Europarecht

Eheschließung nach religiösem Ritus durch Vertreter begründet keine wirksame Ehe nach nationalem Recht

Aktenzeichen  M 9 E 18.52559

Datum:
21.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20382
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 8 Abs. 1, Art. 9
GG Art. 6
VwGO § 42 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine nach islamischem Ritus in der Türkei geschlossene sog. „Imam-Ehe“ wird in der Rechtsprechung wegen der fehlenden Rechtsgültigkeit einer solchen Eheschließung in Syrien auch hier nicht anerkannt, mit der Folge, dass auch die Voraussetzungen für ein Familienasyl nicht vorliegen; dies gilt umso mehr, wenn es sich um eine Eheschließung in Abwesenheit mit einer Minderjährigen handelt, so dass ein Eheschließungswille auch aus diesem Grunde nicht erkennbar ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger, ausgewiesen durch Identitätspapiere, geboren 1993. Er reiste im Oktober 2014 in das Bundesgebiet ein und erhielt mit Bescheid des Bundesamts vom 10. Juli 2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (Blatt 76 Behördenakte); ausweislich des Bescheids wurde von einer persönlichen Anhörung beim Bundesamt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 5 AsylVfG abgesehen. Ausweislich der im Antragsverfahren vorgelegten Kopien verfügt der Antragsteller über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis und einen Reiseausweis.
Ausweislich einem Antragsverfahren vorgelegten Heiratsurkunde in beglaubigter Übersetzung hat der Antragsteller nach islamischem Ritus vor dem islamischen Standesbeamten am 22. August 2016 Frau Aya O. in Abwesenheit geheiratet. Der Antragsteller und Frau Aya O. wurden durch Familienangehörige vertreten. Ebenfalls vorgelegt wurde eine beglaubigte Übersetzung aus dem Arabischen, Einzelauszug aus dem Zivilregister vom 2. August 2015 mit den Registrierungsdaten von Frau Aya O. sowie eine beglaubigte Übersetzung aus dem Familienbuch über Frau Aya O., drittes Kind der Familie, geboren 1. Januar 2000.
Ausweislich zweier Schreiben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. März 2018 und 25. Mai 2018 an die griechischen Behörden im Dublin-III-Verfahren lebt Frau Aya O. in Griechenland. Ausweislich dieser Schreiben wurde ein Übernahmeersuchen der griechischen Behörden vom 19. März 2018 und vom 18. April 2018 nach Art. 8 und 9 der Dublin-III-Regelung abgelehnt. Danach handelt es sich bei Frau Aya O. um eine unbegleitete Minderjährige. Der Antragsteller sei kein Familienangehöriger im Sinne der Dublin-III-Regelung. Auf die nicht übersetzten Schreiben wird Bezug genommen.
Mit am 9. März 2018 eingegangenem Schriftsatz beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers gemäß § 123 VwGO,
die Antragsgegnerin nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihre Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz der Ehefrau des Antragstellers, Frau Aya O. zu bejahen und dies umgehend, spätestens bis 18. Oktober 2018, unter Rücknahme ihrer Entscheidung vom 25. Mai 2018 der griechischen Dublineinheit mitzuteilen.
Frau Aya O. sei 2014 aus Syrien in die Türkei geflohen, habe dort in einem Flüchtlingslager gelebt und sei im Oktober 2017 alleine nach Griechenland eingereist und habe dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, über den bisher nicht entschieden worden sei. Sie habe keine Ausweisdokumente. Die Bundesrepublik habe den Antrag auf Aufnahme der griechischen Behörden mit Schreiben vom 28. März 2018 und vom 25. Mai 2018 zurückgewiesen. Ein Anordnungsgrund liege vor, da die griechischen Asylbehörden spätestens nach sechs Monaten zur Durchführung des Verfahrens auf internationalen Schutz zuständig würden. Ein Anordnungsanspruch bestehe. Als Ehemann sei der Antragsteller nach Art. 6 GG antragsbefugt, § 42 Abs. 2 VwGO entsprechend. Die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft könne nur über ein aufenthaltsrechtliches Ehegattennachzugsverfahren stattfinden, wenn das internationale Schutzverfahren von Griechenland durchgeführt würde. Ein solches Visumsverfahren setze aber u. a. einen gültigen Pass voraus, den die Ehefrau des Antragstellers nicht besitze und der vom syrischen Regime voraussichtlich auch nicht ausgestellt