Europarecht

Erfolgloses Aufnahmeersuchen Griechenlands zur Herstellung der Familieneinheit

Aktenzeichen  M 5 E 19.51331

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22627
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1
EU-GR-Charta Art. 7, Art. 24
VwGO § 95 Abs. 1, § 123 Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Art. 10, Art. 13, Art. 17 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Das Ziel der Verfahrensstraffung und der gemeinsamen Prüfung der Asylanträge aller Mitglieder einer Familie durch einen Mitgliedsstaat wird in dem Zeitpunkt obsolet, in dem über Anträge einzelner Mitglieder bereits eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist und bekanntgegeben wurde. (Rn. 28 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Haben die Antragsteller eine in einem Mitgliedsstaat der EU bestandene Familieneinheit bewusst aufgegeben, ist es ihnen verwehrt, sich auf die Regelungen der Dublin III-VO zur Herbeiführung der Familieneinheit und von Asylverfahren derselben Familie in einem Mitgliedsstaat zu berufen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Systemische Mängel des Asylverfahrens in Griechenland sind -jedenfalls auf dem Festland- nicht ersichtlich. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Selbsteintrittsrecht des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ist nicht drittschützend und gewährt Asylsuchenden kein subjektives Recht. Seine Anwendung steht im Ermessen der Mitgliedsstaaten. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … … …, München, wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren mit ihrem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich für die Asylanträge der Antragsteller zu 3) bis 5) zuständig zu erklären.
Die am … … 1984 geborene Antragstellerin zu 1) ist Mutter des 2009 geborenen Antragstellers zu 2), der 2006 geborenen Antragstellerin zu 4) und des 2012 geborenen Antragstellers zu 5). Der Antragsteller zu 3) ist ihr Ehemann. Alle Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige. Der Antragsteller zu 2) ist am 29. Januar 2019, die Antragstellerin zu 1) am 26. März 2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie stellten am 13. Mai 2019 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag.
Die Antragsteller zu 3) bis 5) halten sich in Griechenland auf und stellten bei den griechischen Behörden am 28. Februar 2019 einen Asylantrag.
Am 6. Mai 2019 beantragte der Antragsteller zu 3) vor den griechischen Behörden, die Antragstellerin zu 1) beim Bundesamt bezüglich der Antragsteller zu 3) bis 5) die Familienzusammenführung in Deutschland.
Am 20. Mai 2019 stellten die griechischen Behörden unter Bezugnahme auf Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. Nr. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 – Dublin III-Verordnung) ein Übernahmeersuchen an die Bundesrepublik Deutschland.
Mit Schreiben vom 5. Juni 2019 lehnte das Bundesamt das Übernahmeersuchen unter Verweis auf Art. 13 Dublin III-Verordnung ab. Die Antragsteller hätten vor Einreichung des Antrags auf internationalen Schutz mehr als fünf Monate in Griechenland gelebt, sodass Griechenland zuständig sei.
Am 11. Juni 2019 wurden die Antragsteller zu 1) und 2) vom Bundesamt persönlich angehört. Dabei gab die Antragstellerin zu 1) an, dass sie und ihre Familie in Afghanistan von einem „Stalker“ verfolgt worden seien. Die Familie sei über den Iran und die Türkei zunächst nach Griechenland gereist. Dort habe sich die Familie seit Ende August bzw. Anfang September 2019 aufgehalten. In Griechenland habe die Familie keine Hilfe erhalten, daher habe sie von ihren Ersparnissen gelebt. Das Leben in Griechenland sei sehr schwer gewesen. Die Familie habe zunächst keinen Asylantrag in Griechenland gestellt und in einer Wohnung in Athen gelebt. Aus dieser seien sie dann aus Angst davor, einen Fingerabdruck abgeben zu müssen, ausgezogen. Der Antragsteller zu 2) sei im Januar 2019 zunächst alleine nach Deutschland gereist. Die Antragstellerin zu 1) sei circa drei Monate später nachgekommen. Die Familie sei nicht zusammen nach Deutschland gereist, weil ein Schleuser gesagt habe, dass das nicht möglich sei. Die Antragsteller zu 3) bis 5) seien in Griechenland geblieben und haben dort zwischenzeitlich einen Asylantrag gestellt, da der Familie gesagt worden sei, dass nur so eine Familienzusammenführung möglich sei.
