Europarecht

Dublin-III-VO, Familienzusammenführung, Verwaltungsgerichte, Einstweilige Anordnung, Antragsgegner, Mitgliedstaaten, Asylverfahren, Überstellungsentscheidung, Antragstellers, Asylantragstellung, Asylantragszuständigkeit, Zuständiger Mitgliedstaat, Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft, Beweismittel, Behörden, Anordnungsgrund, Örtliche Zuständigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache, Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt, Anderer Mitgliedstaat

Aktenzeichen  AN 17 E 21.50079

Datum:
1.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6456
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
Dublin III-VO Art. 7 Abs. 3, Art. 9, Art. 17 Abs. 2, Art. 22 Abs. 3
Art. 5 Abs. 2, Art. 15, Anhang II der VO (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO)

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt von Griechenland aus die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich gegenüber Griechenland auf Grund der Verordnung (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) für die Prüfung ihres Asylantrages für zuständig zu erklären.
Die Antragstellerin ist eigenen Angaben nach am … 1994 in Syrien geboren und befindet sich derzeit in einem Camp für Asylbewerber auf der griechischen Insel Kos. In Griechenland hat sie am 10. September 2020 einen Asylantrag gestellt (Az. …). Ihr mutmaßlicher Ehemann, …, geb. am … 1982, lebt in … in Deutschland und verfügt über den subsidiären Schutzstatus sowie ein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 2 AufenthG.
Am 30. November 2020 ersuchte Griechenland die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf Art. 9 der VO (EU) 604/2013 (Dublin III-V), die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages der Antragstellerin zu übernehmen. Diesem Gesuch waren unter anderem beigefügt: Ein Porträtfoto der Antragstellerin, ein in griechischer Sprache verfasstes Datenblatt, eine schriftliche Zustimmungserklärung der Antragstellerin, mit ihrem in Deutschland lebenden Ehemann „…“ wiedervereint zu werden vom 10. September 2020, eine in griechischer Sprache verfasste E-Mail an die Kanzlei-Emailadresse des Antragstellerbevollmächtigten, ein Foto einer Seite aus dem Reisepass der Antragstellerin, eine Vollmacht des mutmaßlichen Ehemannes der Antragstellerin ebenfalls für deren Rechtsanwalt, die amtliche Meldebestätigung des … in Deutschland, zwei Bescheinigungen über dessen Teilnahme an Integrationskursen, eine Kopie dessen bis zum 6. September 2020 gültigen Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 2 AufenthG, eine Kopie einer bis zum 5. Februar 2021 gültigen Fiktionsbescheinigung der Stadt …, eine Kopie der Innenseite seines Reiseausweises gültig bis zum 17. September 2027 und schließlich zwei im arabischen Original und in deutscher Übersetzung vorliegende Dokumente. Eines davon ist als „Dokument über Justiziable Vollmacht“ des Scharia-Gerichts in … bezeichnet. Es enthält einen Beschluss vom 17. September 2020, mit dem der Vater der Antragstellerin, …, Sohn des …, als ihr justiziabler Rechtsvertreter eingesetzt wird und sie insbesondere bei der Bestätigung ihrer Heirat mit …, Sohn des …, vertreten kann. Das zweite Dokument ist in seinem Original handschriftlich beschrieben, in der deutschen Übersetzung ist von einem Ehevertrag mit Datum 10. Juni 2015 die Rede. Als Parteien sind Herr …, Sohn von …, Sohn von …, geboren am …1982 und Frau …, Tochter von …, Tochter von …, geboren am …1994 genannt, die sich einander das Ja-Wort zur Eheschließung in Anwesenheit der Zeugen geben. Weiter bezeugen sie ihre Eheschließung durch eine Morgengabe in Höhe von 500.000 syrischer Lira. Als Zeugen sind … und … genannt.
