Europarecht

Dublin-Verfahren, Abschiebungsanordnung (Belgien), Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens

Aktenzeichen  M 5 S 21.50643

Datum:
5.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35314
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 34a
Dublin III-VO

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Überstellung nach Belgien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist kongolesischer Staatsangehöriger. Er reisten am … Juli 2021 in das Bundesgebiet ein und stellte am … August 2021 in Deutschland einen Asylantrag. Eine EURODAC-Recherche ergab einen Treffer für Belgien.
Am … September 2021 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Übernahmeersuchen an Belgien. Die zuständigen belgischen Behörden erklärten mit Schreiben vom … September 2021 die Bereitschaft zur Rückübernahme des Antragstellers auf Grund einer Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO.
Die zuständigen belgischen Behörden erklärten mit Schreiben vom … September 2021 die Bereitschaft zur Rückübernahme des Antragstellers auf Grund einer Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom … September 2021 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Belgien an (Nr. 3). In Nr. 4 des Bescheids wurde ein zeitlich befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ab dem Tag der Abschiebung verfügt. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
Der Antragsteller hat am 5. Oktober 2021 Klage (M 5 K 21.50642) erhoben und zugleich im vorliegenden Verfahren beantragt,
Der Antragsteller hat am 5. Oktober 2021 Klage (M 5 K 21.50642) erhoben und zugleich im vorliegenden Verfahren beantragt,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Belgien wird die aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.
Das Bundesamt hat die Behördenakten vorgelegt und beantragt,
den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Zum weiteren Vorbringen und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 5 K 21.50642 und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Zum weiteren Vorbringen und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 5 K 21.50642 und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Die vom Antragsteller erhobene Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtmäßig ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
2. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) – im Folgenden: Dublin III-VO – für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Ausgehend von den Eurodac-Daten und dem Vortrag des Antragstellers ist vorliegend Belgien für die Prüfung des Asylantrags i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG zuständig.
Dies ergibt sich mangels vorrangiger Zuständigkeitskriterien aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO. Es trat kein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO ein, weil das Wiederaufnahmegesuch fristgerecht innerhalb von zwei Monaten nach der Antragstellung und Eurodac-Treffermeldung erfolgte. Die belgischen Behörden haben dem Wiederaufnahmegesuch zugestimmt (Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO). Belgien ist daher gem. Art. 25 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO innerhalb der offenen sechsmonatigen Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen.
3. Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seine Überstellung nach Belgien nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Belgien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Belgien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Grundsatz des gegensei-tigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 -„Jawo“ – juris Rn. 80 f.; U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – „Ibrahim u.a.“ – juris Rn. 84.; U.v. 21.12.2011 – C- 411/10, C-493/10 – juris Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass in den Mitgliedstaaten die Behandlung von Asylbewerbern mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Einklang steht. Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründet jedoch nur eine Vermutung (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 83 f.), welche durch den substantiierten Vortrag von Umständen widerlegt werden kann, die eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH sind Schwachstellen im Asylsystem nur dann als Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK zu werten, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Die hohe Schwelle der Erheblichkeit kann nach dem EuGH erreicht sein, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigen oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzen würde, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. dazu insgesamt EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 ff.).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Belgien tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials in der ganz überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an (vgl. VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 8/9 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 22.1.2019 – 29 L 3642/18.A – juris; VG Greifswald, B.v. 29.12.2017 – 6 B 2247/17 As HGW – juris; VG München, B.v. 28.4.2017 – M 1 S 17.51013 – juris; VG Bayreuth, U.v. 26.7.2017 – B 1 K 17.31991 – juris) und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG).
4. Die Abschiebung nach Belgien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
5. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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