Europarecht

Erfolgloses Eilverfahren eines Afghanen bzgl. einer Abschiebungsanordnung nach Bulgarien

Aktenzeichen  M 9 S 18.50047

Datum:
14.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23862
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 34a
Dublin III-VO Art. 13, Art. 23

 

Leitsatz

In Bulgarien sind im Entscheidungszeitpukt keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen gegeben. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der laut eigener Aussage am 1. Januar 1998 geborene Antragsteller (Bl. 34 d. Behördenakts – i.F.: BA -) ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Afghanistans (Bl. 34 d. BA); dies wird bestätigt durch eine in der Behördenakte befindliche Übersetzung einer nicht beglaubigten Tazkira (Bl. 88 und Bl. 90 d. BA). Er reiste nach eigenen Angaben am 14. Januar 2016 von Bulgarien kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 16 und Bl. 72 d. BA). Er beantragte am 23. November 2017 förmlich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – i.F.: Bundesamt – Asyl (Bl. 34 d. BA). Die Behördenakte (Bl. 62 d. BA) enthält eine nicht unterzeichnete Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (i.F.: BÜMA) vom 16. November 2017; diese trägt keinen Eingangsstempel des Bundesamts. Nach einer AZR-Auskunft vom 16. November 2017 (Bl. 63ff. d. BA) reiste der Antragsteller zwar am 14. Januar 2016 in das Bundesgebiet ein, ein Asylgesuch äußerte er demnach aber erstmals am 16. November 2017 gegenüber der Regierung von Oberbayern. In der Anhörung nach § 25 AsylG explizit nach den Umständen dieser Ersteinreise im Januar 2016 befragt gab der Antragsteller an (Bl. 72 d. BA), damals auch einen Asylantrag gestellt zu haben. Es seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden; er habe aber weder ein „Interview“ gegeben noch könne er Unterlagen zum damaligen Asylantrag vorlegen. Laut einer Anmerkung des Anhörenden/Entscheiders (Bl. 72 d. BA) sei der Asylantrag nicht in MARIS zu finden und auch eine Nachfrage beim Asylverfahrenssekretariat (AVS) habe keinerlei Hinweise auf einen damaligen Asylantrag ergeben.
Aufgrund eines am 16. November 2017 abgerufenen Eurodac-Treffers (vgl. Bl. 93 d. BA) der Kategorie 1 (BG1…) wurde am 29. November 2017 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (i.F.: Dublin III-VO) ein Wiederaufnahmegesuch an Bulgarien gerichtet (Bl. 94ff. d. BA); eine Zugangsbestätigung liegt vor (Bl. 100 d. BA). Die bulgarischen Behörden haben das Wiederaufnahmegesuch – nach einer ersten Absage auf weitere Stellungnahme des Bundesamts hin – am 20. Dezember 2017 nach Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO ausdrücklich akzeptiert (Bl. 117f. d. BA).
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2017, dem Antragsteller am 29. Dezember 2017 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt (vgl. Bl. 143 d. BA), lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2), ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Ziff. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4). Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Antragsteller persönlich hat am 4. Januar 2018 Klage und Eilantrag gegen den Bescheid erhoben. Er beantragt im hiesigen Verfahren, hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Bulgarien die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Es werde auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen. Im Übrigen führt der Antragsteller aus, in Bulgarien in Haft gewesen zu sein und nicht dorthin zurück zu wollen. Er habe dort keinen Asylantrag gestellt, sondern es seien ihm nur Fingerabdrücke abgenommen worden.
Das Bundesamt stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
1. An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Bulgarien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b oder lit. c, Art. 23 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1, Art. 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Dublin III-VO. Die bulgarischen Behörden haben das Wiederaufnahmegesuch, das am 29. November 2017 und damit rechtzeitig innerhalb der 2-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO gestellt wurde, ausdrücklich akzeptiert. Ob, wie vom Bundesamt angenommen, Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO einschlägig ist oder, wie von den bulgarischen Behörden erklärt, Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO, ist unschädlich, da die Tatbestände der Art. 18 Abs. 1 lit. b und lit. c Dublin III-VO insofern „austauschbar“ sind, als es nur darauf ankommt, dass ein Wiederaufnahmeverfahren – und kein Aufnahmeverfahren, hierfür gelten Art. 18 Abs. 1 lit. a Dublin III-VO und bspw. auch andere Antwortfristen, vgl. Art. 22 Dublin III-VO – durchzuführen ist.
Auch die nach der jüngeren EuGH-Rechtsprechung „parallel“ einzuhaltende 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO wurde gewahrt; diese lief vorliegend erst am 16. November 2017 als frühestmöglichem Datum einer „Antragstellung“ i.S.v. Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO an (vgl. VG München, B.v. 23.8.2017 – M 9 S7 17.51363 – juris m.w.N.). Auf die Ersteinreise im Januar 2016 kann nicht abgehoben werden. Es ist bereits zweifelhaft, ob dem Antragsteller damals überhaupt Fingerabdrücke genommen wurden, ist im Eurodac-System doch kein Treffer hinterlegt (vgl. Bl. 93 d. BA). Weiter ist auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 88) jedenfalls zu fordern, dass die zuständige Behörde, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wirksam einleiten zu können, zuverlässig darüber informiert werden muss, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat, ohne dass das zu diesem Zweck erstellte Schriftstück eine ganz bestimmte Form haben oder zusätzliche, für die Anwendung der in der Dublin-III-Verordnung festgelegte Kriterien oder gar für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in der Sache relevante Informationen enthalten muss. Eine derartige Information des Bundesamts ist vorliegend im Januar 2016 aber weder nach Aktenlage noch nach dem Vortrag des Antragstellers erfolgt. Dass die ZAB Niederbayern im Januar 2016 (nur) die Ersteinreise an das Bundesverwaltungsamt meldete (das das AZR führt), stellt keine derartige Information des Bundesamts über ein Asylgesuch dar.
Die Überstellung an Bulgarien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Bulgarien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wären. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) entspricht. Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Betroffenen führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-GRCharta ausgesetzt zu werden. Eine Widerlegung der Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten anzunehmen, an die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Das Gericht geht nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen davon aus, dass in Bulgarien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im oben genannten Sinne gegeben sind. Dazu wird Bezug genommen auf die einhellige Rechtsprechung, die keine systemischen Mängel hinsichtlich Bulgariens (an-)erkennt (vgl. OVG NW, U.v. 19.5.2017 – 11 A 52/17.A – juris; VG Trier, U.v. 29.6.2018 – 9 K 11011/17.TR – juris).
2. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse – bezogen auf Bulgarien -, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse, die jeweils im Rahmen der Abschiebungsanordnung, § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG zu prüfen sind (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris), wurden nicht belegt.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass eine vonseiten eines Facharztes diagnostizierte Krankheit keinesfalls zwingend „generell“ eine Reiseunfähigkeit oder die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen zur Folge hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.2.2013 – 10 CE 12.2396 – juris). Krankheiten hindern nicht per se die Überstellung im Sinne einer Transportunfähigkeit, v.a. nicht ins innereuropäische Ausland – vorliegend: Bulgarien – (kurze Reisewege, geringe Belastung), und begründen nicht etwa „regelhaft“ ein ernsthaftes Risiko dergestalt, dass sich der Gesundheitszustand des Betroffenen unmittelbar durch die Ausreise oder Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird.
Die in der Befragung zur Zulässigkeit des Asylantrags (Bl. 83ff. d. BA) angegebene Asthma-Erkrankung wurde nicht belegt. Unabhängig davon ist davon auszugehen, dass Asthma die Überstellung nach Bulgarien nicht hindert und in Bulgarien behandelbar ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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