Am 24. Juni 2019 remonstrierten die griechischen Behörden gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin und führten aus, dass die Familienzusammenführung grundsätzlich Vorrang vor dem Prinzip der ersten Einreise habe.
Am 26. Juni 2019 lief die Frist zur Stellung eines Übernahmeersuchens betreffend die Antragsteller zu 1 und 2 an Griechenland ab, sodass eine Entscheidung im nationalen Verfahren zu treffen war.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2019 lehnte das Bundesamt das Übernahmeersuchen der griechischen Behörden erneut ab. Dies begründete es damit, dass die Familie zusammen nach Griechenland eingereist sei und sich dann freiwillig getrennt habe.
Mit Schreiben vom 2. August 2019 führten die griechischen Behörden aus, dass eine bewusste Trennung der Familieneinheit nicht stattgefunden habe und die Antragstellerin zu 1) in Griechenland keinen Asylantrag gestellt habe.
Das Bundesamt verzichtete auf weitere Antwortschreiben an die griechischen Behörden.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 lehnte die Antragsgegnerin die Asyl- und Schutzanträge der Antragsteller zu 1) und 2) ab. Der Bescheid wurde den Antragstellern am 12. Dezember 2019 zugestellt. Gegen diesen Bescheid wurde Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (M 17 K 19.34545).
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom … Dezember 2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, haben die Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, sich unter Aufhebung der Ablehnungen der Übernahmeersuchen des Griechischen Migrationsministeriums für die Asylanträge der Antragsteller zu 3) bis 5) gemäß Art. 10, 17 Abs. 2 Dublin III-VO für zuständig zu erklären sowie
den Antragstellern Prozesskostenhilfe zu bewilligen unter Beiordnung des Rechtsanwalts … … …, München.
Die Familie habe sich nicht freiwillig getrennt, sondern nicht das Geld für eine Weiterflucht auch des Ehemanns und der beiden minderjährigen Kinder gehabt. Die vorübergehende Trennung sei nicht auf Dauer angelegt. Das Wohl der Kinder sei zu achten. Der Anordnungsgrund liege in der Eilbedürftigkeit der Sache. Es sei damit zu rechnen, dass die griechischen Behörden in der Sache über das Asylbegehren der Antragsteller entscheiden. Dann wäre jedoch der Anwendungsbereich der Dublin III-VO nicht mehr eröffnet. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus dem Schutz des Kindeswohls und der Familieneinheit, die ein subjektives Recht auf Überstellung vermitteln würden. Die Verwendung des Wortes „jederzeit“ bedeute keine Beschränkung auf die in Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO genannten Fristen. Das in Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO enthaltene intendierte Ermessen könne nur zugunsten der Antragsteller ausgeübt werden. Die Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag der Antragsteller zu 1) und 2) stehe der Anwendung von Art. 10 Dublin III-VO nicht entgegen. Unter „Erstentscheidung“ im Sinne dieser Vorschrift sei eine bestandskräftige Entscheidung des Bundesamts zu verstehen. Eine solche liege jedoch nicht vor. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, der Tatsache, dass eine Entscheidung zumindest faktisch die Hauptsache vorwegnehme und zur weiteren Sachverhaltsaufklärung beantragte der Bevollmächtigte der Antragsteller die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie den Erlass einer Anordnung nach § 95 Abs. 1 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Des Weiteren beantragte der Bevollmächtigte die Aussetzung des Verfahrens sowie die Vorlage an den Europäischen Gerichthof (EUGH), sollte das Gericht der Auffassung sein, dass Art. 10 Dublin III-VO nicht anwendbar sei. Da vorliegend das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz praktisch die Hauptsacheentscheidung ersetze, sei das Vorlageermessen auf Null reduziert.
Die Antragsgegnerin hat die Akten vorgelegt und keinen Antrag gestellt sowie auch sonst nicht Stellung genommen.
Am 17. Januar 2020 haben die Antragsteller eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung – vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen – notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerin hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung/ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Das Gericht kann im Rahmen eines Verfahrens nach § 123 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Dieses sog. Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache steht einer Anordnung nach § 123 VwGO aber ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn diese zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9/12 – NVwZ 2013, 1344, Rn. 22).
