Europarecht

Dublin III-Verfahren: Eine Rückführung nach Griechenland ist zulässig für eine gesunde, arbeitsfähige, nicht vulnerable und allein reisende Asylbewerberin, die nur für sich selbst verantwortlich sind

Aktenzeichen  AN 17 S 19.50769

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24527
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b

 

Leitsatz

1. Die allgemeine Lage in Griechenland steht einer Unzulässigkeitsentscheidung für gesunde, arbeitsfähige, nicht vulnerable und allein reisende Asylbewerber, die nur für sich selbst verantwortlich sind, nicht entgegen.  (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Liegt darüber hinaus eine individuelle Zusicherung des griechischen Staates vor, dass die Antragstellerin entsprechend der europäischen Asylstandards aufgenommen und behandelt wird, kann darauf vertraut werden, dass tatsächlich entsprechend der Zusicherung verfahren wird und sie insbesondere von den besonders schwierigen Unterbringungsverhältnissen in den Camps auf den griechischen Inseln nicht betroffen sein wird.  (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch im Falle einer Anerkennung als international Schutzberechtigte erwartet die Antragstellerin in Griechenland keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.  (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Griechenland im Zuge eines Dublin-Verfahrens.
Der 1989 geborene Antragstellerin ist iranische Staatsangehörige. Sie verließ nach ihren Angaben ihr Heimatland am 5. Oktober 2018 und reiste über die Türkei, Serbien, Nordmazedonien, Griechenland, wo sie sich ca. acht Monate aufgehalten habe, und Belgien am 11. Juni 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Juli 2019 einen Asylantrag.
Bei Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 10. Juli 2019 gab die Antragstellerin an, in Griechenland einen Monat lang eingesperrt gewesen zu sein und zwangsweise Fingerabdrücke abgegeben zu haben. Sie sei freigekommen, als sie ein Papier unterzeichnet habe, von dem sie nicht wisse, was es gewesen sei. Ob das ein Asylantrag gewesen sei, wisse sie nicht. Eine Anhörung habe sie in Griechenland nicht gehabt. Sie habe sich in Athen zunächst in einem Anarchistenhaus ausgehalten, sei dann den einen Monat in Haft gewesen und die letzten ein bis eineinhalb Monate obdachlos, weil die Polizei das Anarchistenhaus geschlossen habe. Sie habe Essen und Kleidung von Hilfsorganisationen bekommen und manchmal Arbeit bei Leuten aus England oder Spanien gefunden. Sie habe nach Deutschland gewollt, sei aber in Griechenland stecken geblieben. Griechenland unterstütze Flüchtlinge nicht, man habe sie aus der Haft heraus auf die Straße geworfen. Im Anarchistenhaus sei es gefährlich gewesen, die Anarchisten hätten auch Waffen gehabt. Die Antragstellerin legte im Rahmen der Anhörung Schreiben der Universität Heidelberg vom und 14. und 17. Juni 2019 vor mit der Diagnose Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion. Sie nehme Tabletten.
Eine Eurodac-Abfrage ergab für die Antragstellerin einen Treffer der Kategorie 1 für Griechenland für den 20. Februar 2019. Auf das Übernahmeersuchen des Bundesamtes an die Hellenische Republik vom 11. Juli 2019 hin teilte die griechische Asylbehörde am 19. Juli 2019 mit, dass die Antragstellerin am 25. Januar 2019 in Athen registriert worden, ihren Asylwunsch am darauf folgenden Tag zum Ausdruck gebracht habe und einen formalen Asylantrag am 20. Februar gestellt habe. Sie sei nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis für Griechenland, sondern habe nur eine vom 28. Februar bis 28. August 2019 gültige Aufenthaltskarte für Asylantragsteller erhalten. Die griechische Behörde informierte, dass die Antragstellerin in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht werde und in Übereinstimmung mit den Richtlinien (EU) Nr. 2013/ 33/EU und Nr. 2013/32/EU behandelt werde.
Mit Bescheid vom 22. Juli 2019, der Antragstellerin mit Empfangsbestätigung am 26. Juli 2019 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Antrag der Antragstellerin daraufhin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung der Antragstellerin nach Griechenland an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Zur Niederschrift der Rechtsantragstelle erhob die Antragstellerin am 30. Juli 2019 hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach (AN 17 K 19.50770), über die noch nicht entschieden ist. Sie beantragte außerdem gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 26. August 2019 beantragte die Antragstellerin weiter, ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren.
Zur Begründung der Gerichtsverfahren berief sich die Antragstellerseite auf systemische Mängel im griechischen Asylverfahren und die diagnostizierte Anpassungsstörung. Die Antragstellerin nehme die Medikamente Mirtazapin und Sertralin ein; ein entsprechendes Rezept vom 9. August 2019 wurde vorgelegt. Sie sei reiseunfähig, da eine Behandlung in Griechenland nicht durchgeführt werde.
Die Antragsgegnerin beteiligte sich im Verfahren mit Schriftsätzen vom 17. September 2019, 28. Februar 2020 und 1. April 2020, setzte insbesondere die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) wegen der Corona-Pandemie aus. Eine ausdrückliche Antragstellung erfolgte nicht.
