Europarecht

Einhaltung der Überstellungsfrist nach Schweden trotz Rücknahme des Eilantrags gegen die Abschiebungsanordnung

Aktenzeichen  AN 14 K 16.50250

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 133194
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 4, Art. 29 Abs. 2 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Wird in einem Dublin III-Verfahren der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO zurückgenommen,führt dies nicht dazu, dass der Asylbewerber in Bezug auf die Überstellungsfrist so gestellt wird, als hätte er den Eilantrag nie gestellt, dh als hätte eine Unterbrechung der Überstellungsfrist nicht stattgefunden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass einem Asylbewerber im Falle seiner Rücküberstellung nach Schweden auf Grund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung iSd Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK drohen würde. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht entscheidet durch die Einzelrichterin, der das Verfahren durch Beschluss der Kammer vom 8. November 2016 übertragen worden ist (§ 76 Abs. 1 AsylG).
1. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Statthafte Klageart gegen einen Bescheid, mit dem ein Asylantrag wegen der Zuständigkeit eines anderen Staates als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in diesen Staat angeordnet wird, ist allein die Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 1 C 6/16 -, juris Rn. 9). Der Bevollmächtigte der Klägerin hat den ursprünglichen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung auf die Aufhebung des Bescheides der Beklagten beschränkt.
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2016 erweist sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheides) und die unter Nummer 2 angeordnete Abschiebung nach Schweden sind rechtlich nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Befristungsentscheidung unter Nummer 3 des Bescheides.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Begehrens der Klägerin ist das Asylgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 6. August 2016 in Kraft getretene Integrationsgesetz (IntG) vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939).
1.1. Die Beklagte hat den Asylantrag der Klägerin unter Nummer 1 des Bescheides vom 4. Juli 2016 zu Recht als unzulässig abgelehnt (§ 29 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG), weil Schweden nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO der für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin zuständige Mitgliedstaat ist.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat a) nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) – Dublin III-VO – oder b) aufgrund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 31 Abs. 6 AsylG ist in solchen Fällen der Asylantrag als unzulässig abzulehnen.
Unschädlich ist, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG, sondern auf den damals einschlägigen § 27a AsylG a.F. gestützt hat. Der Gesetzgeber hat mit dem Integrationsgesetz zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51), ohne dass hierdurch materiell die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit (bislang: § 27a Asyl(Vf) G; nunmehr: § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) in der Sache geändert worden sind (so BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 1 C 6/16 -, juris).
Die Zuständigkeit Schwedens für die Prüfung des Asylantrages der Klägerin ergibt sich hier aus Art. 3 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO, da die Klägerin vom schwedischen Konsulat in … ein Schengen-Visum erhalten hat. Die schwedischen Behörden haben auf das Übernahmeersuchen der Beklagten vom 7. März 2016 mit Schreiben vom 10. März 2016 ihre Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages und die Bereitschaft zur Aufnahme der Klägerin nach Art. 12 Dublin III-VO erklärt.
Die Zuständigkeit Schwedens ist nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO entfallen und auf die Beklagte übergegangen. Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs erfolgte am 10. März 2016, so dass die sechsmonatige Überstellungsfrist eigentlich am 10. September 2016 geendet hätte. Nachdem die Klägerin vor Ablauf der Überstellungsfrist Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt hat, wurde die Überstellungsfrist durch den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unterbrochen (Vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 -, juris, Rn. 18, Vorlagebeschluss vom 27.4.2016 – 1 C 22.15, juris, Rn. 18 ff; SächsOVG, B.v. 5.10.2015 – 5 B 259/15.A -, juris, Rn. 8 ff). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird die Überstellungsfrist mit einer ablehnenden Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes neu in Lauf gesetzt (vgl. BVerwG, aaO.). Im vorliegenden Fall kam es zwar nicht zu einer ablehnenden Entscheidung über den Eilantrag der Klägerin, da sie diesen vor Ablauf der Überstellungsfrist zurückgenommen hat. Dies führt jedoch entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin nicht dazu, dass die Klägerin in Bezug auf die Überstellungsfrist so gestellt wird, als hätte sie den Eilantrag nie gestellt, d.h. als hätte eine Unterbrechung der Überstellungsfrist nicht stattgefunden. Zwar entfaltet die Rücknahme eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ebenso wie die Rücknahme einer Klage ex-tunc-Wirkung. Diese ex-tunc-Wirkung gilt jedoch nicht im Hinblick auf die Unterbrechung der Überstellungsfrist. Zum einen würde diese Auffassung im Ergebnis dazu führen, dass Asylbewerber den Vollzug einer Abschiebungsanordnung generell verhindern könnten, indem sie zunächst einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen und diesen Eilantrag später, nämlich kurz vor Ablauf der Überstellungsfrist zurücknehmen. Diese Vorgehensweise erscheint rechtsmissbräuchlich. Zum anderen gebietet dies auch die Rücksicht auf den aufnahmebereiten Mitgliedstaat – hier Schweden –, der über die Unterbrechung der Überstellungsfrist informiert wurde und sich darauf auch eingestellt hat. Die Einzelrichterin geht deshalb davon aus, dass die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall durch die Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zunächst unterbrochen wurde und erst mit Erlass des Einstellungsbeschlusses am 21. Juli 2016 erneut zu laufen begonnen hat.
