Europarecht

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Berufungsverfahren

Aktenzeichen  6 U 7129/19

Datum:
31.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 20345
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 719 Abs. 1, § 707
GebrMG § 3 Abs. 1 S. 2, § 5 Abs. 1
PatG § 83

 

Leitsatz

Einem qualifizierten Hinweis des BPatG gemäß § 83 PatG kommt im Rahmen der Prüfung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Regel eine erhebliche Bedeutung zu, da dieser in der Regel maßgebliche Anhaltspunkte in Bezug auf den zu erwartenden Ausgang des Verfahrens vor dem BPatG liefert. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 O 2631/18 2019-11-20 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 20.11.2019 – 21 O 2631/18 – wird im Umfang der Verurteilung gemäß Tenor I., II. und III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 2,8 Millionen einstweilen eingestellt.

Gründe

II.
Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO ist statthaft und zulässig. In der Sache hat der Antrag Erfolg. Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung kann eine Verletzung der Merkmale 13, 15, 21, 22, 24.3 (b), 25 gemäß der Merkmalsanalyse des Landgerichts (LGU, Seite 39 ff.) nach vorläufiger Beurteilung des Senats nicht bejaht werden.
Gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt ist, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung einstweilen bis zur Entscheidung über die Berufung eingestellt werden. Ist, wie auch vorliegend, das angefochtene Urteil nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (LGU Tenor Nr. VI i.V.mit dem Teilurteil des Senats vom 16.1.2020), kommt eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach allgemeiner Auffassung nur dann in Betracht, wenn aufgrund der in vorliegendem Verfahrensstadium lediglich gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird – eine einstweilige Einstellung aus anderen Gründen steht aufgrund des Vorbringens der Beklagten nicht in Rede. Die Entscheidung über den Einstellungsantrag kann nicht die abschließende, aufgrund mündlicher Verhandlung zu treffende Entscheidung in der Berufungsinstanz vorwegnehmen. Nur wenn bereits im Rahmen der summarischen Prüfung davon auszugehen ist, dass das Urteil mit seinen tragenden Feststellungen und die hierauf beruhende rechtliche Beurteilung keinen Bestand haben wird, ist es der Klagepartei zuzumuten, mit der Vollstreckung bis zur Entscheidung über die Berufung zuzuwarten. Ob das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig ist, d.h. ob es nach ergänzenden Feststellungen bzw. mit einer anderen Begründung aufrechterhalten werden kann, ist in vorliegendem Verfahrensstadium dagegen nicht zu prüfen.
Nach diesen Grundsätzen gilt Folgendes:
1. Das Landgericht war nicht verpflichtet, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), weil der zunächst auf den 25.9.2019 anberaumte Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 20.11.2019 verlegt wurde und somit das Urteil nicht innerhalb der Frist von fünf Monaten nach der mündlichen Verhandlung vom 15.5.2019 verkündet wurde. Hierzu nimmt der Senat auf den Beschluss vom 28.1.2020 unter II.2 b. aa) Bezug.
2. Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung kann eine Verletzung der Merkmale 13, 21, 24.3 (b) (Halter-Nachweis) und 15, 22, 25 (Dichtungsring-Nachweis) nicht begründet werden. Zu Unrecht stellt das Landgericht nur auf eine im Einzelfall gegebene Eignung (“überhaupt je“) zur Führung dieser Nachweise ab. Ob bei den angegriffenen Ausführungsformen der Nachweis der richtigen Positionierung des Halters sowie des Vorhandenseins des Dichtungsrings erbracht wird, kann aufgrund der Feststellungen des Landgerichts nicht beurteilt werden. Ob eine Benutzung der Lehre des Klagepatents mit anderer Begründung bejaht werden könnte, ist nicht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu prüfen.
a. Die geltend gemachte Kombination der eingetragenen Ansprüche wird von den angegriffenen Ausführungsformen nur dann verletzt, wenn sie so konfiguriert sind, dass sie den Nachweis erbringen, ob der Halter richtig positioniert/in dem Instrument aufgenommen sowie der Dichtungsring in der Vorrichtung vorhanden ist.
