Europarecht

Erfolglose Anfechtungsklage – vorläufige Sicherung eines Überschwemmungsgebiet durch Allgemeinverfügung

Aktenzeichen  Au 9 K 15.554

Datum:
15.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19662
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
WHG § 76, § 78 Abs. 1, Abs. 6
BayWG Art. 46, Art. 47, § 63
BayVwVfG Art. 35 S. 2
GG Art. 28 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ob die vom Rechtschutzsuchenden gewählte Klageart nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung statthaft und die Klage somit zulässig ist, richtet sich nach der von der Behörde gewählten Handlungsform. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ermittlung der Überschwemmungsgebiete gemäß Art. 46 BayWG, § 76 WHG beruht auf einer Prognoseentscheidung der wasserwirtschaftlichen Fachbehörden, die sich unabhängig vom Einzelfall und seit vielen Jahren mit den wasserwirtschaftlichen Verhältnissen beschäftigen. Ihren amtlichen Auskünften und Gutachten kommt entsprechend ihrer herausgehobenen Stellung gemäß Art. 63 Abs. 3 S. 1 u 2 BayWG grundsätzlich ein erhebliches Gewicht für die Überzeugungsbildung auch der Gerichte zu. An die Darlegungslast, dass die Ermittlung unrichtig sei, sind daher erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Exekutive kommt nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Maßstäben ein eigener, verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer administrativer Beurteilungsspielraum zu. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein gesondertes Verfahren wird landesrechtlich für die Ermittlung der Überschwemmungsgebiete nicht vorgeschrieben (Art. 46 Abs. 2 BayWG). Vielmehr lässt Art. 47 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 BayWG für die Ermittlung eines vom Bemessungshochwasser betroffenen Überschwemmungsgebiets sogar zu, den Flächenumgriff auf Grund geeigneter Höhenangaben und früherer Hochwasserereignisse zu schätzen, soweit eine genauere Ermittlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich wäre. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Die mit der Klage angegriffene Allgemeinverfügung des Landratsamtes … vom 19. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in eigenen, von der Rechtsordnung als schützenswert anerkannten subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft.
a) Ob die vom Rechtschutzsuchenden gewählte Klageart nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung statthaft und die Klage somit zulässig ist, richtet sich nach der von der Behörde gewählten Handlungsform. Denn es wäre mit der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar, wenn der Betroffene durch die Wahl der Rechtsform Verwaltungsakt zur Erhebung der Anfechtungsklage veranlasst wird, die dann in Ermangelung der für das Vorliegen eines Verwaltungsakts im Sinn von Art. 35 VwVfG erforderlichen Voraussetzungen ohne weitere Prüfung als unzulässig abgewiesen werden würde. Mit der getroffenen Wahl der Behörde für eine bestimmte Rechtsform eröffnet diese damit auch den hiermit verbundenen Rechtsschutz (BVerwG, U.v. 26.6.1987 – 8 C 21.86 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 15.11.2002 – 3 CS 02.2258 – juris Rn. 9). Aufgrund der Tatsache, dass der Beklagte selbst für die von ihm vorgenommene vorläufige Sicherung des Überschwemmungsgebiets an der … und der … mit … die Rechtsform einer Allgemeinverfügung im Sinn von Art. 35 Satz 2 VwVfG gewählt hat und in der der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung:auf die Möglichkeit einer Anfechtungsklage verweist, wurde der Rechtsschutz aus § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO eröffnet und die vom Beklagten getroffene Maßnahme – vorläufige Sicherung des Überschwemmungsgebiets an der … und … mit … – dem Regime der Verwaltungsgerichtsordnung unterworfen. Die von der Klägerin ergriffene Anfechtungsklage ist daher statthaft. Es bedarf insoweit keiner Entscheidung über die streitigen Rechtsfragen zur Rechtsnatur der vorläufigen Sicherung eines Überschwemmungsgebietes gemäß § 76 Abs. 3 WHG (vgl. zum Streitstand Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp – SZDK – § 76 WHG, Rn. 33 ff.; VG Augsburg, U.v. 19. Februar 2013 – Au 3 K 12.1265 – juris Rn. 30 ff., Rn. 43 ff.; Hünnekens in Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand: Februar 2019, § 76 WHG, Rn. 35; Breuer, NuR 2006, 614 ff.).
b) Die Klägerin ist auch klagebefugt.
Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Eine Anfechtungsklage ist nur dann nach § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (vgl. BVerwG, U.v. 20.3.1964 – VII C 10.61 – BVerwGE 18, 154; BayVGH, U.v. 9.8.2012 – 8 A 10.40048 – juris Rn. 21). Die insoweit an den klägerischen Sachvortrag zu stellenden Anforderungen dürfen – mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG – dabei nicht überspannt werden (stRspr, z.B. BVerwG, U.v. 28.6.2000 – 11 C 13.99 – BVerwGE 111, 276 = juris Rn. 41).
Die Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich aus der möglichen Beeinträchtigung der nach Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 Bayerische Verfassung (BV) verfassungsrechtlich gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, die auch die Planungshoheit einschließt (BVerfG, B.v. 7.10.1980 – 2 BvR 584/76 u.a. – BVerfGE 56, 310; BVerwG, U.v. 15.4.1999 – 4 VR 18/98, 4 A 45/98 – juris Rn. 8). Zwar dienen die Vorschriften über den Hochwasserschutz grundsätzlich dem öffentlichen Interesse und verfolgen nicht das Ziel, darüberhinausgehende Individualinteressen als solche normativ zu schützen. Ihr Ziel ist in erster Linie der vorsorgenden Risikovermeidung, weshalb es bereits an einem bestimmbaren Personenkreis mangelt, dessen Interessen durch die Bestimmungen geschützt sein sollen (Hünnekens in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Feb. 2019, Vor §§ 72 – 81 WHG, Rn. 36). Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die nach § 76 Abs. 3 WHG vorgenommene vorläufige Sicherung des Überschwemmungsgebiets zunächst der Information der potenziell betroffenen Bevölkerung über das Vorliegen eines Überschwemmungsgebiets und der daraus resultierenden Rechtslage dient (§ 76 Abs. 4 Satz 2 WHG), erscheint im Hinblick auf die zumindest mittelbaren Geltung des § 78 Abs. 6 i.V.m. § 78 Abs. 1 bis 5 WHG nicht ausgeschlossen, dass das dort ausgesprochene bundesgesetzliche Verbot der Ausweisung neuer Baugebiete in § 78 Abs. 6 WHG i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG die Planungshoheit der Klägerin zumindest einschränken kann (so VG Augsburg, U.v. 19.2.2013 – Au 3 K 12.1265 – juris Rn. 43; Rossi in SZDK, a.a.O., § 76 WHG Rn. 39 f.). Eine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit der Klägerin als Kernbereich der in Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV garantierten gemeindlichen Selbstverwaltung erscheint unter Berücksichtigung des Vortrags, ein großer Teil des Gemeindegebiets (nach den Darlegungen der Klägerin ca. 35% unter Gesamtbetrachtung der bekannt gemachten vorläufigen Überschwemmungsgebiete) werde einer Planung (Bauleitplanung) entzogen, daher zumindest nicht eindeutig und offensichtlich ausgeschlossen.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die mit der Klage angegriffene Allgemeinverfügung des Landratsamtes … vom 19. März 2015 ist rechtmäßig und damit nicht geeignet, die Klägerin in eigenen subjektiv-öffentlichen Rechten zu verletzen.
