Europarecht

Dublin-III-VO, Familienzusammenführung, Verwaltungsgerichte, Antragsgegner, Einstweilige Anordnung, Angaben des Antragstellers, Durchführungsverordnung, Übernahmeersuchen, Ermessensreduzierung auf Null, Abschiebungsverbot, Unbegleiteter Minderjähriger, Mitgliedstaaten, Asylverfahren, Asylantrag, Familienangehörige, Glaubhaftmachung, Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Humanitäre Gründe, Behördenakten, Minderjährige Antragsteller

Aktenzeichen  AN 17 E 20.50359

Datum:
18.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40006
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
§ 123 VwGO
Art. 8 Abs. 2, Art. 17 Abs. 2, Art. 22 Dublin III-VO
Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller im Ergebnis die Durchführung seines Asylverfahrens in Deutschland.
Der am … 2004 im Iran geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gab an, in Deutschland einen Onkel, den Bruder seines Vaters, zu haben, den 1991 geborenen Herrn … … Herr … … reiste am 17. Juli 2015 nach Deutschland ein und stellte am 14. September 2016 einen Asylantrag. Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 26. Januar 2017 vollumfänglich ablehnte, hatte die hiergegen erhobene Klage vor dem Verwaltungsgericht München teilweise Erfolg. Die Beklagte wurde verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Zur Begründung führte das Gericht, unter Verweis auf ein vorgelegtes ärztliches Attest, u.a. aus, dass Herr … psychisch stark angeschlagen und auf medikamentöse Behandlung angewiesen sei. Das Bundesamt stellte daraufhin mit Bescheid vom 6. Dezember 2017 fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
Der Antragsteller reiste jedenfalls im September 2019 in Griechenland ein und stelle dort am 10. Dezember 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 10. März 2020 richtete die griechische Dublin-Einheit auf Grundlage des Art. 8 Dublin III-VO ein den Antragsteller betreffendes Aufnahmegesuch an die Antragsgegnerin. Beigefügt waren die Tazkiras von Onkel und Vater des Antragstellers und ein Schulzeugnis des Antragstellers mit Foto (in dem als „Place of Residence“ Afghanistan, …, angegeben ist), außerdem ein BIA Report (Best Interests Assessment Form) vom 9. März 2020 über den Antragsteller, medizinische Unterlagen, der „Written consent“ von Antragsteller (nur von diesem unterzeichnet) und vom Onkel des Antragstellers (im folgenden Onkel genannt), Fotos, der Aufenthaltstitel des Onkels (gültig bis 17.12.2021), die Gesundheitskarte des Onkels und dessen Berufsausbildungsvertrag sowie weitere Zeugnisse. Aus dem vorgelegten BIA-Report geht hervor, dass der Antragsteller angegeben habe, seit seinem siebten Lebensjahr an epileptischen Anfällen zu leiden. Seit längerem nehme er keine Medikamente mehr ein. In Griechenland habe er Anfälle gehabt und Antidepressiva genommen, dann aber damit aufgehört. Er sei fünfmal in Krankenhaus behandelt worden, zuletzt im Februar 2020. Aus neurologischer und psychiatrischer Sicht seien die Anfälle nicht epileptischer Natur, sondern psychogener Ursache. Der Antragsteller habe auch zur Selbstverletzung geneigt. Er leide unter Angst und erhalte psychiatrische und psychologische Unterstützung. Nach Aussage des Antragstellers trachte ihm ein sich in Griechenland aufhaltender Cousin nach dem Leben. Der Antragsteller habe Schwierigkeiten mit dieser Bedrohung und der Ungewissheit hinsichtlich der gewünschten Zusammenführung mit seinem Onkel in Deutschland. Er sei in regelmäßiger Behandlung bei einem Psychologen und mache große Fortschritte, mit den sich ihm stellenden Herausforderungen zurechtzukommen. Die Trennung von seiner Familie setze dem Antragsteller zu, außerdem habe er eine schwierige Flucht hinter sich, weshalb es wichtig sei, dass er mit jemanden zusammen sei, der ihm Sicherheit gebe, sodass die Familienzusammenführung mit dem Onkel das Beste für den Antragsteller wäre. Der Antragsteller gab weiter an, dass der Onkel mit dem Antragsteller und dessen Familie bereits im Iran für ca. drei bis vier Jahre zusammengelebt habe. Der Onkel habe sich viel gekümmert und mit dem Antragsteller gespielt. Es habe sich angefühlt, als sei er der ältere Bruder. Als der Onkel heiratete, sei er nach Afghanistan, aber die Kommunikation habe nicht gestoppt. Zuletzt habe er ihn vor ca. zwei Jahren gesehen, er habe mit ihm aber telefonischen Kontakt, ca. zwei- bis dreimal die Woche, mehr als mit seinen Eltern. Diese würden weiter im Iran leben. Der Onkel berate ihn und schicke manchmal auch Geld. Er interessiere sich für die Gesundheit des Antragstellers und dessen Bildung. Der Vater des Antragstellers sei mit ihm bis in die Türkei gereist, dann sei der Vater zurück in den Iran zur Familie. Der Antragsteller sei mit einem Freund des Vaters zur Grenze, dort seien sie aber getrennt worden und er habe seitdem keinen Kontakt mehr mit dem Freund des Vaters. Der Antragsteller führte aus, dass er aus dem Iran habe fliehen müssen, da ihm ein Cousin mütterlicherseits, der ihn Afghanistan lebe, wegen eines Erbes nach dem Leben trachte. Dem Antragsteller wird im BIA-Bericht bescheinigt, dass er trotz seiner psychologischen Herausforderungen, so unabhängig wie möglich sei. Da er derzeit noch in einer unsicheren Lage lebe, habe er sich nicht festigen können. In letzter Zeit versuche er, sich zu bilden und kreativ zu sein. Deshalb müsse er so schnell wie möglich zu seinem Onkel, damit er sich sicher fühlen und mit seinem Leben beginnen könne. Der Report schließt mit der Empfehlung des Gutachters, den Antragsteller mit dem Onkel zusammenzuführen. Der Antragsteller würde sich dann sicher fühlen und mit jemanden sein, dem er vertraue. Die emotionalen Unsicherheiten könnten überwunden werden.