(1) Der Anspruch 13 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen nach Anspruch 1 oder 2, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Halter richtig in dem Instrument positioniert ist.
(2) Der Anspruch 16 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen nach Anspruch 1 oder 2, das zudem einen Dichtungsring umfasst, der so konfiguriert ist, dass er auf die Vorrichtung aufgesetzt werden kann, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Dichtungsring in der Vorrichtung vorhanden ist, wenn die Anordnung von dem Instrument funktionell aufgenommen wird.
(3) Der Anspruch 21 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen nach Anspruch 16 oder 17, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Halter in dem Instrument aufgenommen ist.
(4) Anspruch 22 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen gemäß Anspruch 16 oder 17, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Dichtungsring vorhanden ist, nachdem die Anordnung von dem Instrument aufgenommen wurde.
(5) Das System zur Bildung einer Emulsion gemäß Anspruch 24 umfasst u.a. ein Instrument, das so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Halter aufgenommen wurde (LGU, Seite 42 Merkmal 24.3 (b)).
(6) Anspruch 25 bezieht sich auf ein System zur Erzeugung von Tröpfchen gemäß Anspruch 24, das zudem einen Dichtungsring umfasst, der so konfiguriert ist, dass er auf die Vorrichtung gesetzt werden kann, wobei das Instrument so konfiguriert ist, dass es nachweist, ob der Dichtungsring vorhanden ist, nachdem die Anordnung aufgenommen wurde.
b. Mit dem Nachweis der richtigen Positionierung des Halters (1), des Vorhandenseins des Dichtungsrings (2), (4), (6) sowie der Aufnahme des Halters (3), (5) hat sich das Landgericht eingehend auseinandergesetzt (LGU, Seite 47 ff.). Es hat maßgeblich auf die Beschreibung des Klagegebrauchsmusters abgestellt, die sich mit der Funktion des Nachweises von Halter und Dichtungsring befasst (LGU, Seite 48 ff. unter cc)). Das Merkmal des Nachweises der richtigen Positionierung des Halters gemäß Anspruch 13 (1) sei dahingehend auszulegen, dass das Instrument erkennt, wenn/dass der Halter so eingesetzt wird/ist, dass der mit dem Instrument operabel ist, wobei das Erkennen des Vorhandenseins des Halters gleichzeitig das Erkennen des Vorhandenseins an der richtigen Stelle bedeute (LGU, Seite 49).
Da sich aus den Ansprüchen nicht ergebe, wie der Nachweis zu erfolgen habe, könne dieser in jeder beliebigen Weise erbracht werden, d.h. es müsse keine positive Meldung erfolgen. Es reiche auch aus, wenn das System erkenne, ob der Halter richtig eingesetzt sei oder nicht. Sei der Halter richtig eingesetzt, reiche als Nachweis das Funktionieren des Systems ohne Fehlermeldung. Fehle dagegen der Halter oder der Dichtungsring, müsse ein aktiver Nachweis erfolgen, der den Benutzer auf das Hindernis hinweise (LGU, Seite 50 unter (2.)). Dass der Chip-Halter der unmittelbare Gegenstand des Nachweises sein müsse, sei nicht zu fordern. Ein Nachweis könne auch dergestalt erfolgen, dass über das Erkennen eines anderen Gegenstands ein Rückschluss auf das Vorhandensein des Chip-Halters gezogen werden könne (LGU, Seite 51 unter (4.)).
Weder dem Anspruch noch der Beschreibung sei zu entnehmen, dass eine Verlässlichkeit des Nachweises zu verlangen sei. Das Klagegebrauchsmuster sei allerdings verständigerweise dahingehend zu verstehen, dass das System geeignet sein müsse, einen entsprechenden Nachweis zu führen. Ohne die Fähigkeit, überhaupt je einen richtigen Nachweis zu erbringen, wäre das Merkmal sinnlos. Darüberhinausgehende Anforderungen an eine Verlässlichkeit des Nachweises seien jedoch nicht zu fordern.