Das Verfahren wurde nach beidseitiger Antragstellung am 10. Juni 2020 ruhend gestellt. Am 29. Juli 2020 erklärte die Antragsgegnerin den Widerruf der Aussetzung. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens am 12. Februar 2021 wurden den Parteien Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben, die nicht wahrgenommen wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, der sich bei sachgerechter Auslegung allein gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG richtet (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) ist zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt, aber unbegründet, weil die gerichtliche Interessensabwägung ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers ergibt.
Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle. Die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklage voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3 des Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) nämlich als rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, wenn feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Die Voraussetzungen liegen vor.
a) Griechenland ist der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers der zuständige Mitgliedstaat. Der Asylantrag der Antragstellerin ist demnach nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG unzulässig.
Die Zuständigkeit der Hellenischen Republik für die Bearbeitung und Entscheidung über den Asylantrag der Antragstellerin ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b), 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO.
Aufgrund des Eurodac-Treffers, der Rückübernahmeerklärung Griechenland vom 19. Juli 2019 und auch der eigenen Angaben der Antragstellerin steht fest, dass diese das Gebiet der Dublin-Mitgliedsstaaten über Griechenland, von Nordmazedonien kommend, illegal betreten hat. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist damit Griechenland als Land des illegalen Erst-Grenzübertritts für die Bearbeitung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig. Der Zuständigkeit steht auch nicht die Frist des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO entgegen. Bezogen auf die erste Asylantragstellung in Griechenland am 20. Februar 2020 (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) war noch kein Jahr seit dem illegalen Grenzübertritt im Oktober 2018 verstrichen. Jedenfalls hat Griechenland gem. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO die Antragstellerin zunächst wiederaufzunehmen, um die Zuständigkeit nach der Dublin III-VO selbst zu klären (vgl. EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17 und C-583/ 17 – juris).
b) Die Antragstellerin kann sich nicht erfolgreich auf das Bestehen systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO in Griechenland berufen, so dass ausnahmsweise eine Rückführung dorthin unzulässig wäre. Die allgemeine Lage in Griechenland steht der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG für gesunde, arbeitsfähige, nicht vulnerable und allein reisende Asylbewerber, die nur für sich selbst verantwortlich sind, nach der Rechtsprechung der Kammer nicht entgegen (vgl. für jungen Mann VG Ansbach, B.v. 10.2.2021 – AN 17 S 21.50009 – juris; für junge Frau VG Ansbach, B.v 18.2.2021 – AN 17 S 19.50910 – juris).
aa) Nach dem System der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 31.12.2011, C-411/10 und C-433/10 – NVwZ 2012, 417) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedsland der Europäischen Union (EU) den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der EU (ChGR) entspricht. Diese Vermutung ist jedoch dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedsland systemische Mängel aufweisen, die zu der Gefahr für den Asylbewerber führen, bei Rückführung in den Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 ChGR bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Dies darf jedoch nicht vorschnell angenommen werden. Von systemischen Schwachstellen kann nur dann gesprochen werden, wenn sie im Rechtssystem des anderen Staats angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel werden dadurch gekennzeichnet, dass sie den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft treffen, sondern sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren lassen. Es muss sich um größere Funktionsstörungen handeln, die regelmäßig so defizitär sein müssen, dass sie die Annahme rechtfertigen, dort drohe einem Asylbewerber im konkreten Einzelfall mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Die festgestellten Tatsachen müssen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein, um das o.g. gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten zu widerlegen. Sie müssen überdies verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt zu Grundrechtsverletzungen kommt. Grundrechtsverletzungen in Einzelfällen und bloße in der Person des Asylbewerbers begründete Hinderungsgründe für eine Überstellung sind nicht geeignet, systemische Schwachstellen zu begründen. Systemische Schwachstelle können aber lediglich eine bestimmte, z. B. nur besonders schutzbedürftige Personengruppe, betreffen.
bb) Das erkennende Gericht legt nach den bestehenden Erkenntnissen zu Griechenland folgende Tatsachen- und Rechtslage zum griechischen Asylsystem seiner Entscheidung zu Grunde:
Asylbewerbern steht in Griechenland seit 2016 ein grundsätzlich rechtstaatliches Asylverfahren zur Verfügung. Das aktuelle griechische Asylgesetz vom 1. November 2019, gültig seit dem 1. Januar 2020, setzt in seinem ersten Teil (Art. 1 bis Art. 38) die RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Anerkennungs-RL), also die materiellen europäischen Asylstandards um, in seinem zweiten Teil (Art. 40 bis 92) die RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrens-RL), somit die verfahrensrechtlichen europäischen Regelungen. Das griechische Asylverfahren weist für die Personengruppe der Dublin-Rückkehrer auch keine besonderen Zugangshürden auf. Der Zugang zum Asylverfahren nach einer Dublin-Rücküberstellung ist vom Stand des Verfahrens in Griechenland abhängig. Bedenkliche Nachteile entstehen der Antragstellerin durch die von ihr erfolgte Weiterreise nach Deutschland voraussehbar nicht. Den regelmäßig seitens der griechischen Behörden bei Annahme eines (Rück-)Übernahmeersuchens erteilten Zusicherungen ist zu entnehmen, dass die zuständigen Polizeistellen die überstellte Person bei Ankunft am Flughafen in Empfang nehmen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend unter anderem über ihre Rechte als Asylantragsteller und den Verfahrensablauf informieren. Dies ergibt sich für die Antragstellerin ausdrücklich aus der Übernahmeerklärung vom 19. Juli 2019 (vgl. allgemein auch die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 4.12.2019, S. 3).