Die Bundesrepublik Deutschland lehnte dieses Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 ab und führte zur Begründung aus, dass ernsthafte Zweifel an der Echtheit der Heirat zwischen der Antragstellerin und … bestehe. Diese seien nach Auskunft des Rechtsanwaltes der Referenzperson zunächst religiös verheiratet worden und hätten dies später durch die syrischen Behörden bestätigen lassen. Allerdings sei dem Übernahmegesuch nur der Ehevertrag vom 10. Juni 2015 beigefügt gewesen, der nur die religiöse Heirat zu dokumentieren scheine. Ein Dokument, welches die staatliche Registrierung der Ehe bestätige, habe das Bundesamt für … (Bundesamt) nicht erhalten. Weiterhin sei die Referenzperson bereits am 14. August 2015 in Deutschland eingetroffen und habe während seines Registrierungsprozesses nicht erwähnt, verheiratet zu sein. Auf die Frage während der Anhörung, welche Verwandte oder Familienmitglieder noch im Heimatland leben, habe er nur seinen Bruder und dessen Familie erwähnt. Es werde daher um das Übersenden von Informationen gebeten, die diese Widersprüche aufklären könnten, insbesondere werde ein Dokument benötigt, welches die Registrierung der Ehe bei einer staatlichen Stelle belege.
Seitens der griechischen Behörden erfolgte zunächst keine weitere Reaktion.
Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2021 übersandte der Antragstellerbevollmächtigte weitere arabischsprachige Dokumente in deutscher Übersetzung. Eines ist mit „Bescheinigung über Heiratsbestätigung“ des Sharia-Gerichts in … … vom 17. September 2020 überschrieben. In diesem wird die Eheschließung zwischen der Antragstellerin und … am 10. Juni 2015 bestätigt. Weiter war ein Auszug aus dem Familienstandsregister des Standesamtes … in der Provinz … vom 16. Dezember 2020 enthalten, in dem die Antragstellerin und die Referenzperson als verheiratet aufgeführt werden.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2021 antwortete das Bundesamt, dass nach der Ablehnung des Aufnahmeersuchens wegen unzureichend nachgewiesener Familienbindung durch Deutschland seitens der griechischen Behörden kein Remonstrationsverfahren eingeleitet worden und somit das Verfahren zur Familienzusammenführung abgeschlossen sei.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2021 schließlich übersandten die griechischen Behörden die oben erwähnten Dokumente nochmals an die Antragsgegnerin und baten um ein „Follow Up“ des bereits gestellten und beschiedenen Übernahmegesuchs.
Das Bundesamt entgegnete mit Schreiben vom 26. Februar 2021 an die griechischen Behörden, dass die Remonstrationsfrist am 6. Januar 2021 abgelaufen und damit das Übernahmeverfahren auf Basis des Art. 9 Dublin III-VO bereits abgeschlossen sei.
Mit Schreiben vom 19. März 2021 teilte die Antragsgegnerin dem Antragstellerbevollmächtigten mit, dass das Verfahren abgeschlossen sei und die Entscheidung über ein weiteres Verfahren dem ersuchenden Mitgliedstaat obliege.
Mit am 23. März 2021 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten hat die Antragstellerin einen Antrag nach § 123 VwGO gestellt und beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnung des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlage durch das griechische Migrationsministerium – nationales Dublin-Referat – für das Asylverfahren der Antragstellerin für zuständig zu erklären.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass sich für die Antragstellerin ein Anspruch auf Zuständigkeitsübernahme aus Art. 9 Dublin III-VO, der insoweit drittschützenden Charakter habe, ergebe. Die vorgelegten förmlichen Beweismittel im Sinne des Art. 22 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a, i Dublin III-VO seien nicht durch Gegenbeweis wiederlegt worden. Ohnehin bestimme Art. 15 Abs. 2 Dublin-Durchführungsverordnung, dass die Echtheit aller Gesuche, Antworten und Schriftstücke, die von einer in Artikel 19 bezeichneten nationalen Systemzugangsstelle übermittelt würden, als gegeben gelte. Insbesondere auch in der Gesamtschau mit den weiteren Unterlagen werde ersichtlich, dass es sich bei der Antragstellerin um die Ehefrau der Referenzperson handele. Schließlich sei auch ein Anordnungsgrund gegeben, da nunmehr eine Sachentscheidung der griechischen Asylbehörden über den Asylantrag der Antragstellerin zu besorgen stehe, womit diese nicht mehr dem Anwendungsbereich der Dublin III-VO unterfiele.
Die Antragsgegnerin äußerte sich bislang nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen elektronischen Akten der Antragstellerin sowie der Referenzperson, … …, beim Bundesamt sowie die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig (2.), aber unbegründet (3.). Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung zuständig (1.).
1. Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach ergibt sich hier aus § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO, da sich die Antragstellerin in Griechenland aufhält. Die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO BVerwG, B.v. 2.7.2019 -1 AV 2/19 – juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO und auch § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO greift daher nicht, denn die Antragstellerin hat weder i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO ihren Aufenthalt nach den Vorschriften des Asylgesetzes zu nehmen noch verfügt sie über einen Wohnsitz im Bundesgebiet (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), weshalb für die örtliche Zuständigkeit nur die Auffangregelung des § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO in Betracht kommt. Danach ist dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der handelnden Behörde abzustellen. Im vorliegenden Fall ist dies das Bundesamt für … (Bundesamt), das seinen Sitz in Nürnberg und mithin nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO im Bezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach hat (zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 6). Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig.
Die Antragstellerin ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, wofür die Geltendmachung einer möglichen Verletzung eines subjektiven Rechts ausreicht. Eine solche beziehungsweise umgekehrt ein möglicher Anspruch gegen die Antragsgegnerin könnte sich für die Antragstellerin aus den dem Schutz der Familie dienenden Vorschriften der Art. 9, 17 Abs. 2 Dublin III-VO ergeben (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 12 sowie VG Ansbach, B.v. 2.10.2019 – AN 18 E 19.50790 – juris Rn. 25; B.v. 26.11.2019 – AN 18 E 19.50958 – juris Rn. 23; VG Berlin, B.v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 – 2 L 989/18.A – juris Rn. 21). Die Regelungen der Dublin III-VO schließen eine Antragsbefugnis von Familienangehörigen, die aus einem anderen Mitgliedstaat in den zuständigen Staat überstellt werden wollen, jedenfalls nicht ausdrücklich aus; dies legen die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO, Art. 47 GR-Charta sowie Art. 6 GG nahe (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 12).
Der Antrag nach § 123 VwGO ist auch nicht aus anderen Gründen unstatthaft. Zwar sieht die Dublin III-VO in deren Art. 27 nur Rechtsmittel gegen Überstellungsentscheidungen vor, allerdings ist im Lichte des Art. 47 GRCh als Primärrecht (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV) auch ein Rechtsbehelf für die vorliegende Konstellation bereitzustellen. Ein Verweis auf die griechischen Gerichte trägt insofern nicht, als diese nicht das Bundesamt als Behörde der Bundesrepublik zur Zuständigkeitsübernahme verpflichten könnten (so VG Berlin, B.v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 21; a.A. etwa VG Bayreuth, B.v. 17.02.2020 – B 8 E 19.50589, BeckRS 2020, 15734 Rn. 50 ff.; offenlassend VG Düsseldorf, B.v. 28.1.2020 – 15 L 3299/19.A – BeckRS 2020, 1383 Rn. 35). Dies überzeugt auch angesichts der Erwägungsgründe der Dublin III-VO, insbesondere der Erwägungsgründe 13, der die Mitgliedstaaten insbesondere auf die Berücksichtigung der Belange von Minderjährigen verpflichtet, 14, der die Achtung des Familienlebens als vorrangige Erwägung bei der Anwendung der Dublin III-VO definiert, 15, der eine gemeinsame Bearbeitung der Anträge von Familienmitgliedern zur Vermeidung einer Trennung anmahnt, sowie 16 und 17, die das Fundament für die Art. 8 ff. und 17 Abs. 2 Dublin III-VO legen, nicht. Zudem ist, auch wenn sich der Europäische Gerichtshof soweit ersichtlich noch nicht explizit zur Frage der Rechtsschutzmöglichkeit gegen eine ablehnende Übernahmeentscheidung des Zielstaates auf Basis der Art. 8 ff. Dublin III-VO geäußert hat, angesichts seiner Entscheidungen zum drittschützenden Charakter sowohl der in Kapitel III der Dublin-III VO festgelegten Zuständigkeitskriterien (Art. 7 ff. Dublin III-VO) sowie des Ablaufs von Antrags-, Antwort- und Überstellungsfristen nach der Dublin III-VO, etwa nach Art. 21 Abs. 1 oder Art. 29 Dublin III-VO, und der Möglichkeit sich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung hierauf zu berufen (EuGH, U.v. 7.6.2016 – Ghezelbash, C-63/15 – NVwZ 2016, 1157; EuGH, U.v. 7.6.2016 – Karim, C-155/15 – NVwZ 2016, 1155; EuGH, U.v. 25.10.2017 – Shiri, C-201/16 – NVwZ 2018, 43 Ls. 2 u. Rn. 35 ff.; EuGH, U.v. 26.7.2017 – Mengesteab, C-670/16 – NVwZ 2017, 1601; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 42 m.w.N.), davon auszugehen, dass der Europäische Gerichtshof die rechtswidrige Ablehnung eines auf die Art. 8 ff. Dublin III-VO gestützten Übernahmegesuchs ohne die Möglichkeit des Rechtsschutzes hiergegen nicht akzeptieren würde.