Der gemäß Anspruch 15 zu erbringende Nachweis sei dahingehend auszulegen, dass das System erkennen könne, ob ein Dichtungsring vorhanden sei oder nicht. Dieser Nachweis könne passiv durch das Funktionieren des Geräts oder aktiv durch eine entsprechende Anzeige über eine Benutzerschnittstelle erfolgen. Dem unterschiedlichen Wortlaut zum Nachweis gemäß Anspruch 13 komme aufgrund der funktionalen Auslegung keine Bedeutung zu. Aussagen zur Verlässlichkeit des Nachweises sowie zum Objekt, anhand dessen der Nachweis zu führen sei, seien dem Anspruch nicht zu entnehmen (LGU, Seite 51 f unter d)).
c. Hiervon ausgehend ist das Landgericht zu der Beurteilung gelangt, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen ein „Nachweis“ des Chip-Halters gemäß den Ansprüchen 13, 21 und 24 erbracht wird. Der hierzu vom Landgericht herangezogene Sachvortrag – Ausgestaltung der Schublade auf der Oberseite entsprechend den korrespondierenden Aussparungen auf dem Chiphalter – steht zwischen den Parteien nicht in Streit. Ebenso wurde der Inhalt des von der Klägerin als Anlage KG 13 vorgelegten Videos ING_1043MOV (Anzeige „Chip holder not Present“ bei Einführung eines Chips ohne Halter und Dichtungsring in die Schublade) nicht in Abrede gestellt.
Den Einwand der Beklagten, die angegriffene Ausführungsform gebe auch dann die Meldung „Chip holder not Present“, wenn ein Chip-Halter, aber kein Chip eingelegt sei (Video gemäß Anlage B 14), hat das Landgericht nicht für durchgreifend erachtet, da die Eignung, den Nachweis zu führen, gegeben sei, wie sich aus dem vorgenannten Video der Klägerin ergebe. Dass der Nachweis stets richtig sein müsse, sei nicht zu verlangen. Auch müsse der Nachweis nicht unmittelbar anhand des Halters erfolgen. Ein mittelbares Erkennen über den vom Halter getragenen Chip stehe der Verwirklichung der Lehre des Gebrauchsmusters nicht entgegen (LGU, Seite 56).
d. Hinsichtlich des Nachweises des Dichtungsrings (Ansprüche 15, 22 und 25) hat sich das Landgericht auf seine Ausführungen zu den Ansprüchen 13, 21 und 24 bezogen. Das Landgericht hat den Vortrag der Klägerin zugrunde gelegt, dass beim Einsetzen eines mit einem mikrofluidischen Chiphalters „10X Chip Holder“ ohne den Dichtungsring „10X Gasket“ in die Schublade nach deren Einfahren auf dem Bildschirm die Anzeige „Error Detected: Check Gasket“ erscheine. Die Einwände der Beklagten hat das Landgericht nicht für durchgreifend erachtet (LGU, Seite 57). Der Nachweis sei erst dann zu führen, wenn das System insgesamt theoretisch funktionsfähig sei. Dies sei erst dann der Fall, wenn die mit Chip-Halter, Chip und Dichtungsring bestückte Schublade in das System eingefahren sei, sodass bei Befüllung des Chips die Druckausübung und damit die Tröpfchenbildung bewerkstelligt werden könne. Der Nachweis des Vorhandenseins des Dichtungsrings werde vom System der Beklagten erbracht. Dass es zu dessen sinnvoller Weiterverarbeitung jedenfalls im Falle des Nichtvorhandenseins des Dichtungsrings der Kenntnisnahme durch den Benutzer bedürfe, sei für die Frage der Verwirklichung des Merkmals unbeachtlich.
e. Auch im Rahmen der in vorliegendem Verfahren lediglich vorzunehmenden summarischen Prüfung hält der Senat die Auslegung des Landgerichts, wonach an die Verlässlichkeit des Nachweises keine Anforderungen zu stellen seien, es reiche aus, dass das System grundsätzlich dazu in der Lage sei, den Nachweis der richtigen Platzierung des Halters und des Vorhandenseins des Dichtungsrings zu führen, nicht mehr für vertretbar. Denn der angesprochene Fachmann wird das Merkmal dahingehend verstehen, dass das System nicht nur „grundsätzlich“ in der Lage ist, einen Nachweis zu erbringen, dass der Halter richtig in dem Instrument positioniert ist, sondern dass ein dahingehender zuverlässiger Nachweis zu erfolgen hat. Die Verwirklichung der Merkmale 13, 15, 21, 22, 24.3(b) und 25 kann somit nicht allein darauf gestützt werden, dass von der Klägerin mit dem Video in einem Fall eine richtige Fehlermeldung belegt wurde. Dies gilt auch dann, wenn man ansonsten der weiten Auslegung des Landgerichts folgt. Damit ist der Beurteilung des Landgerichts zur Verletzungsfrage die Grundlage entzogen. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass das angegriffene System geeignet ist, den Nachweis zu erbringen, dass der Halter richtig in dem Instrument positioniert ist. Vielmehr hat der Senat nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten davon auszugehen, dass die Meldung „Chip holder not Present“ auch in Fallgestaltungen angezeigt wird, in denen der Halter richtig positioniert ist. Auch erfolgt die Anzeige „Check Gasket“ nach dem Vortrag der Beklagten nicht nur dann, wenn der Dichtungsring nicht eingesetzt ist, sondern auch dann, wenn der Dichtungsring eingesetzt ist.
aa. Soweit die Beklagte geltend macht, von der Lehre des Klagepatents werde nur ein positiver Nachweis im Sinne einer Anzeige „Ja/Nein“ erfasst, sieht der Senat das weitergehende Verständnis des Landgerichts nicht als offensichtlich unzutreffend an, auch wenn aufgrund der Tatsache, dass mit einer Vorrichtung bestimmungsgemäß gearbeitet werden kann, nicht ohne weiteres daraus auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Gerätes geschlossen werden kann, was durch den gebrauchsmustergemäßen Nachweis der richtigen Positionierung des Halters sichergestellt werden soll.
Das Landgericht sieht den Nachweis der richtigen Positionierung des Halters gemäß Anspruch 13 dann als erbracht an, wenn das Instrument erkennt, wenn/dass der Halter so eingesetzt wird/ist, dass er mit dem Instrument operabel ist. Es sei ausreichend, wenn das System erkenne, ob ein Halter richtig eingesetzt ist oder nicht. Sei der Halter richtig eingesetzt, reiche als Nachweis das Funktionieren des Systems ohne Fehlermeldung aus. Dies setzt allerdings voraus, dass das System nur dann ohne Fehlermeldung funktionieren kann, wenn der Halter richtig eingesetzt ist, wovon das Landgericht offensichtlich ausgeht, wenn es darauf abstellt, dass die angegriffene Vorrichtung so ausgestaltet ist, dass der Chip-Halter (nur) richtig in die Schublade eingesetzt wird (LGU, Seite 55 unter 3.a 1. Abs.).
bb. Der Auslegung des Landgerichts, der aktive Nachweis im Falle eines Fehlens des Halters müsse nicht verlässlich sein, es reiche aus, wenn im Einzelfall die Meldung „Chip Holder not present“ inhaltlich richtig sei (LGU, Seite 50 unter (3.), kann jedoch nicht gefolgt werden.
Das Landgericht legt seiner Beurteilung zugrunde, dass im Falle des Fehlens des Chip-Halters ein aktiver Nachweis zu erfolgen habe, der den Benutzer auf das Hindernis hinweise.
Hinsichtlich dieses geforderten aktiven Nachweises im Falle des fehlenden Chip-Halters – gleichbedeutend mit der nicht richtigen Positionierung – verweist das Landgericht auf das von der Klägerin vorgelegte Video, das zeige, wie ein Chip ohne Halter und Dichtungsring eingeführt werde, worauf das Gerät über die Benutzerschnittstelle „Chip holder not Present“ anzeige. Diese Feststellungen werden von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Die Beklagte verweist jedoch auf das von ihr vorgelegte Video, wonach die vorgenannte Meldung auch dann angezeigt wird, wenn zwar ein Chip-Halter aber kein Chip eingelegt ist und folgert daraus, dass der Nachweis, ob ein Chip-Halter aufgenommen sei, gerade nicht verlässlich sei. Mit dieser Einwendung der Beklagten hat sich das Landgericht nicht weiter befasst, sondern hält diese für nicht maßgeblich, weil es auf die Verlässlichkeit des Nachweises nicht ankomme. Da der Senat diese Auslegung nicht teilt und diese im Rahmen der im derzeitigen Verfahrensstadium nur möglichen vorläufigen Beurteilung, auch nicht für vertretbar hält, ist der aktive Nachweis der unrichtigen Positionierung des Halters – Fehlen des Halters – im Sinne des Verständnisses des Landgerichts – allein durch das Video der Klägerin nicht erbracht. Damit ist der Einwand der Beklagten nicht widerlegt, wonach von dem System nicht das Fehlen des Halters erkannt und nachgewiesen werde, wofür die inhaltsgleichen Fehlermeldungen bei Vorhandensein des Chip-Halters sprechen. Mit dem Video der Klägerin kann nur belegt werden, dass in einem Fall eine inhaltlich richtige Anzeige – fehlender Halter – erfolgt ist.
Nach Anspruch 13 muss das System nach Anspruch 1 oder 2 so konfiguriert sein, dass es nachweist, ob der Halter richtig in dem Instrument positioniert ist. Hierdurch soll die ordnungsgemäße Handhabung des Systems erleichtert werden. Der Benutzer soll sich – nach der Auslegung des Landgerichts – darauf verlassen können, dass der erforderliche Nachweis der richtigen Positionierung des Halters durch das Funktionieren des Systems ohne Fehlermeldung erbracht wird. Im Falle der nicht richtigen Positionierung des Halters – Fehlen – muss dagegen das System eine aktive Meldung generieren, die den Benutzer auf das Fehlen des Halters hinweist. Ist diese Meldung inhaltlich unrichtig, weil der Halter vorhanden, das System aber aus einem anderen Grund nicht vollständig oder funktionsfähig ist, ist die Anzeige zwar geeignet, den Benutzer hierauf hinzuweisen, sie erbringt jedoch keinen Nachweis des Fehlens des Halters. Im Wortsinn liegt ein „Nachweis“ nur dann vor, wenn die Anzeige, die die richtige/unrichtige Positionierung des Halters „nachweisen“ soll, auch inhaltlich richtig ist. Die inhaltlich unrichtige Meldung „Chip Holder not Present“ im Falle der richtigen Positionierung des Halters ist hierfür ungeeignet. Für das vom Landgericht vom Wortsinn abweichende Verständnis bedürfte es somit dahingehender Anhaltspunkte, wonach die Richtigkeit der Anzeige nur im Einzelfall zu fordern ist. Solche Umstände vermag das angefochtene Urteil nicht aufzuzeigen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
f) Die vorstehenden Ausführungen unter g. gelten auch für den Nachweis des Vorhandenseins des Dichtungsrings, zumal das Landgericht dem unterschiedlichen Wortlaut der Merkmale (richtige Positionierung – Vorhandensein) keine Bedeutung beigemessen hat. Auch hier hat das Landgericht allein auf das von der Klägerin vorgelegte Video abgestellt (LGU, Seite 57 Abs. 1 und 2) und hat den Vortrag der Beklagten zur fehlenden Verlässlichkeit der Anzeigen, u.a. gestützt auf das Video gemäß Anlage B 14, mit der nicht tragfähigen Begründung, auf die Verlässlichkeit des Nachweises komme es nicht an, nicht als maßgeblich angesehen (LGU, Seite 57 Abs. 3).
3. Ob der Zwischenbescheid die Prognose rechtfertigt, dass das Klagegebrauchsmuster unzulässig erweitert wurde bzw. mangels wirksamer Abzweigung die Priorität vom 1.11.2011 nicht in Anspruch nehmen kann (so die Beklagte, vgl. Schriftsätze vom 18. und 24.3.2020) mit der Folge, dass mit seiner Löschung zu rechnen ist, lässt der Senat, da für den Einstellungsantrag nach den vorstehenden Ausführungen nicht mehr entscheidungserheblich, dahingestellt.
Ist ein Löschungsverfahren anhängig, kann das Gericht das Verletzungsverfahren aussetzen, wenn der Ausgang des Löschungsverfahrens für das Verletzungsverfahren vorgreiflich ist (§ 19 Satz 1 GebrMG). Es hat die Aussetzung anzuordnen, wenn das Gericht das Gebrauchsmuster für unwirksam hält (§ 19 Satz 2 GebrMG).
Soweit das Landgericht für diese Entscheidung die gleichen (strengen) Maßstäbe für anwendbar hält, wie sie für Patente gelten (LGU, Seite 67 f. unter E.I), teilt der Senat diese Auffassung allerdings nicht. Bei einem Gebrauchsmuster handelt es sich um ein ungeprüftes Schutzrecht. Seine Eintragung begründet keine Vermutung der Rechtsbeständigkeit (vgl. Senat, GRUR 2020, 385 Tz. 60 = Mitt. 2020, 123) mit der Folge, dass mit der Eintragung des Klagegebrauchsmusters (§ 11 GebrMG) lediglich einhergeht, dass der Löschungsantrag zurückzuweisen ist, wenn sich ein Löschungsgrund nicht feststellen lässt. Maßgeblich ist daher, ob das Landgericht „nach dem strengen Maßstab gemessen“ (LGU, Seite 68 4. Abs.) die Einwände der Beklagten zu Recht für nicht durchgreifend erachtet hat, wobei auch der ergangene Zwischenbescheid des DPMA zu berücksichtigen ist. Nach der ständigen Handhabung des Senats kommt einem qualifizierten Hinweis des BPatG gemäß § 83 PatG im Rahmen der Prüfung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Regel eine erhebliche Bedeutung zu, da dieser in der Regel maßgebliche Anhaltspunkte in Bezug auf den zu erwartenden Ausgang des Verfahrens vor dem BPatG liefert. Ebenso ist die vorläufige Auffassung des DPMA in Gestalt des Zwischenbescheids vom 5.3.2020 im anhängigen Löschungsverfahren zu berücksichtigen.
a. Soweit in dem Zwischenbescheid die vorläufige Einschätzung abgegeben wird, es sei mit einer vollständigen Löschung des Klagegebrauchsmusters zu rechnen, weil es dem Klagegebrauchsmuster sowohl in der mit dem Hauptantrag (Anlage BK 11, Seite 3 f.) als auch mit den Hilfsanträgen 1 – 3 (aaO Seite 4/6) verteidigten Fassung an der erforderlichen Neuheit fehle, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Dieser Beurteilung liegt die Annahme zugrunde, dass das Klagegebrauchsmuster die Prioritäten der US-Anmeldungen vom 1., 2. und 5.11.2010 nicht in Anspruch nehmen kann (Anlage BK 11, Seite 7 unter (b) (ii)) und die drei US-Anmeldungen dem Klagegebrauchsmuster neuheitsschädlich entgegen stehen (aaO Seite 7 ff. unter b (iii)). Dass es sich bei den drei Prioritätsanmeldungen um Stand der Technik handelt, weil diese vor dem 1.11.2011 (Anmeldetag der Stammanmeldung) veröffentlicht wurden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 GebrMG), kann jedoch nicht zugrunde gelegt werden. Die Klagepartei hat im Schriftsatz vom 16.3.2020 ausgeführt, dass die drei Prioritätsanmeldungen erst im Zuge der Veröffentlichung der Stammanmeldung veröffentlicht wurden. Gegenteiliges wird auch von der Beklagten nicht geltend gemacht, wenn diese es als unstreitig darstellt, dass die Veröffentlichung erst im Zuge der Veröffentlichung der Stammanmeldung am 10.12.2012 stattgefunden hat (Schriftsatz vom 18.3.2020, Seite 9).
b. Das Landgericht hat eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der Ansprüche 1, 16 und 24 durch die Entgegenhaltung WO 2010/036 352 A1 (Anlage B 4) verneint mit der Erwägung, die Schublade (tray 666 in Figur 4/65 bzw. Seite 34 Zeilen 18 bis 24) gemäß dieser Entgegenhaltung offenbare jedenfalls keinen anspruchsgemäßen Halter. Nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters handele es sich bei Chip und Halter um getrennte Bestandteile. Dies ergebe sich bereits aus dem Anspruchswortlaut. Der Halter werde nicht als Bestandteil des Chips beschrieben, sondern zusammen mit dem Chip als Bestandteil der Anordnung, die anderenfalls, da nur aus einem Bestandteil bestehend, überflüssig sei.
Dass diese Beurteilung ersichtlich unzutreffend ist, vermag der Senat nicht zu konstatieren.
c. Das Landgericht ist zu der Beurteilung gelangt, dass das Klagegebrauchsmuster die Priorität vom 1.11.2011 in Anspruch nehmen kann und ihm folglich die Stammanmeldung und die Teilanmeldung nicht neuheitschädlich entgegenstehen (LGU, Seite 60 ff. unter D.I). Dies hängt von der Frage ab, ob die Abzweigung wirksam erfolgt ist, was vom Landgericht mit der Begründung bejaht wird, dass sich das Vorliegen derselben Erfindung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 GebrMG danach richte, ob die Lehre des Gebrauchsmusters in der Teilanmeldung als zur Erfindung gehörig offenbart worden sei, wobei es nicht erforderlich sei, dass der durch den Offenbarungsgehalt bestimmte Gegenstand der Patentanmeldung zum Inhalt eines Schutzanspruches gemacht worden sei. Danach sei festzustellen, dass die mit der Teilanmeldung offenbarte Erfindung nicht auf Verfahren zur Herstellung konzentrierter Emulsionen beschränkt sei, sondern auch ein mit dem Klagegebrauchsmuster beanspruchtes System zur Erzeugung von Emulsionen umfasse. Der Teilanmeldung könne auch nicht die Absicht entnommen werden, nur noch ein Verfahren zur Herstellung konzentrierter Emulsionen zu beanspruchen. Für den Anmelder bestehe sowohl im Prüfungswie auch im Einspruchsverfahren die Möglichkeit, seine Ansprüche zu ändern.
aa. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, das Landgericht hätte den Rechtsstreit bereits deshalb aussetzen müssen, weil die Frage der Erfindungsidentität im Sinne von § 5 Abs. 1 GebrMG noch nicht höchstrichterlich geklärt sei (Schriftsatz vom 11.2.2020), kann dem nicht gefolgt werden. Dass das Landgericht einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat, wenn es darauf abstellt, welcher Offenbarungsgehalt in der Teilanmeldung hätte ausgeschöpft werden können, kann nicht festgestellt werden. Seit dem Beschluss des BPatG vom 19.10.1994 (BPatGE 35, 1 = GRUR 1995, 486) ist die Frage nach der Wirksamkeit der Abzweigung in Bezug auf das Vorliegen „derselben Erfindung“ nach herrschender Meinung danach zu beurteilen, ob der Gegenstand der abgezweigten Gebrauchsmusteranmeldung in der zugrundeliegenden Patentanmeldung zwar nicht in wörtlicher Übereinstimmung, aber doch für den Fachmann ohne weiteres erkennbar offenbart ist. Ebenso vertritt das OLG Düsseldorf (Urt. v. 26.4.2007 – 2 U 59/03, BeckRS 2007, 12956; Urt. v. 2.9.2010 – 2 U 24/10, juris Tz. 38) die Auffassung, dass auf die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen abzustellen ist und es nicht erforderlich ist, dass die in der Patentanmeldung zur Erfindung gehörig offenbarten Beschreibungsstellen nicht in Schutzansprüchen beschrieben sind (vgl. auch Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 5 GebrMG Rn. 8; Benkard/Goebel/Engel, PatG, 8. Aufl., § 5 GebrMG Rn. 5; Loth/Pantze, GebrMG, 2. Aufl., § 5 Rn. 8; Bühring, GebrMG, 8. Aufl., § 5 Rn. 27 ff.). Davon ist auch das DPMA im Zwischenbescheid vom 5.3.2020 (Anlage BK 11, Seite 7 unter (b) (i) 1. Abs.) ausgegangen.
Ist nach dieser h.M. auch auf die in der Beschreibung enthaltene Offenbarung der früheren Patentanmeldung (hier: Teilanmeldung) abzustellen, ist es ohne Bedeutung, ob und mit welchem Inhalt diese zur Erteilung gelangt (vgl. BeckOK PatR/Gleicher/Fischer, § 5 GebrMG Rn. 26 f.).
bb. Der Zwischenbescheid des DPMA (a.a.O. Seite 7, 2. Abs.) lässt die Wirksamkeit der Abzweigung aufgrund der fehlenden Offenbarung für das letzte Merkmal des Hauptanspruchs (bzw. des Anspruchs 13 der eingetragenen Fassung) in der Teilanmeldung (= Stammanmeldung im Sinne des Zwischenbescheids, vgl. Anlage BK 11, Seite 2 1. Abs.) offen.
Wie die Beklagte zutreffend ausführt, geht der Zwischenbescheid offensichtlich davon aus, dass das Merkmal des Halter-Nachweises in der beanspruchten Allgemeinheit in der Teilanmeldung (Anlage B 1) nicht offenbart ist. Hiervon ausgehend läge der Löschungsgrund des § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG vor und das Klagegebrauchsmuster könnte nicht die Priorität vom 1.11.2011 in Anspruch nehmen mit der Folge, dass sowohl die Prioriätsdokumente als auch die Stamm- und Teilanmeldung als Stand der Technik zu berücksichtigen wären. Dies bedarf aber aus den vorstehend genannten Gründen keiner weiteren Erörterung im Rahmen der vorliegenden Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob diese Beurteilung auch Auswirkung auf alle geltend gemachten Merkmalskombinationen haben kann.
d. Das Landgericht hat eine unzulässige Erweiterung im Übrigen verneint (LGU, Seite 64 ff. unter D.III). Dies steht in Einklang mit der vorläufigen Beurteilung im Zwischenbescheid (Anlage BK 11, Seite 6 unter 2.(a), Seite 9 unter 3. (a), Seite 10 unter 4. (a) und 5. (a)).
e. Das Landgericht ist der Argumentation der Beklagten, bei den geltend gemachten Anspruchskombinationen handele es sich jeweils um eine Kombination bekannter Merkmale ohne einen daraus resultierenden überraschenden (technischen) Effekt, nicht gefolgt (LGU, Seite 71 ff.). Auch diese Beurteilung kann nicht als offensichtlich unzutreffend qualifiziert werden.
4. Bei der Höhe der Sicherheitsleistung hat sich der Senat an der im Zwischenurteil vom 16.1.2020, berichtigt mit Beschluss vom 31.1.2020 festgesetzten Sicherheit orientiert.


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