Europarecht

Elterngeldanspruch für Angehörige von in Deutschland stationierten US-Soldaten

Aktenzeichen  S 3 EG 7/17

Datum:
11.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154889
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG §§ 87 ff.
BErzGG § 1 Abs. 8
NATOTrStatZAbk Art. 13 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Der Anspruch auf Elterngeld nach dem BEEG ist nicht durch Art. 13 ZA-Nato-Truppenstatut ausgeschlossen. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 18.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2017 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Elterngeld für N. für das 1. – 10. Lebensmonat in Höhe von 375,- € und für das 11. – 12. Lebensmonat in Höhe von 300,- € zu gewähren.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die von der Klägerin gemäß den §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 18.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Gewährung von Elterngeld für die Zeit vom 06.10.2016 bis 05.10.2017 in der zugesprochenen Höhe.
Der geltend gemachte Anspruch auf Elterngeld und die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide beurteilen sich nach den gültigen Vorschriften des BEEG. Hiernach erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEEG dem Grunde nach, weil sie während des geltend gemachten Bezugszeitraums (06.10.2016 bis 05.10.2017) ihren Wohnsitz in Deutschland hat (Nr.1), mit ihrem Sohn in einem Haushalt lebt (Nr. 2), den Sohn selbst betreut und erzieht (Nr. 3) und keine Erwerbstätigkeit ausübt (Nr. 4).
Eine Anwendung der Bestimmungen des BEEG im streitigen Zeitraum ist nach Ansicht der Kammer auch nicht durch Art. 13 ZA-Nato-Truppenstatut ausgeschlossen. Das BSG hat hierzu (B 10 EG 11/09 R) ausgeführt:
„Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATOTrStatZAbk erfasst nicht sämtliche mögliche Ansprüche des betroffenen Personenkreises aus dem bundesdeutschen System der sozialen Sicherheit und Fürsorge. Er schließt, wie das BSG bereits entschieden hat (grundlegend Urteil vom 25.2.1992 – 4 RA 34/91 – BSGE 70, 138, 143 = SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 2, S. 11; BSG Urteil vom 2.10.1997 – 14/10 RKg 12/96 – SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 8, S. 41), als Ausnahmevorschrift die genannten Ansprüche der Mitglieder der Truppe, des zivilen Gefolges und der Angehörigen dieser Personen nur aus, wenn und soweit deutsche Sozialrechtsnormen für diese Personen Rechte oder Pflichten allein schon wegen des Umstands begründen würden, dass sie sich im Bundesgebiet tatsächlich aufhalten. Denn es wäre unangemessen, für diese Personen allein wegen ihres tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland und ihren Beziehungen untereinander oder zu der jeweiligen Truppe Rechte und Pflichten durch deutsche Bestimmungen der sozialen Sicherheit und Fürsorge zu begründen. Hingegen findet deutsches Sozialrecht uneingeschränkt Anwendung, wenn und soweit seine Normen für die Gestaltung von Rechtsverhältnissen zu deutschen Leistungsträgern (§ 12 SGB I) an andere Umstände (zB Beziehungen dieser Personen zu anderen inländischen Rechtssubjekten) anknüpfen, insbesondere wenn von den von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATOTrStatZAbk erfassten Personen außerhalb der Mitgliedschaft zu den Streitkräften oder ihrem zivilen Gefolge rechtliche Beziehungen zur deutschen Sozialversicherung begründet worden sind (s nur BSG SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 8, S. 42).
Dieses enge, rein kollisionsrechtliche Verständnis des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATOTrStatZAbk stimmt überein mit den Darlegungen der Denkschrift (BT-Drucks III/2146 S. 235), wonach es der Stellung der ausländischen Streitkräfte in Deutschland nicht gerecht werden würde, wenn ihre Mitglieder, deren Zugehörigkeit zu den Streitkräften auf die militärische Organisation des Entsendestaates zurückgeht, in die sie eingeordnet sind, mit ihren Angehörigen sozialversicherungsrechtlich so behandelt würden, als ob sie bei einem Arbeitgeber oder Dienstherrn im gewöhnlichen Sinne in der Bundesrepublik Deutschland in abhängiger Beschäftigung tätig würden. Die Streitkräfte, ihre Mitglieder und die Angehörigen befänden sich aufgrund besonderer Abmachungen im Bundesgebiet, die es nicht sinnvoll erscheinen ließen, die Beziehungen des einzelnen Mitglieds zu den Streitkräften als Beschäftigung iS des deutschen Sozialversicherungsrechts anzusehen. Demgemäß sollten die Entsendestaaten und nicht die deutschen Stellen für die soziale Sicherheit dieser Personen verantwortlich sein. Ähnliche Überlegungen gälten für die Betreuung dieser Personen in Fällen der Not. Anders sei es, wenn rechtliche Beziehungen zur deutschen Sozialversicherung außerhalb der Mitgliedschaft zu den Streitkräften begründet worden seien oder hergestellt würden. Es bestehe kein Grund, diese rechtlichen Beziehungen zu beschneiden, weil es sich gleichzeitig um Mitglieder der Streitkräfte oder Angehörige handele.
Diese Konzeption kommt deutlich in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 NATOTrStatZAbk zum Ausdruck, wonach Rechte und Pflichten, die diesen Personen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit während eines früheren Aufenthalts im Bundesgebiet erwachsen sind, unberührt bleiben und die Zugehörigkeit zu dem betroffenen Personenkreis ferner nicht die Möglichkeit ausschließt, dass in der deutschen sozialen Kranken- und Rentenversicherung zum Zwecke der freiwilligen Weiterversicherung Beiträge geleistet (Hervorhebung durch die Kammer) werden und im Rahmen einer bestehenden Versicherung Rechte entstehen und geltend gemacht werden. Auch darauf hat das BSG in seiner grundlegenden Entscheidung vom 25.2.1992 (BSGE 70, 138, 145 = SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 2 S. 13) bereits hingewiesen. Auch auf den Inhalt des Art. 56 Abs. 3 sowie den weiteren Inhalt des Art. 13 Abs. 2 NATOTrStatZAbk, die diese enge kollisionsrechtliche Auslegung des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATOTrStatZAbk stützen, hat das BSG bereits aufmerksam gemacht (BSG aaO).
Dieses Verständnis des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATOTrStatZAbk entspricht auch der Rechtsauffassung, die die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren des BEEG geäußert hat. Der ursprüngliche, von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vorgelegte, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes (BT-Drucks 16/1889) hatte – anders als etwa § 1 Abs. 8 BErzGG – den Personenkreis der Ehegatten oder Lebenspartner von Mitgliedern der Truppe oder des zivilen Gefolges eines NATO-Mitgliedstaates nicht angesprochen. Demgegenüber hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 7.7.2006 zum Gesetzentwurf (BT-Drucks 16/2454 S. 9) die Ergänzung des § 1 um einen dem § 1 Abs. 8 BErzGG gleichen Abs. 8 vorgeschlagen, weil die Versagung des Elterngeldes für den betroffenen Personenkreis mit der Zielsetzung des Elterngeldes, insbesondere als Ersatz eines ausfallenden Einkommens, nicht vereinbar sei (BT-Drucks 16/2454 aaO). Dem ist die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vom 25.8.2006 (BT-Drucks 16/2454) entgegengetreten. Dem Anliegen des Bundesrates könne nicht gefolgt werden. Auch ohne die vorgeschlagene Ergänzung des § 1 BEEG seien Ansprüche von Ehegatten der NATO-Truppenmitglieder bzw der Mitglieder des zivilen Gefolges nicht gänzlich ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des BSG hätten Ehegatten, bei denen zusätzliche Umstände vorlägen, durch welche rechtliche Beziehungen zur sozialen Sicherheit und Fürsorge in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt würden, durchaus einen Anspruch auf deutsche Familienleistungen (BT-Drucks 16/2454 S. 12).
Nach alledem enthält Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATOTrStatZAbk eine Kollisionsregel, die festlegt, dass deutsches Sozialrecht – ausnahmsweise – auf die dem internen Bereich der ausländischen Streitkräfte zugeordneten Personen nicht anzuwenden ist, wenn und solange sie sich im Bundesgebiet aufhalten und nur Beziehungen zum Entsendestaat oder untereinander haben. Deutsches Sozialrecht kann und muss dagegen uneingeschränkt angewendet werden, wenn (soweit und solange) diese Personen rechtliche oder tatsächliche Beziehungen zu Dritten, dh zu anderen, nicht „entsandten“ Personen (Rechtssubjekten) unterhalten, und diese Beziehungen in dem jeweiligen sozialrechtlichen Zusammenhang relevant sind (vgl BSGE 70, 138, 145 = SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 2 S. 13 f).
Welcher Art und welchen Umfangs die ein Eingreifen des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATOTrStatZAbk ausschließenden und damit die Anwendbarkeit des deutschen Sozialrechts begründenden Rechtsbeziehungen sein müssen, kann sich nur nach dem (streitigen) Anspruch auf eine Sozialleistung bestimmen. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des LSG ist dafür keineswegs stets erforderlich (Hervorhebung durch die Kammer), dass der Angehörige des NATO-Truppenmitglieds als abhängig Beschäftigter oder als Selbstständiger in alle Zweige der deutschen Sozialversicherung einbezogen ist oder war (Hervorhebung durch die Kammer) (vgl dazu BSG Urteil vom 18.7.1989 – 10 RKg 21/88 – SozR 6180 Art. 13 Nr. 6; Urteil vom 15.12.1992 – 10 RKg 22/91 – SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 3). Es reicht vielmehr aus, dass für den Anspruch auf die betreffende Sozialleistung ein Tatbestandsmerkmal erfüllt sein muss und erfüllt ist, das außerhalb des „NATO-Bereichs“ liegt (vgl dazu allgemein BSG SozR 6180 Art. 13 Nr. 1; BSG SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 5). Das BSG hat nur in den Fällen auf das Erfordernis einer intensiven Beziehung zur deutschen Sozialversicherung abgestellt, in denen es nach den Anspruchsvoraussetzungen selbst an einem Merkmal fehlt, das über den NATO-Bereich hinaus reicht. Beim Elterngeld gibt es jedoch ein solches Merkmal. Auf Angehörige von NATO-Truppenmitgliedern ist der Erste Abschnitt des BEEG über das Elterngeld anwendbar, wenn sie vor der Geburt des betreuten Kindes durch Erwerbstätigkeit Einkommen außerhalb des Bereichs der NATO-Truppen erzielt haben.
Nach der Konzeption des BEEG steht der Anspruch auf Elterngeld bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEEG dem Grunde nach zwar allen Personen zu, gleichgültig ob sie vor der Geburt des Kindes erwerbstätig waren oder nicht. Die Höhe der Leistung wird jedoch besonders bemessen, wenn die Einkommensersatzfunktion des Elterngeldes zum Tragen kommt. (…).
Hat der anspruchstellende Angehörige eines NATO-Truppenmitglieds vor der Geburt des Kindes in Deutschland außerhalb der NATO-Streitkräfte Einkommen aus abhängiger Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit erzielt, erfüllt er die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 iVm Abs. 7 bis 9 BEEG und damit ein Merkmal, das über den vom NATOTrStatZAbk erfassten Bereich hinausreicht (Zitat Ende).“
Vor diesem rechtlichen -vom BSG ausführlich begründeten – Hintergrund hat die Kammer die Überzeugung gewonnen, dass die Klägerin nicht nur Beziehungen zum Entsendestaat ihres Ehegatten (USA) hat, sondern durch die die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bei der DAK in das deutsche Sozialversicherungssystem einbezogen ist.
Die Kammer ist entgegen der Meinung des Beklagten der Ansicht, dass eine freiwillige Versicherung in der Krankenversicherung ausreicht, um die rechtlich geforderte erforderliche Einbeziehung in das Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland aufrecht zu erhalten. Eine solche Einbeziehung hat mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung vor der Geburt des ersten Kindes zweifellos bestanden. Für die Kammer ist kein relevanter Umstand ersichtlich, wonach diese Einbindung in das soziale System verloren gegangen sein soll. Nach der Geburt des ersten Kindes hat die Klägerin Elterngeld bezogen und hat aus nachvollziehbaren Gründen keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt. Eine weitere Einbindung in das soziale System lag und liegt mit der freiwilligen Krankenversicherung aber fortwährend vor. Hierbei ist zu beachten, dass die Klägerin über ihren Ehemann in das amerikanische Krankenversicherungssystem einbezogen wäre und die freiwillige Versicherung extra abgeschlossen werden muss.
Damit steht der Klägerin der Mindestbetrag an Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate von N. zu, wobei für die ersten zehn Monate noch ein Zuschlag für das erstgeborene Kind L. zu gewähren ist.
Der Klage war deshalb stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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