3. Der Antrag nach § 123 VwGO bleibt jedoch in der Sache erfolglos.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 47 GRCh) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 – juris Rn. 5, 7).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Antragstellerin kann weder einen Anordnungsanspruch (a), noch einen Anordnungsgrund (b) glaubhaft machen.
a) Es liegt weder ein Anspruch aus Art. 9 Dublin III-VO, noch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO vor.
Nach Art. 9 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens eines Antragstellers zuständig, in dem dessen Familienangehöriger – ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat – internationalen Schutz erlangt hat, sofern beide Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun. Als Familienangehöriger ist nach Art. 2 lit. g Dublin III-VO der Ehegatte oder ein nicht verheirateter Partner einer Dauerbeziehung anzusehen, soweit eine solche Beziehung nach dem Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaates ausländerrechtlich vergleichbar behandelt wird.
aa) Die angegebene Referenzperson, der mutmaßliche Ehemann der Antragstellerin, … (geb. …1982), lebt in Deutschland als subsidiär Schutzberechtigter. Zwar war nach Aktenlage sein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG nur bis zum 6. September 2020 gültig, jedoch wurde ihm hernach eine bis zum 5. Februar 2021 geltende Fiktionsbescheinigung (§ 81 Abs. 5 AufenthG) ausgestellt. Dass diese zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ebenfalls abgelaufen ist, führt nicht zur Annahme einer fehlenden Aufenthaltsberechtigung im Sinne des Art. 9 Dublin III-VO, da mangels Widerruf der subsidiären Schutzberechtigung nicht davon auszugehen ist, dass Herr … nicht wenigstens eine weitere Fiktionsbescheinigung erhalten hat.
Jedoch war das Verwandtschaftsverhältnis der Antragstellerin und des …als Eheleute im Zeitpunkt des Aufnahmegesuchs der griechischen Behörden an die Bundesrepublik Deutschland am 30. November 2020 gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Hinsichtlich des Maßstabes für einen ausreichenden Nachweis gilt im Allgemeinen der Grundsatz, dass das Beweiserfordernis nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderliche Maß hinausgehen soll, Art. 22 Abs. 4 Dublin III-VO. Dies geht einher mit der Zielsetzung der Dublin III-VO, wie sie aus deren Erwägungsgrund 5 ersichtlich wird, möglichst rasch den zuständigen Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zu bestimmen. Andererseits bestimmt Art. 22 Abs. 2 Dublin III-VO, dass in dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates Beweismittel und Indizien verwendet werden, die in Art. 22 Abs. 3 Dublin III-VO i.V.m. Anhang II der VO (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO) näher definiert werden. Liegt ein förmliches Beweismittel vor, so kann es gemäß Art. 22 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a, i Dublin III-VO nur durch Gegenbeweis wiederlegt werden. Liegen hingegen keine förmlichen Beweismittel vor, so erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit dann an, wenn gemäß Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO die vorgelegten Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu begründen.