Zwar wurden mit dem zum 1. Januar 2020 in Kraft getretenen (und im März 2020 überarbeiteten) griechischen Asylgesetz auch einige Verschärfungen gegenüber der Rechtslage seit 2016 eingeführt wie die Beschränkung von Einspruchsmöglichkeiten, die Festlegung von sicheren Herkunftsländern, die Möglichkeit der Unterbringung in geschlossenen Flüchtlingszentren für letztinstanzlich abgelehnte Asylbewerber, den Verlust des Asylrechts in bestimmten Fällen, insbesondere bei Straffälligkeit (vgl. insoweit Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Sachstand Änderungen im griechischen Asylgesetz vom 3.5.2020), Zweifel an einer grundsätzlichen Rechtstaatlichkeit ergeben sich hieraus jedoch nicht. Die Regelungen dienen der Verfahrensbeschleunigung und der Missbrauchsverhinderung.
Die Problematik von sog. Push-Backs an der Grenze zur Türkei, wonach Ausländern faktisch die Asylantragstellung in Griechenland verwehrt wird (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Griechenland, Gesamtaktualisierung am 4.10.2019 mit Informationsstand vom 19.3.2020, S. 5 f.), sind für die Antragstellerin irrelevant, da dies nicht für Rückkehrer bzw. für Grenzübertritte aus den Dublin-Staaten gilt.
Für Asylantragsteller hat sich die Rechtslage im Vergleich zur Situation in den Jahren 2011 bis 2016 damit grundlegend geändert, so dass die auf der damaligen Sach- und Rechtslage beruhende Rechtsprechung einschließlich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die von systemischen Mängeln in Griechenland ausgegangen ist (BVerfG, B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17, juris, Rn. 16), keine Gültigkeit mehr hat. Am 8. Dezember 2016 stellte auch die Europäische Kommission (vgl. Empfehlung C (2016) 8525, abrufbar unter https://ec.europa.eu/) die Verbesserungen und Bemühungen des griechischen Staats im Hinblick auf die Dublin III-VO fest und empfahl die Wiederaufnahme der Überstellungen nach Griechenland mit Ausnahme von Personen, bei denen die Zuständigkeit Griechenlands vor dem 15. März 2017 begründet wurde sowie schutzbedürftiger Asylbewerber einschließlich unbegleiteter Minderjähriger. Das Bundesministerium des Innern kommt seit dem Erlass vom 15. März 2017 dieser Empfehlung nach und hält seitdem die Überstellung von nicht vulnerablen Antragstellern mit einer Zusicherung Griechenlands für möglich. Auch der UNHCR erhob im April 2017 keine Einwendungen gegen die von der Europäischen Kommission ausgesprochene Empfehlung (vgl. VG Regensburg, B.v. 16.8.2018 – 13 S 18.50524 – BeckRS 2018, 19523 Rn. 25).
cc) Auch die humanitäre Lage steht einer Rücküberstellung von nicht vulnerablen Asylbewerbern nach Griechenland nach der Dublin III-VO nicht entgegen.
In Griechenland haben laut Gesetz alle Asylantragsteller, darunter auch sog. Dublin-Rückkehrer, grundsätzlich ein Recht auf angemessene Unterbringung. Rückkehrende Dublin-Überstellte kommen regelmäßig im Camp Eleonas auf dem griechischen Festland unter. Für dieses Camp liegen keine Kenntnisse über eine Einschränkung der Standards der europäischen Richtlinien vor. Das (als offenes Camp geführte) Camp Eleonas verfügt über eine zentrale Lage in der Nähe der Großstadt Athen, gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, umfassende ärztliche Versorgung (allgemeinärztlich und zahnmedizinisch vor Ort) sowie Sat-TV und Freizeitmöglichkeiten (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3) und auch der Möglichkeit der Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen (vgl. z.B. https://projectelea.org/about-us). Zudem besteht die Möglichkeit einer Unterkunft über das ESTIA-Programm (ESTIA: Emergency Support to Accomodation and Integration System) mit angemieteten Wohnungen des UNHCR bzw. der Unterbringung in Containern und Zelten in Flüchtlingslagern, verwaltet von IOM, ASB oder DRC (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020).
Das griechische Migrationsministerium betreibt derzeit ca. 15.400 und der UNHCR ca. 13.500 Unterkünfte (UNHCR, Fact sheet Greece, Stand November 2020). Von den zum Teil extrem schlechten Unterbringungsverhältnisse auf den griechischen Inseln sind Dublin-Rückkehrer nicht betroffen.