Mit einem an die griechische Dublin-Unit gerichteten Schreiben vom 1. April 2020 lehnte die Antragsgegnerin das Übernahmeersuchen ab. Es werde um weitere Informationen gebeten, da es ohne vorgelegte Beweise nicht ersichtlich sei, ob der Antragsteller und der angegebene Onkel verwandt seien. Das vorgelegte Zeugnis des Antragstellers sei als Identitätsnachweis nicht ausreichend. Sollten die Nachweise nicht innerhalb der Frist des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 2. September 2003 (Dublin-Durchführungsverordnung) vorliegen, sei die Ablehnung endgültig.
Die griechischen Behörden antworteten mit Schreiben vom 22. April 2002 und führten aus, dass der Antragsteller seine Familie kontaktiert habe, um eine Geburtsurkunde zu erhalten. Der Antragsteller habe bisher keine gehabt. Angesichts der Corona-Situation, der Tatsache, dass die Eltern im Iran leben, der Antragsteller aber eine afghanische Geburtsurkunde benötige, dauere die Beschaffung seine Zeit.
Daraufhin richtete die Antragsgegnerin ein Schreiben vom 4. Mai 2020 an die griechische Dublin-Unit und lehnte die Übernahme unter Verweis auf Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung erneut ab und forderte weitere Nachweise. Nach Vorlage weiterer Dokumente könne der Vorgang durch die deutsche Dublin-Unit erneut geprüft werden.
Die griechische Dublin-Unit antwortete mit Schriftsatz vom 18. Mai 2020 und führte aus, dass wohl keine Zeit mehr verbleibe, die Geburtsurkunde des Antragstellers zu erhalten. Deshalb würden Onkel und Antragsteller nun einen DNA-Test durchführen lassen. Der Onkel habe in Deutschland bereits ein Labor kontaktiert.
Mit Schreiben vom 25. Mai 2020 erfolgte eine erneute Ablehnung des Übernahmeersuchens durch Deutschland unter Verweis auf die bereits zweimal erfolgte Ablehnung der griechischen Wiederaufnahmegesuche aufgrund mangelnder Nachweise und der Maßgabe, dass die Zuständigkeit nach der Dublin III-VO zeitnah erfolgen solle. Auch im letzten Wiederaufnahmegesuch seien keine weiteren Beweise zum Nachweis der Verwandtschaft von Antragsteller und Onkel vorgelegt worden.
Die griechischen Behörden remonstrierten mit weiterem Schreiben vom 15. Juni 2020 und führten aus, dass die Dublin III-VO die rasche Bestimmung der Zuständigkeit vorgebe, dennoch sei bei unbegleiteten Minderjährigen, deren Dokumente nicht ausreichend erscheinen, der DNA-Test als letzte Lösung möglich um dem Kindeswohle und der Wahrung der Familieneinheit Genüge zu genügen. Die Ergebnisse eines DNA-Tests könnten nicht innerhalb der Fristen der Dublin III-VO vorgelegt werden. Beiliegend werde der Beweis vorgelegt, dass der DNA-Test in Arbeit sei.
Am 30. Juli 2020 übersandten die griechischen Behörden die Ergebnisse des DNA-Tests, wonach es starke Anhaltspunkte dafür gebe, dass eine Verwandtschaft (Onkel – Neffe) zwischen dem Onkel und dem Antragsteller bestehe.
Die Antragsgegnerin erwiderte mit Schreiben vom 7. August 2020, dass das Übernahmeersuchen bereits mehrmals abgelehnt worden sei. Im Ablehnungsschreiben vom 25. Mai 2020 sei klar ausgeführt worden, dass dem Ersuchen nicht stattgegeben werden könne, da die notwendigen Nachweise nicht fristgerecht vorgelegt worden seien. Auf die 3-Wochen-Frist des Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung wurde hingewiesen. Mit dem Remonstrationsersuchen vom 22. April 2020 seien von den griechischen Behörden keine neuen Beweise vorgelegt worden.
Die griechische Dublin-Unit remonstrierte mit weiterem Schreiben vom 19. August 2020 und verwies darauf, dass ein DNA-Test die letzte Möglichkeit sei, Verwandtschaftsverhältnisse nachzuweisen, wie es der Annex der Dublin-Durchführungsverordnung vorgebe. Die griechischen Behörden hätten die Durchführung eines DNA-Test zu dem Zeitpunkt angekündigt, als die Antragsgegnerin mitteilte, dass die Beweise nicht ausreichen würden. Auch werde auf die Vereinbarung zwischen der deutschen und der griechischen Dublin-Unit verwiesen, wonach die Ergebnisse der DNA-Tests innerhalb von sechs Monaten einzureichen seien. Dies sei eingehalten worden.
Die deutsche Dublin-Unit lehnte mit Schreiben vom 26. August 2020 das Übernahmeersuchen erneut ab und verwies darauf, dass im ersten Remonstrationsschreiben vom 22. April 2019 seitens der griechischen Behörden lediglich ausgeführt worden sei, dass die Geburtsurkunde nachgereicht werde. Innerhalb der in Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung vorgesehenen 3-Wochen-Frist seien keine weiteren Beweise eingereicht worden. Das Schreiben vom 4. Mai 2020 habe das Zeitfenster nicht verlängert, denn zu diesem Zeitpunkt sei das Übernahmeverfahren bereits beendet gewesen. Das Ersuchen sei hauptsächlich deshalb abgelehnt worden, weil es versäumt worden sei, innerhalb der vorgesehenen drei Wochen entweder neue Beweise vorzulegen oder den DNA-Test anzukündigen. Die maßgeblichen Fristen des Art. 5 Abs. 2 Dublin III-VO seien nicht eingehalten worden.
Auf eine entsprechende Anfrage des Antragstellerbevollmächtigten auf erneute Prüfung teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27. Oktober 2020 mit, dass Anträge auf erneute Prüfung, die nach dem 22. April 2020 gestellt werden, nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung nicht berücksichtigt werden könnten. Zwar sei remonstriert, aber noch nicht einmal das Angebot über die Durchführung eines DNA-Tests gemacht worden, obwohl sich Griechenland durchaus bewusst sei, dass die familiäre Bindung bei Onkeln und Tanten schwieriger nachzuweisen sei. Aus diesem Grund könnten die griechischen Behörden im Zweifel den DNA-Test bereits bei Stellung des Aufnahmegesuchs anbieten.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 4. November 2020, bei dem Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen am selben Tag, stelle der Antragsteller einen Antrag nach § 123 VwGO. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, sich für den Asylantrag des Antragstellers für zuständig zu erklären. Dies folge aus Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO. Die Verwandtschaft von Antragsteller und Onkel sei bereits bei Stellung des Aufnahmegesuchs nachgewiesen worden. Zwar sei der Schulausweis kein Beweis, aber ein Indiz. Die Zuständigkeit könne nach Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO auch erfolgen, wenn kohärente und nachprüfbare Indizien vorlägen, was, auch unter Berücksichtigung der weiteren Indizien und der vorgelegten Beweise, der Fall sei. Die Zuständigkeit Deutschlands für die Bearbeitung des Asylantrages diene auch dem Kindeswohl. Dieses werde in den Fällen des Art. 8 Dublin III-VO regelmäßig vermutet. Ebenso sei der Onkel fähig, für den Antragsteller Sorge zu tragen. Humanitäre Maßstäbe seien bei der Einzelfallprüfung anzuwenden, wie sich aus dem Erwägungsgrund 13 und 14 sowie Art. 6 Dublin III-VO ergebe. Neben der umfassenden Übernahme der erzieherischen Verantwortung und Fürsorge könne dabei nur ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Fähigkeit zur Versorgung des Minderjährigen vorausgesetzt werden. Hierbei sei in die Betrachtung einzustellen, dass dem Antragsteller bei einem Aufenthalt in Deutschland im Zweifel Sozialleistungen zur Verfügung stünden, die ihm in jedem Fall ein Auskommen sichern würden. Dies stehe der Annahme, der Verwandte könne für den Minderjährigen Sorge tragen, aus humanitären Gründen nicht entgegen. Die Dublin III-VO diene, anders als etwa das Aufenthaltsgesetz (AufenthG), nicht der Verhinderung einer Belastung des Sozialsystems. Der Onkel lebe auch in einer eigenen Wohnung, die mit 32 qm auch ausreichend groß sei, wobei klarzustellen sei, dass Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO das Vorhandensein von ausreichendem Wohnraum nicht explizit voraussetze. Vielmehr ergebe sich die Fähigkeit des Sorgetragens aus einer Gesamtschau, bei der auch zu beachten sei, dass die Dublin III-VO schnelle und effektive Verfahren gewährleisten soll und deshalb keine überhöhten Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen zu stellen sind. Auch sei nicht definiert worden, was unter ausreichendem Wohnraum zu verstehen sei, doch selbst nach dem strengeren Aufenthaltsgesetz sei dies vorliegend erfüllt. Es sei nicht verlangt, dass der Antragsteller ein eigenes Zimmer haben müsse. Es wurde ein Mietvertrag vorgelegt, wonach der Onkel eine 1-Zimmer-Wohnung angemietet habe, die außerdem noch aus einem Raum mit Einbauküche und WC/Dusche besteht. Ein Abstellraum außerhalb des Gebäudes gehört ebenfalls dazu. Ebenso war eine eidesstattliche Versicherung des Onkels beigefügt, auf die verwiesen wird, und in der er u.a. ausführt, dass er sich eine größere Wohnung suchen werde, sobald feststehe, dass der Antragsteller nach Deutschland kommen werde. Hinzuzufügen sei, dass sich der Onkel in seinem dritten Ausbildungsjahr als Schreiner befinde, daher ein gesichertes Einkommen habe und gut in die deutsche Gesellschaft und Nachbarschaft integriert sei. Der Onkel habe eine enge Beziehung zu dem Antragsteller und stehe mit diesem in engem Kontakt. Er unterstütze den Antragsteller mental und finanziell und möchte den Antragsteller bei sich aufnehmen und ihm ein sicheres Zuhause bieten. Auch sei es Aufgabe der deutschen Behörden, die Einzelfallprüfung zum Sorgenkönnen durchzuführen. Unterlasse diese es in rechtswidriger Weise, so müsse dies noch im Gerichtsverfahren glaubhaft gemacht werden können. Auch seien die Fristen eingehalten worden und bereits das Aufnahmegesuch habe alle erforderlichen Angaben enthalten. Auf das weitere Wiedervorlageverfahren komme es nicht mehr an. Ebenso sei der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Da die Antragsgegnerin durch ihre Ablehnungen das Dublin-Verfahren beendet habe, würden die griechischen Behörden nun in das nationale Verfahren übergehen. Es sei damit zu rechnen, dass kurzfristig ein Anhörungstermin stattfinde und dann zügig entschieden werde. Ein konkreter Anhörungstermin sei nicht erforderlich, da die Anhörung jederzeit terminiert werden könne. Das Gericht sei berufen, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, um wesentliche Nachteile des Antragstellers abzuwenden. Diese könne nur darin erfolgen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, sich für den Asylantrag des Antragstellers für zuständig nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO zu erklären.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium – Nationales Dublin-Referat – für den Asylantrag des Antragstellers für zuständig zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen, da das Aufnahmegesuch vom 10. März 2020 zu Recht mangels Nachweis über die Familienbindung abgelehnt worden sei. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass Indizien nur dann reichen könnten, wenn sie kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert seien. Die Erfahrung des Bundesamtes habe aber gezeigt, dass die Authentizität von in Afghanistan ausgestellten Schriftstücken häufig zweifelhaft sei. Es sei in Afghanistan problemlos möglich, Dokumente, auch von staatlichen oder sonstigen öffentlichen Stellen, mit unrichtigem Inhalt ausgestellt zu bekommen. Daher sei die Echtheit des Schulausweises bezweifelt worden. Zum Zeitpunkt des Nachweises durch den DNA-Test sei das Aufnahmegesuch bereits verfristet gewesen.
Die Antragstellerseite ergänzte mit Schriftsätzen vom 17. November 2020 und 1. Dezember 2020 u.a., dass dahinstehen könne, ob der Schulausweis als Indiz ausreiche, denn jedenfalls die Zusammenschau aus eingereichten Beweisen und Indizien habe die familiäre Bindung belegt. Dies vermag der pauschale Hinweis auf die häufig nicht gegebene Authentizität von afghanischen Dokumenten nicht erschüttern. Weiter sei der Antragsteller am 13. November 2020 in Griechenland Opfer eines rassistischen Überfalls geworden und habe mehrere Tage stationär behandelt werden müssen, so dass sich erneut psychische Auffälligkeiten gezeigt hätten. Gerade in solchen Krisensituationen diene es dem Kindeswohl, den Antragsteller mit dem in Deutschland lebenden Onkel zusammenzuführen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte sowie die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten des Antragstellers sowie des Onkels (Az.: …*) verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig (2), aber unbegründet (3). Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung hierüber zuständig (1).
1. Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach ergibt sich hier aus § 52 Nr. 2 Satz 3, Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 5 VwGO, da sich der Antragsteller in Griechenland aufhält. Die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO: BVerwG, B.v. 2.7.2019 -1 AV 2/19 – juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO und auch § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO greift daher nicht, denn der Antragsteller hat weder i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO seinen Aufenthalt nach den Vorschriften des Asylgesetzes zu nehmen noch verfügt er über einen Wohnsitz im Bundesgebiet (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), weshalb für die örtliche Zuständigkeit nur die Auffangregelung des § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO in Betracht kommt. Danach ist dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der handelnden Behörde abzustellen. Im vorliegenden Fall ist dies das Bundesamt, das seinen Sitz in Nürnberg und mithin nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO im Bezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach hat (zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 6). Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
2. Der Antrag, zu dessen Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Einzelrichterin berufen ist, ist zulässig.
Insbesondere ist hinsichtlich des vorliegenden Begehrens der Antragsteller in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Erforderlich ist hierfür die Geltendmachung einer möglichen Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen eine Antragsbefugnis von Familienangehörigen, die aus einem anderen Mitgliedstaat in den zuständigen Staat überstellt werden, jedenfalls nicht ausdrücklich aus; dies legen die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO, Art. 47 GR-Charta sowie Art. 6 GG nahe (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 12). Es erscheint möglich, dass die dem Kindeswohl und dem Schutz der Familie dienenden Vorschriften, Art. 8, 16, 17 Abs. 2 Dublin III-VO, dem in Griechenland befindlichen Antragsteller ein subjektives Recht auf Überstellung nach Deutschland vermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 12 sowie VG Ansbach, B.v. 2.10.2019 – AN 18 E 19.50790, B.v. 26.11.2019 – AN 18 E 19.50958 – ju-ris Rn. 26, VG Berlin, B.v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 – 2 L 989/18.A – juris Rn. 21).
3. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 – juris Rn. 5,7).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Dem Antragsteller ist es nicht gelungen, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.
a) Zwar erfolgte das Aufnahmegesuchs Griechenlands fristgemäß, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1, 3 Dublin III-VO, so dass nicht bereits hieraus eine Zuständigkeit Griechenlands gegeben ist. Jedoch sind die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO nicht erfüllt. Ist der Antragsteller ein unbegleiteter Minderjähriger, Art. 2 lit. f Dublin III-VO, der einen Verwandten hat, Art. 2 lit. h Dublin III-VO, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, und wurde anhand einer Einzelfallprüfung festgestellt, dass der Verwandte für den Antragsteller sorgen kann, so führt dieser Mitgliedstaat den Minderjährigen und seine Verwandten zusammen und ist der zuständige Mitgliedstaat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient, Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO.
Der Antragsteller ist ein unbegleiteter Minderjähriger, Art. 2 lit. f Dublin III-VO. Offen bleiben kann, ob innerhalb der Fristen des Art. 5 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung hinreichend nachgewiesen wurde, dass der Antragsteller und der Onkel verwandt sind. Zwar wurden mit den beiden Tazkiras sog. Beweismittel vorgelegt, die jedoch nur belegen, dass der Onkel und der Vater des Antragstellers Brüder sind. Ob der Antragsteller der Neffe des Onkels ist, ist damit noch nicht dargelegt. Aus einer Zusammenschau von vorgelegten Beweisen und Indizien, unter Berücksichtigung der Maßgaben in Art. 22 Abs. 4, 5 Dublin III-VO, kann im Einzelfall eine familiäre Bindung auch hinreichend nachgewiesen werden. Ob der pauschale Hinweis der Antragsgegnerin, dass afghanische Dokumenten oft nicht authentisch seien, geeignet ist, um die familiäre Bindung zu verneinen, kann dahinstehen. Jedenfalls weisen die vorgelegten Unterlagen auch Unklarheiten auf. Laut den Angaben des Antragstellers im BIA-Report lebte dieser im Iran. Dementsprechend wurde ein iranisches Schulzeugnis vorgelegt. Widersprüchlich ist dann allerdings, warum in diesem Zeugnis als Wohnort: …, Afghanistan, genannt ist. Anhand der in dem BIA-Report gemachten Angaben zu Familie und Verwandtschaft, den Angaben in den „Written Consents“ und den vorgelegten Bildern etc. spricht jedoch einiges dafür, dass die familiäre Bindung hinreichend nachgewiesen wurde und dies bereits mit dem ersten Aufnahmegesuch. Letztlich kann diese Frage jedoch dahinstehen, denn die weitere Tatbestandsvoraussetzung des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, dass der Verwandte für den Antragsteller sorgen kann, wurde nicht glaubhaft gemacht.
Es ist gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO anhand einer Einzelfallprüfung festzustellen, ob der Verwandte (hier der Onkel) für den Antragsteller sorgen kann. Dies konnte der Antragsteller nicht glaubhaft machen. Die Fähigkeit zur Sorge muss positiv bejaht werden (vgl. OVG Bremen, B.v. 7.10.2019 – 1 LA 213/19 – juris Rn. 15; Vogt/Méndez de Vigo, JAmt 2019, 122, 125: keine Regelvermutung). Zwar kann es, dies ist dem Antragsteller zuzugestehen, nicht zu Lasten des Antragstellers gehen, wenn das Bundesamt in rechtswidriger Weise die erforderliche Einzelfallprüfung unterlässt. Jedenfalls hat der Antragsteller aber bis heute nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Onkel für ihn im Sinne des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO sorgen kann. Der Begriff des „Sorgens“ gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO ist in der Verordnung nicht näher definiert, jedenfalls ist davon die Personensorge im Sinne des § 1631 Abs. 1 BGB umfasst, also die Pflicht (und das Recht), das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen (vgl. Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, Art. 8 Dublin III-VO Rn. 17) . Mit „Pflege“ sind auch die Unterbringung, die Verpflegung, Bekleidung und die Gesundheitssorge gemeint (vgl. Veit in Hau/Poseck, BeckOK BGB, 54. Ed. 1.11.2019, § 1631 Rn. 3). Hinsichtlich des Aspektes der Unterbringung ist das Vorhandensein von Wohnraum glaubhaft zu machen, der wenigstens bestimmten Mindestanforderungen unter dem Aspekt des Kindeswohls genügen muss; es darf insbesondere nicht zu einer sozialunverträglichen Überbelegung von Wohnraum kommen (vgl. VG Freiburg, B.v. 5.2.2020 – A 13 K 4642/19 – juris Rn. 29).
Bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des aufnehmenden Verwandten, die zumindest für die Dauer des Asylverfahrens gegeben sein muss, wird zum Teil vertreten, dass Ansprüche des Minderjährigen auf Sozialleistungen zu berücksichtigen sind (vgl. VG Freiburg, B.v. 5.2.2020 – A 13 K 4642/19 – juris Rn. 29; Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Ed. 1.7.2020, Art. 8 Dublin III-VO Rn. 17). Diese Ansicht wird vom Gericht nicht geteilt. Zwar dient die Vorschrift des Art. 8 Dublin III-VO dem Kindeswohl, jedoch wird sehr wohl differenziert, ob eine Zusammenführung zu Familienangehörigen oder Geschwistern des unbegleitet Minderjährigen erfolgt, Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO, oder ob es sich „nur“ um Verwandte handelt, Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO. Während bei ersteren die Tatbestandsvoraussetzung des „Sorgenkönnen“ nicht existiert, verlangt Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO bei Verwandten ausdrücklich ein im Einzelfall festzustellendes Sorgenkönnen. Weiter ist widersprüchlich, hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des aufnehmenden Verwandten auf die möglichen Sozialleistungen des Antragstellers zu verweisen, andererseits aber ausreichend Wohnraum zu fordern, den dann der Verwandte aber nachweisen soll.
Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift besteht kein Raum, denn der Verordnungsgeber hat trotz seines erklärten Ziels, die subjektiven Rechte der Asylsuchenden und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Rechte von Familien und unbegleiteten Minderjähriger mit der Dublin III-VO stärker zu schützen, dennoch die Tatbestandsvoraussetzung des Sorgenkönnens in Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO aufgenommen. Er hat damit klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Familienzusammenführung zu Verwandten, Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, von weiteren Tatbestandsvoraussetzungen abhängt. Der bloße Hinweis auf den humanitären Gedanken des Art. 8 Dublin III-VO wird dem Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO nicht gerecht, denn folgt man dieser Ansicht, hätte es der Aufnahme des Tatbestandsmerkmals des „Sorgenkönnen“ gar nicht bedurft. Auch der Umstand, dass sowohl Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO als auch Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO auf den rechtmäßigen Aufenthalt des Familienangehörigen/Verwandten abstellen, stützt die hier vertretene Meinung, dass der Aspekt Kindeswohl/Familienzusammenführung allein zur Bejahung des Art. 8 Dublin III-VO nicht ausreicht, sondern durchaus noch weitere Voraussetzungen vorliegen müssen, an denen die Familienzusammenführung auch scheitern kann. Im Übrigen ist auch die Fristenregelung in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO aufgrund des eindeutigen Wortlauts dieser Vorschrift nach überzeugender Meinung auch zu Lasten des Antragstellers zu berücksichtigen (s. hierzu im einzelnen VG Ansbach, B.v. 10.7.2019 – AN 18 E 19.50571 – juris, B.v. 19.7.2019 – AN 18 K 19.50355), was ebenso zeigt, dass bei Anwendung der Art. 8 ff. Dublin III-VO der Aspekt Kindeswohl/Familienzusammenführung nicht allein maßgeblich ist. Zwar sind die Aspekte Kindeswohl, Achtung des Familienlebens und Familieneinheit vorrangige Erwägungen der Dublin III-VO, wie sich aus den Erwägungsgründen 13 bis 17 entnehmen lässt. Dies bedeutet aber nicht, dass diesen Erwägungen im Konfliktfall stets über den Wortlaut der Verordnung hinaus der Vorrang einzuräumen wäre, zumal der Verordnungsgeber für solche Konfliktfälle gerade die Regelung des Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO vorgesehen hat, so dass auch kein Bedürfnis für eine solche eingeschränkte Anwendung des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO besteht. Durch die humanitäre Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, der letztlich die Umsetzung des Erwägungsgrundes 17 der Dublin III-VO ist, wird sichergestellt, dass atypischen Fällen und insbesondere den Kindeswohlbelangen sowie dem Aspekt Familienzusammenführung hinreichend Rechnung getragen wird. Das dem ersuchten Mitgliedstaat im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zustehende Ermessen kann sich im Einzelfall derart zu einem Anspruch des Einzelnen verdichten, dass die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, sich für die Bearbeitung der Asylanträge der Antragsteller für zuständig zu erklären (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Der humanitären Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO kommt nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers, wie es sich auch aus dem 17. Erwägungsgrund ergibt, gerade die Aufgabe zu, Familienangehörige zusammenzuführen, obwohl sie bei strenger Anwendung der Kriterien getrennt würden (so ausdrücklich Bericht der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems vom 6. Juni 2007, KOM/2007/0299 endg. 2.3.1 – juris).
Dies zugrunde gelegt, wurde das Sorgenkönnen nicht glaubhaft gemacht. Der Onkel befindet sich noch in der Ausbildung. Laut dem vorgelegten Ausbildungsvertrag erhält er keine Vergütung vom Ausbildungsbetrieb. Zwar ist anzunehmen, dass er nicht ohne finanzielle Mittel (z.B. staatliche Leistungen) auskommen muss, jedoch wurde zu den finanziellen Mitteln nichts vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Es ist Sache des Antragstellers, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit glaubhaft zu machen. Der in den Akten befindliche Ausbildungsvertrag genügt hierzu nach alledem nicht und es ist auch nicht anzunehmen, dass von der durchschnittlichen Ausbildungsvergütung eines angehenden Schreiners zwei Personen hinreichend leben können. Zwar gilt auch im einstweiligen Rechtsschutz der Amtsermittlungsgrundsatz und ist eine Beweiserhebung grundsätzlich, soweit es die Eilbedürftigkeit zulässt, zulässig, gleichwohl steht es im Ermessen des Gerichts, ob und welche Beweismittel es erhebt (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 123 Rn. 24, 32). Denn umgekehrt kommt gerade im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den Mitwirkungspflichten des Antragstellers eine besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2001 – 10 ZE 01.320 – NVwZ-RR 2001, 477). Auch ist das Gericht im Eilverfahren grundsätzlich nicht zu weiteren Ermittlungen und Hinweisen verpflichtet, mit Blick auf die Eilbedürftigkeit ergeht die Entscheidung aufgrund der innerhalb angemessener Zeit verfügbaren präsenten Beweismittel und von glaubhaft gemachten Tatsachen (vgl. HessVGH, B.v. 18.9.2015 – 3 B 1518/15 – NVwZ 2016, 88 Rn. 3; Kuhla in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 54. Ed. 1.7.2020, § 123 Rn. 68).
Es fehlt damit an der Glaubhaftmachung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zudem an der Glaubhaftmachung des ausreichenden Vorhandenseins von Wohnraum. Zwar wurde der Mietvertrag vorgelegt. Aus diesem ergibt sich, dass es sich bei der Wohnung des Onkels um eine 32 qm große Wohnung handelt, diese aber eine 1-Zimmer-Wohnung ist, die außerdem noch über einen Raum mit Einbauküche und WC/Dusche verfügt. Ein Abstellraum ist anderweitig untergebracht. Unabhängig von der notwendigen Quadratmeterzahl, die dem Antragsteller zur Verfügung stehen muss, ist es entgegen der antragstellerseits vertretenen Ansicht jedenfalls nicht ausreichend, wenn ein Minderjähriger zusammen mit einem Erwachsenen in nur einem Raum wohnen und schlafen soll. Rückzugsmöglichkeiten sind dann in keinster Weise vorhanden. Eine solche Unterbringung würde dem Kindeswohl nicht dienen. Das Angebot, eine größere Wohnung zu suchen, wenn feststeht, dass der Antragsteller nach Deutschland kommen kann, ist nicht relevant, denn das Vorhandensein ausreichenden Wohnraums ist Tatbestandsvoraussetzung und muss daher spätestens zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts erfüllt sein.
Ob der Onkel im Übrigen in der Lage ist, den Antragsteller zu erziehen und zu beaufsichtigen, ist, trotz dessen eidesstattlicher Versicherung, nicht mit der zur Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit festzustellen. In Anbetracht dessen, dass der Onkel in seinem Asylverfahren mehrfach psychische Erkrankungen unter Vorlage von ärztlichen Attesten vorgetragen hat und dies auch einer der Gründe für das damals erkennende Gericht war, ein Abschiebeverbot aus Art. 60 Abs. 7 AufenthG zu bejahen, kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass der Onkel gesundheitlich in der Lage ist, sich um den Antragsteller zu kümmern und ihm ein sicheres Umfeld zu bieten. Zwar verkennt das Gericht nicht, dass der Onkel zwischenzeitlich beschwerdefrei bzw. aufgrund einer ärztlichen Behandlung gesundheitlich stabil sein könnte, doch wurde hierzu nichts vorgetragen. Aufgrund der nicht vorhandenen Einzelfallprüfung des Bundesamtes konnte das Vorliegen der Sorgefähigkeit zwar noch im Gerichtsverfahren, wie die Antragstellerseite auch ausführt, glaubhaft gemacht werden. Hieran fehlt es jedoch.
Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich nicht aus einem Ablauf der Antwortfrist gemäß Art. 22 Abs. 1, Abs. 7 Dublin III-VO oder einem Verstreichenlassen der Antwortfrist auf eine Remonstration des ersuchenden Staates gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 3 der VO (EG) 1560/2003 (Dublin-DVO).
Die Antragsgegnerin antwortete mit Schreiben vom 1. April 2020 fristgerecht auf das Aufnahmegesuch der griechischen Behörden vom 10. März 2020, Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO. Auch die anschließende Remonstration Griechenlands erfolgte mit Schreiben vom 22. April 2020 fristgerecht innerhalb von drei Wochen, Art. 5 Abs. 2 Satz 1, 2 Dublin-Durchführungsverordnung. Die deutschen Behörden antworteten hierauf fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Antwortfrist, Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Dublin-Durchführungsverordnung, mit Schreiben vom 4. Mai 2020, so dass das zusätzliche Remonstrationsverfahren abgeschlossen und der ersuchende Staat, also Griechenland, zuständig ist, denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes schließt der Ablauf der Frist des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 Durchführungsverordnung das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung (Remonstrationsverfahren) endgültig ab und zwar unabhängig davon, ob der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb dieser Frist auf das Ersuchen um neuerliche Prüfung geantwortet hat oder nicht, so dass der ersuchende Staat nach Ablauf dieser Frist als für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig anzusehen ist, es sei denn ihm steht noch die für die Stellung eines erneuten Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme innerhalb der dazu in Art. 21 Abs. 1 bzw. Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen zwingenden Fristen erforderliche Zeit zur Verfügung (vgl. EuGH, U.v. 13.11.2018 – C-47/17, C-48/17 – juris Rn. 86 ff.). Die Ablehnung des Aufnahmegesuchs erfolgte auch nicht rechtswidrig (vgl. zu solchen Konstellationen: VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 – AN 17 E 20.50216 – juris).
b) Ein Anspruch auf Zuständigkeitsübernahme folgt nicht aus Art. 16 Dublin III-VO, denn Onkel und Neffe unterfallen schon nicht dem mit dieser Vorschrift geschützten Personenkreis.
c) Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich auch nicht aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO.
Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO kann derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betreffenden Personen müssen dem schriftlich zustimmen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO. Der so ersuchte Mitgliedstaat hat alle erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO. Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 4 Dublin III-VO wird dem ersuchten Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen, wenn dieser dem Gesuch stattgibt. Es handelt sich also gerade nicht um einen Selbsteintritt, der in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO normiert ist. Vielmehr bedarf eines Übernahmeersuchens, welches dann angenommen werden kann. Es ist mithin eine Kooperation zweier Mitgliedstaaten nötig (so auch VG Berlin, B.v. 17.6.2019 – 23 K L 293.19.A – juris).
Ein entsprechendes, explizit auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gestütztes Ersuchen an die Bundesrepublik Deutschland liegt zwar nicht vor, da das Aufnahmegesuch Griechenlands vom 10. März 2020 nur Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO erwähnt. Ob sich hier dem Aufnahmegesuch in erweiternder Auslegung im Rahmen des vorgetragenen Sachverhaltes der allgemeine Wille entnehmen lässt, dass Deutschland die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Antragstellers übernehmen soll, insbesondere, weil sich Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO und Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO im Aspekt der Familienzusammenführung tatbestandlich überschneiden, ist auslegungsbedürftig. Da im weiteren Verfahren jedoch das Kindeswohl und auch gesundheitliche Fragestellungen erwähnt werden, wurden auch humanitäre Aspekte, familiäre und gesundheitliche, im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO angesprochen und mit zur Prüfung gestellt.