würde. Der Anordnungsanspruch sei darin zu sehen, dass eine Zuständigkeit der Bundesrepublik nach Art. 9 Dublin-III-VO gegeben sei. Maßgeblich sei nicht, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestand oder erst später die Ehe geschlossen wurde. Der Antragsteller sei auch nach Art. 8 Abs. 1 Familienangehöriger der als Minderjährige in Griechenland eingereisten Frau Aya O. Es diene nicht dem Wohl von Frau Aya O. als Minderjähriger, wenn sie alleine in einem griechischem Flüchtlingslager auf unbestimmte Zeit und gegen den ausdrücklichen Willen der Eheleute fern von ihrem Ehemann zu bleiben habe, so dass die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO auch zum Zeitpunkt ihrer Minderjährigkeit nicht vorgelegen hätten.
Der Antragsgegner hat sich nicht geäußert.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte des Antragstellers Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist bereits unzulässig, da der Antragsteller nicht antragsbefugt ist, § 42 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 123 VwGO.
Die hier aus dem Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 GG abgeleitete Antragsbefugnis setzt voraus, dass eine nach deutschem Recht wirksam geschlossene Ehe vorliegt. Ausweislich der Akten haben der Antragsteller und Frau Aya O. in Abwesenheit vor dem Imam eine sog. Vertreterehe geschlossen. Eine nach islamischem Ritus in der Türkei geschlossene sog. „Imam-Ehe“ wird in der Rechtsprechung wegen der fehlenden Rechtsgültigkeit einer solchen Eheschließung in Syrien auch hier nicht anerkannt, mit der Folge, dass auch die Voraussetzungen für ein Familienasyl nicht vorliegen (BVerwG U.v. 22.2.2005 1 C 17/03 und ständige Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall gilt dies umso eher, als es sich hier um eine Ehe in Abwesenheit mit einer Minderjährigen handelt, so dass ein Eheschließungswille auch aus diesem Grunde nicht erkennbar ist. Ohne wirksame Ehe fehlt es dem Antragsteller an einem aus Art. 6 GG abgeleiteten eigenen Recht.
Ohne dass es darauf ankommt wird darauf hingewiesen, dass der Antrag nach § 123 VwGO auch unbegründet wäre. Eine vorläufige Regelung nach § 123 VwGO setzt zum einen einen Anordnungsgrund, d. h. die Notwendigkeit einer sofortigen gerichtlichen Entscheidung und zum anderen einen Anordnungsanspruch, d. h. einen materiell rechtlichen Anspruch auf die gewünschte Entscheidung voraus, die glaubhaft gemacht werden müssen. Dabei gilt entsprechend der Natur einer vorläufigen Regelung, dass regelmäßig durch die beantragte Entscheidung keine endgültigen Regelungen im Sinne einer vollendeten Tatsache geschaffen werden dürfen.
Im vorliegenden Fall wurde kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Da nach ständiger Rechtsprechung keine wirksame Ehe vorliegt, fehlt es an den Voraussetzungen des Art. 9 Dublin III-VO. Frau Aya O. ist keine Familienangehörige des Antragstellers. Ebenso wenig lagen bei der Einreise von Frau Aya O. in Griechenland die Voraussetzungen des Art. 8 Dublin III-VO vor. Zwar war Frau Aya O. zu diesem Zeitpunkt ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen damals minderjährig und reiste unbegleitet in Griechenland ein. Der Antragsteller ist jedoch kein Familienangehöriger, so dass die Voraussetzung des Art. 8 Abs. 1 Satz 1 für eine Aufnahme im Bundesgebiet fehlt. Frau Aya O. war bei ihrer Einreise in Griechenland und bei Antragstellung auch keine verheiratete Minderjährige, deren Ehepartner sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und zu deren Wohl ein Nachzug zum Antragsteller dienen würde. Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO stellt klar, dass ohne Familienangehörigen oder engere Verwandte der Erstaufnahmestaat, hier Griechenland, regelmäßig für den Minderjährigen zuständig ist. Es ist nicht erkennbar, dass es dem Wohl von Frau Aya O. dient, zu einem Fremden in die Bundesrepublik zu ziehen, zumal sie nicht mehr minderjährig ist. Unter Berücksichtigung dessen, dass weder eine rechtsgültige Heirat noch Personalpapiere von Frau Aya O. vorliegen, ist es zumutbar, den Antragsteller auf den Weg des Familiennachzugs zu verweisen.
Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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