Zwar besteht für alleinstehende Frauen im Allgemeinen eine größere Gefahr, als dies für alleinstehende Männer der Fall ist, Opfer von (sexuellen) Übergriffen zu werden und existieren auch Berichte von Frauen, die große Angst vor derartigen Übergriffen in und außerhalb von Flüchtlingscamps in Griechenland haben (vgl. OXFAM, diminished, derogated, denied, 2.7.2020, S. 7), den zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen lassen sich jedoch kaum konkrete Fälle von Übergriffen entnehmen (etwa United States Department of State, Greece 2019 Human Rights Report, S. 3, 13 f.). Die ursprünglich auf den Festlandcamps durchgeführten polizeilichen Einlasskontrollen bei Flüchtlingscamps, finden seit dem 11. September 2019 zwar nicht mehr statt (wobei unklar ist, ob dies auch für das Camp Eleonas gilt; vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 4), jedoch kann nicht festgestellt werden, dass ein signifikant erhöhtes Risiko für Frauen besteht, Opfer von Gewalt zu werden, zumal im Camp Eleonas separate Unterbringungsmöglichkeiten und sanitäre Einrichtungen für Frauen und Kinder bestanden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 4) und mangels anderweitiger Berichte auch davon auszugehen ist, dass diese Schutzvorkehrungen dort weiter bestehen. Die Gefahr, Opfer von sexueller oder sonstiger Gewalt zu werden, bewegt sich für alleinstehende Frauen jedenfalls nicht im Bereich eines „real risk“.
Dublin-Rückkehrer haben auch ausnahmslos Zugang zum sog. Cash-Card-Programm (Auskunft des Auswärtiges Amts an VG Berlin vom 4.12.2019). Hierbei handelt es sich um ein von der EUfinanziertes Programm des UNHCR. Der Auszahlungsbetrag liegt für Alleinstehende bei 150,00 Euro pro Monat und damit leicht unter der staatlichen Grundsicherung in Griechenland. Damit soll u. a. die Versorgung mit Lebensmitteln gewährleisten werden (Auskunft des Auswärtiges Amts an VG Greifswald vom 26.8.2018). Seit 1. Januar 2020 besteht in Griechenland eine medizinische Notfallversorgung für alle Asylantragsteller (Auskunft des Auswärtiges Amts an VG Berlin vom 4.12.2019). Soweit das griechische Gesundheitssystem durch Sparmaßnahmen des griechischen Staates oft an seine Belastungsgrenzen stößt und insbesondere in lokalen Krankenhäusern mit teilweise langen Wartezeiten zu rechnen ist (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Griechenland, Gesamtaktualisierung am 4.10.2019 mit Informationsstand vom 19.3.2020, S. 25), trifft dies jedenfalls alle Einwohner des Landes unabhängig von ihrem Rechtsstatus.
Zusammenfassend sind daher systemische Schwachstellen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, im griechischen Asylsystem für Dublin-Rückkehrer nicht ersichtlich (so bereits VG Ansbach, B.v. 14.9.2020 – AN 17 S 19.50793, B.v. 10.2.2021 – AN 17 S 21.50009 -; ebenso VG Cottbus, B.v. 18.2.2020 – 5 L 545/19.A; Saarländisches VG, B.v. 6.9.2019 – 5 L 1112/19; VG Leipzig, B.v. 27.2.2020 – 6 L 413/19; VG München, B.v. 23.7.2019 – M 5 S 19.50682; VG Berlin, U.v.10.12.2019 – 3 K 503.19A; a. A. beispielsweise VG Aachen, U.v. 28.9.2020 – 10 K 2203/19.A – jeweils juris).
dd) Für die Antragstellerin liegt darüber hinaus eine individuelle Zusicherung des griechischen Staates vor, dass sie entsprechend der europäischen Asylstandards aufgenommen und behandelt wird. In dieser Situation kann darauf vertraut werden, dass für die Antragstellerin tatsächlich entsprechend der Zusicherung verfahren wird und sie insbesondere von den besonders schwierigen Unterbringungsverhältnissen in den Camps auf den griechischen Inseln nicht betroffen sein wird. Anhaltspunkte dafür, dass die griechischen Behörden Zusicherungen abgeben, obwohl sie eigentlich für eine Rücknahme der Asylbewerber keine Kapazitäten verfügbar haben, finden sich nicht (so auch VG Regensburg, B.v. 16.8.2018 – 13 S 18.50524 – BeckRS 2018, 19523 Rn. 29). Für Rückkehrer nach der Dublin III-VO ist jedenfalls im Falle einer individuellen Zusicherung, wie sie für die Antragstellerin in der Übernahmeerklärung vom 19. Juli 2019 abgegeben wurde, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzunehmen (vgl. auch VG Cottbus, B.v. 18.2.2020 – 5 L 545/19.A; Saarländisches VG, B.v. 6.9.2019 – 5 L 1112/19; VG Berlin, U.v.10.12.2019 – 3 K 503.19A; VG Leipzig, B.v. 27.2.2020 – 6 L 413/19; VG München, B.v. 23.7.2019 – M 5 S 19.50682 – jeweils juris).
