Europarecht

Entfallen der Täuschung über die Zulassungsfähigkeit eines abgasmanipulierten Kfz durch Aufklärung beim Kauf

Aktenzeichen  20 U 4561/19

Datum:
4.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16621
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FZV § 5 Abs. 1
VO EG Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Zwar stellt das Inverkehrbringen des Motors des Typs EA 189 mit Umschaltlogik grundsätzlich eine konkludente Täuschung der Endkunden durch die VW AG dar. Denn mit der Inverkehrgabe des Motors hat sie jedenfalls konkludent zum Ausdruck gebracht, dass damit ausgerüstete Fahrzeuge entsprechend ihrem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt eingesetzt werden dürfen. Dies war vor Aufspielen des Software-Updates nicht der Fall, da die im Motor des Typs EA 189 verwendete Motorsteuerungssoftware eine Umschaltlogik enthielt, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 II 1 der VO [EG] Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist, so dass die Entziehung der EG-Typengenehmigung bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen und in der Folge eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge nach § 5 Abs. 1 FZV drohte. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird die konkludente Täuschung allerdings gegenüber dem Endkunden bei Vertragsschluss vollumfänglich offengelegt, indem ihm mitgeteilt wird, dass der im betreffenden Fahrzeug verbaute Dieselmotor des Typs EA 189 eine Software verwendet, „die Stickoxidwerte (NOx) im Prüflaufstand (NEFZ) optimiert“, entfällt die Grundlage dafür, dass der Endkunde von einer Regelkonformität des in Verkehr gebrachten Fahrzeug ausgehen und annehmen darf, dass der Einsatz des Fahrzeugs im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist.  (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

20 U 4561/19 2019-12-02 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10.07.2019, Aktenzeichen 83 O 3812/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.864,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Landshut vom 10.07.2019 Bezug genommen. Änderungen oder Ergänzungen im Sachverhalt haben sich im Berufungsverfahren nicht ergeben.
Die Klagepartei wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Abweisung ihrer Klage. Sie begehrt die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und wie in erster Instanz Feststellung, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagtenpartei resultieren. Ferner begehrt sie die Freistellung von den entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Auf die Berufungsbegründung vom 25.11.2019 (Bd. IV Bl. 8/49 d.A.) wird verwiesen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 02.12.2019 (Bd. IV Bl. 50/55 d.A.), der Klagepartei zugestellt am 03.12.2019, darauf hingewiesen, dass er die einstimmige Zurückweisung des Rechtsmittels gem. § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtigt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10.07.2019, Aktenzeichen 83 O 3812/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Auch die Ausführungen der Klagepartei in ihrer Gegenerklärung vom 20.01.2020 (Bd. IV Bl. 58/71 d.A.) führen zu keiner anderen Beurteilung.
1. Soweit die Klagepartei der Gegenerklärung verschiedene landgerichtliche Urteile aufzählt, die angeblich Klagen, bei welchen die Fahrzeuge erst nach der adhoc-Mitteilung der Beklagten erworben wurden, auf Schadensersatz aus Delikt gegen die Beklagte stattgegeben haben, vermag dies nichts an der mit Hinweisbeschluss dargelegten Beurteilung des hier konkret vorliegenden Einzelfalles zu ändern.
2. Die Klagepartei ist der Ansicht, dass ein Anspruch eines Käufers nur verneint werden könne, wenn der Käufer zum Zeitpunkt des Kaufs Kenntnis von den von der Klagepartei behaupteten negativen Folgen des Software-Update hatte. Dem kann nicht gefolgt werden:
Zwar stellt das Inverkehrbringen des Motors des Typs EA 189 mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik grundsätzlich eine konkludente Täuschung der Endkunden durch die Beklagte dar (vgl. OLG München, Urteil vom 15.01.2010, 20 U 3219/18, juris Rn. 22 ff.). Denn mit der Inverkehrgabe des streitgegenständlichen Motors hat die Beklagte jedenfalls konkludent zum Ausdruck gebracht, dass damit ausgerüstete Fahrzeuge entsprechend ihrem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt eingesetzt werden dürfen. Dies war vor Aufspielen des Software-Updates nicht der Fall, da die im Motor des Typs EA 189 verwendete Motorsteuerungssoftware eine Umschaltlogik enthielt, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 II 1 der VO [EG] Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist, so dass die Entziehung der EG-Typengenehmigung bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen und in der Folge eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge nach § 5 Abs. 1 FZV drohte.
Im vorliegenden Fall wurde die konkludente Täuschung allerdings gegenüber der Klagepartei bei Vertragsschluss vollumfänglich offengelegt, indem ihr mitgeteilt wurde, dass der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Dieselmotor des Typs EA 189 eine Software verwende, „die Stickoxidwerte (NOx) im Prüflaufstand (NEFZ) optimiert“ (vgl. Anlage R 22). Dies bedeutet, dass entgegen der durch das Inverkehrbringen abgegebenen Erklärung das Fahrzeug nicht regelkonform war.
Durch diese Information aber entfiel gleichzeitig die Grundlage dafür, dass der Endkunde von einer Regelkonformität des in Verkehr gebrachten Fahrzeug ausgehen und annehmen durfte, dass der Einsatz des Fahrzeugs im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig sei. Eine Kenntnis von der vorangegangenen Täuschungshandlung der Beklagten setzt darüber hinaus nicht voraus, dass der Klagepartei die möglichen Auswirkungen des Fahrzeugmangels bekannt waren.
3. Soweit die Klagepartei der Ansicht ist, dass weder die Täuschung noch der Täuschungsvorsatz der Beklagten durch das öffentliche Bekanntwerden des Dieselskandals entfallen sei, verkennt sie, dass es nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall, wie im Hinweisbeschluss darstellt, bereits an der Kausalität der Täuschung der Beklagten für die Kaufentscheidung mangelt. Die Ausführungen der Klagepartei, dass weder die Täuschung noch der Täuschungsvorsatz der Beklagten durch das öffentliche Bekanntwerden des Dieselskandals entfallen sind, sind daher ohne Belang.
4. Ferner trägt die Klagepartei vor, das Software-Update habe nicht zur Herstellung eines ordnungsgemäßen Zustands des Fahrzeugs geführt, sondern vielmehr sei mit dem Software-Update eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung installiert worden. Das Inverkehrbringen des Software-Updates stellt nach Ansicht der Klagepartei eine erneute Täuschung der Beklagten dar. Mithin seien vor diesem Hintergrund die Ansprüche der Klagepartei begründet.
Dem kann nicht gefolgt werden: Zum einen fehlt es hier bereits am Vortrag, welche konkreten negativen Auswirkungen das Software-Update am streitgegenständlichen Fahrzeug zur Folge hatte. Davon abgesehen, fehlt es jedenfalls am Nachweis der Sittenwidrigkeit des Inverkehrbringens des Software-Updates. Eine Sittenwidrigkeit kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, 3 U 148/18, juris Rdnr. 6). Dass auf Seiten der Beklagten im Hinblick auf das Inverkehrbringens Software-Updates das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder dargetan noch ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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