Da eine stattgebende Entscheidung hier im Ergebnis auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinauslaufen würde, beurteilt sich die Begründetheit des Antrags nach den vorgenannten strengen Voraussetzungen.
2. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Antragsteller haben weder aus Art. 10 Dublin III-VO noch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin darauf, dass diese dem Aufnahmeersuchen Griechenlands hinsichtlich der Antragsteller zu 3) bis 5) zustimmt und an ihrer Überstellung nach Deutschland mitwirkt.
a) Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Antragsteller zu 3) bis 5) ergibt sich vorliegend nicht aus Art. 10 Dublin III-VO. Diese Vorschrift ist zum einen nicht anwendbar, da mit Bescheid des Bundesamtes vom 4. Dezember 2019 eine Erstentscheidung in der Sache hinsichtlich des Asylantrags der Antragsteller zu 1) und 2) ergangen ist. Im Übrigen können sich die Antragsteller nicht auf diese Vorschrift berufen, da sie die Trennung der Familieneinheit bewusst herbeigeführt haben.
aa) Nach Art. 10 Dublin III-VO ist, wenn ein Antragsteller in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen hat, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.
Entgegen der Ansicht der Antragsteller (so auch: OVG BbG, B.v. 3.9.2019 – OVG 6 N 58.19 – juris Rn. 10 ff.; VG Berlin, B.v. 7.5.2018 – 34 L73.18 A – juris-Rn. 8 ff.; Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 27a AsylVfG Rn. 38; Hruschka in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2018, § 12 Rn. 108; Koehler, Praxiskommentar zum Europäischen Asylzuständigkeitssystem, Art. 10 Dublin III-VO Rn. 12), ist die in Art. 10 Dublin III-VO verwendete Wendung „keine Erstentscheidung in der Sache“ dahingehend auszulegen, dass sich die Zuständigkeit der Antragsgegnerin auf Familienangehörige eines Antragstellers – hier der Antragsteller zu 1) und 2) – nur solange erstreckt, bis die Entscheidung gegenüber diesem Antragsteller nach den einschlägigen Vorschriften wirksam, d.h. insbesondere bekanntgegeben wurde. Die Bestandskraft des Bescheids ist hingegen nicht erforderlich (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand: 1. Februar 2014, Art. 10 K3; wohl ebenso Heusch in Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 1. Aufl. 2016, Rn. 254; VG München, B.v. 15.6.2018 – M 18 S 18.50523; B.v. 12.9.2019 – M 19 S7 19.50715 – juris Rn. 13 ff.).
Für dieses Verständnis der Norm spricht zunächst der Wortsinn. Eine (erste) Entscheidung in der Sache liegt bereits vor, wenn die zuständige Behörde über das Begehren des Antragstellers – hier: der Antragsteller zu 1) und 2) – in nicht nur verfahrensrechtlicher Hinsicht entschieden hat. Darauf, ob diese Entscheidung einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen wird oder bis zum Ablauf der Klagefrist noch unterzogen werden kann, kommt es danach nicht an.
Unterstrichen wird dieses Ergebnis durch einen systematischen Vergleich mit anderen Vorschriften der Verordnung, die bewusst auf Bestands- bzw. Rechtskraft abstellen. So ist in Art. 2 Buchst. c) Dublin III-VO die Rede von einem Antrag auf internationalen Schutz, „über den noch nicht endgültig entschieden wurde“, in Art. 24 Abs. 2 Dublin III-VO von einer Ablehnung „durch eine endgültige Entscheidung“ und in Art. 29 Abs. 1 von einer „endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf“. Diese Vorschriften sind nach ihrem Wortsinn so zu verstehen, dass es auf die jeweils endgültige und damit also bestandskräftige behördliche Entscheidung ankommt. Angesichts dessen, dass Bestandskraftüberlegungen dem Verordnungsgeber bekannt waren, ist davon auszugehen, dass es in Art. 10 Dublin III-VO, der insoweit erkennbar anders formuliert ist, auf eine Bestandskraft gerade nicht ankommen soll. Hätte der Verordnungsgeber ein anderes Ergebnis gewollt, hätte es überdies nahegelegen, an die Legaldefinition des Art. 2 Buchst. d) Dublin III-VO anzuknüpfen. Denn die „Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutzes“ umfasst gerade – deutlich durch das Wort „Urteile“ – auch die Phase des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Art. 10 Dublin III-VO nimmt auf Art. 2 Buchst. d) Dublin III-VO aber nur mit Blick auf – für den vorliegenden Fall formuliert – die Antragsteller zu 3) bis 5), jedoch nicht bezüglich der Antragsteller zu 1) und 2) Bezug. Rekurriert die Vorschrift insoweit also auf die Erstentscheidung in der Sache und nicht auf die Prüfung eines Antrags im Sinne der Legaldefinition, ist davon auszugehen, dass die damit verbundene (zeitliche) Zuständigkeitsbeschränkung beabsichtigt ist.