c) Die Antragstellerin erwartet, was weiter in den Blick zu nehmen ist, nach Überzeugung des Gerichts auch im Falle einer Anerkennung als international Schutzberechtigte keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97). Die Lebensverhältnisse in Griechenland stellen sich für anerkannte arbeitsfähige, alleinlebende, gesunde Erwachsene nicht generell als unzumutbar im Hinblick auf „Brot, Bett und Seife“ (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5) dar. Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte sind in Griechenland griechischen Staatsbürgern in allen maßgeblichen Bereichen gleichgestellt.
aa) Die Kammer geht dabei in ihrer ständigen Rechtsprechung zu Drittstaatenbescheiden (vgl. VG Ansbach, U.v. 17.3.2020 – AN 17 K 18.50394; U.v. 10.7.2020 – AN 17 K 18.50449; U.v. 28.1.2021 – AN 17 K 18.50329/AN 17 K 20.348 – jeweils juris) von folgender tatsächlicher Situation aus:
Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; anders, aber nur „nach bisheriger Kenntnis“: Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 5). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels geht jedoch nach jüngeren Berichten mit bürokratischen Hindernissen und zeitlichen Verzögerungen einher. So genügt ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der griechischen Behörden, mit dem internationaler Schutz zuerkannt wird, für sich genommen nicht, um eine Aufenthaltserlaubnis beantragen zu können. Zusätzlich erforderlich ist ein sogenannter „ADET-Bescheid“, der häufig, aber nicht immer zusammen mit dem Anerkennungsbescheid zugestellt wird. Verfügt der Anerkannte über keinen ADET-Bescheid muss er ihn beim zuständigen Regionalbüro der Asylbehörde zuerst beantragen und kann erst nach Erhalt beim regional zuständigen Passamt der griechischen Polizei einen Termin zur Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis vereinbaren (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 11 ff.). Zwischen der Beantragung und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vergehen in der Praxis mehrere Monate oder gar ein Jahr (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 20; Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 14 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 229 f.). Der Grund für die langen Wartezeiten liegt nach Auskunft der griechischen Polizei in behördlichen Zuständigkeitsverschiebungen im Januar und Juli 2020 und einem damit einhergehenden Bearbeitungsrückstau (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 14; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 229 f.).
Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8).
Eine funktionierende nationale Integrationspolitik bzw. Integrationsstrategie für anerkannte Flüchtlinge existiert, v.a. aufgrund fehlender Geldmittel, in Griechenland aktuell kaum (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 30.8.2018, S. 11; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7 f.). Hinsichtlich allgemeiner staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild unklar (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Allenfalls werden Sprach- und Integrationskurse im Rahmen des sog. Helios-Programmes – „Hellenic Support for Beneficiaries of International Protection“ – angeboten, welches jedoch für aus anderen EU-Ländern zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte in aller Regel nicht zugänglich ist (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 21 ff.). Die Integrationsprogramme sind von der Finanzierung durch die EU abhängig, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7).
In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten und mit denen die griechischen Behörden, insbesondere die lokalen, auch kooperieren (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Athen, Hilfsorganisationen – Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland, Stand Dezember 2019; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2; United States Departement of State [USDOS], Greece 2020 Human Rights Report, S. 15). Die Arbeit der NGOs ist jedoch räumlich vorwiegend auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2).
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1), entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; Amnesty International, Amnesty Report Griechenland 2020 vom 7.4.2021). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 5).
Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannt Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren; diese können über die Anerkennung hinaus für einen Übergangszeitraum von 30 Tagen dort verbleiben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f.). Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte haben insbesondere keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Der UNHCR stellte – Stand Anfang Januar 2021 – ca. 11.550 Plätze, das griechische Migrationsministerium ca. 16.600 Plätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Dezember 2020), aber nur für Asylsuchende und für anerkannte Schutzberechtigte in den ersten 30 Tagen nach ihrer Anerkennung (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f., an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f., an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5 und an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2). Das neue Asylgesetz Nr. 4636/2019, das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, und eine weitere Gesetzesänderung von März 2020 haben die früheren Bedingungen, die ein Verbleiben in der Flüchtlingsunterkunft für sechs Monate ermöglicht haben, verschärft (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 und an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f.). Seit Juni 2020 wird die Verpflichtung zum Auszug, von der ca. 11.500 Personen betroffen sind, auch umgesetzt. Allerdings kann die Zahl der Personen, die die Unterkünfte für Asylbewerber tatsächlich verlassen mussten, nicht sicher eingeschätzt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 2).
Das Programm „Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection“ (Helios 2-Programm), ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5.000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von NGOs und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Das Programm richtet sich aber nur an international Schutzberechtigte, die nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, die im Zeitpunkt der Unterrichtung über ihre Anerkennung in einer Flüchtlingsunterkunft (insbesondere im ESTIA-Programm) untergebracht waren und innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Anerkennung einen entsprechenden Antrag gestellt haben (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 2 f. und an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 2). Ob Rückkehrern aus dem Ausland diese Möglichkeit offensteht, ist unklar, einen solchen Fall hat es bislang jedenfalls noch nicht gegeben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 3). Seit September 2020 kann über das Helios 2-Programm auch eine zweimonatige Unterkunft von Anerkannten in Hotels sichergestellt werden. Diese Maßnahme lief jedoch regulär Ende 2020 aus und wurde einmal bis Februar 2021 verlängert. Anfang März 2021 hat Griechenland bei der EU-Kommission einen Antrag auf Weiterfinanzierung gestellt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 21). Zusätzlich sollen Notfallkapazitäten in einem Lager in Athen zur Verfügung gestellt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 3). Neueren Quellen nach läuft das Helios 2-Programm zunächst bis Juni 2021 (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 7).