a) Der mit der Klage angegriffene Verwaltungsakt findet seine Rechtsgrundlage in § 76 WHG i.V.m. Art. 46, 47 BayWG. Nach § 76 Abs. 2 WHG setzt die Landesregierung durch Rechtsverordnung innerhalb der Hochwasserrisikogebiete oder der nach § 73 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 WHG zugeordneten Gebiete mindestens die Gebiete als Überschwemmungsgebiet fest, in denen ein Hochwasserereignis statistisch einmal in 100 Jahren zu erwarten ist. Noch nicht nach § 76 Abs. 2 WHG festgesetzte Überschwemmungsgebiete sind zu ermitteln, in Kartenform darzustellen und vorläufig zu sichern (§ 76 Abs. 3 WHG). Das hierbei zu beachtende Verfahren richtet sich nach dem jeweiligen Landesrecht. Ausführend hierzu bestimmt Art. 47 Abs. 2 Satz 1 BayWG für die Sicherung vorläufiger Überschwemmungsgebiete, dass Überschwemmungsgebiete im Sinn des § 76 Abs. 2 WHG und Wildbachgefährdungsbereiche, die von den wasserwirtschaftlichen Fachbehörden oder von den Gemeinden ermittelt und kartiert wurden und noch nicht als Überschwemmungsgebiete festgesetzt sind, als vorläufig gesicherte Überschwemmungsgebiete gelten, wenn sie als solche ortsüblich bekanntgemacht sind. Diese Bekanntmachung hat die Kreisverwaltungsbehörde innerhalb von drei Monaten nach Übermittlung der vollständigen, von den wasserwirtschaftlichen Fachbehörden erstellten Karten zu bewirken (Art. 47 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BayWG). Bezüglich der Ermittlung von Überschwemmungsgebieten ist in Art. 46 BayWG lediglich bestimmt, dass dieser ein Hochwasserereignis zugrunde zu legen ist, das statistisch einmal in 100 Jahren zu erwarten ist (Bemessungshochwasser); für die Ermittlung des vom Bemessungshochwasser betroffenen Überschwemmungsgebiets kann, soweit eine genauere Ermittlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, der Flächenumgriff auch auf Grund geeigneter Höhenangaben und früherer Hochwasserereignisse geschätzt werden (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BayWG). Für Gewässer und Gewässerabschnitte im Wirkungsbereich von Stauanlagen, die den Hochwasserabfluss maßgeblich beeinflussen können, ist ein gesondertes Bemessungshochwasser zu ermitteln, das im Einzelfall auf der Grundlage der allgemein anerkannten Regeln der Technik von den wasserwirtschaftlichen Fachbehörden festgelegt wird.
b) Der Beklagte hat in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung vom 19. März 2015 über das vorläufig gesicherte Überschwemmungsgebiet an der … und der … mit … die gesetzlichen Vorgaben eingehalten und die Überschwemmungsgebiete zutreffend ermittelt.
aa) Rechtliche Bedenken hinsichtlich des Verfahrens der Bekanntmachung der vorläufigen Sicherung der Überschwemmungsgebiete wurden weder von der Klägerin vorgetragen, noch sind solche erkennbar.
bb) Die Klägerin macht geltend, das der Bekanntmachung zeitlich vorgelagerte Ermittlungsverfahren zur Festlegung der vorläufigen Überschwemmungsgebiete sei seitens der wasserwirtschaftlichen Fachbehörden fehlerhaft durchgeführt worden. Dieses Verfahren ist jedoch, soweit es von der Klägerin überhaupt angegriffen werden kann, gerichtlich nicht zu beanstanden.
(1) Ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen in § 76 Abs. 3 WHG, Art. 46 Abs. 1 BayWG, Art. 47 Abs. 2 BayWG handelt es sich bei der Bekanntmachung des vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiets um einen Publizitätsakt des Inhalts, dass bei einem Bemessungshochwasser gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WHG, Art. 46 Abs. 2 BayWG mit der Überschwemmung des in der Bekanntmachung bezeichneten und kartierten Bereichs zu rechnen ist. Die Kreisverwaltungsbehörde hat die ihm von den wasserwirtschaftlichen Fachbehörden – nach Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayWG das Bayerische Landesamt für Umwelt und die Wasserwirtschaftsämter – ermittelten und dargestellten Überschwemmungsgebiete bekannt zu machen und die Öffentlichkeit gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 WHG über die vorgesehene Festsetzung von Überschwemmungsgebieten zu informieren und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Weiter ist nach § 76 Abs. 4 Satz 2 WHG über die in festgesetzten und vorläufig gesicherten Gebieten geltenden Schutzbestimmungen (§ 78 WHG) sowie über die Maßnahmen zur Vermeidung von nachteiligen Hochwasserfolgen zu informieren. Nach der gesetzlichen Konzeption kommt der Kreisverwaltungsbehörde bei der vorläufigen Sicherung von Überschwemmungsgebieten kein gerichtlich überprüfbarer Ermessensspielraum zu. Die Festlegung eines Risikogebiets für eine Überschwemmung und die nachfolgende vorläufige Sicherung stellt einen verwaltungsinternen Akt reiner Wissensvermittlung dar.
(2) Angesichts der mittelbaren Rechtswirkungen durch die nach § 78 Abs. 6 i.V.m. § 78 Abs. 1 bis 5 WHG gelten Untersagungstatbestände wird aus Gründen der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eine Überprüfungsmöglichkeit des von den wasserwirtschaftlichen Fachbehörden ermittelten Überschwemmungsgebiets anzuerkennen sein. Im Rahmen der Überprüfung ist allerdings ein der Exekutive zukommender Beurteilungsspielraum bei der Festlegung und Ermittlung des Hochwasserrisikogebiets einschränkend zu berücksichtigen, zumal es sich um eine der Bekanntmachung vorläufiger Überschwemmungsgebiete vorgelagerte fachbehördliche Ermittlung handelt. Die Ermittlung der Überschwemmungsgebiete beruht auf einer Prognoseentscheidung der wasserwirtschaftlichen Fachbehörden, die sich unabhängig vom Einzelfall und seit vielen Jahren mit den wasserwirtschaftlichen Verhältnissen beschäftigen. Ihren amtlichen Auskünften und Gutachten kommt entsprechend ihrer herausgehobenen Stellung gemäß Art. 63 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BayWG grundsätzlich ein erhebliches Gewicht für die Überzeugungsbildung auch der Gerichte zu (BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – juris Rn. 52). An die Darlegungslast, dass die Ermittlung unrichtig sei, sind daher erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Exekutive kommt nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Maßstäben ein eigener, verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer administrativer Beurteilungsspielraum zu (vgl. zu § 73 WHG Czychowski/Reinhardt, WHG, 11. Aufl. 2014, § 73 WHG Rn. 14; Dammert in Berendes/Frenz/ Müggenborg, WHG, 2. Auflage 2017, § 73 WHG Rn. 15, 17; Drost in Drost, Das Neue Wasserrecht in Bayern Band II, Stand: Juli 2018, Art. 47 BayWG Rn. 7). Maßgeblich ist, ob die fachbehördliche Ermittlung des Überschwemmungsgebiets nachvollziehbar und plausibel ist (BayVGH, U.v. 12.4.2018 – 8 N 16.1660 – juris Rn. 54). Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsrahmens ist die Ermittlung der Überschwemmungsgebiete durch die hier zuständigen wasserwirtschaftlichen Fachbehörden nicht zu beanstanden.
(3) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 WHG sind Überschwemmungsgebiete Gebiete zwischen oberirdischen Gewässern und Deichen oder Hochufern und sonstige Gebiete, die bei Hochwasser eines oberirdischen Gewässers überschwemmt oder durchflossen oder für Hochwasserentlastung oder Rückhaltung beansprucht werden. Abzustellen ist dabei auf das 100-jährliche Hochwasser (HQ100), also ein Hochwasserereignis, das statistisch im Verlauf von 100 Jahren einmal eintritt. Daher bestimmt sich auch die räumliche Erstreckung von Rückhalteflächen auf der Grundlage von HQ100. Dies ist der Mindestmaßstab, nach dem Gebiete vom Gesetzgeber als besonders schützenswert betrachtet werden und deshalb verpflichtend als Überschwemmungsgebiete festzusetzen sind. Dass ein Hochwasserabfluss im Einzelfall, etwa bei Extremereignissen, höher ausfallen kann und deshalb ein größeres Überschwemmungsgebiet als Rückhaltefunktion in Anspruch nimmt, bleibt bei § 76 Abs. 2 WHG außer Betracht (vgl. BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – juris Rn. 43; B.v. 29.9.2004 – 15 ZB 02.2958 – BayVBl. 2005, 151 f.). Dieser Maßstab entspricht auch der fachlichen Praxis (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2004 – 15 ZB 02.2958 – BayVBl. 2005, 151 f.; Hünnekens in Landmann/Rohmer, a.a.O., § 76 WHG Rn. 20).
Ein gesondertes Verfahren wird landesrechtlich für die Ermittlung der Überschwemmungsgebiete nicht vorgeschrieben (vgl. Art. 46 Abs. 2 BayWG). Vielmehr lässt Art. 47 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BayWG für die Ermittlung eines vom Bemessungshochwasser betroffenen Überschwemmungsgebiets sogar zu, den Flächenumgriff auf Grund geeigneter Höhenangaben und früherer Hochwasserereignisse zu schätzen, soweit eine genauere Ermittlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich wäre. Die Vorgabe eines bestimmten Ermittlungsverfahrens ist auch nicht notwendig, da die Überschwemmungsgebiete auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse als bloße Tatsachenfeststellung ermittelt werden und damit inhaltlich keinerlei Abweichung auf der Grundlage wertender Betrachtung möglich ist (Drost in Drost, Das Neue Wasserrecht in Bayern Band I b, Stand: Dezember 2018, § 76 WHG Rn. 24).
(4) Das Wasserwirtschaftsamt hat die Überschwemmungsgebiete für ein 100-jährliches Hochwasser anhand eines hydraulischen Berechnungsmodells, in das drei Hochwasserereignisse aus den Jahren 1999, 2002 und 2005 und statistischen Analysen langjähriger Abflussreihen einflossen, plausibel und nachvollziehbar ermittelt. Die vom Beklagten vorgenommenen Berechnungen entsprechen der bayernweit angewandten Vorgehensweise bei der Ermittlung von Überschwemmungsgebieten (vergleiche im Einzelnen zum Verfahren auch Drost, Das Neue Wasserrecht in Bayern, Band I b, a.a.O., § 76 WHG Rn. 22 ff.; Drost, Das Neue Wasserrecht in Bayern, Band II, Stand: Juli 2018, Art. 46 BayWG Rn. 18 ff.).
Unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags und der von der Klägerin im Verfahren vorgelegten Sachverständigengutachten vom 1. August 2016 bzw. vom 27. Februar 2018 ist das von den zuständigen wasserwirtschaftlichen Fachbehörden (Bayerisches Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaftsamt …) ermittelte Überschwemmungsgebiet rechtlich nicht zu beanstanden. Die von der Klägerin vorgelegten fachlichen Stellungnahmen sind nicht geeignet, die Ermittlung und Vorgehensweise der wasserwirtschaftlichen Fachbehörden zu erschüttern. Dies gilt umso mehr, als es sich um eine den wasserwirtschaftlichen Fachbehörden zugewiesene Prognoseentscheidung aufgrund vergangener Hochwasserereignisse mittels wissenschaftlicher Methoden und unter Berücksichtigung der anerkannten Regeln der Technik handelt (vgl. Drost, Das Neue Wasserrecht in Bayern, Band I b, § 73 WHG Rn. 7a). Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat bereits in seiner ersten Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren vom 10. Mai 2017 (Gerichtsakte Bl. 79 ff.) darauf verwiesen, dass die für die Ausdehnung des Überschwemmungsgebiets angewandte Berechnungsmethode fachlichen Kriterien standhalte. Die Entscheidung, nach welcher Berechnungsmethode vorgegangen werde (stationäre oder instationäre Methode), werde auf Vorschlag des jeweils zuständigen Hydrauliker mit seinem spezialisierten Fachverstand und seiner Erfahrung, gegebenenfalls unterstützt durch seine Vorgesetzten oder Projektleiter getroffen. Die streitgegenständlichen Überschwemmungsgebiete seien im Rahmen des Projekts „Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten in Bayern“ berechnet und hätten mehrere Prüfungs- und Abstimmungsrunden durchlaufen, bevor die endgültige Entscheidung aller Beteiligten (beauftragtes Ingenieurbüro, Qualitätssicherer, Wasserwirtschaftsamt und Bayerisches Landesamt für Umwelt) für die konkrete Berechnungsmethode gefallen sei. Die getroffenen Entscheidungen seien fachlich motiviert, neutral und unabhängig. In der ergänzenden Stellungnahme des Bayerischen Landesamts für Umwelt vom 12. Dezember 2018 (Gerichtsakte Bl. 127 ff.) wird nochmals zur Wahl des Berechnungsansatzes ausgeführt, dass die getroffene Festlegung eine fachliche Beurteilung bzw. Entscheidung aller beteiligten Fachleute sei. Die Vorgehensweise bei der Ermittlung eines Bemessungshochwasserereignisses in Bayern erfolge gemäß der Loseblattsammlung „Hydrologische Planungsunterlagen“. Bei der Ermittlung des maßgeblichen Bemessungshochwassers an der … und der … mit … sei unter Beteiligung von Experten der Bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung sowohl die Regionalisierung als auch die Niederschlag-Abfluss-Modellierung betrachtet worden. Im Zuge der Erstellung von hydraulischen Modellen sehe der Arbeitsablauf gemäß Leistungsbeschreibung bzw. Stand der Technik vor, dass während der Erstellung regelmäßige Jour-fixe-Termine zwischen allen Beteiligten (Hydrauliker, Qualitätssicherer, Wasserwirtschaftsamt, Bayerisches Landesamt für Umwelt und Projektsteuerer) standfänden. In diesen Terminen würden modellrelevante Fragestellungen diskutiert und Entscheidungen getroffen. Darüber hinaus sehe der Arbeitsablauf gemäß Leistungsbeschreibung bzw. Stand der Technik vor, dass nach Abschluss der Modellierung zu jeder Vergabeeinheit ein Schlussbericht erstellt werde, welcher den Werdegang jedes Modells innerhalb der Vergabeeinheit zusammenfasse. Jeder Entscheidung sei ein längerer Abstimmungsprozess mit mehreren qualifizierten Fachleuten aus Hydraulikbüro, Qualitätssicherungsbüro, Wasserwirtschaftsamt und Bayerischem Landesamt für Umwelt vorausgegangen. Es werde jeweils im Einzelfall entschieden, ob die stationäre oder instationäre Berechnungsmethode zum Ansatz komme.
In der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2019 hat der Vertreter des Bayerischen Landesamts für Umwelt das Vorbringen dahingehend ergänzt, dass das Bayerische Landesamt für Umwelt die Übermittlung von Überschwemmungsgebieten bayernweit koordiniere und 17 Wasserwirtschaftsämter berate. Die Ermittlung im Einzelfall werde durch ein Expertengremium vorgenommen, das aus Mitarbeitern des Wasserwirtschaftsamts, des Landesamts für Umwelt sowie aus externen Dienstleistern für Hydraulik und Qualitätssicherung bestehe. Bei der Ermittlung eines Überschwemmungsgebiets und der Beurteilung eines Hochwasserrisikos werde nach Meinung des Expertengremiums das fachlich plausibelste gewählt. Es kämen sowohl der stationäre wie auch der instationäre Ansatz bei der Ermittlung zum Einsatz. Kriterium bei der Ermittlung sei insbesondere, dass bei der Berechnung des Überschwemmungsgebietes der Grundsatz der Transparenz und der Gleichbehandlung gewahrt werde. Einmal monatlich finde ein Jourfixe statt, bei dem das Expertengremium die Daten des Proberechenlaufs auswerte und bespreche. Ein gemeinsamer Entscheidungsfindungsprozess werde initiiert. Wenn die Meinung der Experten dazu führe, dass für einen Flussabschnitt die Berechnung nach dem instationären Modell besser geeignet sei, so werde dieses gewählt.
Die Stellungnahmen der wasserwirtschaftlichen Fachbehörden im Verfahren und deren Erklärungen in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2019 zugrunde gelegt, ist für das Gericht auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgelegten privaten gutachterlichen Stellungnahmen nicht erkennbar, dass die wasserwirtschaftlichen Fachbehörden bei der Ermittlung der maßgeblichen Überschwemmungsflächen von unrealistischen Annahmen ausgegangen wären. Diese haben widerspruchsfrei und plausibel erläutert, wie im Einzelfall die Ermittlung der Überschwemmungsgebiete (bayernweit) erfolgt. Das Wasserwirtschaftsamt … hat in der mündlichen Verhandlung darüber hinaus ergänzt, dass – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch Retentionswirkungen in der Fläche bei der Ermittlung Berücksichtigung gefunden hätten. Nach Auffassung der Kammer entsprechen die von den wasserwirtschaftlichen Fachbehörden gewählten Berechnungsgrundlagen und -methoden den fachlichen Anforderungen. Die Ermittlung der Überschwemmungsgebiete wurde ausweislich der im Verfahren vorgelegten fachlichen Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts vom 4. Mai 2017 und des Bayerischen Landesamts für Umwelt vom 10. Mai 2017 und 12. Dezember 2018 unter Berücksichtigung der weiteren Erläuterungen der Fachvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2019 nach Auffassung der Kammer methodisch einwandfrei erarbeitet, beruht nicht auf unrealistischen Annahmen und wurde nachvollziehbar begründet.
Im Hinblick darauf, dass es sich vorliegend lediglich um eine vorläufige Sicherung eines Überschwemmungsgebiets handelt, für welche weder bundes- noch landesgesetzlich ein bestimmtes Verfahren vorgeschrieben ist und für das Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BayWG sogar Schätzungen zulässt, kann die von den wasserwirtschaftlichen Fachbehörden vorgenommene Umgriff eines von vielen Variablen abhängigen Überschwemmungsgebiets (vgl. BVerwG, U.v. 11.8.2016 – 7 A 1.15 – DVBl 2016, 1465 ff.; NdsOVG, B.v. 16.7.2012 – 13 LA 82/11 – juris Rn. 12; U.v. 22.4.2016 – 7 KS 35/12 – juris Rn. 317 ff.) nicht beanstandet werden. Das gilt auch für die teilweise Anwendung eines stationären Modells zur Ermittlung der Hochwasserrisikogebiete. Für die Klägerin besteht keine gerichtlich einklagbare Position zur Heranziehung einer anderen fachlichen Methode, auch wenn diese tatsächlich zu kleineren Risikogebieten führen würde.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass in dem an das Verfahren zur vorläufigen Sicherung anschließenden endgültigen Festsetzungsverfahren nach § 76 Abs. 2 WHG gegebenenfalls im Einzelfall parzellenscharf nachgesteuert werden kann.
cc) Nach allem erweist sich die mit der Klage angegriffene Allgemeinverfügung des Beklagten vom 19. März 2015 als rechtmäßig, so dass es keiner Entscheidung über die Frage bedarf, ob die Klägerin durch die Allgemeinverfügung in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten, und hier insbesondere der gemeindlichen Selbstverwaltungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV) tatsächlich verletzt ist. Damit ist auch nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin überhaupt verbindliche bzw. in sonstiger Weise verfestigte Planungen vorweisen kann, die durch die vorgenommene vorläufige Sicherung der Überschwemmungsgebiete und dem damit einhergehenden Verbot der Ausweisung von neuen Baugebieten in Bauleitplänen (§ 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG) geltend machen kann (vgl. zu diesem Erfordernis einer Rechtsgutsverletzung VG Augsburg, U.v. 19.2.2013 – Au 3 K 12.1265 – juris Rn. 49). Deshalb bedurfte es auch nicht der Einräumung einer Schriftsatzfrist zu diesem Punkt, wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beantragt.
3. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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