Es liegen keine Umstände vor, die die Zuständigkeit Schwedens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnung entfallen ließen. Besondere Umstände, die zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland führen würden, sind seitens der Klägerin weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem dem Gericht vorliegenden Erkenntnismaterial bestehen im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin im Falle ihrer Rücküberstellung nach Schweden auf Grund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) bzw. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) drohen würde (allgemein zur Frage der systemischen Mängel EuGH, U.v. 21.12.2011 – Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 -, NVwZ 2012, 417, und BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 -, juris). Die Klägerin hat keinerlei Argumente dafür vorgetragen, die auf systemische Mängel bzw. Schwachstellen im Asylverfahren in Schweden schließen lassen, von denen sie individuell betroffen sein könnte. Es bestehen nach Auffassung des Gerichts unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass in Schweden die Mindestanforderungen an ein Asylverfahren nach den europäischen Asylrichtlinien sowie nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Grundrechte-Charta nicht eingehalten werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Schweden Willens und in der Lage ist, Asylsuchenden entsprechend dem Dubliner Übereinkommen Schutz zu gewähren (so auch VG Gelsenkirchen, B.v. 23.11.2016 -, 6a L 2587/16 -, juris; VG Potsdam, B.v. 14.10.2016 – 6 L 899/16.A – juris; VG Magdeburg, B.v. 17.3.2016 – 8 A 101/16 -, juris; VG Ansbach, B.v. 30.12.2015 – 14 S. 15.50532 -, juris). Nähere und aktuelle Informationen über das schwedische Asylsystem und die dortigen Unterbringungs- und Versorgungsbedingungen sind unter anderem dem von der schwedischen Caritas und dem Europäischen Flüchtlingsrat erstellten „National Country Report Sweden“ (Stand: Dezember 2015) zu entnehmen, abrufbar in der Datenbank „aida“ (www.asylumineurope.org).
Ergänzend wird hierzu auf die ausführliche Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 4. Juli 2016 Bezug genommen.
Anhaltspunkte für das Vorliegen außergewöhnlicher humanitärer Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, sind weder ersichtlich noch konkret vorgetragen.
Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig unter Nummer 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt nicht im Tenor des Bescheides eine Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) getroffen hat. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. AsylG n.F. ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen. Aufgrund des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung fehlt diese ausdrückliche Feststellung im Bescheidstenor. Allein das Fehlen dieser Feststellung führt allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der unter Nummer 1 ausgesprochenen Ablehnung des Asylantrages als unzulässig. Auch wenn die Beklagte im Tenor des streitgegenständlichen Bescheides nicht ausdrücklich festgestellt hat, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen, war sie auch nach alter Gesetzeslage verpflichtet, das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote und Duldungsgründe vor Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 -, juris Rn. 4; B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 -, juris Rn. 4). Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass diese Prüfung seitens der Beklagten auch im vorliegenden Fall durchgeführt wurde. Da jedoch keinerlei Anhaltspunkte für derartige Abschiebungsverbote bestanden und seitens der Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt vorgetragen wurden, hat die Beklagte zu Recht die Abschiebung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG angeordnet.
1.2. Auch die Anordnung der Abschiebung der Klägerin nach Schweden in Nummer 2 des Bescheides vom 4. Juli 2016 erweist sich als rechtmäßig. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG ordnet das Bundesamt in den Fällen, in denen der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in den zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dessen Voraussetzungen liegen hier vor, da Schweden – wie bereits dargelegt – für die Prüfung des Asylantrages der Klägerin zuständig ist. Die Übernahmebereitschaft Schwedens ist mit der Erklärung der schwedischen Behörden vom 10. März 2016, sie nähmen das Wiederaufnahmegesuch der Beklagten nach Art. 12 Dublin III-VO an, positiv geklärt. Dass der Überstellung der Klägerin nach Schweden zielstaatsbezogene oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse entgegenstehen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
1.3. Nicht zu beanstanden ist auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf drei Monate in Nummer 3 des Bescheidtenors. Die Entscheidung beruht auf § 75 Nr. 12 AufenthG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Befristungsentscheidung ermessenfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO getroffen hat, sind nicht erkennbar und werden von der Klägerin auch nicht vorgetragen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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