Auch eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften für anerkannt Schutzberechtigte ist grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Kapazitäten in den kommunalen und durch NGOs betriebenen Unterkünften, etwa in Athen, knapp bemessen und oft chronisch überfüllt (AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 247; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit. Ein Rechtsanspruch auf Obdachlosenunterbringung besteht nicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020). Im Hinblick auf die begrenzten Kapazitäten bewerben sich viele Schutzberechtigte erst gar nicht für einen Platz in einer dieser Herbergen. Im Ergebnis bleiben viele anerkannt Schutzberechtigte, die selbst nicht über hinreichende finanzielle Mittel für das Anmieten privaten Wohnraums verfügen oder nicht am Helios 2-Programm teilnehmen können, obdachlos oder wohnen in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen (Pro Asyl, Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 30.8.2018, S. 5 ff.). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen in Athen dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Allerdings deuten jüngere Berichte an, dass durchaus anerkannte Flüchtlinge auf öffentlichen Straßen und Plätzen in Athen schlafen (Wölfl, „Anerkannte Flüchtlinge auf griechischem Festland obdachlos“, Der Standard, 22.1.2021).
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2). Für besonders Vulnerable können zur Vermeidung von Obdachlosigkeit Mietsubventionierungen gezahlt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2). Das soziale Wohngeld bzw. die Mietsubventionierung setzen allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 und an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2), wobei bei international Schutzberechtigten die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet wird (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1). Auch ist der legale Voraufenthalt von fünf Jahren durch fristgerecht eingereichte Steuererklärungen für die einzelnen Jahre nachzuweisen (vgl. Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 19). Die Einzelheiten regeln zahlreiche Erlasse. Der tatsächliche Versorgungsumfang ist unklar (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2).
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, auch sonst unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht in der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen – unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr – wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f. und an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 18 spricht hingegen von einem mind. sechs Monate vor der Antragstellung unterzeichneten Mietvertrag mit Meldeadresse). Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannt Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Aussichten auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes im Allgemeinen als eher schwierig einzustufen, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Griechenland, Stand 19.3.2020, S. 31), in deren Folge zahlreiche Beschäftigte insbesondere der Dienstleistungsbranche, im Verkauf und in haushaltsnahen Tätigkeiten arbeitslos wurden, wobei Frauen noch stärker betroffen sind als Männer (Eures, Kurzer Überblick über den Arbeitsmarkt, Stand Juli 2020, S. 1. u. 3). Dazu tritt derzeit noch der wirtschaftliche Einbruch in Folge der Corona-Pandemie: Das Corona-Virus und der staatliche angeordnete Lockdown haben zu einem Einbruch der griechischen Wirtschaft im dritten Quartal 2020 von 11,7% geführt. Im wirtschaftlich bedeutsamen Tourismus-Sektor, der im Jahr 2019 noch ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes beigetragen hatte, gingen die Urlauberzahlen 2020 um 80% zurück. Im Jahr 2021 erwartet die Regierung jedoch statt eines Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt von 7,5% immerhin noch ein Plus von 4,8%. Um den Folgen des Coronabedingten Wirtschaftseinbruchs zu begegnen, stellte der griechische Staat im Jahr 2020 23,9 Milliarden Euro an Hilfen für die Wirtschaft zur Verfügung und plant diese im Jahr 2021 um weitere 7,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Trotz der hohen Schuldenquote von 209% des Bruttoinlandsproduktes ist die Finanzierung des griechischen Staates wegen eines Liquiditätspuffers von 30 Milliarden Euro derzeit nicht in Gefahr (Höhler, „Corona wirft Griechenland weit zurück“, Redaktionsnetzwerk Deutschland, 25.12.2020). Auch sind Anzeichen für eine weitere Erholung der griechischen Wirtschaft erkennbar: Die Einreise nach Griechenland zu touristischen Zwecken ist unter Auflagen wieder möglich und es wird seitens griechischer und ausländischer Investoren vermehrt in Hotel- und Energieprojekte investiert (Germany Trade and Invest [GTAI], Griechenland: Zurück zur Normalität, Stand 28.5.2021). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind allerdings meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Dazu treten regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7) sowie bürokratische Hürden beim Eintritt in den legalen Arbeitsmarkt wie die Beantragung der Steueridentifikationsnummer (Tax Registration Number – AFM) und der Sozialversicherungsnummer. Die Ausstellung einer Steueridentifikationsnummer setzt einen Wohnsitznachweis voraus und nimmt in etwa zwei Monate in Anspruch (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 15 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 248 f.; Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 25: zusätzlich „residence permit“ erforderlich). Hinsichtlich der Ausstellung der Sozialversicherungsnummer – Social Security Number (AMKA) – wird vereinzelt berichtet, dass diese seit Juli 2019 für nicht-griechische Staatsbürger nicht mehr möglich sei (Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 26). Andere Quellen berichten zwar von Schwierigkeiten, nehmen aber keine Unmöglichkeit an (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 16 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 251 f.). Jedenfalls erfordert die Beantragung einer Sozialversicherungsnummer wiederum u.a. eine gültige Aufenthaltserlaubnis mit den damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen (s.o.) sowie eine Steueridentifikationsnummer (Stiftung Pro Asyl/RSA a.a.O.). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannter Schutzberechtigter findet derzeit nicht statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10), jedoch haben einige NGOs Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet. Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2 ff. und an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7).