Beweise im Sinne des Art. 22 Abs. 3 Buchst. a Dublin III-VO und Anhang II, Verzeichnis A, Ziffer I. 2. der VO (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO) für die zwischen der Antragstellerin und … bestehende Ehe lagen dem Aufnahmeersuchen der griechischen Behörden vom 30. November 2020 nicht bei. Das Dokument über die „Justiziable Vollmacht“ des Scharia-Gerichts in … ist kein solcher. Es enthält zwar einen Beschluss vom 17. September 2020, mit dem der Vater der Antragstellerin, …, Sohn des …, als ihr justiziabler Rechtsvertreter eingesetzt wird und sie insbesondere bei der Bestätigung ihrer Heirat mit …, Sohn des …, vertreten kann. In dieser Vollmachterteilung liegt jedoch gerade noch keine Bestätigung der behaupteten Eheschließung. Auch der in Übersetzung vorgelegte „Ehevertrag“ vom 10. Juni 2015 ist kein Beweis im Sinne des Anhangs II, Verzeichnis A, Ziffer I. 2. der Dublin-DVO, da dem übersetzten Dokument in Zusammenschau mit dem nur als Ausdruck eines wohl eingescannten oder abfotografierten vorliegenden handschriftlichen Originals keine validen Anhaltspunkte für die Urheberschaft der Antragstellerin und des … und für die Richtigkeit des angegebenen Datums zu entnehmen sind. Es war für die Antragsgegnerin im Zeitpunkt des Erhalts des Aufnahmegesuchs der griechischen Behörden nicht auszumachen, von wem und ob das Dokument bereits 2015 oder etwa erst kurz vor dem Übernahmegesuch erstellt worden ist. Darüber kann auch Art. 15 Abs. 2 der Dublin-DVO nicht hinweghelfen, nach dem die Echtheit aller Gesuche, Antworten und Schriftstücke, die von einer in Artikel 19 bezeichneten nationalen Systemzugangsstelle übermittelt werden, als gegeben gilt. Dass die eingereichten Schriftstücke, so wie im griechischen Aufnahmegesuch existieren, in diesem Sinne also echt sind, steht nicht in Zweifel, allerdings kann Art. 15 Abs. 2 Dublin III-VO nicht so verstanden werden, als dass der Inhalt aller eingereichten Dokumente als objektiv zutreffend fingiert wird.
Gleichwohl können die genannten Dokumente als Indizien im Sinne des Art. 22 Abs. 3 Satz 2 Buchst. b Dublin III-VO und Anhang II, Verzeichnis B, Ziffer I. 1 bis 3 Dublin-DVO angesehen werden. Allerdings verdichteten sich diese in Zusammenschau mit den Angaben des … in seinem eigenen Asylverfahren nicht in einem Maße, dass sie die Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO, nämlich, dass die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sein müssen, erfüllen. Zum Zeitpunkt des griechischen Aufnahmegesuchs am 30. November 2020 war der Antragsgegnerin neben dem in diesen enthaltenen Dokumenten noch bekannt, dass … bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 17. Juni 2016 angegeben hatte, er sei nicht verheiratet (S. 34 der Bundesamtsakte 6101434 – 475). Auch in der Anhörung nach § 25 AsylG am 16. September 2016 hatte er auf die Frage nach verbliebenen Verwandten im Heimatland geantwortet, dass dort noch sein Bruder und dessen Frau lebten, seine mutmaßliche Ehefrau jedoch nicht erwähnt. Da Griechenland nach der ablehnenden Entscheidung der Antragsgegnerin vom 15. Dezember 2020 nicht innerhalb der durch Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Dublin-DVO definierten Dreiwochenfrist remonstrierte, sondern erst am 23. Februar 2021 die „Bescheinigung über Heiratsbestätigung“ des Sharia-Gerichts in … vom 17. September 2020 und einen Auszug aus dem Familienstandsregister des Standesamtes … in der Provinz … vom 16. Dezember 2020 übersandte, war das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin III-VO bereits abgeschlossen und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Prüfung des Art. 9 Dublin III-VO nicht verpflichtet, die neu eingereichten Dokumente zu berücksichtigen.
Ein anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 7 Abs. 3 Dublin III-VO, nach dem im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und (1)6 genannten Kriterien durch die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates berücksichtigt werden, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um die Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Entscheidung in der Sache ergangen ist.