Dieses Auslegungsergebnis ist auch sachlich gerechtfertigt. Die Regelung des Art. 10 Dublin III-VO will den Vorteil nutzen, der sich für die Mitgliedstaaten daraus ergibt, dass mehrere Familienangehörige zur gleichen Zeit im Asylverfahren stehen und damit wechselweise als Auskunftspersonen zu Verfügung stehen. Die gemeinsame Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz der Mitglieder einer Familie durch ein und denselben Mitgliedstaat ermöglicht genauere Prüfungen der Anträge und kohärente damit zusammenhängende Entscheidungen (so Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand: 1. Februar 2014, Art. 10 K2; vgl. Erwägungsgrund 15 der Verordnung). Dieses Ziel der Verfahrensstraffung (vgl. Günther in BeckOK AuslR, 22. Ed., Stand: 1.5.2019, § 29 AsylG Rn. 47) und der besonders informierten Entscheidungsfindung durch Einbeziehung sämtlicher Familienangehöriger wird jedoch in dem Zeitpunkt obsolet, in dem die Antragsgegnerin über einen Antrag (hier der Antragsteller zu 1) und 2)) bereits entschieden hat.
Eine andere Auslegung ist auch nicht mit Blick auf den Schutz der Familie (durch Vermeidung der räumlichen Trennung) geboten (vgl. hierzu ebenfalls Erwägungsgrund 15). Denn Art. 10 Dublin III-VO überträgt einem an sich unzuständigen Staat ausnahmsweise die Zuständigkeit. Ausnahmen vom Zuständigkeitsregime nach den allgemeinen Regelungen sind jedoch eng auszulegen. Die daraus resultierenden Folgen für eine Trennung bzw. unterbleibende Zusammenführung der Familie nach der ersten (negativen) Entscheidung in einem – zumal durch das Unionsrecht strikt regulierten und grundsätzlich überall gleich ausgebauten – Verfahren für den Zeitraum eines gerichtlichen Verfahrens sind wertungsmäßig auch plausibel. Den Betroffenen wird eine Trennung bzw. Nichtzusammenführung nicht in der frühen Phase vor einer Entscheidung durch eine Behörde, aber danach zugemutet. Die erweiterte Ausnahmezuständigkeit des Mitgliedsstaats bleibt damit zeitlich eng(er) begrenzt (vgl. zum Ganzen auch: VG München, B.v. 12.9.2019 – M 19 S7 19.50715 – juris Rn. 13 ff.).
bb) Im Übrigen ist es den Antragstellern verwehrt, sich auf die Regelungen der Dublin III-VO hinsichtlich der Schaffung der Familieneinheit zu berufen. Die Voraussetzungen für die Berufung auf die Regelung zur Wahrung bzw. Herbeiführung der Familieneinheit von Asylverfahren derselben Familie in einem Mitgliedstaat wurden von den Antragstellern bewusst geschaffen. Das stellt einen Rechtmissbrauch dar.