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und zum Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich zu den gleichen Bedingungen wie für griechische Staatsangehörige gegeben. Es besteht Zugang zum regulären öffentlichen Gesundheitssystem. Für Medikamente besteht eine Zuzahlungspflicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9). Die Versorgung unterliegt denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.). Von der im Grundsatz kostenfreien staatlichen Gesundheitsfürsorge ist auch die Hilfe bei psychischen Erkrankungen umfasst (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 5). Auch beim Zugang zum Gesundheitssystem sind – vergleichbar mit dem Zugang zum legalen Arbeitsmarkt – bürokratische Hindernisse zu überwinden. Insbesondere muss vor Inanspruchnahme des Gesundheitssystems die Sozialversicherungsnummer (AMKA) ausgestellt sein, was mit den bereits beschriebenen Schwierigkeiten und Wartezeiten verbunden ist (s.o. und Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 20; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 5; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 251 f.). Eine Notfallversorgung wird jedoch stets und unabhängig vom Rechtsstatus gewährleistet (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Griechenland, Stand 19.3.2020, S. 25).
bb) Unter Berücksichtigung des strengen rechtlichen Maßstabes für die Annahme einer Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh bezüglich der Versorgungs- und Lebensbedingungen anerkannt Schutzberechtigter, der im Hinblick auf eine eigenverantwortliche Lebensführung anzulegen ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97), ist unter summarischer Prüfung des Vortrags der Antragstellerin eine solche Verletzung für sie im Falle einer Anerkennung nicht ernsthaft („real risk“ – vgl. OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – BeckRS 2020, 5694 Rn. 28 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR) zu befürchten.
Zwar ist der Zugang zu Sozialleistungen in einer Anfangsphase von zwei Jahren nicht sicher gewährleistet und ist es allgemein in der Tat sehr schwierig, an geregelte Arbeit und eine angemessene Unterkunft zu kommen, jedoch können der Antragstellerin als erwachsener Person vorübergehend zum einen auch schwierige Verhältnisse zugemutet werden. Mit derartigen Verhältnissen war die Antragstellerin nach ihrem Vortrag bereits bei ihrem Aufenthalt von Oktober 2018 bis Juni 2019 konfrontiert und hat diese, wenn dies sicherlich auch nicht leicht für sie war, gemeistert. Die alleinstehende Antragstellerin ist in ihrer Eigeninitiative nicht durch familiäre Zwänge oder Verpflichtungen eingeschränkt, ist niemandem zum Unterhalt oder zur Personensorge verpflichtet, sondern kann sich ohne Einschränkung der Alltagsbewältigung und der Erwirtschaftung ihres Lebensunterhalts widmen.
Zwar sind Frauen in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise und der steigenden Arbeitslosigkeit derzeit wohl stärker betroffen als Männer (s.o. und Eures, Kurzer Überblick über den Arbeitsmarkt, S. 1. u. 3., BFA a.a.O., S. 31). Da der größte Teil der Beschäftigten Mitarbeiter im Dienstleistungsgewerbe und im Verkauf sind (23,8%), ist für Frauen eher von einer geringeren Wahrscheinlichkeit auszugehen, den eigenen Lebensunterhalt selbständig verdienen zu können. Dies dürfte sich aller Wahrscheinlichkeit nach im Zuge der Corona-Krise und des damit einhergehenden Einbruchs im Tourismussektor, der für ein Fünftel des griechischen Bruttoinlandsproduktes steht, auch weiter verschärft haben. Frauen steht im Vergleich zu Männern auch nur ein schmalerer Arbeitsmarkt offen, da etwa schwere körperliche Tätigkeiten in der Land- und Bauwirtschaft typischerweise und mehrheitlich von Männern wahrgenommen werden (vgl. hierzu VG Ansbach, U.v. 28.1.2021 – AN 17 K 18.50329/AN 17 K 20.50348 – juris). Bis der Antragstellerin – gegebenenfalls – internationaler Schutz in Griechenland verliehen sein wird und sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, dürften sich die aktuell noch schwierigen Verhältnisse in Zusammenhang mit der Corona-Krise jedoch zum Teil normalisiert haben und der Tourismus und der sich daraus ergebende Arbeitsmarkt wieder zunehmend angefahren sein. Im Tourismussektor steht dann auch Frauen wieder ein gewisser Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Die Prognose von dauerhaft extrem schwierigen, unzumutbaren Verhältnissen bzw. einer sofort mit der Rückkehr nach Griechenland eintretenden extrem schwierigen Lebenssituation, ist jedenfalls nicht zu stellen. Zunächst einmal wird die Antragstellerin in das griechische Asylsystem aufgenommen und erhält dort in der Anfangsphase Unterkunft und finanzielle Unterstützung über das Cash-Card-System. Sie erhält damit auch ausreichend Zeit für eine Orientierung in den griechischen Lebensverhältnissen und Strukturen und ist nicht sofort auf sich allein gestellt. Im Anschluss an das Asylverfahren ist zudem ein vorübergehender Verbleib in einer ESTIA-Unterkunft, wenn auch nur noch für bis zu 30 Tage, möglich sowie die Inanspruchnahme des Helios 2-Programm im Anschluss an eine Anerkennung. Als nicht vulnerable Person wäre ihr grundsätzlich vorübergehend auch eine Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft zumutbar, jedenfalls ist nicht ersichtlich, was dem im Fall der Antragstellerin entgegenstünde.