Auch ist noch keine Erstentscheidung über den Asylantrag des Antragstellers in Griechenland gemäß Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ergangen und es liegt die schriftliche Zustimmung des Antragstellers und seines Onkels nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO vor, wobei fraglich ist, ob bei dem „Written Consent“ des Antragstellers die alleinige Unterschrift des minderjährigen Antragstellers genügt und es nicht (auch) der Unterschrift des Vormunds bedürft hätte.
Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Antragsteller (Neffe) und seinem Onkel ist durch den der Antragsgegnerin durch Griechenland am 30. Juli 2020 übersandten DNA-Test belegt. Im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gelten die Fristen und Verfahrensabläufe der Art. 21 ff. Dublin III-VO und Art. 5 Dublin-DVO nicht, der Antrag kann vielmehr „jederzeit“ gestellt werden. Dies ergibt sich gesetzestechnisch daraus, dass Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in den Unterabsätzen 2 und 3 eigene Verfahrensregeln und Fristen (und größtenteils eben keine Fristen) aufstellt. Für den Ablauf der Frist von zwei Monaten nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 1 Dublin III-VO sind gerade auch keine Folgen wie in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3, Art. 23 Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehen (vgl. hierzu auch: VG Ansbach B.v. 19.7.2019 – AN 18 E 19.50355). Daher ist im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO auch nicht relevant, dass das Ergebnis des DNA-Tests nicht innerhalb der Dreimonatsfrist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 oder der Remonstrationsfrist des Art. 5 Dublin-DVO übermittelt wurde.
Es ist schon zweifelhaft, ob das bloße Vorliegen der verwandtschaftlichen Beziehung zwischen Neffe und Onkel bereits als humanitärer Grund i.S.d. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gesehen werden kann oder ob es nicht vielmehr hierfür eines besonderen Nähe- oder Abhängigkeitsverhältnisses bedarf wie es regelmäßig etwa zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern besteht (vgl. im Einzelnen: VG Ansbach, B.v. 2. Juli 2019 – AN 18 E 19.50571, AN 18 E 19.50573 – juris). Doch selbst bei Bejahung eines humanitären Grundes sind die persönlichen Umstände des Antragstellers gleichwohl nicht ausreichend, um das im Hinblick auf eine Zuständigerklärung der Antragsgegnerin bestehende weite Ermessen (so zur Vorgängernorm: EuGH, U.v. 6. 11. 2012 – C-245/11 – NVwZ-RR 2013, 69 Rn. 27) zugunsten des Antragstellers auf Null zu reduzieren.
Dieses hat die Antragsgegnerin nicht pflichtgemäß ausgeübt, da in allen ablehnenden Entscheidungen der Antragsgegnerin und auch im Gerichtsverfahren keine (brauchbaren) Erwägungen zu Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO angestellt wurden. Jedoch führt ein Antrag nach § 123 VwGO, hier in Form einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, nicht schon dann zum Erfolg, wenn ein Ermessensfehler der Behörde vorliegt, sondern nach überzeugender Ansicht erst und nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null glaubhaft gemacht wird (BayVGH, B.v. 3.6.2002 – 7 CE 02.637 – NVwZ-RR 2002, 839). Dies glaubhaft zu machen gelingt dem Antragsteller hier nicht.
Während also bereits die Existenz eines – unter welchen Gesichtspunkten auch immer anzuerkennenden – humanitären Grundes den Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO eröffnet, sind an eine Reduktion des in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden behördlichen Ermessens erhöhte Anforderungen zu stellen. Es müssen in Bezug auf den minderjährigen Antragsteller über das bloße Interesse an der Familienzusammenführung hinausgehende Umstände vorliegen, welche ausnahmsweise die Annahme eines Härtefalls begründen und jede andere Entscheidung unvertretbar erscheinen lassen. Eine derartige Ermessensreduktion kann nach der Konzeption der Vorschrift nur in besonders gelagerten Fallkonstellationen in Betracht kommen. Dafür reicht die Existenz eines humanitären Grundes noch nicht aus. Zu fordern ist namentlich eine besondere Verdichtung von humanitären Umständen, die unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls einen Härtefall begründen können, der jede andere Entscheidung unvertretbar erscheinen lässt (vgl. VG Berlin, B.v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 32; ähnlich zu Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50124 – juris Rn. 22).
Ein solcher Härtefall liegt hier nicht vor. Insbesondere können weder die verwandtschaftlichen Beziehungen noch der Umstand der Minderjährigkeit für sich alleine zur Begründung eines Härtefalls herangezogen werden. So stellt etwa die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Rahmen der – hier gleichermaßen einschlägigen – Prüfung des Kindeswohls auf verschiedene Faktoren ab, die dann jeweils die Annahme einer höheren bzw. niedrigeren Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen rechtfertigen. Herangezogen werden u.a. das Alter des Kindes, die Bindungen des Kindes zu seinen Familienmitgliedern im Herkunftsstaat sowie der Umstand, dass das Kind unabhängig von seiner Familie eingereist ist (vgl. EGMR, U.v. 30.7.2013 – Nr. 948/12 – BeckRS 2014, 80974 Rn. 56 [engl.]). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Schutzwürdigkeit eines minderjährigen Kindes aufgrund seines Lebensalters sowie die Frage, wie lange dieses in einem anderen Staat als seine Familienangehörigen gelebt hat, zu werten, wobei der EuGH in diesem Zusammenhang eine Altersgrenze von zwölf Jahren gebilligt hat (EuGH, U.v. 27.6.2006 – C-540/03 – NVwZ 2006, 1033 Rn. 73-75, allerdings zur Familienzusammenführungs-RL 2003/86/EG).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt kann für den Antragsteller nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ausgegangen werden. Der Antragsteller war zum Zeitpunkt des Übernahmegesuchs Griechenlands an Deutschland am 10. März 2020 bereits 15 Jahre alt, heute ist er 16 Jahre alt; da Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO sich außerhalb deren Kapitels III befindet, greift nicht die sogenannte Versteinerungsklausel des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO mit dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der ersten Antragstellung auf internationalen Schutz (Hruschka/Maiani in Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Ed. 2016, Art. 7 Dublin III-VO Rn. 4). Bereits aufgrund seines Alters erscheint der Antragsteller nicht mehr als in dem Maße schutzwürdig als dies etwa bei kleinen Kinder der Fall ist. Dennoch kann auch im Alter von 15 oder 16 Jahren noch davon ausgegangen werden, dass grundsätzlich noch die Fürsorge von Erwachsenen benötigt wird. Begehrt ist allerdings der Nachzug zu einem seit fünf Jahren in Deutschland lebenden Onkel väterlicherseits, also nicht zu einem Familienmitglied im engeren Sinne, wo eine enge Verbundenheit eher anzunehmen ist. Zwar hat der Onkel nach Angaben des Antragstellers im Iran einige Jahre mit der Familie des Antragstellers und dem Antragsteller zusammengelebt, hat dann aber nach seiner Hochzeit den Iran verlassen und ist nach Afghanistan zurück. Genaue Angaben dahingehend, von wann bis wann Antragsteller und Onkel zusammengelebt haben, fehlen, jedenfalls ist dies mindestens fünf Jahre her. Momentan haben Antragsteller und Onkel zwei- bis dreimal in der Woche telefonischen Kontakt. Das Verhältnis zwischen Antragsteller und Onkel mag zwar gut sein, besteht aber seit vielen Jahren (von einem angegebenen Treffen vor ca. zwei Jahren abgesehen) nur auf räumliche Distanz.
Zu berücksichtigen ist auch, dass der Antragsteller auf seiner Flucht bis zur türkisch-iranischen Grenze zwar von seinem Vater begleitet wurde, dann aber die letzten drei bis vier Monate in der Türkei ohne Familienangehörige, sondern mit einem Freund des Vaters, den er laut BIA-Report kaum kannte, verbrachte und somit einen großen Teil seiner Flucht ohne Begleitung durch Familienangehörige gemeistert hat.
Im Übrigen ist hinsichtlich der derzeitigen humanitären Situation des Antragstellers festzustellen, dass er in einer Schutzeinrichtung für unbegleitete Minderjährige des … in … untergebracht ist, zur Schule geht und von dort auch psychologisch und psychiatrisch behandelt wird. Weiter hat er Freunde, mit denen er sich trifft, unter anderem an dem Tag, als er Opfer eines Überfalles wurde. Eine ernstliche Gefährdung des Kindeswohls ist nicht zu besorgen. Dem Antragsteller wird im BIA-Bericht bescheinigt, dass er trotz seiner psychologischen Herausforderungen, so unabhängig wie möglich sei. Da er derzeit noch in einer unsicheren Lage lebe, habe er sich nicht festigen können. In letzter Zeit versuche er, sich zu bilden und kreativ zu sein. Deshalb müsse er so schnell wie möglich zu seinem Onkel, damit er sich sicher fühlen und mit seinem Leben beginnen könne. Nach Überzeugung des Gerichts trägt zur vorgetragenen instabilen emotionalen Lage des Antragstellers daher auch der Umstand bei, dass unklar ist, ob er in Griechenland verbleiben wird und er sich daher dort nicht einrichten kann oder will. Auch der kürzlich erfolgte Anschlag auf den Antragsteller vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern.
Auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen Erkrankungen des Antragstellers ist eine Ermessensreduktion auf Null nicht gegeben. So wurde ein Attest der Kinderklinik …, …, vom 5. Februar 2020 vorgelegt, wonach die Krampfanfälle des Antragstellers eine psychiatrische Ursache haben. Nach dem vorgelegten BIA-Report erhält der Antragsteller sowohl psychiatrische als auch psychologische Unterstützung sowie medikamentöse Behandlung. Der Antragsteller erfährt in Griechenland also ärztliche Behandlung, sowohl in neurologischer, psychologischer als auch psychiatrischer Hinsicht. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Erkrankungen des Antragstellers in Griechenland nicht angemessen behandelt werden können, insbesondere, da er auch in einem Krankenhaus in der Hauptstadt … behandelt wird, welches als Universitätskrankenhaus bezeichnet ist (* …*). Im Allgemeinen ist laut der zur medizinischen Versorgung in Griechenland vorliegenden Erkenntnismittel von einem kostenlosen Zugang zu notwendiger Gesundheits- und Krankenhausversorgung für (vulnerable) Asylbewerber auszugehen, wenn auch in der Praxis das öffentliche Gesundheitswesen angesichts von Sparmaßnahmen unter Druck steht und der Zugang eingeschränkt sein kann. Alle Einwohner des Landes und Asylbewerber haben rechtlich Anspruch auf eine medizinische Notfallversorgung unabhängig vom Rechtsstatus, wobei Notfälle oder komplexere Fälle in Krankenhäuser überwiesen werden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, letzter Stand 19.3.2020, S. 24 ff.). Es steht nach der Einschätzung des Gerichts zudem gerade nicht fest, dass eine Wiederherstellung der Gesundheit des Antragstellers am besten durch eine Zusammenführung mit dem in Deutschland lebenden Onkel zu erreichen ist, zumal der Antragsteller seit seiner Kindheit unter Krampfanfällen leidet und somit bereits zu einem Zeitpunkt, als es die derzeitigen Belastungen für ihn noch nicht gegeben hat und er familiären Rückhalt hatte. Ebenso litt auch der Onkel, wie bereits ausgeführt, jedenfalls in der Vergangenheit an psychischen Erkrankungen, so dass Zweifel bestehen, ob der Onkel den nötigen Rückhalt geben kann. Im Fall eines Auftretens der Krampfanfälle kann im Übrigen davon ausgegangen werden, dass dem Antragsteller in seiner gegenwärtigen Unterkunft – einem Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – die benötigte Hilfe und Unterstützung, wie bereits in der Vergangenheit gewährt werden wird.
In einer Zusammenschau aller für die humanitären Gründe im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO relevanten Umstände, insbesondere dem Alter des Antragstellers, der seit etlichen Jahren nicht gelebten Gemeinschaft von Antragsteller und in Deutschland lebendem Onkel, der geschützten Unterbringung des Antragstellers in einer Einrichtung des griechischen … sowie des bisherigen Zugangs zu medizinischer Versorgung in Griechenland, ergibt sich keine Ermessensreduzierung auf Null und damit kein Anspruch des Antragstellers gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Zuständigkeitsübernahme. Und selbst wenn man oben der Gegenansicht beitreten würde, dass für den (Verpflichtungs-)Anordnungsanspruch im Rahmen des § 123 VwGO keine Ermessensreduzierung auf Null erforderlich ist, so verlangt diese für einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Neubescheidung im Rahmen einer Regelungsanordnung, dass die Neubescheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu der vom Antragsteller beantragten Verwaltungsmaßnahme führt (Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 38. EL Januar 2020, § 123 Rn. 161b). Auch das ist nach dem eben Ausgeführten nicht der Fall.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
5. Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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