Europarecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Dublin-Bescheid (Polen)

Aktenzeichen  W 8 S 19.50825

Datum:
3.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 323
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
Dublin III-VO Art. 17 Abs. 1, Art. 12 Abs. 2,
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Die medizinische Versorgung von Asylbewerbern wird in Polen auf dem gleichen Niveau gewährleistet wird wie polnischen Staatsbürgern und medizinischen Behandlungsmöglichkeiten sind in ausreichendem Maß verfügbar.  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird sowohl im vorliegenden Sofortverfahren als auch im Klageverfahren W 8 K 19.50824 abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben armenische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens. Sie reiste am 5. Oktober 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12. November 2019 einen förmlichen Asylantrag. Ihr Ehemann, der Antragsteller im Verfahren W 8 S 19.50822, befindet sich ebenfalls in der Bundesrepublik und hat einen Asylantrag gestellt.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen aufgrund eines polnischen Visums Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 5. Dezember 2019 erklärten die polnischen Behörden mit Schreiben vom 9. Dezember 2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 11 Buchst. b Dublin-III VO.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Polen wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2019 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 8 K 19.50824 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren – neben Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten – beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsgegnerin hätte eine Entscheidung über die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III VO treffen müssen, da ihr zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt gewesen sei, dass die Antragstellerin schwer krank sei. Nach Arztbriefen des St. Elisabeth Hospitals Bochum vom 11. Oktober 2019 sowie des … Krankenhauses in S. vom 23. Oktober 2019 leide sie an einer chronischen Obstipation, bekannter Depression, arterieller Hypertonie sowie Diabetes. Danach hätte die Antragsgegnerin zumindest über das Selbsteintrittsrecht ermessensfehlerfrei entscheiden müssen und nicht lediglich auf die Zuständigkeit Polens für das Asylverfahren der Antragstellerin abstellen dürfen. Im Übrigen seien nationale Abschiebungsverbote gegeben, da sich die Antragstellerin in einem sehr schlechten Allgemeinzustand befinde und an schweren Depressionen leide. Sie sei nach einem Attest der Dr. med. R.-M. vom 11. Dezember 2019 nicht reisefähig. Die psychiatrische Behandlung müsse dringend in Deutschland fortgesetzt werden, da in Stresssituationen die erhebliche Gefahr von Suizidalität bestehe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte W 8 K 19.50824 und der Gerichtsakten bezüglich des Ehemanns W 8 K 19.50821 und W 8 S 19.50822) sowie die beigezogenen Behördenakten der Antragstellerin und ihres Ehemanns Bezug genommen.
II.
1. Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerin ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 10. Dezember 2019 begehrt.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. Dezember 2019 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt mithin das private Interesse der Antragstellerin vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet bleiben zu dürfen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist auszuführen:
Polen ist für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Verordnung Nr. 604/2013/EU – Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Polens ergibt sich vorliegend aus Art. 11 Buchst. b i.V.m. Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO, da der Ehemann der Antragstellerin – der Antragsteller im Verfahren W 8 S 19.50822 – mit einem polnischen Schengenvisum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und ebenfalls einen Asylantrag gestellt hat.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht.
Das gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf dem “Prinzip gegenseitigen Vertrauens” bzw. dem “Konzept der normativen Vergewisserung”, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU – Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwenigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Dublin-Überstellung stehen deshalb nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Entsprechend vorstehender Ausführungen und auf der Basis des aktuellen Erkenntnisstands geht das Gericht davon aus, dass in Bezug auf Polen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens vorliegen oder dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 der EU-Grundrechtecharta gewährleisteten Rechte führen würden. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte, zumal die Antragstellerin nichts Dahingehendes substantiiert vorgebracht hat. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Asylbewerber in Polen entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten haben und sowohl eine Grundversorgung als auch eine Unterkunft erhalten.
Es ist zudem entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gemacht bzw. überhaupt nicht darüber entschieden hat. Auf Seite 14 des streitgegenständlichen Bescheids der Antragsgegnerin heißt es ausdrücklich: “Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, sind nicht ersichtlich.”
Die Antragsgegnerin hat damit die grundsätzliche Möglichkeit des Selbsteintritts nach dieser Vorschrift erkannt und darüber entschieden.
Ermessensfehler sind diesbezüglich nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid die Verhältnisse im polnischen Asylsystem, insbesondere im Hinblick auf die medizinische Versorgung, ausführlich gewürdigt und ist zu dem Schluss gekommen, dass systemische Mängel nach obigen Grundsätzen nicht vorliegen. Dies ist aus rechtlicher Sicht nach Vorstehendem auch bezüglich der in der EMRK niedergelegten Garantien nicht zu beanstanden.
Darüber hinaus sind konkret keine gewichtigen Erkrankungen ersichtlich, die in Polen nicht behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus den von der Antragstellerin vorgelegten ärztlichen Dokumenten, wonach sie an chronischer Obstipation, Lipom des colon ascendens, Sigmavertikulose, Depression, arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2b leidet. Die Therapie der Diabetes Erkrankung erfolgt medikamentös, während die Depression in Form einer schweren chronifizierten depressiven Erkrankung medikamentös und ambulant durchgeführt wird.
Es ist zunächst aufgrund der Erkenntnislage davon auszugehen, dass die medizinische Versorgung für die Antragstellerin in Polen auf dem gleichen Niveau gewährleistet wird wie polnischen Staatsbürgern und dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten wie generell in der EU im ausreichenden Maß verfügbar sind (vgl. etwa BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Polen, vom 1.4.2016; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Minden vom 10.3.2015). Dies schließt die Behandlung psychischer Erkrankungen mit ein. Ausländern, die den Flüchtlingsstatus beantragt haben, werden folgende medizinische Leistungen gewährt: Grundfürsorge, fachärztliche Konsultationen, Spezialuntersuchungen, Hospitalisierung, medizinisches Rettungswesen, im vertraglich festgelegten Umfang, Rehabilitation und zahnärztliche Behandlungen. Die medizinische Versorgung ist kostenlos und steht auch sogenannten Dublin-Rückkehrern zur Verfügung (vgl. VG Augsburg B.v. 21.5.2019 – Au 6 S 19.50444 – juris, VG Düsseldorf, B.v. 4.5.2017 – 12 L 1538/17 A – juris; VG München, B.v. 7.4.2017 – M 9 S 17.50790 – AuAS 2017, 132; B.v. 25.11.2016 – M 7 S 16.50394 – juris; B.v. 17.11.2016 – M 6 S 16.50621 – juris; VG Aachen, U.v. 3.2.2017 – 6 K 2121/14.A – juris; VG Potsdam, B.v. 25.1.2017 – 6 L 905/16.A – juris; B.v. 19.10.2016 – 6 L 977/16.A – EzAR-NFR-NF …65 Nr. 44; VG Cottbus, B.v. 11.10.2016 – 5 L 387/16.A – juris; jeweils m.w.N.).
Bei psychischen Erkrankungen besteht in Polen die Möglichkeit, die erforderliche medizinische und psychologische Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Ebenso wie die medizinische Versorgung ist die psychologische Betreuung kostenlos und durch qualifiziertes Personal sichergestellt. Dabei besteht die Möglichkeit, von einem Psychologen im Beisein eines Dolmetschers begutachtet zu werden. Auch die Überweisung an einen Psychiater ist möglich. Die Informationen zum Zugang zu Psychologen erhalten Asylsuchende in den Aufnahmeeinrichtungen. Wenn nötig, können sie auch durch Sozialarbeiter begleitet werden (vgl. dazu BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Polen, vom 1.4.2016; VG Aachen, B.v. 30.1.2015 – 6 L 895/14.A – juris; jeweils m.w.N.).
Auch hinsichtlich der Überstellung vulnerabler Personen, etwa ernsthaft Erkrankter, bestehen keine Bedenken. Wird ein vulnerabler Antragsteller identifiziert, bewertet die polnische Behörde, ob eine spezielle Behandlung (auch in Bezug auf die Unterbringung) nötig ist. Dazu können medizinische bzw. psychologische Untersuchungen veranlasst werden. Wenn die Vulnerabilität bestätigt wird, ist im Verfahren speziell darauf Rücksicht zu nehmen. Einige Unterbringungszentren sind für Vulnerable angepasst. Drei Zentren haben behindertengerechte Eingänge und ein entsprechendes Zimmer und Badezimmer. Vier weitere Zentren sind teilweise angepasst (vgl. m.w.N. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Polen, vom 1.4.2016).
Das Gericht teilt die Auffassung der Antragsgegnerin, dass eine notwendige medizinische Behandlung in Polen möglich ist. Dies gilt auch für kranke Personen, die spezielle Untersuchungen benötigen und gegebenenfalls in ein Krankenhaus oder zu sonstigen speziellen Untersuchungen überwiesen werden können.
Weiter ist zu den von der Antragstellerin vorgetragenen Erkrankungen anzumerken, dass diese Erkrankungen grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat mittlerweile ausdrücklich klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Neben diesen materiellen Kriterien für die Gesundheitsgefahren, die im Übrigen auf eine bestehende Rechtsprechungslinie aufbauen, hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG – ebenfalls angelehnt an entsprechende Rechtsprechung – ausdrücklich auch prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils m.N. zur Rspr.). Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier. Aus den Attesten vom 11. Oktober und 23. Oktober 2019 geht nicht hervor, dass es sich bei den dort diagnostizierten Krankheiten um lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen nach den obigen Maßstäben handeln würde. Ebenso ergibt sich nicht, weshalb eine Behandlung dieser Krankheiten zwingend nur in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen kann und nicht in Polen. Selbiges gilt im Ergebnis auch für das Attest vom 11. Dezember 2019 mit welchem eine schwere chronifizierte depressive Erkrankung bei der Antragstellerin diagnostiziert wird. Wiederum ergibt sich aus dem Attest nicht, dass die Behandlung nur in der Bundesrepublik erfolgen kann. Es enthält lediglich den Hinweis, dass die derzeitige psychologische Betreuung dringend weitergeführt werden sollte.
Insbesondere diesbezüglich, aber auch hinsichtlich der vor allem medikamentös behandelten weiteren Erkrankungen der Antragstellerin, geht das Gericht davon aus bzw. weist ausdrücklich darauf hin, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden im vorliegenden Einzelfall – soweit erforderlich – geeignete Vorkehrungen zum Schutz der Antragstellerin treffen werden. Auf die Verpflichtung aus Art. 29 Abs. 1 UA 2 Dublin III-VO wird hingewiesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es in Einzelfällen geboten sein, vor einer Rückverbringung mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufzunehmen, den Sachverhalt aufzuklären und gegebenenfalls Vorkehrungen zum Schutz des Ausländers zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – Asylmagazin 2014, 341 m.w.N.). Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung durchgeführt werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG LSA, B.v. 20.6.2011 – 2 M 38/11 – InfAuslR 2011, 390, 392). Im vorliegenden Fall ist damit vor der Überstellung der Antragstellerin nach Polen sicherzustellen, dass diese dort Zugang zu notwendiger Medikation und medizinischer – insbesondere psychologischer – Versorgung hat.
Auch vor diesem Hintergrund war die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO im Hinblick auf die gesundheitliche Situation der Antragstellerin nicht zu beanstanden.
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht gegeben. Insbesondere wurde eine Reise- bzw. Transportfähigkeit der Antragstellerin nicht in einer Weise glaubhaft gemacht, die den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG genügen würde. Zwar enthält das Attest der Dr. med. R.-M. vom 11. Dezember 2019 die Aussage, die Antragstellerin sei nicht reisefähig. Es fehlt aber an einer Darlegung, wie die behandelnde Ärztin zu diesem Schluss kommt, insbesondere auf welcher Tatsachengrundlage gerade diese Annahme der Reiseunfähigkeit beruht. Sofern diese auf eine in Stresssituationen befürchtete Suizidalität gestützt wird, so ist dem entgegenzuhalten, dass die mit der Abschiebung betraute Stelle auch diesbezüglich gehalten ist, geeignete Maßnahmen zu treffen, um einer eventuell bestehenden Suizidgefahr bei der Antragstellerin während des Abschiebevorgangs wirkungsvoll zu begegnen. Dies kann beispielsweise durch eine ärztliche Betreuung oder durch die Mitgabe entsprechender Medikamente geschehen.
Anhaltspunkte dafür, dass die zuständige Behörde diese Vorgaben nicht beachten wird, bestehen nicht.
Zuletzt ergibt sich auch aus der Anwesenheit des Ehemanns der Antragstellerin in der Bundesrepublik kein Abschiebungsverbot nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK. Polen hat auch für das Verfahren des Ehemanns die Zuständigkeit erklärt und ein entsprechendes Sofortverfahren bleibt ebenfalls ohne Erfolg (vgl. VG Würzburg, B.v. 3.1.2020 – W 8 19.50822), weshalb eine Trennung der Antragstellerin von ihrem Ehemann nicht zu befürchten steht.
Der Antrag war damit nach alldem abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
2. Schließlich war nach den vorstehenden Ausführungen mangels Erfolgsaussicht der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO i.V.m. § 166 VwGO abzulehnen. Zudem wurde dem Gericht die angekündigte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Nachweis der Bedürftigkeit der Antragstellerin nicht vorgelegt.


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