Im Gegensatz zu international Schutzberechtigten, die nach Griechenland zurückkehren (vgl. VG Ansbach für Familien, U.v. 17.3.2020 – AN 17 K 18.50394 – juris; für allein reisende Frauen U.v. 28.1.2021 – AN 17 K 17.51229 -juris), hat die Antragstellerin nach einer etwaigen Asylanerkennung damit eine realistische Chance, eine Unterkunft zu finden. Für das Gericht ist, da für die Antragstellerin mit einem Leben auf der Straße oder in informellen Strukturen nicht zu rechnen ist, eine Gefahr – mit einer Gefahrenwahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“ -, Opfer von (sexuellen) Übergriffen zu werden, nicht ersichtlich. Überdies kann sie, wie griechische Staatsbürger auch, bei gegebenenfalls drohenden Übergriffen die Hilfe von Polizei und Behörden in Anspruch nehmen.
Unterstützung bei der Alltagsbewältigung und Integration leisten in Griechenland – wie ausgeführt – hauptsächlich die NGOs, an die sich die Antragstellerin wenden kann. Mit einer hilflosen Lage und einer Verelendung ist bei zuzumutender Eigeninitiative und bei Inanspruchnahme dieser Hilfeleistungen damit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Die Projekte der NGOs können in ihrer Gesamtheit das Fehlen eines staatlichen Integrationsplans jedenfalls teilweise kompensieren und sicherstellen, dass die elementaren Bedürfnisse von anerkannten Schutzberechtigten in der ersten Zeit nach Beendigung des Asylverfahrens befriedigt werden können.
Die Antragstellerin hat zwar nach ihrer Einreise nach Deutschland im Sommer 2019 an einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik gelitten und Antidepressiva verschrieben bekommen, als vulnerabel ist sie dennoch nicht einzustufen. Da die Antragstellerseite seit Sommer 2019 keinerlei Vortrag zu einem Fortbestehen der psychischen Beschwerden gemacht hat und auch keine neueren ärztlichen Unterlagen vorgelegt hat, obwohl das Gericht mit Schreiben vom 12. Februar 2021 nochmals Gelegenheit zu einer abschließenden Stellungnahme gegeben hat, kann davon ausgegangen werden, dass diese Schwierigkeiten der Vergangenheit angehören, die Probleme jedenfalls der Arbeitsfähigkeit der Antragstellerin und einer eigenverantwortlichen Lebensführung nicht entgegenstehen und die Antragstellerin nicht als vulnerabel anzusehen ist. Die gesundheitlichen Beschwerden dürften auch bereits während des ersten Aufenthaltes in Griechenland bestanden haben. Eine Einschränkung bzw. Schwierigkeiten in der praktischen Lebensbewältigung hat die Antragstellerin deswegen jedoch nicht geltend gemacht.
d) Das Bundesamt hat Griechenland auch ordnungsgemäß und fristgerecht innerhalb der 2-Monats-Frist nach Asylantragstellung gemäß Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO um Übernahme der Antragstellerin ersucht. Die Hellenische Republik ist zur Übernahme der Antragstellerin gem. Art. 18 Abs. 1 Buchs. b) Dublin III-VO verpflichtet und hat dies sinngemäß auch innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erklärt; von der Stattgabe der Wiederaufnahme ist jedenfalls gem. § 25 Abs. 2 Dublin III-VO auszugehen. Mit der Zustimmung des angefragten Staates steht auch die tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung i.S.v. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest. Ein Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Dublin III-VO, der einer Rückführung entgegenstünde, kommt derzeit nicht in Betracht. Der rechtzeitig gestellte und jetzt erst entschiedene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO verhinderte bislang den Ablauf der Überstellungfrist, Art. 29 Abs. 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO. Auf die höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, ob die behördliche Aussetzung den Ablauf der Überstellungsfrist bewirken kann, kommt es damit nicht an.
e) Nachdem auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG für die Antragstellerin nicht ersichtlich ist, erweist sich die Abschiebungsanordnung im Ergebnis als voraussichtlich rechtmäßig. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 22. Juli 2019 bleibt somit ohne Erfolg.
2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
3. Ebenfalls abzulehnen ist in dieser Situation der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Hinreichende Erfolgsaussichten i.S.v. § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO kommen und kamen dem Antrag aus den dargelegten Gründen nicht zu.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben