Europarecht

Erfolgreiche Klage gegen Abschiebungsanordnung wegen Ablaufs der Überstellungsfrist

Aktenzeichen  M 18 K 15.50553

Datum:
13.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 29 Abs. 2

 

Leitsatz

Mit der objektiven Rechtswidrigkeit der Feststellung der Unzuständigkeit der Beklagten geht eine subjektive Rechtsverletzung des Asylbewerbers iSd § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO einher, wenn die Bundesrepublik Deutschland wegen Ablaufs der Überstellungsfrist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Mai 2015 wird aufgehoben.
II.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Das Gericht kann nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben. Die Beklagte hat mit allgemeiner Prozesserklärung im Schreiben vom 24. Juni 2015 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Bevollmächtigte des Klägers hat den Verzicht mit Schreiben vom 18. Dezember 2015 erklärt. Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat seine Beteiligung in den Schreiben vom 11. und 18. Mai 2015 ausdrücklich auf die Übersendung der jeweiligen End- bzw. Letztentscheidung beschränkt.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und die Abschiebungsanordnung sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylVfG abzustellen ist, rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Diese Voraussetzungen liegen nicht mehr vor.
Die Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylbegehrens ist mittlerweile nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 VO (EU) 604/2013 (Dublin-III-VO) entfallen und auf die Beklagte übergegangen. Die Überstellungsfrist ist nach § 31 Abs. 1 VwVfG, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB mit dem 21. September 2015 abgelaufen. Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO läuft grundsätzlich sechs Monate nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs ab. Da auf das Wiederaufnahmegesuch keine Antwort binnen zweier Wochen erfolgte, war ab dem 21. März 2015 nach Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird.
Es ist nicht mitgeteilt worden, dass Ungarn sich entgegen der unionsrechtlichen Bestimmungen nicht auf den Fristablauf berufen wird und ausnahmsweise dennoch zur Übernahme des Klägers bereit ist. Hiervon kann grundsätzlich auch nicht ausgegangen werden (vgl. BayVGH, B. v. 11.2.2015 – 13a ZB 15.50005 – juris Rn. 4).
Mit der objektiven Rechtswidrigkeit der Feststellung der Unzuständigkeit der Beklagten geht auch eine subjektive Rechtsverletzung des Klägers im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO einher. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs muss gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden können, wenn wegen Ablaufs der Überstellungsfrist allein deren Zuständigkeit in Betracht kommt.
Auch die Abschiebungsanordnung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Ist die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 27a AsylG rechtwidrig, liegen die Voraussetzungen für die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht vor.
Die Beklagte trägt als unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.


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