Die antragstellerseits geltend gemachte Anspruchsgrundlage, Art. 9 Dublin III-VO, ist vom Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 3 Dublin III-VO ausweislich dessen Wortlautes nicht erfasst. Diese Herausnahme wird zwar in Teilen des Schrifttums aus Gleichbehandlungsgründen als kritisch angesehen (etwa Hruschka/Maiani in Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Ed. 2016, Art. 7 Dublin III-VO Rn. 7; Vogt/Nestler, NVwZ 2019, 859, 861). Gleichwohl verbietet sich angesichts der expliziten Aufzählung in Art. 7 Abs. 3 Dublin III-VO, die Art. 9 Dublin III-VO eben nicht erwähnt, mangels planwidriger Regelungslücke eine analoge Anwendung. Denn die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, Art. 9 Dublin III-VO auszuklammern, kann nicht als unbewusste angesehen werden (vgl. Council of the European Union, Interinstitutional File 2008/0243 (COD) vom 27. Juli 2009, S. 37 f. und 2008/0243 vom 16. Dezember 2009, S. 17; zur Entstehungsgeschichte auch Hruschka/Maiani a.a.O. und GA Sharpston, Schlussantrag v. 29.11.2018 – C-582/17, C-583/17 – BeckRS 2018, 30301 Rn. 66 ff.). Da die Ausnahmeregelung des Art. 7 Abs. 3 Dublin III-VO hier nicht greift, bleibt es bei dem die Dublin III-VO bestimmenden Grundsatz, dass die in den Art. 21 ff. Dublin III-VO genannten Fristen die besondere Bedeutung, die der Unionsgesetzgeber einer raschen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates beimisst, zum Ausdruck bringen und gewährleisten, dass die Asylverfahren ohne unberechtigte Verzögerung durchgeführt werden (s. Erwägungsgrund 5 zur Dublin III-VO und EuGH, U.v. 13.11.2018 – C-47/17, C-48/17 – BeckRS 2018, 28173 Rn. 69 f.). Dieses Beschleunigungsgebot kann gegebenenfalls auch zur Prüfung der Asylanträge durch einen anderen Mitgliedstaat als den nach den in Kapitel III dieser Verordnung genannten Kriterien als zuständig bestimmten führen (EuGH, U.v. 13.11.2018 – C-47/17, C-48/17 – BeckRS 2018, 28173 Rn. 70).
bb) Im Übrigen mangelt es auch an der gemäß Art. 9 Dublin III-VO erforderlichen beiderseitigen schriftlichen Zustimmung zur Familienzusammenführung. Zwar liegt eine schriftliche Zustimmung der Antragstellerin vom 10. September 2020 als Teil des Übernahmegesuchs vor, in dem sie den Wunsch äußert mit dem in Deutschland lebenden „…“ dort wiedervereint zu werden. Jedoch findet sich im Übernahmegesuch Griechenlands vom 30. November 2020 keine schriftliche Erklärung der Referenzperson, zu der zugezogen werden soll. Allein findet sich in einer Akte des Bundesamtes zur Referenzperson … (* …, betreffend ein Dublin-Übernahmegesuch aus 2017) ein Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten, welcher auch die Referenzperson vertritt, vom 24. September 2020. In diesem wird ausgeführt, dass „ausdrücklich Einverständnis mit der Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft [besteht]“ und „die Antragsteller zu 2. bis 4. sowie der Antragsteller zu 5. schriftlich den Wunsch kundgetan [haben], die Bundesrepublik Deutschland solle für die Prüfung ihrer Asylanträge zuständig sein“. Dies genügt den Voraussetzungen des Art. 9 Dublin III-VO nicht. Dessen Normzweck ist die Familienzusammenführung, was dem Erfordernis der Zustimmung der betroffenen Personen zur Familienzusammenführung eine höchstpersönliche Komponente verleiht. Die bloß berichtende Erklärung eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes, dass ausdrücklich Einverständnis bestünde und diese auch schriftlich kundgetan worden sei, reicht nicht aus, wenn die schriftliche Zustimmungserklärung der betreffenden Person selbst nicht vorliegt.
b) Auch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ergibt sich kein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Zuständigkeitsübernahme.
Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO kann derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 Dublin III-VO nicht zuständig ist. Die betreffenden Personen müssen dem schriftlich zustimmen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO. Der so ersuchte Mitgliedstaat hat alle erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO. Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 4 Dublin III-VO wird dem ersuchten Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen, wenn dieser dem Gesuch stattgibt.
aa) Hinsichtlich der Antragstellerin ist nach deren Asylantragstellung in Griechenland noch keine Erstentscheidung ergangen. Ein entsprechendes, explizit auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gestütztes Ersuchen an die Bundesrepublik Deutschland liegt zwar nicht vor, da das Aufnahmegesuch Griechenlands vom 30. November 2020 nur Art. 9 Dublin III-VO erwähnt. Allerdings lässt sich dem Aufnahmegesuch in erweiternder Auslegung im Rahmen des vorgetragenen Sachverhaltes der allgemeine Wille entnehmen, dass Deutschland die Zuständigkeit für das Asylverfahren der Antragstellerin übernehmen soll, insbesondere, weil sich Art. 9 Dublin III-VO und Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO im Aspekt und der Zielsetzung der Familienzusammenführung tatbestandlich überschneiden.
bb) Hinsichtlich Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO und anders als im Rahmen des Art. 9 Dublin III-VO ist die Ehe zwischen der Antragstellerin und der in Deutschland lebenden Referenzperson … hinreichend glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gelten nämlich die Fristen und Verfahrensabläufe der Art. 21 ff. Dublin III-VO und Art. 5 Dublin-DVO nicht, was sich gesetzestechnisch daraus ergibt, dass Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in den Unterabsätzen 2 und 3 eigene Verfahrensregeln und Fristen (und größtenteils eben keine Fristen) aufstellt und im Übrigen nach nationalem Recht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt gilt. Daher kann nach Ansicht des Einzelrichters zum einen auch die zuerst mit Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten vom 11. Januar 2021 und schließlich durch die griechischen Behörden mit Schreiben vom 23. Februar 2021 übersandte „Bescheinigung über Heiratsbestätigung“ des Sharia-Gerichts in … vom 17. September 2020 berücksichtigt werden. In diesem wird die Eheschließung zwischen der Antragstellerin und … am 10. Juni 2015 bestätigt. Zum anderen war ein Auszug aus dem Familienstandsregister des Standesamtes … in der Provinz … vom 16. Dezember 2020 enthalten, in dem die Antragstellerin und die Referenzperson als verheiratet aufgeführt werden.
Diese sind als Beweise im Sinne des Art. 22 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a Dublin III-VO und Anhang II, Verzeichnis A, Ziffer I. 2 der VO (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO) einzuordnen, gegen die kein Gegenbeweis der Antragsgegnerin im Sinne des Art. 22 Abs. 3 Satz 2 Buchst. a, i Dublin III-VO geführt worden ist.
cc) Damit liegt in der begehrten Familienzusammenführung der Antragstellerin mit ihrem Ehemann ein grundsätzlich geeigneter humanitärer Grund im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Dieser führt für die humanitären Gründe exemplarisch und insbesondere solche an, die sich aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen (Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO). Der darin zum Ausdruck kommende Grundgedanke der Wahrung der Familieneinheit ist neben Art. 6 Abs. 1 Dublin III-VO auch in deren Erwägungsgründen 13 bis 17 und schließlich im Primärrecht in Art. 24 Abs. 3 und Art. 7 GRCh angelegt.
Allerdings räumt Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, wie sich bereits aus der Überschrift „Ermessensklauseln“ des Art. 17 Dublin III-VO ergibt, dem ersuchten Mitgliedstaat einen Ermessensspielraum ein, ob er die Zuständigkeit für den Antragsteller übernimmt (etwa VG Ansbach, B.v. 6.4.2020 – AN 17 E 20.50103 – juris Rn. 23, 29 ff.). Dieses hat die Antragsgegnerin nicht pflichtgemäß im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO ausgeübt, da in der weiteren ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes vom 26. Februar 2021 bis auf eine bloße Ablehnung keine Ausführungen zu Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gemacht wurden. Das ist zwar insofern konsequent, als dass das Bundesamt bereits in der ersten ablehnenden Entscheidung vom 15. Dezember 2020 das Verwandtschaftsverhältnis zwischen der Antragstellerin und ihrem Ehemann in Abrede stellte und insofern keine Ermessenserwägungen anstellte, jedoch im Ergebnis fehlerhaft, da die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischenzeitlich hinreichend glaubhaft gemacht wurden und daher das Ermessen im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO hätte ausgeübt werden müssen. Denn maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG derjenige der gerichtlichen Entscheidung.
Jedoch führt ein Antrag nach § 123 VwGO, hier in Form einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, nicht schon dann zum Erfolg, wenn ein Ermessensfehler der Behörde vorliegt, sondern nach herrschender Meinung erst und nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null glaubhaft gemacht wird (BayVGH, B.v. 3.6.2002 – 7 CE 02.637 – NVwZ-RR 2002, 839; nur berichtend, aber a.A. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 123 Rn. 158 ff. m.w.N.).
Eine Ermessensreduzierung auf Null ist nur anzunehmen, wenn über das regelmäßig bestehende Interesse von Ehepaaren an einer Familienzusammenführung konkret und im Einzelfall Umstände vorliegen, die die Annahme einer besonderen Härte begründen und jede andere Entscheidung als eine Zusammenführung der genannten Personen als unvertretbar erscheinen ließen (eine solche Härte für das Verhältnis von minderjährigen Kindern zu ihren Eltern grds. annehmend VG Ansbach, B.v. 24.9.2020 – AN 17 E 20.50307 – n.v.; s.a. EGMR, U.v. 30.7.2013 – Nr. 948/12 – BeckRS 2014, 80974 Rn. 56 [engl.]; EuGH, U.v. 27.6.2006 – C-540/03 – NVwZ 2006, 1033 Rn. 73-75).
