Europarecht

Erfolglose Klage einer kosovarischen Staatsangehörigen auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach 26-jährigem Aufenthalt

Aktenzeichen  Au 6 K 17.345

Datum:
30.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11423
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 2 Abs. 11, § 9 Abs. 2, § 23, § 26 Abs. 3, Abs. 4, § 44 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 82

 

Leitsatz

1. Selbst nach einem 26-jährigen Aufenthalt genügt die bloße Behauptung eines Ausländers, über ausreichende Sprachkenntnisse zu verfügen, nicht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet begründet für sich allein keine tatsächliche Erwartung dahingehend, dass dieser Aufenthalt regelmäßig zu einem Sprachniveau B1 führt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid des Beklagten vom 1. Februar 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG.
Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG kommt nicht in Betracht, da die Klägerin bisher keine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG besaß, sondern eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG.
2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht, da die Klägerin weder über ausreichende Sprachkenntnisse noch über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung im Bundesgebiet verfügt. Insoweit hat sie im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG keinen Nachweis erbracht.
a) Die Klägerin hat keine Nachweise darüber erbracht, dass sie über ausreichende Sprachkenntnisse auf dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 11 AufenthG verfügt.
(1) Dabei kann von der Erteilungsvoraussetzung der ausreichenden Sprachkenntnisse nicht nach § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 3 bis 5 AufenthG abgesehen werden.
Dass die Klägerin wegen einer Krankheit oder Behinderung keine ausreichenden Sprachkenntnisse erwerben kann, ist ebenso wenig vorgetragen oder ersichtlich wie das Vorliegen einer besonderen Härte in Bezug auf den für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlichen Spracherwerb (§ 9 Abs. 2 Satz 3 und 4 AufenthG).
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass bei der Klägerin erkennbar nur ein geringer Integrationsbedarf nach § 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG i.V.m. § 44 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG besteht. Ein geringer Integrationsbedarf liegt in der Regel dann vor, wenn der Ausländer einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss oder eine entsprechende Qualifikation besitzt oder wenn der Ausländer eine Erwerbstätigkeit ausübt, die regelmäßig eine derartige Qualifikation erfordert. Von einem geringen Integrationsbedarf ist auch dann auszugehen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Integration des Ausländers in das wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland ohne staatliche Hilfe gelingt (vgl. auch § 4 Abs. 2 Integrationskursverordnung (IntV) und Nr. 44.3.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 44 AufenthG). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin hat bisher nur einfache, ungelernte Hilfstätigkeiten ausgeführt. Ihre Beschäftigungszeiten weisen zudem wiederholt Lücken auf. Einen Schulabschluss hat sie nie erlangt, sondern die Schule mit der Note „ungenügend“ (Note Sechs) in mehreren Fächern, u.a. im Fach Deutsch als Fremdsprache, abgeschlossen. Anhaltspunkte für eine sonstige Integration in das wirtschaftliche, insbesondere aber auch in das gesellschaftliche und kulturelle Leben der Bundesrepublik Deutschland sind weder vorgetragen noch ist eine solche Integration ersichtlich.
Ferner wäre der Klägerin die Teilnahme an einem Integrationskurs auch nicht dauerhaft unmöglich oder unzumutbar i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG i.V.m. § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG. Besondere Umstände, die eine Kursteilnahme dauerhaft unmöglich oder unzumutbar machten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
(2) Die Klägerin hat des Weiteren ausreichende Sprachkenntnisse nicht i.S.d. § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nachgewiesen.
Insbesondere hat sie keinen Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Auch sonstige Nachweise über ausreichende Sprachnachweise hat die Klägerin nicht erbracht (vgl. beispielsweise Nr. 9.2.1.7 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009). Eine deutschsprachige Schule hat sie lediglich bis zur neunten Jahrgangsstufe im Jahr 1994 und damit weniger als vier Jahre besucht. Einen Abschluss hat sie dort wegen der Note „ungenügend“ in mehreren Fächern und insbesondere im Fach Deutsch nicht erworben und auch weder ein Studium noch eine Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass in einem Gespräch mit der Ausländerbehörde offensichtlich geworden wäre, dass die Klägerin über die geforderten Sprachkenntnisse verfügt (vgl. Nr. 9.2.1.7 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009; BayVGH, U.v. 3.6.2014 – 10 B 13.2426 – juris Rn. 22; Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 9 Rn. 22; Marx, Ausländerrecht, 6. Aufl. 2017, § 2 Rn. 175).
Die bloße Behauptung des Ausländers, über ausreichende Sprachkenntnisse zu verfügen, genügt selbst nach einem 26-jährigen Aufenthalt nicht (BayVGH, B.v. 3.4.2018 – 10 C 18.84 – UA S. 3; BayVGH, U.v. 3.6.2014 – 10 B 13.2426 – juris Rn. 22). Zwar verfügte die Klägerin spätestens im Jahr 2008 ausweislich des Prüfungsbogens des Landratsamts … (Bl. 801 f. der Behördenakte) über Sprachkenntnisse des Sprachniveaus A2. Nur deshalb konnte sie eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 23 Abs. 1 AufenthG erlangen und ihr diese in den Folgejahren verlängert werden (Bl. 708 der Behördenakte). Die Feststellungen des Zeugnisses von 1994 sind damit durch zeitlich jüngere Feststellungen des Beklagten insofern überholt. Die Klägerin lebt auch inzwischen seit 26 Jahren (seit ihrem 13. Lebensjahr) in der Bundesrepublik und ist seit 2007 erwerbstätig.
Jedoch genügen diese Umstände nicht für den Nachweis, dass die Klägerin inzwischen über das Sprachniveau B1 verfügt. Ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet begründet für sich allein keine tatsächliche Erwartung dahingehend, dass dieser Aufenthalt regelmäßig zu einem Sprachniveau B1 führt. Eine solche Annahme ist schon deshalb verfehlt, weil sich ein Ausländer auch langjährig im Bundesgebiet aufhalten kann, ohne die deutsche Sprache mehr als geringfügig zu gebrauchen. Im Anbetracht der großen Anzahl kosovarischer Staatsangehöriger im Bundesgebiet ist es vielmehr auch während eines jahrzehntelangen Aufenthalts in der Bundesrepublik möglich, weitestgehend sein Leben im eigenen Sprach- und Kulturkreis zu führen. Mithin erbringt allein ein 26-jähriger Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse. Auch eine Erwerbstätigkeit, insbesondere wenn es sich wie im vorliegenden Fall um unqualifizierte Tätigkeiten handelt, kann ohne Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 in Wort und insbesondere Schrift erfolgreich ausgeübt werden, so dass auch eine Erwerbstätigkeit nicht als Sprachnachweis genügt. Einen Sprachtest, beispielsweise durch die Teilnahme an einem Abschlusstest eines Integrationskurses, der auch ohne vorherigen Besuch des Integrationskurses möglich ist, hat die Klägerin hingegen nie abgelegt, obwohl ihr dies mangels sonstigen Nachweises (z.B. Schulabschlusszeugnisses) im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zumutbar ist.
b) Des Weiteren hat die Klägerin keine Nachweise darüber erbracht, dass sie über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung im Bundesgebiet verfügt.
Einen Nachweis durch den erfolgreichen Abschluss eines Integrationskurses (§ 9 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) hat die Klägerin nicht erbracht. Jedoch ist auch ein anderer Nachweis möglich (BVerwG, U.v. 28.4.2015 – 1 C 21/14 – BVerwGE 152, 76-87 – juris Rn. 14). Der Nachweis der Kenntnisse ist daher in der Regel auch dann erbracht, wenn der Ausländer einen Abschluss einer deutschen Hauptschule oder einen vergleichbaren oder höheren Schulabschluss einer deutschen allgemein bildenden Schule nachweisen kann oder einen Einbürgerungskurs bestanden hat (vgl. Nr. 9.2.1.8 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009; Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 9 Rn. 24). Im vorliegenden Fall ist jedoch auch kein anderweitiger Nachweis erbracht worden. Allein ein langjähriger Aufenthalt in der Bundesrepublik und die Ausübung einer Beschäftigung stellen keinen Nachweis über diese Grundkenntnisse dar. Insoweit gelten die Ausführungen zu den Sprachnachweisen entsprechend.
3. Die Gebührenerhebung im Bescheid vom 1. Februar 2017 nach § 69 Abs. 1 und 2 AufenthG i.V.m. § 49 Abs. 1, § 44 Nr. 3 AufenthV a.F. (Fassung vom 22.7.2011: die Hälfte von 135 EUR, mithin 67,50 EUR) erweist sich ebenfalls als rechtmäßig.
4. Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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