daher hat der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz.
a) Die Beklagte hat das von dem Kläger erworbene Fahrzeug gebaut und eine EGTypengenehmigung beantragt, die formal erteilt wurde, obwohl das Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 verfügt, die der Zulassung entgegenstand.
aa) Nach Art. 4 Abs. 1 EG-VO 715/2007 weist der Hersteller nach, dass alle von ihm verkauften, zugelassenen oder in der Gemeinschaft im Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Nach Art. 5 Abs. 1 EG-VO 715/2007 rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Nach Abs. 2 der Vorschrift ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die diese Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig.
Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 definiert eine Abschalteinrichtung als ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlass, oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teil des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine solche Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007.
Das streitgegenständliche Fahrzeug – wie offenbar eine Vielzahl der Motoren diverser Hersteller – verfügen über eine derartige Abschalteinrichtung und zwar unabhängig davon, ob sie von einem Rückruf des KBA betroffen sind. Dies ist vorliegend ein sog. Thermofenster.
So sind – unstreitig – im streitgegenständlichen Fahrzeug Technologien zur Reduktion des Stickoxidausstoßes (NOx) vorhanden. So kommt ein SCR-Katalysator, der mit Ad-Blue betrieben wird, zum Einsatz, zum anderen die sog. Abgasrückführung. Die Abgasrückführung wird dabei – unstreitig – bei kühleren Temperaturen zurückgefahren, wobei eine Reduktion jedenfalls bei einer Temperatur von 15 Grad Celsius und darunter erfolgt („Thermofenster“). Die Reduktionsquote beträgt nach dem Beklagtenvortrag insoweit 30%. Eine Reduktionsquote um ca. 1/3 ist aber ein signifikanter Wert. „Signifikant“ bedeutet synonym „bemerkenswert“. Der Wert ist näher an der Hälfte als bei 100. Nach dem Beklagtenvortrag selbst ist diese Reduktion in einem Umgebungstemperaturbereich von -12 bis + 15 Grad C vorhanden. Unter -15 Grad C besteht sogar Deaktivierung Dies ist so zu verstehen, dass eine „signifikante“ Reduktion der Abgasrückführung bei einer Außentemperatur von 15 Grad Celsius und darunter erfolgt. Sofern die Abgasrückführungsrate bei einer Außentemperatur zwischen 15 Grad Celsius bis minus 12 Grad Celsius um 30% reduziert wird, stellt dies eine Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 dar, da gerade das Abgasrückführungssystem bzw. eine Software die Außentemperatur erkennt und die Funktion des Emissionskontrollsystems verändert – unabhängig davon in welchem Maß – oder sogar bei darunter liegenden Temperaturen deaktiviert, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems infolge der Reduktion der Abgasrückführung unter normalen Bedingungen des Fahrzeugbetriebs verringert wird. Die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems wird eben durch das entsprechende System an die Fahr- und Umweltbedingungen, die bei normalen Fahrbetrieb herrschen, angepasst. Unerheblich ist dabei, in welchem Maß eine Verringerung der Abgasrückführung erfolgt, da Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 eine solche Differenzierung nicht erlaubt und schlicht jede Veränderung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems als Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist (vgl. auch Prof. Dr. Martin Führ, Gutachterliche Stellungnahme für den Deutschen Bundestag – 5. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode; derselbe in NVwZ 2017, 265; ferner auch die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags „Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen“, Az: WD 7 – 3000 – 031/16, S. 18).
Darüber hinaus wurden keine anderen Daten vorgetragen, andererseits lediglich vorgetragen, man haben genaue Daten der Typengenehmigungsbehörde vorgelegt (Bl. 107ff). Die Tatsache, dass ein Hersteller der Typengenehmigungsbehörde Daten vorgelegt hat, kann ohne weiteres als wahr unterstellt werden; der Inhalt dieser Vorlage – also die genauen Daten – hat die Beklagte dem Gericht weder schriftsätzlich noch als Anlage vorgelegt, was ohne weiteres hätte möglich sein müssen.
bb) Eine Abschalteinrichtung ist nur dann gem. Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG-VO 715/2007 ausnahmsweise zulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Dies ist vorliegend nicht der Fall:
 Die EG-VO 715/2007 wurde ausweislich von Erwägungsgrund 1 erlassen, um die technischen Vorschriften für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen zu harmonisieren. Ziel ist die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus auf europäischer Ebene. Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte war nach Auffassung des EUGesetzgebers insbesondere eine erhebliche Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen erforderlich. Das Senken der Emissionen von Kraftfahrzeugen ist Teil einer Gesamtstrategie. Um die Ziele der EU für die Luftqualität zu erreichen, sind nach seiner Einschätzung fortwährende Bemühungen zur Senkung von Kraftfahrzeugemissionen erforderlich, weshalb die Industrie klare Informationen über die künftigen Emissionsgrenzwerte erhalten soll. Der Erwägungsgrund Nr. 12 der EG VO 715/2007 spricht zudem das Erfordernis an, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten eines Fahrzeugs bezieht: „Es sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um striktere Emissionsgrenzwerte einzuführen, einschließlich der Senkung von Kohlendioxidemissionen, und um sicherzustellen, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen.“
 Wie alle Ausnahmeregelungen ist auch die Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 EGVO 715/2007 sehr eng auszulegen. Wer als Fahrzeughersteller von dem Verbot abweichen will, muss dies besonders rechtfertigen. Eine Notwendigkeit i.S.d. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 liegt insbesondere dann nicht vor, wenn sich die Abschalteinrichtung durch Konzeption, Konstruktion oder Werkstoffwahl vermeiden lässt.
Der Verordnungsgeber ist bei dem Begriff der „Notwendigkeit“ i.S.d. Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG-VO 715/2007 bewusst über die entsprechende Regelung in Ziffer 2.1.6 Satz 2 der zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Emissionsgrundverordnung geltenden Fassung der UN/ECE-Regelung Nr. 83 hinausgegangen, in der zum Verneinen einer verbotenen Abschalteinrichtung bereits als ausreichend angesehen wurde, wenn „die Notwendigkeit der Nutzung der Einrichtung mit dem Schutz des Motors vor Beschädigungen oder Unfällen und der Betriebssicherheit des Fahrzeugs begründet wird“. Im Vergleich zu diesem allein auf eine vorgenommene Begründung abstellenden Wortlaut der Regelung Nr. 83 hat der Verordnungsgeber bei der Emissionsgrundverordnung mit dem Begriff der „Notwendigkeit“ einen strengeren, objektivierbaren Maßstab gewählt (so auch die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags „Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen“, Az: WD 7 – 3000 – 031/16, S. 13).
 Es ist demnach nicht schon ausreichend, dass überhaupt individuell technische Situationen auftreten, in denen die Abschalteinrichtung zum Motorschutz oder zum sicheren Betrieb erforderlich ist, sondern darüber hinaus wäre unter Einbeziehung der zu dieser technischen Situation führenden Gründe erforderlich, dass auch diese notwendigerweise vorliegen, also generell unvermeidbar sind (diese Auslegung befürwortend auch die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags „Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen“, Az: WD 7 – 3000 – 031/16, S. 14 f.).
 Unzweifelhaft nicht notwendig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) EG-VO 715/2007 ist eine solche Abschalteinrichtung, die aus Motorschutzgesichtspunkten ununterbrochen arbeitet und damit den Zielsetzungen der Verordnung hinsichtlich einer eindämmenden Kontrolle der Emissionswerte im Straßenbetrieb und einem grundsätzlichen Verbot von Abschalteinrichtungen komplett zuwider läuft.
Daher kann das Eingreifen einer Abschalteinrichtung grundsätzlich nicht auf die Privilegierung von Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a) EG-VO 715/2007 gestützt werden, wenn sie gerade unter Bedingungen Wirksamkeit entfaltet, die zu den üblichen, alltäglichen Nutzungsbedingungen eines betreffenden Kraftfahrzeugs im Sinne eines Normalgebrauchs zu zählen sind.
Eine Privilegierung einer Abschalteinrichtung aufgrund von Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a) EG-VO 715/2007 kommt zudem dann grundsätzlich nicht in Betracht, wenn aufgrund andersartiger Konstruktion oder durch den Einsatz zusätzlicher Bauteile das Abschalten des Emissionskontrollsystems unter Motorschutzgesichtspunkten entbehrlich würde. Für eine solche technische Entbehrlichkeit einer Abschalteinrichtung ließe sich anführen, wenn nach dem Stand der Technik Konstruktionen bekannt und möglich sind, die das Abschalten des Emissionskontrollsystems entbehrlich machen, wofür namentlich sprechen kann, dass vergleichbare Motoren anderer Hersteller ohne entsprechend agierende Abschalteinrichtung auskommen, ohne dass der Motor Schaden nimmt. Auch die Möglichkeit des Einsatzes anderer oder weiterer technischer Varianten von Emissionskontrollsystemen spräche dafür, bei Verzicht auf dieselben seitens des Herstellers mangels Notwendigkeit keine Privilegierung aufgrund von Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a) EG-VO 715/2007 greifen zu lassen (vgl. die überzeugende Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags „Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen“, Az: WD 7 – 3000 – 031/16, S. 15 f).
Die auf den Schutz des Motors abzielende Privilegierung nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 lit. a) EG-VO 715/2007 bietet deshalb grundsätzlich keine taugliche Rechtsgrundlage dafür, eine Abschalteinrichtung regelmäßig auch bei solchen Betriebsbedingungen, die bei normalem, bestimmungsgemäßem Gebrauch eines Personenkraftwagens typischerweise eintreten, legal greifen zu lassen. Dies gilt insbesondere auch für den Betrieb bei niedrigen Umgebungstemperaturen. Neben Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 sind auch die im Typzulassungs-Regelwerk enthaltenen Spezialvorschriften zu beachten. Für Dieselfahrzeuge legt Art. 3 Nr. 9 DurchführungsVerordnung fest, innerhalb welches Zeitraums bei einem Kaltstart des Motors die volle Funktionsfähigkeit gewährleistet sein muss. Danach haben die Hersteller der Genehmigungsbehörde zu belegen, dass die NOxNachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei – 7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht. Die Genehmigungsbehörde darf in diesem Zusammenhang deshalb keine Typgenehmigung erteilen, wenn die vorgelegten Angaben nicht hinreichend nachweisen, dass die Nachbehandlungseinrichtung tatsächlich innerhalb des genannten Zeitraums eine für das ordnungsgemäße Funktionieren ausreichend hohe Temperatur erreicht. Mit dieser Nachweispflicht hat der Verordnungsgeber für Fahrzeuge klargestellt, dass es für ein daneben bestehendes Thermofenster bei niedrigen Temperaturen keine Rechtfertigung geben kann. Hersteller, die gleichwohl die Funktionsweise der Abgasbehandlung herabsetzen, verstoßen gegen die Vorgaben der Durchführungs-Verordnung (so auch überzeugend die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags „Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen“, Az: WD 7 – 3000 – 031/16, S. 18 und Prof. Dr. Martin Führ, Gutachterliche Stellungnahme für den Deutschen Bundestag – 5. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode, S. 3 dort Ziff. 7, K11). cc)
Gemessen daran, ist die streitgegenständliche Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters nach Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 unzulässig:
Die Beklagte behauptet, das streitgegenständliche Thermofenster bzw. das sog.„Ausrampen“ sei zum Bauteilschutz notwendig. Begründet wird dies mit einer sog. Versottungsgefahr. Damit kann die Beklagte nicht mit Erfolg gehört werden. Die Beklagte trägt im Rahmen der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast schon nicht vor, dass die Versottungsgefahr durch andere technische Maßnahmen – unabhängig davon, ob diese wirtschaftlich deutlich teurer wären – verhindert werden könnte.
Ferner wird das System der Abgasrückführung nach den Ausführungen der Beklagten bereits bei Außentemperaturen von weniger 15 Grad Celsius zurückgefahren. Bei einer Jahresdurchschnittstemperatur z.B. in München von 9 Grad, Stuttgart von 10 Grad Celsius oder beispielsweise in den in der EU liegenden Städten Helsinki von 4,8 Grad Celsius und in Tallin von 4,5 Grad Celsius handelt es sich bei der Maßnahme (sog. Ausrampen) nahezu um einen Dauerbetrieb. Dass eine solche Abschalteinrichtung für den EU-Gesetzgeber erkennbar nicht als legal gelten sollte, liegt auf der Hand. Die Beklagte hat gerade nicht dargelegt, dass es sich um eine bloße „Ausnahme“ handelt, die zwingend notwendig ist, den Motor vor (erheblichen) Beschädigungen zu schützen und andere technische Lösungen, nach der jeweils besten verfügbaren Technik nicht vorhanden sind. Vielmehr hat die Beklagte – wie wohl auch andere Automobilhersteller – das Regel-Ausnahmeverhältnis des Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2008 ins Gegenteil verkehrt.
Selbst bei bestehender Versottungsgefahr rechtfertigt diese noch nicht den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG-VO 715/2007, da schon nicht dargelegt ist, dass diese Versottungsgefahr technisch nicht durch andere Maßnahmen, die ggf. teurer wären, verhindert werden könnte, ohne dass hierzu eine Reduzierung der Abgasrückführung erforderlich wäre.
dd) Wenn – wie offenbar vorliegend – die Abgasrückführung bei einer Außentemperatur zwischen +15 Grad Celsius und – 10 Grad C um 30% verringert wird, weil andernfalls eine sog. Versottung eintrete, führt dies nicht zur Zulässigkeit der Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG-VO Nr. 715/2007. Die Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG-VO 715/2007 bietet unter Hinweis auf Art. 3 Nr. 9 DurchführungsVerordnung gerade keine Rechtfertigung für ein darüberhinaus gehendes Thermofenster, das nahezu ununterbrochen arbeitet. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 differenziert insoweit auch nicht nach dem Grad der Reduzierung der Abgasrückführung, sondern verbietet eine Abschalteinrichtung – mit Ausnahme der in Art. 5 Abs. 2 EG (VO) genannten Tatbestände – schlechthin. Selbst wenn bei Außentemperaturen von unter 15 Grad Celsius bereits die Abgasrückführung reduziert wird, stellt dies bei den in der EU vorherrschenden Jahresdurchschnittstemperaturen nahezu einen durchgängigen Regelbetrieb dar, den der EU-Gesetzgeber zweifellos – auch nicht zum Zwecke des Motorschutzes – als legal greifen lassen wollte.
Der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 ist sehr eng auszulegen. Die Automobilhersteller können sich daher – aus den geschilderten Gründen – allenfalls dann auf den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG (VO) (Motorschutz) berufen, wenn andere technische Lösungen, nach der jeweils besten verfügbaren Technik, und zwar unabhängig davon ob diese wirtschaftlich deutlich teurer wären, nicht vorhanden sind. Dies hat die Beklagte trotz ihrer sekundären Darlegungslast schon nicht behauptet.
Unbeachtlich ist naturgemäß der Einwand der Beklagten auch andere Automobilhersteller würden ein solches Thermofenster nutzen. Soweit dieser sehr pauschale Vortrag nicht ohnehin ins Blaue hinein erfolgt ist, führt dies allein dazu, dass der Vortrag zur Kenntnis zu nehmen ist, offenkundig auch andere Hersteller eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 verwenden. Dass sich die Beklagte auf etwaiges ebenfalls unzulässiges Verhalten anderer Hersteller nicht berufen kann, bedarf keiner weiteren Ausführungen ee) Unerheblich ist schließlich auch, ob das KBA und das BMVI die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen durch sogenannte Thermofenster (zum Teil) bejahen. Dies bindet den hiesigen Rechtsstreit nicht.
b) Der Kläger hat durch das Verhalten der Beklagten einen Schaden erlitten.
Der gem. § 826 BGB ersatzfähige Schaden wird seit jeher weit verstanden und beschränkt sich gerade nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter. Erfasst wird vielmehr ganz allgemein jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage (vgl. BeckOK § 826, Rn. 25).
Der Kläger hat bereits durch Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges einen Schaden erlitten, der Vertrag wäre zur Überzeugung des Gerichts bei Kenntnis aller Umstände nicht abgeschlossen worden. Das Fahrzeug bleibt aufgrund Vorhandenseins eines derartigen Thermofensters hinter den berechtigten Erwartungen der Klagepartei von einer ordnungsgemäßen Ausrüstung des Fahrzeuges zurück. Dieses Zurückbleiben wirkt sich auf den Vermögenswert des Pkw aus. Ausreichend für die Annahme eines Schadens ist bereits, dass der Vertrag im Zeitpunkt seines Zustandekommens normativ als für einen vernünftigen Käufer nachteilig anzusehen ist (Heese, NJW 2019, 257) – wie vorliegend gegeben.
Grundsätzlich ist auch bei § 826 BGB der Schaden nach der Differenzhypothese zu ermitteln. Es kann jedoch auch ein Schaden vorliegen, wenn eigentlich eine objektive Werthaltigkeit der vertraglichen Gegenleistung vorliegt. Die Differenzhypothese muss einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Der Schadensersatz dient aber dazu, den konkreten subjektiven Vermögensnachteil des Geschädigten auszugleichen. Es genügt damit jede Schadenzufügung im weitesten Sinne, also jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage in ihrer Gesamtheit und zwar in dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene eine Entscheidung zu Lasten seines Vermögens trifft (LG Würzburg, BeckRS 2018, 1691).
Mit Blick auf einen subjektbezogenen Schadensbegriff ist vom Vorliegen eines Schadens im konkreten Fall auszugehen. Es kommt nicht darauf an, dass der objektive Wert der Leistung hinter der gezahlten Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückgeblieben ist. Es reicht bereits, wenn sich der Vertragsschluss nach der Verkehrsanschauung als im konkreten Fall unangemessen und nachteilig darstellt (Heese, a.a.O.). Nach dem subjektbezogenen Schadensbegriff stellt auch der Abschluss eines Rechtsgeschäftes, welches nicht den Zielen des Geschädigten entspricht, einen Schaden im Rahmen des § 826 BGB dar, ohne dass es im Ergebnis darauf ankäme, ob die erhaltene Leistung wirtschaftlich betrachtet hinter der Gegenleistung zurückbleibt oder nicht bzw. ob hier nachfolgend ein Ausgleich erfolgt (LG Würzburg Endurteil v. 23.2.2018 – 71 O 862/16, BeckRS 2018, 1691, beck-online).
Der Kläger hat vorliegend ein Fahrzeug erworben, welches nicht seinen Vorstellungen entsprach. Hätte er die tatsächlichen Hintergründe gekannt, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Ein verständiger Kunde würde kein Fahrzeug mit einem derartigen bereits bei üblichen Temperaturen „abrampendem“ Thermofenster, erwerben, wenn er zuvor einen entsprechenden Hinweis erhalten hätte, dass im realen Fahrbetrieb die Emissionen des Fahrzeuges oftmals deutlich über den Grenzwerten liegen. Letztlich hat der Kläger durch den Kauf des Fahrzeuges nicht das erhalten, was ihm aufgrund des Kaufvertrages zustand. Er hat ein mangelbehaftetes Fahrzeug erhalten und damit einen Schaden erlitten. Jeder Käufer eines Fahrzeuges geht davon aus, dass das zu erwerbende Fahrzeug mangelfrei ist und den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Tatsächlich hat der Kläger aber durch den Erwerb des Fahrzeugs, das diesen Vorstellungen nicht entsprach, einen Schaden erlitten.
Nach der normativen Schadensermittlung hat der Kläger aufgrund des ungewollten Vertrages bereits einen Schaden erlitten.
c) Der Kläger hat diesen Schaden aufgrund eines Verhaltens der Beklagten erlitten. Erforderlich ist insoweit ein adäquat kausaler Zusammenhang unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm (BGH, 03.03.2008 – II ZR 310/06 -, Rn. 15, juris; MünchKommBGB/Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 45 ff.). Ein adäquater Zusammenhang besteht, wenn eine Tatsache im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolges geeignet war. So liegt der Fall hier:
aa) Die Beklagte hat den Kläger konkludent darüber getäuscht, dass die Zulassung des Fahrzeuges zum Straßenverkehr und die Einstufung in die angegebene Schadstoffklasse gesetzmäßig erfolgten, während sie tatsächlich – infolge des unzulässigen Einbaus einer Abschalteinrichtung – erschlichen wurde.
bb) Insoweit hat die Beklagte konkludent darüber getäuscht, dass die Zulassung des Fahrzeuges zum Straßenverkehr und die Einstufung in die angegebene Schadstoffklasse gesetzmäßig erfolgten. Jedoch hatte die Beklagte unter anderem auch das Fahrzeug des Klägers mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht, ohne hierüber aufzuklären.
Die Täuschung der Beklagten gegenüber allen (potenziellen) Käufern derartiger Fahrzeuge durch konkludentes Handeln liegt darin, dass ein Neuwagenkäufer grundsätzlich davon ausgehen kann, dass das erworbene Fahrzeug vollständig mangelfrei ist, den gesetzlichen Vorschriften genügt und ohne Einschränkung und ohne weitere zusätzliche spätere Maßnahmen am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen darf, wobei diese Vorstellungen in der Regel für den Kaufentschluss des jeweiligen Käufers wie auch des Klägers maßgeblich sind.
Diese Vorstellungen eines Käufers wie dem Kläger war hier aufgrund der von der Beklagten vorgenommenen Manipulation in Form des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung und der diesbezüglichen Täuschung falsch, da eine Typengenehmigung nach Art. 4 Abs. 1 EG-VO 715/2007 bei Offenlegung des Thermofensters durch die Beklagte gegenüber der Genehmigungsbehörde (KBA) nicht hätte erteilt werden dürfen.
Diese Täuschung und die vorgenommene Manipulation der Beklagten war auch kausal für die Kaufentscheidung des Klägers.
d) Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, 28.06.2016 – VI ZR 536/15 -, Rn. 16, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsler, BGB [2014], § 826, Rn. 31).
aa) Gemessen daran ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beweggründe der Beklagten zur Vornahme der Manipulationen am Motor bzw. der Systeme der Abgassteuerung und Reinigung und der entsprechenden Täuschungen darüber waren entweder die Erzielung eines höheren Gewinns durch die Ersparnis von weiteren Entwicklungskosten oder aber das Unvermögen der Entwickler der Motoren, zu marktgerechten Preisen zulässige Abgaswerte zu erreichen, ohne eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters zu verwenden. Die Beklagte nutzte bei ihrer Täuschung aus, dass der Endverbraucher darauf vertraut, dass ein Fahrzeug, das von einem Hersteller für den Verkauf freigegeben wurde, die Zulassungsprüfungen ordnungsgemäß durchlaufen hat und dementsprechend die gesetzlich vorgegebenen Bestimmungen erfüllt.
bb) Insoweit ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen, dass die Beklagte in großem Umfang und mit erheblichem technischem Aufwand zentrale Zulassungsvorschriften ausgehebelt und zugleich ihre Kunden konkludent getäuscht hat. Sie hat dabei nicht nur die Vorschriften des Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 außer Acht gelassen, sondern mit der vorgenommenen Manipulation durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung für alle davon betroffenen Fahrzeuge zugleich ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden einerseits sowie nachfolgend nach dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge gegenüber den Verbrauchern andererseits geschaffen. Es lag also eine bewusste Täuschung der Aufsichtsbehörden einerseits und der Verbraucher andererseits vor, um die entsprechende Typengenehmigungen für die Fahrzeuge zu erhalten und diese dann so in Verkehr bringen zu können, um dadurch entsprechende Vertragsschlüsse der Händler mit Kunden herbeiführen zu können.
cc) Dabei ist die Beklagte bewusst verschleiernd und durch einen offensichtlich nur begrenzt einbezogenen Personenkreis vorgegangen, um diese Manipulation geheim zu halten, zumal diese Manipulation auch nur äußerst schwer zu entdecken war und so im normalen Verkehr mangels erkennbarer Auswirkungen eigentlich nicht aufgefallen wäre.
dd) Die Täuschung diente, andere Motive sind jedenfalls nicht ersichtlich, allein dem Zweck, zur Kostensenkung und möglicherweise auch zur Umgehung technischer Probleme bei der Entwicklung einer rechtlich und technisch einwandfreien, aber teurere Lösung der Abgasreinigung formal die Voraussetzungen für die Typgenehmigung zu erfüllen und mit Hilfe diese Manipulation umweltfreundliche Prüfvermerke veröffentlichen zu können, um dadurch entsprechende Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis einer bewussten Täuschung und Benachteiligung von Behörden einerseits und Kunden andererseits gibt dem Handeln der Beklagten ein Gepräge der Sittenwidrigkeit. Ein solches zumindest auch die Verbraucher konkludent täuschendes Verhalten ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen und verwerflich, da die Beklagte eben nicht nur die Aufsichts- und Prüfbehörden getäuscht, sondern durch ihr täuschendes Verhalten bei dem weiteren Inverkehrbringen der Fahrzeuge auch die Ahnungslosigkeit der unzähligen Verbraucher bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt hat (vgl. LG Würzburg, 23.02.2018 – 71 O 862/16 zum „VW-Abgasskandal“).
e) Zur Frage der Rechtswidrigkeit bedarf es keiner weiteren Ausführungen, da sittenwidriges Verhalten stets rechtswidrig ist (RGZ 101, 322).
f) Zurechnung
Auch die subjektiven Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte sind zu bejahen. Die Beklagte hat die Klägerin vorsätzlich geschädigt. Sie muss sich das Verhalten ihrer Repräsentanten, deren Wissen als zugestanden anzusehen ist, zurechnen lassen.
aa) Der Kläger hat schlüssig vorgetragen, dass der Vorstand oder jedenfalls Teile des Vorstands der Beklagten Kenntnis von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung, die zu gesetzwidrigen EG-Bescheinigungen geführt hat, gehabt haben (Bl. 19ff, 81f d.A.).
bb) Dieser Vortrag ist naheliegend. Der Vorstand hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen (sog. Compliance). In diesem Zusammenhang muss davon ausgegangen werden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand im Hinblick auf alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch entsprechende Kontrollmaßnahmen gewährleistet ist. Insoweit ist es naheliegend, dass dem Vorstand oder Teilen des Vorstandes der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung zur Erreichung der EG-Typengenehmigung sowie das Inverkehrbringen eines gesetzeswidrigen Fahrzeuges bekannt gewesen sind. Dies auch deshalb, weil die Abgasrückführung einer ganzen Motorenreihe für eine Vielzahl von Fahrzeugen hinsichtlich ihres Entwicklungsaufwandes in technischer und finanzieller Hinsicht eine wesentliche vom Vorstand zu treffende Entscheidung darstellt und die Verwendung einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung sämtliche in der EU zuzulassenden Fahrzeuge betrifft. Zu all diesen internen Vorgängen kann der Kläger als Käufer eines manipulierten Fahrzeugs naturgemäß nicht substantiiert vortragen, so dass die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast dahingehend trifft, zu den internen Vorgängen im Zusammenhang mit der unzulässigen Abschalteinrichtung vorzutragen. Eine sekundäre Darlegungslast besteht dann, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Gegner zumutbar nähere Angaben machen kann (vgl. BGH, 07.12.1998 – II ZR 266/97).
cc) Diese Voraussetzungen sind gegeben:
Der Kläger kann nicht näher dazu vortragen, in welcher Organisationseinheit der Beklagten die unzulässige Abschalteinrichtung entwickelt, verwendet, verbaut worden ist, wer die Entscheidung dazu getroffen und wie die Entscheidung wann und an wen kommuniziert worden ist. Ein konkreterer Vortrag bezüglich einzelner Personen war nicht erforderlich. Insofern greifen die Grundsätze der sekundären Darlegungslast. Dagegen ist die Beklagte allein aus Compliance-Gesichtspunkten dazu verpflichtet, entsprechende Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen. Dem entsprechend lässt auch die Beklagte den Sachverhalt intern aufklären. Mit Blick darauf, dass diese interne Ermittlungsmaßnahme bereits seit ca. 3 Jahren andauert, ist es der Beklagten zumutbar ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse mitzuteilen. Dies hat sie in vorliegendem Rechtsstreit nicht getan. Daher geht das Gericht davon aus, dass der Vorstand der Beklagten Kentnis von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat, was sehr naheliegend ist.
dd) Im Übigen erfolgt eine Zurechnung entsprechend § 31 BGB.
Der danach zwingend gegebene Vorsatz derjenigen, die die Installation des sog. „Thermofensters“ veranlassten, ist der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen. Ob es sich um Mitglieder des Vorstands handelte, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. § 31 BGB rechnet der juristischen Person auch das Fehlverhalten von Funktionsträgern zu, denen ein wichtiger Aufgabenbereich übertragen ist. Die Entscheidung darüber, mit welcher Software die hergestellten Fahrzeuge betrieben werden, ist von solcher Tragweite, dass sie einen wichtigen Aufgabenbereich in diesem Sinne darstellt. Die Beklagte behauptet nicht, dass die Software ohne Wissen und Wollen irgendwelcher Entscheidungsträger in die Fahrzeuge gelangt wäre. Damit ließe sich auch nicht erklären, wie es zur Installation der Software in derart vielen Fahrzeugen kommen konnte. Das war nur auf Veranlassung eines Funktionsträgers möglich.
Offen bleiben kann, welche Personen namentlich auf Seiten der Beklagten im Einzelnen handelten. Die Handlungen können nämlich zwangsläufig nur vorsätzlich ausgeführt worden sein. Ein derart ausgeklügeltes Thermofenster kann man nur mit Wissen und Wollen in einem Fahrzeug installieren. Der Schluss auf vorsätzliches Handeln ergibt sich zudem zwingend daraus, dass die Grenzwerte nach Euro 6 ohne dieses Thermofenster überhaupt nicht hätten erreicht werden können, das Fahrzeug aber für die der Zulassung vorausgehenden Tests angemeldet worden sein muss, was auch nicht versehentlich geschehen sein kann. Wenn der Schädigung des Klägers nur vorsätzliches Handeln von Seiten der Beklagten zugrunde gelegen haben kann, kann von einer Klagepartei, welche die Betriebsabläufe bei der Beklagten nicht kennen kann, nicht verlangt werden, dass sie die jeweils Handelnden benennt. Vielmehr wäre es Sache der Beklagten, darzulegen, wer im Einzelnen wie agierte und aus welchen Gründen dieses Verhalten entgegen allen Indizien nicht vorsätzlich gewesen sein soll (so auch LG Duisburg Urteil v. 30.10.20218, Az 1 O 321/18 TZ 38f)
4. Durch das bewusste Inverkehrbringen der gesetzwidrig ausgestatteten Fahrzeuge ist auch von einem entsprechenden Schädigungsvorsatz auszugehen. Die Beklagte hat eine Schädigung der Vermögensinteressen der Käufer zumindest billigend in Kauf genommen. Bei dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung kam es offenbar zentral darauf an, Umsatz und Gewinn zu steigern. Andere Gründe sind nicht plausibel. Sie haben es in Kauf genommen, ihren Kunden über das Vertriebsnetz von Vertragshändlern nichtgesetzeskonforme Fahrzeuge zu verkaufen und auf diese Weise ihren Kunden wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.
5. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass weder ein Vorstand im aktienrechtlichen Sinne, noch ein sonstiger Repräsentant i.S.v. § 31 BGB bei der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung im hier maßgeblichen Zeitpunkt Kenntnis hatte, dann würde die Beklagte dem Kläger gleichwohl in der vorgenannten Weise auf Schadensersatz haften. Denn die Entwicklung und Freigabe des Motors samt der unzulässigen Abschalteinrichtung für die Serienproduktion erfolgte bei der Beklagten letztlich auf der Arbeitsebene unterhalb der Repräsentanten. Es muss hier denknotwendig einen oder höchstwahrscheinlich sogar mehrere Mitarbeiter (Entwicklungsingenieure) bei der Beklagten gegeben haben, die von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung („Thermofenster“) Kenntnis hatten. Diese Mitarbeiter sind Verrichtungsgehilfen der Beklagten i. S.v. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.
III. Zum Haftungsausfüllungstatbestand
1. Die Beklagte hat damit gem. §§ 249 ff. BGB Schadensersatz zu leisten. Der Anspruch nach § 826 BGB umfasst die Aufhebung eines sittenwidrig herbeigeführten Vertrages. Der Kläger ist so zustellen, wie er ohne die Täuschung über die Motorsteuerungssoftware gestanden hätte. Es ist dabei ohne weiteres davon auszugehen, dass er das Fahrzeug bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben hätte. Die Beklagte muss damit die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis gegen Herausgabe des Pkw erstattet.
2. Der Klägerin muss sich jedoch die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Ist ein Vertragsverhältnis rückabzuwickeln, sind die vom Geschädigten gezogenen Nutzungen im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen (BGH NJW 06, 1582; Palandt – Grüneberg, BGB, 78.A., Vorb v § 249 – Rn.94). Die Bewertung der Gebrauchsvorteile richtet sich nach ihrem objektiven Wert.
Für die Berechnung des Nutzungswertersatzes gilt folgendes: Der Gesamtbruttokaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug beträgt 30.890,00 Euro. Der Nutzungswertersatz errechnet sich gemäß der Formel „Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer: zum Kaufzeitpunkt zu erwartenden Restlaufzeit“.
Das Fahrzeug wies zum maßgeblichen letzten Zeitpunkt am 12.8.2020 eine Laufleistung von 117.756 km auf. Die Klagepartei, die das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 25.353 erworben hatte, hat also mit dem Fahrzeug 92.403 km zurückgelegt. Die von Gericht gem. § 287 ZPO geschätzte Gesamtfahrleistung des auch nach dem Vortrag der Beklagten qualitätvollen modernen Fahrzeugs beträgt 300.000 km.
Damit ergibt sich nach: „30.890,00 x 92.403 : 300.000) ein gegenzurechnender Nutzungswertersatz in Höhe von 9.514,43 €. Der von der Klagepartei zu beanspruchende Zahlbetrag beträgt somit 21.375,57 €.
Die Beklagte schuldet damit einen Betrag von 21.375,57 Euro, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Pkws.
Da der Kläger insoweit einen Anspruch i.H.v. zuletzt 30.890,00 € geltend macht war die Klage im Übrigen abzuweisen.
3. Der Feststellungsantrag in Klageantrag Ziff. 2 ist begründet.
Die Beklagte befindet sich mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemäß § 293 BGB im Annahmeverzug. Da Leistungsort im Falle der Rückabwicklung der Ort ist, an dem sich die Kaufsache befindet, genügt gemäß § 295 BGB das „wörtliche“ Angebot der Klägerin im Rahmen des Forderungsschreibens vom 21.03.2020, den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs zurückzubezahlen.
III. Nebenforderungen, Zinsen 
1. Deliktische Zinsen gem. § 849 BGB waren nicht zuzusprechen. Der PKW war übergeben und konnte jederzeit genutzt werden. Daher waren insoweit Regelungen des Zinsbeginns (laut Klagepartei mit Abschluss Kaufvertrag) nicht (auch nicht entsprechend) anzuwenden. Entsprechend der Fristsetzung im Klägerischem Forderungsschreiben vom 21.3.2020 zum 6.4.2020 war die Beklagte ab 7.4.2020 in Verzug.
Die Zinsentscheidung beruht im Übrigen auf §§ 286, 288 BGB. 2.
Die außergerichtlichen Kosten für einen Rechtsanwalt fallen unter den Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Die Beklagte schuldet zudem vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung. Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes war mit Blick auf die Komplexität des Sachverhaltes und der rechtlichen Fragen erforderlich und zweckmäßig. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte aus § 826 BGB einen jedenfalls einen Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Für die Berechnung ist eine 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Pauschale und Mehrwertsteuer aus einem Gegenstandswert von € 30.890,00 zuzusprechen, somit 1.219,40 Euro. Zuzurechnen sind die Pauschale iHv 20,00 € sowie die gesetzliche Mehrwertsteuer von 235,48 €, so das sich ein Betrag von 1.474,88 € ergibt. Die Angelegenheit ist nicht überdeutlich schwierig. Zudem ist gerichtsbekannt, dass ähnliche Klagen vielfach erhoben wurden, was den individuellen Vorbereitungs- und Betreuungsaufwand deutlich mindert. Eine Steigerung der Gebühren auf einen Satz über 1,3 ist somit nicht gerechtfertigt. Hinsichtlich des überschießenden Betrags war die Klage abzuweisen.
IV. Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Sätze 1, 2 ZPO.
V. Streitwert
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 39, 45, 48 GKG i.V.m. §§ 3, 4 ZPO. Maßgeblich ist insoweit der mit der Klage geltend gemachte Kaufpreis ohne Berücksichtigung des Vorteilsausgleichs (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.11.2019 – 14 U 89/19, juris; OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019 – 17 U 44/19, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 25.10.2019 – 3 U 819/19, juris; für das Rückgewährschuldverhältnis aus § 346 BGB vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 22.02.2018 – 8 W 9/18, juris). Demgegenüber bleibt die Zugum-Zug-Leistung im Hauptantrag zu 1. ebenso unberücksichtigt (vgl. dazu nur Prütting/Gehrlein/Gehle/Beumers ZPO, 11. Aufl., § 3 Rn. 278; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 3 Rn. 16 „Gegenleistung“) wie der ursprünglich gestellte Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs (vgl. BGH, Urteil vom 06.07.2010 – XI ZB 40/09, NJW-RR 2010, 1295; Prütting/Gehrlein/Gehle/Beumers aaO § 5 Rn. 5 m.w.N.) und die geltend gemachten Zinsen aus § 849 BGB sowie § 288 BGB, da es sich bei den letztgenannten Ansprüchen – ebenso wie bei den vorgerichtlichen Anwaltskosten (vgl. BGH, Beschluss vom 20.05.2014 – VI ZB 49/12, VersR 2014, 1149 und Beschluss vom 11.09.2019 – IV ZB 13/19, VersR 2019, 1451, jeweils m.w.N.) – um von dem Bestehen der streitgegenständlichen Hauptforderung abhängige Nebenforderungen im Sinne des § 4 ZPO handelt (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 03.03.2010 – I-31 U 106/08, juris; OLG Köln, Urteil vom 17.07.2019 – 16 U 199/18, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 25.10.2019 – 3 U 819719, juris; a.A. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22.11.2019 – 17 U 44/19, juris für den Anspruch aus § 849 BGB).


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