Sowohl nach nationalen Vorschriften aber auch europarechtlich ist anerkannt, dass eine Rechtsposition versagt werden kann, wenn sie rechtsmissbräuchlich erworben wurde (vgl. etwa BVerwG, B.v. 24.4.2008 – 1 C 20.07 – juris Rn. 35; OVG BbG, B.v. 5.7.2012 – OVG 3 B 40.11 – juris Rn. 23). Für das Gemeinschaftsrecht gilt, dass die missbräuchliche Berufung auf die Normen des Unionsrechts (hier im Hinblick auf die Wahrung der Familieneinheit) nicht gestattet ist und die nationalen Gerichte dem missbräuchlichen Verhalten der Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien Rechnung tragen können, um ihnen gegebenenfalls die Berufung auf das einschlägige Unionsrecht zu verwehren. Dies setzt zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung unionsrechtlicher Bedingung das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde. Zum anderen setzt sie ein subjektives Element voraus, nämlich die Absicht, sich einem unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (vgl. nur: Schlussantrag des Generalanwalts Wathelet in C-534/11, Rdnr. 73 ff. unter Hinweis auf EuGH, U.v. 9.3.1999 – C-212/97; U.v. 14.12.2000 – C-110/99; vgl. zum Ganzen auch VG Cottbus, B.v. 26.2.2014 – 3 L 303/13.A – juris Rn. 17).
Denn die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier: Griechenland – bestandene Familieneinheit zwischen den Antragstellern wurde bewusst aufgegeben, um eine Familienzusammenführung in Deutschland zu erreichen. Die Familie habe sich nach den Angaben der Antragstellerin zu 1) in Griechenland aufgehalten und bewusst keinen Asylantrag gestellt. Die Familie ist nicht geschlossen nach Deutschland weitergereist. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt hat die Antragstellerin zu 1) angegeben, dass der Schleuser gesagt habe, das sei nicht möglich. Im vorliegenden Eilverfahren wird vorgetragen, dass die Familie das Geld für eine Weiterreise aller Familienmitglieder nicht habe aufbringen können. Daher habe sich die Familie getrennt und der Antragsteller zu 2) und kurz darauf die Antragstellerin zu 1) seien beide illegal nach Deutschland weitergereist. Die übrigen Familienmitglieder hätten dann in Griechenland einen Asylantrag gestellt, um – so die Antragstellerin zu 1) vor dem Bundesamt – die Familienzusammenführung zu erreichen.
Das Ziel der Dublin III-VO, eine rasche Bestimmung des für einen Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats zu ermöglichen (Erwägungsgrund 5 der Dublin III-VO), wurde durch das Vorgehen der Antragsteller vereitelt. Es sind keine sachlichen Gründe dafür vorgetragen oder ersichtlich, warum sich die Familie seit Ende August bzw. September 2019 in Griechenland aufgehalten hat, dort aber keinen Asylantrag gestellt hat. Vielmehr hat sich die Familie getrennt, damit einige Mitglieder im „Wunschziel“ Deutschland einen Asylantrag stellen. Die übrigen in Griechenland verbliebenen Familienmitglieder haben dort einen Asylantrag gestellt, um eine Familienzusammenführung in Deutschland nach der Dublin III-VO zu erreichen und so legal nach Deutschland weiterreisen zu können. Damit haben sie willkürlich die Voraussetzungen für das Berufen auf die Regelungen zur Beachtung der Familieneinheit im Asylverfahren herbeigeführt, was den Zielen der Regelung nicht entspricht. In einem solchen Fall kann der gewichtige Grundsatz der Familieneinheit (Erwägungsgrund 15 der Dublin III-VO) nicht zur Geltung kommen.
Die Vorgehensweise der Antragsteller führt dazu, dass die Regelungen des Dublin-Systems zur raschen und objektiven Bestimmung des für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates umgangen werden könnten. Das entspricht nicht der Zielsetzung des Dublin-Systems. Durch die bewusste Trennung einer Familie und Weiterreise einzelner Familienmitglieder in andere Mitgliedstaaten, wo sie sich auf die Regelungen zur Familienzusammenführung berufen, könnten sich Familien den zuständigen Mitgliedstaat für die ganze Familie nach individuellen Präferenzen auswählen. Das läuft der Zielsetzung des Dublin-Systems zuwider, das nach objektiven Kriterien eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vorsieht. Der Umstand, dass sich die Familie getrennt hat, entweder weil die Schleusung der ganzen Familie nicht möglich gewesen sei oder die Familie die Mittel für die Schleusung der ganzen Familie nicht habe aufbringen können, stellt eine willkürliche Trennung der Familieneinheit dar. Denn eine Asylantragstellung in Griechenland für die ganze Familie ist zumutbar. Systemische Mängel des griechischen Asylsystems werden von den Antragstellern nicht vorgetragen. Solche sind auch – jedenfalls auf dem Festland – nicht ersichtlich. Gerade in der jüngeren Zeit hat sich die Lage der Flüchtlinge in Griechenland – jedenfalls auf dem Festland – verbessert (Empfehlung der Europäischen Kommission vom 8. Dezember 2016; vgl. hierzu etwa VG München, B.v. 23.7.2019 – M 5 S 19.50682 – juris Rn. 15 ff.).
b) Die Zuständigkeit ergibt sich auch nicht aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Danach kann der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aus humanitären Gründen aufzunehmen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 Dublin III-VO nicht zuständig ist, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Im vorliegenden Fall führt Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO allerdings nicht zum Erfolg.
aa) Die Antragsteller können sich nicht auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO berufen, da diese Vorschrift nicht drittschützend ist. Art. 17 Abs. 2 Dublin III VO räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, aus humanitären Gründen die Zuständigkeit für eine Person in einem anderen Mitgliedstaat zu übernehmen. Die Ausübung dieses Rechts steht im Ermessen der Mitgliedstaaten. Ein subjektives Recht des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Anwendung des Art. 17 Abs. 2 Dublin III VO, das der Antragsteller gerichtlich geltend machen kann, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen. Einem solchen Klagerecht gegenüber dem ersuchten Mitgliedstaat steht neben dem eindeutigen Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO auch dessen Sinn und Zweck entgegen. Die Bestimmung soll allein eine Rechtsgrundlage für ein Aufnahmeersuchen eines Mitgliedstaates an einen anderen bieten. Für die Durchführung der Übernahme ist ein Konsens zwischen dem ersuchenden und dem ersuchtem Mitgliedstaat erforderlich, der von dem Antragsteller nicht erzwungen werden kann. Dementsprechend kennen die nationale Praxis sowie die Dublin III-VO selbst Rechtsbehelfe nur gegen eine Überstellungsentscheidung (Art. 27 Dublin III-VO), also gegen die beabsichtigte Überstellung eines Antragstellers durch den Aufenthaltsstaat in den (vermeintlich) zuständigen Mitgliedstaat. Zudem sollen nach dem Willen des Verordnungsgebers Probleme bei der Anwendung des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO allein im Wege des Schlichtungsverfahrens zwischen den Mitgliedstaaten nach Art. 37 Dublin III-VO gelöst werden (vgl. zum Ganzen: VG Schleswig, B.v. 28.1.2020 – 13 B 1/20, juris Rn. 18 ff.; VG Berlin 18.4.2019 – 9 L 77.19, juris Rn. 14; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand: 1. Februar 2014, Art. 17, K20. f.; a.A. VG Berlin, B.v. 17.6.2019 – 23 K L 293.19 A, juris Rn. 22; Pertsch, Asylmagazin 8-9/2019, 287/294; ausdrücklich offen gelassen: BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2.19, juris Rn. 12). Auch das Erfordernis der schriftlichen Zustimmung der betroffenen Personen aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zeigt, dass die Norm keinen Individualanspruch vermittelt (vgl. VG München, B.v. 9.5.2019 – M 5 E 19.50027, juris Rn. 68).
bb) Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO auch nicht vor, da keine humanitären Gründe für die Übernahme der Antragsteller zu 3) bis 5) durch die Antragsgegnerin glaubhaft gemacht wurden.
Die Antragsteller zu 3) bis 5) haben in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die griechischen Behörden führen wohl aktuell noch das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durch bzw. haben als zuständiger Mitgliedstaat jedenfalls noch keine Erstentscheidung in der Sache erlassen. Griechenland hat – dem schriftlichen Begehren der Antragsteller vom 6. Mai 2019 entsprechend – auf Grundlage dieser Vorschrift einen anderen Mitgliedstaat, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, ersucht, die Antragsteller zu 3) bis 5) aufzunehmen, was Deutschland jedoch abgelehnt hat.
Humanitäre Gründe im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO liegen nicht vor. Der unbestimmte Rechtsbegriff „humanitär“ verlangt im Kontext der Dublin III-VO eine Auslegung, die – bezogen auf den jeweiligen Einzelfall – bei Anwendung der Vorschriften zur Bestimmung der Zuständigkeit zu Ergebnissen gelangt, die den Grundgedanken der Einheit der Familie und dem Kindeswohl verpflichtet ist. Eine diesen Zielen widersprechende Entscheidung verlangt mithin eine „humanitäre Korrektur“, die eine an dem humanitären Grundgedanken ausgerichtete, von Fristenregelungen befreite Ermessensentscheidung bedingt (VG Frankfurt, B.v. 27.5.2019 – 10 L 34/19.F.A., juris, Rn. 27).
Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO soll vor allem dazu dienen, eine Trennung von Familienangehörigen, die sich aus einer strikten Anwendung der Zuständigkeitskriterien ergeben kann, zu verhindern oder rückgängig zu machen. (vgl. VG Gelsenkirchen, B.v.4.9.2019 – 14a L 1223/19.A, juris; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand: 1. Februar 2014, Art. 17 K14). Dagegen dient Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht dazu, Familienmitglieder zusammenzuführen, die sich allein deshalb getrennt haben, um in einen anderen, „attraktiveren“ Mitgliedstaat zu gelangen.
Der Verordnungsgeber hat im Interesse eines geordneten und funktionsfähigen Asylsystems mit der Dublin III-VO ein System zur schnellen und klaren Zuweisung von Zuständigkeiten geschaffen. Er hat dabei bereits innerhalb dieses Zuweisungssystems der Einhaltung grundrechtlicher Belange Rechnung getragen. Vor diesem Hintergrund soll Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO in erster Linie Härtefälle erfassen, bei denen, würde man dem Interesse an der Zuständigkeit den Vorrang einräumen, grundrechtliche Positionen des Antragstellers in nicht gerechtfertigter Weise beeinträchtigt wären. Diesem Charakter des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO als Auffangvorschrift ist im Rahmen des Ermessens Rechnung zu tragen (vgl. VG Ansbach, B.v. 10.7.2019 – AN 18 E 19.50571 sowie AN 18 E 19.50573, juris; VG Gelsenkirchen, B.v.4.9.2019 – 14a L 1223/19.A, juris).
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht zu machen, da die Trennung auf einer eigenverantwortlichen Entscheidung der Familie beruht habe, ist schon nicht ermessensfehlerhaft.
Im Übrigen liegt auch ein Härtefall nicht vor.
Zwar handelt es sich bei den Antragstellern nachgewiesenermaßen um eine Familie im Sinne der Art. 2 lit. g) Dublin III-VO, Art. 6 Abs. 1 GG, die sich auf die Achtung ihres Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie Art. 7 EU-GR-Charta und die Achtung des Kindeswohls nach Art. 24 EU-GR-Charta beruft, sodass dem Grunde nach anerkennenswerte humanitäre Gründe im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO vorliegen. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind jedoch gerade nicht aufgrund einer strikten Anwendung der Zuständigkeitskriterien der Dublin III-Verordnung von den übrigen Antragstellern getrennt worden. Vielmehr haben die Antragsteller zu 1) und 2) Griechenland freiwillig verlassen, um ihren Asylantrag in Deutschland zu stellen, und haben damit die unterschiedlichen Zuständigkeiten selbst und bewusst herbeigeführt.
In der persönlichen Anhörung am 11. Juni 2019 erklärte die Antragstellerin zu 1), dass ihre Familie in Griechenland keine Hilfe erhalten habe und sie dort von ihren Ersparnissen gelebt habe. Daher sei das Leben in Griechenland sehr schwer gewesen. Die Familie habe zunächst keinen Asylantrag in Griechenland gestellt und in einer Wohnung in Athen gelebt. Aus dieser seien sie dann aus Angst davor, einen Fingerabdruck abgeben zu müssen, ausgezogen. Die Familie sei nicht zusammen weiter nach Deutschland gereist, weil ein Schleuser gesagt habe, dass das nicht möglich sei. Daher sei zuerst der Antragsteller zu 2) alleine und kurze Zeit später die Antragstellerin zu 1) nach Deutschland gereist. Die Antragsteller zu 3) bis 5) seien in Griechenland geblieben und haben dort zwischenzeitlich einen Asylantrag gestellt, da der Familie gesagt worden sei, dass nur so eine Familienzusammenführung möglich sei.
Diese Erklärungen sprechen dafür, dass die Ausreise zuerst des Antragstellers zu 2) und drei Monate später der Antragstellerin zu 1) vornehmlich auf dem Beweggrund beruhten, in Deutschland zu einer positiven Bescheidung des Antrags auf internationalen Schutz zu gelangen, um dann die Antragsteller zu 3) bis 5) im Wege des Familiennachzugs nachzuholen.
Ausgehend hiervon ist anzunehmen, dass es den Antragstellern zu 1) und 2) freigestanden hat, bei den Antragstellern zu 3) bis 5) zu verbleiben. Sie haben sich jedoch bewusst dafür entschieden, die Familie vorübergehend zu verlassen, um in Deutschland einen Asylantrag zu stellen und die restlichen Familienmitglieder nachzuholen. Die Trennung der Familie hat sich daher nicht aus der strikten Anwendung der Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO ergeben, sondern beruhte auf der bewussten Entscheidung der Familie. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn ihnen durch die Entscheidung des Bundesamtes zugemutet wird, die Familieneinheit in Griechenland wiederherzustellen bzw. den Ausgang der Asylverfahren abzuwarten.
Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, dass die Familie sich nicht freiwillig getrennt habe, sondern schlicht nicht das Geld gehabt habe für eine Weiterflucht der gesamten Familie, kann daran nichts ändern. Denn zum einen widerspricht dies den Angaben der Antragstellerin zu 1). Diese hat bei der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, dass die Trennung der Familie darauf beruhte, dass ein Schleuser gesagt habe, dass eine gemeinsame Weiterreise der gesamten Familie nicht möglich sei. Zum anderen würde dies nichts daran ändern, dass es den Antragstellern zu 1) und 2) freistand, bei der Familie zu bleiben.
cc) Im Übrigen gelten die oben stehenden Ausführungen zur missbräuchlichen Berufung auf die Regelungen zur Schaffung der Familieneinheit nach dem Dublin-System auch für Art. 17 Dublin III-VO.
c) Die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich auch nicht aus Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO. Das Bundesamt hat das Übernahmeersuchen der griechischen Behörden vom 20. Mai 2019 fristgerecht binnen der Zweimonatsfrist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO mit Schreiben vom 5. Juni 2019 abgelehnt. Der Antrag der griechischen Behörden vom 24. Juni 2019 auf erneute Überprüfung der Entscheidung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. EG Nr. L 222, S. 3-23), wurde fristgemäß innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der ablehnenden Antwort gestellt. Das Bundesamt hat jedoch auch diesen Antrag fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Antrags mit Schreiben vom 2. Juli 2019 abgelehnt. Dass das Bundesamt den weiteren Antrag der griechischen Behörden vom 2. August 2019 unbeantwortet gelassen hat, ist unschädlich, da das Bundesamt seine Position zuvor bereits zwei Mal fristgerecht dargetan hat.
3. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob auch ein Anordnungsgrund – das Erfordernis einer eiligen Entscheidung des Gerichts – glaubhaft gemacht ist.
4. Das Verfahren ist nicht – wie vom Bevollmächtigten der Antragsteller angeregt – auszusetzen und dem EuGH vorzulegen. Denn eine Pflicht zur Vorlage an den EuGH im Eilverfahren bei Fragen der Auslegung des Unionsrechts besteht nicht (vgl. EuGH, U.v. 24.05.1977 – C 107/76, juris Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 57). Es ist ausreichend, dass die Rechtsfrage in einem sich gegebenenfalls anschließenden Hauptsacheverfahren ohne Präjudiz durch die Eilentscheidung dem EuGH vorgelegt werden kann (BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16, juris). Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass das Institut des Rechtsmissbrauchs auch im Europarecht anerkannt ist.
Eine mündliche Verhandlung ist nach § 101 Abs. 3 VwGO nicht vorgeschrieben. Im Beschlussverfahren steht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Ermessen des Gerichts (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 101 Rn. 12). Da es im vorliegenden Verfahren in erster Linie um die Klärung von Rechtsfragen geht, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht sinnvoll. Die Rechtsargumente können hinreichend im schriftlichen Verfahren vorgebracht werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin im gesamten Verfahren eine Stellungnahme nicht für erforderlich gehalten hat. Der Antrag auf Entsendung eines Beamten des Bundesamtes zu einer mündlichen Verhandlung gem. § 95 Abs. 3 VwGO geht damit ins Leere.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
6. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, München, abzulehnen (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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