Angesichts der Tatsache, dass der Ehegatte der Antragstellerin seiner Angabe in der Anhörung vor dem Bundesamt gemäß § 25 AsylG am 16. September 2016 (S. 71 dessen Bundesamtsakte …*) nach sein Heimatland Syrien am 7. Juli 2015 verlassen und die vorgetragene Hochzeit am 10. Juni 2015 stattgefunden hat, bestand die eheliche Lebensgemeinschaft höchstens einen knappen Monat und wurde seitdem nicht wiederhergestellt. Unterdessen sind mehr als fünf Jahre vergangen, wobei weder durch die Antragstellerin noch ihren Ehemann zumindest Versuche der Kontaktaufnahme oder eine besondere psychische Belastung in der Zeit der Trennung vorgetragen wurden. Dies lässt eine besondere emotionale Nähebeziehung, die über das rechtliche Band der Ehe hinausgeht, fernliegend erscheinen und trägt keine besondere Verdichtung der humanitären Umstände zu einem Härtefall, der die Antragsgegnerin zum Handeln verpflichten würde.
c) Es liegt zudem kein Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO vor. Die hierfür erforderliche Dringlichkeit ist nicht gegeben, auch wenn eine Entscheidung in einer gedachten Hauptsache möglicherweise erst nach einer Asylentscheidung in der Sache durch Griechenland ergehen würde. Der Antragstellerin ist die weitere Trennung von ihrem Ehemann vielmehr zumutbar. Im Fall von volljährigen Familienmitgliedern ist die Frage eines Anordnungsgrundes aufgrund (längerer) Trennung vom Grundsatz her anders zu beurteilen als im Fall einer Trennung von Kindern von ihren Eltern bzw. von vulnerablen Personen von Betreuungspersonen, auf die diese angewiesen sind (vgl. Rechtsprechung der Kammer insoweit z.B. VG Ansbach, B.v. 6.4.2020 – AN 17 E 20.50103 – juris). Bei Ehepartnern spricht viel dafür, dass dem Grundsatz, dass die Hauptsache im einstweiligen Rechtschutz nicht vorweggenommen werden darf, der Vorrang zukommt, zumal ein irreversibler oder dauerhafter Zustand hier nicht geschaffen wird. Vielmehr bleibt ein Nachzug des einen Ehepartners zum anderen – wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind – durch die nationalen Ausländergesetze möglich und entfällt allenfalls der hier begehrte Nachzugstatbestand nach der Dublin III-VO. Die längere Zeitdauer, die dies regelmäßig in Anspruch nimmt, ist Erwachsenen prinzipiell eher zumutbar. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist hier nicht gerechtfertigt. Die Antragstellerin und Herr … mussten mit den rechtlichen Schwierigkeiten in ihrer Situation auch rechnen und haben diese – anders als im Falle von betroffenen Kindern – selbst zu verantworten.
Den Verfahrensakten ist hier außerdem nicht zu entnehmen, dass eine Entscheidung über den Asylantrag der Antragstellerin in Griechenland in Kürze erfolgen wird. Zwar hat das Gericht in seinen bisherigen Entscheidungen (vgl. auch hier VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 – AN 17 E 20.50216; B.v. 24.8.2020 – AN 17 E 20.50232; B.v. 6.4.2020 – AN 17 E 20.50103 – alle juris) die Gefahr der jederzeitigen Entscheidung der griechischen Behörden genügen lassen, jedoch zeigt die Erfahrung, dass eine Entscheidung der griechischen Behörden mitunter lange auf sich warten lässt. Die Antragstellerin stellte bereits am 10. September 2020 ihren Asylantrag in Griechenland, über den bislang noch nicht entschieden ist. Dass ein Anhörungstermin zwischenzeitlich terminiert wurde oder nunmehr mit einer kurzfristigen Entscheidung zu rechnen ist, ist ebenso nicht ersichtlich. Alles in allem ist die Eilbedürftigkeit hier nicht glaubhaft gemacht (vgl. hierzu auch: VG Ansbach, B.v. 22.2.2021 – AN 17 E 21.50020 – juris).
4. Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
5. Die Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben