Europarecht

Ermessensentscheidung über Selbsteintritt bei inlandsbezogenem Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  RO 12 K 18.50785

Datum:
13.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27921
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1
GG Art. 6
EMRK Art. 8
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine individuelle Zusicherung Italiens für eine adäquate Unterbringung von Familien mit Kindern unter drei Jahren ist wegen des Vorhandenseins ausreichender Unterbringungsplätze derzeit nicht erforderlich. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem Ausländer ist eine nur vorübergehende Trennung von seiner Familie nach der Geburt eines Kindes nicht zuzumuten, da die Zeit unmittelbar nach der Geburt und im Säuglingsalter auch für den Vater besondere Bedeutung, etwa im Hinblick auf eine aufzubauende Bindung zu dem Kind, hat. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 13.11.2018, Az. …-232, wird in den Ziffern 3 und 4 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die Beklagte hat zu Recht ihre Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers verneint und den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt. Es besteht außerdem kein Anspruch auf die – wie sich unter Berücksichtigung des klägerischen Begehrens gemäß § 88 VwGO bei der gebotenen Auslegung der zur Niederschrift des Urkundsbeamten gestellten Anträge ergibt – neben der Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidung hilfsweise begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 13.11.2018 (Az. …-232) ist daher in den Ziffern 1 und 2 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO. Es liegt in der Person des Klägers jedoch ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vor. Die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids enthaltene Abschiebungsanordnung und infolgedessen auch die in Ziffer 4 des Bescheids enthaltene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots waren daher aufzuheben. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 13.11.2018 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers in Ziffer 1 des Bescheids vom 13.11.2018 zu Recht als unzulässig abgelehnt. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der hier einschlägigen Dublin III-VO ist der gegenständliche Asylantrag unzulässig, da vorliegend für die Durchführung eines Asylverfahrens ein anderer Staat, nämlich Italien zuständig ist. Bei Italien handelt es sich um einen sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a Abs. 1 AsylG, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) sowie um einen Mitgliedstaat der Dublin III-VO.
a. Für die Prüfung des Aslyantrags des Klägers ist nicht die Beklagte, sondern Italien zuständig. Die Zuständigkeit Italiens ergibt sich vorliegend aus Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO, da der Kläger schon nach seinem eigenen Vortrag aus einem Drittstaat kommend die Seegrenzen von Italien illegal überschritten hat. Der Grenzübertritt nach Italien wurde vorliegend auch aufgrund der am 20.06.2016 in Italien abgenommen Fingerabdrücke (EURODAC-Treffer) festgestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wird eindeutig belegt durch den für den Kläger erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Das entsprechende Übernahmegesuch der Antragsgegnerin wurde auch fristgemäß innerhalb der Frist des Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO, nämlich am 30.10.2018 und damit innerhalb von zwei Monaten nach der EURODAC-Treffermeldung am 14.10.2018, gestellt. Italien hat der Übernahme des Klägers unter Bezugnahme auf Art. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b DublinIII-VO am 12.11.2018 zugestimmt. Aufgrund dieser Zustimmung ist von einem noch laufenden Asylverfahren des Klägers in Italien auszugehen. Sein anderweitiges Vorbringen, sein Asylantrag sei in Italien bereits zweimal abgelehnt worden, hat der Kläger nicht näher belegen oder substantiieren können.
Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO steht der Zuständigkeit Italiens nicht entgegen. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Verfahrens zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts, der hier länger zurückliegt als zwölf Monate. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Antragsteller seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist nicht von Bedeutung, ob die zwölfmonatige Frist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist (vgl. VG München, Beschluss vom 06.07.2017 – M 9 S 16.51285 -, juris, Rn. 24 m.w.N.). Demnach steht Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO der Zuständigkeit Italiens nicht entgegen, da nach den zeitlichen Angaben des Klägers, er sei im November 2015 erst aus seinem Heimatland ausgereist, der am 20.06.2016 gestellte Asylantrag innerhalb von 12 Monaten nach Einreise nach Italien gestellt wurde.
Auch der Umstand, dass sich die Verlobte und der in Deutschland geborene Sohn des Klägers in Deutschland aufhalten, vermag an dieser Zuständigkeit nichts zu ändern. Der Kläger hat seine Verlobte nämlich erst in Italien kennengelernt. Es handelt sich bei seiner Verlobten und seinem Sohn daher nicht um Familienangehörige i.S.d. Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO, weil die Familie nicht schon im Herkunftsland bestanden hat. Schon deshalb kommt eine vorrangige Anwendung der Art. 9 bis 11 Dublin III-VO nicht in Betracht.
b. Die Zuständigkeit ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat nicht an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Einer Überstellung nach Italien stehen keiner der in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO genannten Gründe entgegen. Nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters ist gegenwärtig nicht erkennbar, dass das Asylverfahren in Italien und die dortigen Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller die in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO beschriebenen „systemischen Schwachstellen“ aufweisen, auf Grund derer der Kläger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GrCH) oder des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zu erwarten hat.
Einer der Hauptzwecke der Dublin III-Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage insbesondere in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sowie der EMRK finden (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, Rn. 78 f.; Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 2016, Rn. 264). Daraus hat der Europäische Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GRCh sowie mit der GFK und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80). Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, sodass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die fraglichen Rechte der Asylbewerber würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Dies ist wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems aber an hohe Hürden geknüpft (Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 2016, Rn. 264). Insbesondere lässt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Beachtung der Bestimmungen der Dublin-Regelungen hinfällig werden. Das ist vielmehr erst dann der Fall, wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende, systembedingte Mängel aufweisen, die gleichsam zwangsläufig eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber befürchten lassen (vgl. zum Ganzen auch VG Regensburg, Beschluss vom 06.02.2014 – RN 8 S 14.30095). Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt das Vorliegen systemischer Mängel in einem Mitgliedstaat voraus, dass dort die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht; gemeint sind dabei Defizite, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaats angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 – 10 B 6/14 -, juris). Maßstab hinsichtlich Unterbringung und Versorgung dürfen deshalb nicht die in Deutschland üblichen sozialen Standards sein, sondern allein die sich aus Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCH ergebenden Mindeststandards (Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 2016, Rn. 265). Ausgangspunkt ist dabei, dass Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCH die Vertragsstaaten nicht verpflichtet, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen und sie auch nicht verpflichtet, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Beschluss vom 02.04.2013 – Az. 27725/10). Dies verlangt auch nicht die Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU), die lediglich bestimmt, dass Asylsuchende und international Schutzberechtigte in Hinblick auf den Zugang zu Sozialhilfeleistungen (Art. 29), medizinischer Versorgung (Art. 30) und Wohnung (Art. 32) nicht anders als die Staatsangehörigen des Mitgliedsstaates behandelt werden. Missstände im sozialen Bereich können die Eingriffsschwelle deshalb nur unter strengen Voraussetzungen überschreiten. Zu bejahen ist ein Eingriff dann, wenn sich ein Asylbewerber, der von staatlicher Unterstützung vollständig abhängig ist und sich in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation befindet, staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht (vgl. EGMR, Urteil vom 21.12.2011 – Nr. 30696/09 – M.S.S./Belgium and Greece). In Konkretisierung dieser Grundsätze hat der Europäische Gerichtshof in den Urteilen vom 19.3.2019 (Az. C-163/17 sowie C-297/17 u.a.) ausgeführt, dass für die Bejahung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCH eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werden muss, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.
Derartige Defizite sind in Italien nicht gegeben. Zum Ablauf des Asylverfahrens in Italien und dem bestehendem Aufnahmesystem für Asylsuchende wird auf die detaillierte Beschreibung im angefochtenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Hinsichtlich der Bewertung schließt sich der Einzelrichter der Bewertung verschiedener Oberverwaltungsgerichte (z.T. auch für die Situation anerkannter Schutzberechtigter) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (BayVGH, Beschluss vom 30.08.2019 – Az. 23 ZB 19.33040; BayVGH, Beschluss vom 09.01.2019 – Az. 10 CE 19.67; OVG Lüneburg, Beschluss vom 21.12.2018 – Az. 10 LB 201/18, Beschluss vom 6.6.2018 – Az. 10 LB 167/18, Urteil vom 6.4.2018 – Az. 10 LB 109/18; OVG NRW, Urteil vom 18.07.2016 – Az. 13 A 1859/14.A, Urteil vom 2.6.2016 – Az. 13 A 1896/14.A; EGMR, Entscheidung vom 05.02.2015 – Az. 51428/10, Entscheidung vom 17.11.2015 – Az. 54000/11, Entscheidung vom 04.10.2016 – Az. 30474/14). Diese gehen übereinstimmend davon aus, dass trotz verschiedener festzustellender Mängel bei Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen Italien über ein prinzipiell den Anforderungen von Art. 4 GrCH bzw. Art. 3 EMRK entsprechendes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt. Insbesondere ist zu erwähnen, dass Italien auf den erhöhten Zustrom von Asylsuchenden mit der Erweiterung des Unterkunftssystems reagiert hat. Das staatliche und kommunale Aufnahmesystem in Italien ist innerhalb von vier Jahren von ca. 5000 Plätzen auf ca. 120 000 Plätze angewachsen (vgl. Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom August 2016: „Aufnahmebedingungen in Italien: Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden). Daneben stellen verschiedene kirchliche Einrichtungen und lokale Hilfsorganisationen Unterkünfte zur Vermeidung von Obdachlosigkeit zur Verfügung. Wenn es zeitweise doch zu Kapazitätsproblemen kommt, erfüllt das nicht die dargestellten Voraussetzungen der systemischen Mängel. Insbesondere ergeben sich solche nicht aus Problemen bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015, weil diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern auch in anderen europäischen Aufnahmeländern, einschließlich Deutschland bestanden. Auch auf die bisherige Schwachstelle, dass für die formelle Registrierung als Asylbewerber eine Wohnsitzbestätigung erforderlich sei und in der häufig langen Zeit bis zu dieser Registrierung eine Unterbringung nicht gewährleistet war, ist durch eine Änderung der rechtlichen Vorgaben im September 2015 reagiert worden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft an das OVG Münster vom 07.04.2016). Weiter wurden in einem mit EU-Geldern finanzierten nationalen Integrationsplan verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen vorgesehen. Der italienische Staat reagiert demnach auf die Situation der Asylsuchenden und anerkannten Schutzbedürftigen nicht mit Gleichgültigkeit.
Es gibt auch keine Anhaltspunkte für systemische Mängel wegen unzureichenden Zugangs von Asylbewerbern zu medizinischen Behandlungsmöglichkeiten. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln ist während des Asylverfahrens grundsätzlich in menschenrechtskonformer Weise gewährleistet (OVG Niedersachsen, Urteil vom 04.04.2018 – 10 LB 96/17 -, juris, Rn. 73 ff. m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris, Rn. 107 ff. m.w.N.). Asylbewerber können notwendige medizinische Versorgung grundsätzlich auch in Italien erhalten (OVG Niedersachen, Urteil vom 04.04.2018 – 10 LB 96/17 -, juris, Rn. 67 m.w.N.). Die Gesundheitsversorgung in Italien ist grundsätzlich für alle Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, gewährleistet. Flüchtlinge, Asylbewerber und Personen, die unter humanitärem Schutz stehen, sind in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim Servizio Sanitario Nazionale (Nationaler Gesundheitsdienst) ist obligatorisch und ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Behandlung bei einem praktischen Arzt, Kinderarzt, in Ambulanzen und bei Spezialisten oder zur Aufnahme in ein Krankenhaus berechtigt. Alle Ausländer können und sollen sich beim Servizio Sanitario Nazionale melden und registrieren lassen. Dafür benötigen sie einen Aufenthaltstitel, ihren Codice Fiscale (Steuernummer, die man bei der Agenzia delle Entrate/Einreise-Agentur erhält) sowie eine feste Adresse, wobei die Selbstauskunft für eine Adresse ausreicht. Die Caritas bietet darüber hinaus Sammeladressen für Personen an, die keinen festen Wohnsitz haben, diesen jedoch für alle bürokratischen und Verwaltungsangelegenheiten benötigen. Mit dieser Registrierung haben alle Zugang zu einem Allgemeinarzt und zu kostenloser Behandlung. Überweisungen an Spezialisten bzw. Fachärzte werden kostenlos übernommen. Eine ärztliche Versorgung ist im Allgemeinen auch gewährleistet, soweit es um die Behandlung von psychischen bzw. traumatischen Erkrankungen geht (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 21.01.2013 an das OVG LSA; Leitfaden Italien des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Oktober 2014). Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie einer Notfallversorgung steht allen, auch illegalen Migranten offen (BFA, Länderinformationsblatt Italien, 27.9.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.2.2019, S. 19).
Die Bewertung, dass die Aufnahmebedingungen des italienischen Asylsystems im Hinblick auf die staatlichen Aufnahmekapazitäten keine systemischen Mängel auf-weisen, gilt auch unter Berücksichtigung des am 04.12.2018 als Gesetz in Kraft ge-tretenen sogenannten „Salvini-Dekrets“ (Dekret no. 113 vom 04.10.2018), mit dem das Asylrecht in Italien verschärft werden soll, fort. Zwar dürften infolgedessen nicht anerkannte Schutzberechtigte nunmehr keinen Zugang mehr zu den Unterkünften des SPRAR-Systems (nunmehr SIPROIMI) haben, weil diese bloß mehr einem eingeschränkteren Personenkreis als früher zur Verfügung stehen, nämlich im Wesentlichen nur noch Personen mit Schutzstatus und unbegleiteten Minderjährigen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, 8.5.2019). Dennoch besteht weiterhin die Möglichkeit der Unterbringung von Asylsuchenden, auch Dublin-Rückkehrern, in staatlichen Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen auch Plätze für die Bedürfnisse vulnerabler Personen vorgesehen werden sollen und Asylbewerber haben weiterhin in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Stand 26.2.2019, S. 6 ff). Im Ergebnis führt die Schaffung des differenzierten Aufnahmesystems daher nicht zu Bedingungen, die die oben dargestellten Voraussetzungen für die Bejahung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GR-Charta erfüllen. Dies ergibt sich auch nicht daraus, dass es speziell bei Dublin-Rückkehrern zu Problemen bei der Unterbringung kommen kann, wenn sie vor der Weiterreise bereits offiziell untergebracht waren, da der Anspruch auf Unterbringung in staatlichen Einrichtungen untergeht, wenn der Ausländer seine Unterkunft ohne vorherige Bewilligung verlässt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Stand 26.2.2019, S. 22; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, 8.5.2019, S. 14) oder gar nicht erst in Anspruch genommen hat. In diesem Fall muss zunächst die Wiederaufnahme auf einen bei der zuständigen Questura zu stellenden Antrag hin genehmigt werden (vgl. Asylum Information Database, Country Report: Italy, 2018 Update, S. 57); mindestens in der Übergangsphase ist Obdachlosigkeit möglich, wenn nicht die Hilfe karitativer Einrichtungen erlangt werden kann. Nachdem diese Situation durch die vom Asylbewerber selbst getroffene Entscheidung zur Weiterreise verursacht ist, erfüllt aber auch sie nicht die dargestellten Anforderungen an die Annahme systematischer Mängel.
Gerade auch vor dem Hintergrund des deutlichen Rückgangs der Flüchtlingszahlen für Italien kann außerdem der Wegfall der SPRAR-Unterbringungsplätze nicht die Annahme eines systemischen Mangels in den Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer begründen. Im Jahr 2018 sind deutlich weniger Flüchtlinge nach Italien gekommen. Nach den Daten der „International Organization for Migration“ (IOM) der Vereinten Nationen kamen zwischen Januar und 2. Dezember 2018 23.011 Flüchtlinge auf dem Seeweg (dem Hauptreiseweg für die derzeitigen Hauptfluchtländer) nach Italien. Dies sind lediglich knapp 80% der im Vorjahr Angekommenen 119.369 (vgl. dazu ausführlich VG Hannover, Beschluss vom 14.01.2019 – 5 B 5153/18 -, Rn. 25-31, juris). Zudem berührt die sich aus Art. 13 des „Salvini-Dekrets“ ergebende Gesetzesänderung (DRC u. SFH, Mutual Trust is still not enough, 12.12.2018, S. 13) nicht den nach geltendem Recht anerkannten Zugang zu Dienstleistungen für Asylbewerber wie Registrierung beim Gesundheitsdienst, Zugang zur Beschäftigung, Einschulung von Kindern, Aufnahmemaßnahmen (vgl. http://www…it/… immigrazione.pdf, S. 38 f.; abgerufen am 23.01.2019). Unabhängig davon bieten auch die Aufnahmeeinrichtungen medizinische Versorgung an (DRC u. SFH, Mutual Trust is still not enough, 12.12.2018, S. 13).
Eine andere Bewertung ergibt sich nicht aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 17.09.2014 (Az. 2 BvR 1795/14 und 2 BvR 939/14) sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 04.11.2014 (Az. 29217/12). In diesen werden schon nicht systemische Mängel festgestellt, sondern es wird ausgeführt, dass es wegen der in Italien damals bestehenden Kapazitätsengpässe bei Betroffenheit von Kleinkindern wegen deren besonderer Verletzlichkeit geboten sein kann, dass die deutschen Behörden mit den italienischen Behörden Kontakt aufnehmen und notwendige Vorkehrungen zum Schutz des Kindes getroffen werden. Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 04.10.2016 (Az. 30474/14) festgestellt, dass die von den italienischen Behörden neu eingeführten Verfahren und die konkret abgegebene Zusicherung der Zuweisung einer kindgerechten, reservierten Unterkunft ausreichend sei. Ebenso verlangt das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 17.09.2014, (Az. 2 BvR 732/14 – juris), dass – sofern belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen im Zielstaat der Abschiebung bestehen – diesen durch die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde angemessen Rechnung zu tragen ist. Jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 Dublin-III-VO) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren sei in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhalte. Zu diesem besonders geschützten Personenkreis gehört der Kläger jedoch nicht. Außerdem ist die Rechtsprechung durch die zwischenzeitliche Entwicklung in Italien, insbes. die Schaffung von Unterkunftsplätzen, die für Familien oder Alleinstehende mit Kind reserviert sind, überholt (vgl. EGMR, Entscheidung vom 05.02.2015 – Az. 51428/10, Entscheidung vom 04.10.2016 – Az. 30474/14, Entscheidung vom 30.05.2017 – Az. 79480/13). Die italienische Regierung hat mit Schreiben vom 9. Januar 2019 gegenüber der Bundesregierung zudem zwischenzeitlich eine allgemeine Zusicherung für die adäquate Unterbringung für alle Personen, die im Rahmen des DublinVerfahrens nach Italien überstellt werden, abgegeben. Familien mit Kindern unter drei Jahren sind von dieser Zusicherung umfasst. Daneben verfügt das Bundesamt über Erkenntnisse, wonach aufgrund einer Erhöhung der Unterbringungskapazitäten seit dem Jahr 2015 und rückläufiger Zahlen neu ankommende Asylsuchender in Italien derzeit ausreichend Unterbringungsplätze zur Verfügung stehen (Asylmagazin 4/2019 und BT-Drs.19/8340 vom 13.März 2019,S.34). Deshalb ist eine individuelle Zusicherung Italiens derzeit nicht erforderlich.
Nach alledem lässt sich keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür feststellen, dass dem Kläger in Italien im Falle einer Rückkehr im Zuge des Dublin-Verfahrens die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung droht, weshalb eine Überstellung nach Italien nicht unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO ist. Vorliegend hat auch der Kläger selbst schon nicht belastbar aufgezeigt bzw. schon gar nichts Dahingehendes vorgebracht, dass das Asylverfahren oder die Betreuung der Asylbewerber in Italien derartige systemische Mängel aufweisen, die eine Durchbrechung bzw. Suspendierung des „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, Urteil vom 15.05.1996 – 2 BvR 1938/93) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10) gebieten würden. Italien ist ein Mitgliedstaat der Europäischen Union und damit ein sicherer Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylG. Hinzu kommt, dass der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylbewerber nicht nach Italien zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen Empfehlung des UNHCR kommt besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (vgl. EuGH, Urteil v. 30.5.2013 Az. C-528/11 – juris). Auch im Hinblick auf individuelle Umstände in der Person des Klägers sind die genannten Erkenntnisse und das Vorbringen des Klägers daher nach alledem nicht geeignet, systemische Schwachstellen im italienischen Asylsystem zu belegen oder tragfähige Gründe aufzuzeigen, die einer Überstellung entgegenstehen würden. Der Kläger hat auch selbst keine schutzwürdigen Gesichtspunkte vorgebracht, die einer Überstellung nach Italien nach diesen Maßstäben entgegenstehen könnten. Nach eigenem Bekunden ist der Kläger gesund und es ergeben sich keine erheblichen Gründe, die gegen eine Überstellung des Klägers nach Italien sprechen.
c. Die Entscheidung der Beklagten, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO keinen Gebrauch zu machen, ist nicht zu beanstanden. Es kann dabei dahinstehen, ob die Möglichkeit des Selbsteintritts überhaupt subjektive Rechte begründen kann. Die Bestimmungen der Dublin-III-VO begründen nämlich – auch hinsichtlich der Selbsteintrittskompetenz – grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers. Sie sind aber wohl dann individualschützend, wenn sie nicht nur die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln, sondern (auch) dem Grundrechtsschutz eines Schutzsuchenden dienen. Ist dies der Fall, hätte der Asylsuchende ein subjektives Recht auf Prüfung seines Asylantrags durch den danach zuständigen Mitgliedstaat und kann eine hiermit nicht im Einklang stehende Entscheidung des Bundesamts erfolgreich angreifen (BVerwG, Urteil vom 16.11.2015 – 1 C 4/15 -, juris). Im Regelfall dienen die Regelungen der Dublin-III-VO jedoch alleine der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den EU-Mitgliedstaaten (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 07.10.2013 – 33 L 403.13 A -, juris; VG München, Beschluss vom 17.8.2011 – M 16 E 11.30637 -, juris). Ob dies ausnahmslos gilt oder ob in besonders gelagerten Einzelfällen ein subjektives Recht des Schutzsuchenden auf fehlerfreie Ermessensausübung besteht, kann hier dahin stehen. Selbst wenn man nämlich einen Anspruch des Klägers auf eine fehlerfreie Ermessensausübung annehmen würde, bestehen hier keine Anhaltspunkte dahingehend, dass sich dieser im vorliegenden Fall des Klägers zu einem Anspruch auf Selbsteintritt reduziert hat („Ermessensreduzierung auf Null“) oder die Entscheidung der Beklagten, von ihrem Selbsteintrittsrecht keinen Gebrauch zu machen, ermessensfehlerhaft wäre.
Den Ausführungen im angefochtenen Bescheid lässt sich entnehmen, dass die Beklagte die in ihrem Ermessen stehende Möglichkeit zum Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO erkannt, aber davon keinen Gebrauch gemacht hat. Auf Seite 15 des Bescheids wird unter Verweis auf die zu diesem Zeitpunkt nicht belegte Vaterschaft des Klägers für seinen ungeborenen Sohn und die Zumutbarkeit, die familiäre Lebensgemeinschaft vom Ausland aus herbeizuführen, ausgeführt, dass keine außergewöhnlichen humanitären Gründe vorlägen, welche zu einem Selbsteintritt veranlassten. Mit Schreiben vom 04.01.2019 und vom 07.05.2019 hat die Beklagte mitgeteilt, aus welchen Gründen sie auch im Lichte der erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens eingetretenen und bekanntgewordenen Entwicklungen an ihrer Entscheidung hinsichtlich einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts festhält. Insoweit hat die Beklagte ihre im Bescheid getroffene Ermessensentscheidung um weitere Erwägungen ergänzt. Diese Ermessensergänzung ist nach den allgemeinen Grundsätzen gemäß § 114 Satz 2 VwGO und insbesondere angesichts des Auseinanderfallens des Zeitpunkts der behördlichen Ermessensentscheidung und des maßgeblichen Zeitpunkts der für die gerichtliche Entscheidung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage als zulässig anzusehen. Denn gerade weil im Dublin-Verfahren schon bei Bescheidserlass eine Ermessensentscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts getroffen werden muss, können anschließend eintretende Veränderungen nur auf diesem Wege Berücksichtigung finden (in diesem Sinne auch VG Göttingen, Urteil vom 30.01.2019 – 2 A 731/17 -, juris, Rn. 17; Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, AsylR, Rn. 417).
Nach der Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Bei Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO handelt es sich um eine restriktiv zu handhabende Ausnahmebestimmung, die eine Zuständigkeitsübernahme in Fällen ermöglicht, in denen außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der nationalen oder europäischen Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern.
Nach diesen Maßstäben ist die – um die in den Schreiben vom 04.01.2019 und vom 07.05.2019 genannten Gesichtspunkte ergänzte – Ermessensentscheidung der Beklagten, die Ausübung des Selbsteintrittsrechts abzulehnen, nicht ermessensfehlerhaft. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den ihr zukommenden Ermessenspielraum ganz oder teilweise nicht erkannt oder für die Ermessensentscheidung relevante Aspekte außer Acht gelassen hätte. Insbesondere geht aus dem Schreiben der Beklagten vom 07.05.2019 jedenfalls mittelbar hervor, dass sie das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem Sohn, von welcher das Gericht im Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vom 21.03.2019 ausgeht, jedenfalls derzeit nicht in Abrede stellt. Denn als wesentlichen Grund, von einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts abzusehen, hat die Beklagte vielmehr das fehlende dauerhafte Bleiberecht der Verlobten und des Sohnes des Klägers angesehen. Diese Erwägung erscheint nicht sachfremd und kann daher ebenfalls keinen Ermessensfehler begründen. Zwar kann nicht nur die Existenz systemischer Mängel Auswirkungen auf die Pflicht und die Möglichkeit zur Überstellung eines Schutzsuchenden in den für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaat nach der Dublin III-VO haben (EuGH, Urteil vom 16.02. 2017 – C-578/16 PPU -, juris, Rn. 91), sondern auch andere Sachverhalte als derartige systemische Schwachstellen können einer Überstellung entgegenstehen. Einen solchen zu berücksichtigenden Belang stellt auch die im vorliegenden Fall des Klägers durch eine Überstellung nach Italien beeinträchtigte familiäre Lebensgemeinschaft des Klägers zu seinem Sohn dar, deren Schutz- und Berücksichtigungswürdigkeit sich schon aus Art. 7 GrCH, aber auch aus dem 17. Erwägungsgrund zur Dublin III-VO ergibt. Dieser Umstand, der vorliegend – wie noch darzulegen sein wird – zu einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis führt, war daher im Rahmen der Ermessensentscheidung der Beklagten, ob sie von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch macht, zu berücksichtigen, was die Beklagte auch in zutreffender Weise getan hat. Sachverhalte wie der hier vorliegende Gesichtspunkt der familiären Beziehung des Klägers zu seinem Sohn, welche einer Überstellung eines Schutzsuchenden in den für die Durchführung des Asylverfahrens eigentlich zuständigen Mitgliedstaat entgegenstehen, haben aber nicht zwingend im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null eine Pflicht des Mitgliedstaates, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, zur Folge, sein Selbsteintrittsrecht auszuüben, sondern es kann zum Schutz der betroffenen Rechtspositionen eines Asylbewerbers ausreichend sein, eine Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat aufzuschieben oder auszusetzen (EuGH, Urteil vom 16.02. 2017 – C-578/16 PPU -, juris, Rn. 91). Dies gilt jedenfalls für Überstellungshindernisse, die nicht erkennbar dauerhaft, sondern womöglich nur vorübergehend vorliegen werden. Derartige schutzwürdige Belange können ausreichend über eine Aussetzung der Überstellung berücksichtigt werden und es erscheint in diesen Konstellationen nicht zwingend, das Selbsteintrittsrecht auszuüben. Denn zum einen soll das Selbsteintrittsrecht es ermöglichen, das Asylverfahren eines Asylbewerbers in einem hierfür eigentlich nicht zuständigen Mitgliedstaat durchzuführen, wenn insbesondere aus einem der in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO genannten Gründe eine besonders enge Beziehung oder ggf. auch bloß faktische Verbundenheit zu diesem Mitgliedstaat vorliegt, was bei bloß vorübergehenden Überstellungshindernissen nicht zwingend der Fall ist. Zum anderen droht Asylantragstellern in derartigen Fällen auch nicht, zum sog. „refugee in orbit“ zu werden (vgl. hierzu exemplarisch OVG NRW, Urteil vom 16.09.2015 – 13 A 2159/14.A -, juris, Rn. 107 ff. m.w.N.), da entweder das – bloß vorübergehende – Überstellungshindernis wegfällt und eine Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat doch noch möglich wird oder aber nach Verstreichen der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehenen Frist, deren Abwarten zumutbar erscheint, der eigentlich zuständige Mitgliedstaat gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht mehr zur Aufnahme verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Vor diesem Hintergrund erscheint es dann folglich aber auch nicht sachfremd und daher nicht ermessensfehlerhaft, wenn der nicht dauerhafte, sondern womöglich nur vorübergehende Charakter eines Überstellungshindernisses die Beklagte veranlasst, von einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts abzusehen. So liegt der Fall hier. Aufgrund der Tatsache, dass wegen ihres noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens noch nicht geklärt ist, ob die Verlobte und der Sohn des Klägers ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland erhalten bzw. mit der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes sogar gewichtige Anhaltspunkte gegen diese Annahme sprechen, erscheint es nicht zwingend, dass der Kläger die familiäre Gemeinschaft mit seinem Sohn dauerhaft nur in Deutschland verwirklichen kann und eine Überstellung des Klägers nach Italien langfristig sicher ausgeschlossen erscheint, sodass das derzeit bestehende Überstellungshindernis also womöglich nur vorübergehend besteht. Mithin handelt es sich also auch dabei um einen Umstand, dem ermessensfehlerfrei nicht nur durch Ausübung des Selbsteintrittsrechts, sondern auch dadurch Rechnung getragen werden kann, dass eine Überstellung einstweilen nicht erfolgt, wofür im Fall des Klägers schon das aufgrund der familiären Gemeinschaft zu seinem Sohn bestehende inlandsbezogene Abschiebungshindernis sorgt (siehe hierzu nachfolgend 3.). Mit ihrer unter Berücksichtigung der derzeit bestehenden familiären Gemeinschaft des Klägers zu seinem Sohn getroffenen Entscheidung über das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO hat die Beklagte nach alledem durch Verweis auf das jedenfalls ungeklärte Aufenthaltsrecht der Verlobten und des Sohnes des Klägers ermessensfehlerfrei davon abgesehen, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
d. Schließlich ist auch ein Zuständigkeitsübergang wegen eines zwischenzeitlichen Ablaufs der Überstellungsfrist nicht gegeben. Gemäß Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO hat eine Überstellung innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiedeaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedsstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Abs. 3 aufschiebende Wirkung hat, zu erfolgen. Zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht am 20.03.2019 und des Beschlusses im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes am 21.03.2019 (Az. RO 12 E 19.50304) war die Frist von sechs Monaten seit Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Italien am 12.11.2018 noch nicht abgelaufen. Mit dem Beschluss vom 21.03.2019 wurde die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage herbeigeführt. Erst mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden Verfahren beginnt überhaupt erst eine „neue“ 6-Monats-Frist (BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 – 1 C 24/15 -, juris, Rn. 17 f.; VG München, Urteil vom 01.12.2016 – M 9 K 16.50067 -, juris, Rn. 20 m.w.N.). Die Überstellungsfrist ist damit gegenwärtig noch nicht abgelaufen.
Italien hat der Aufnahme des Klägers auch ausdrücklich zugestimmt, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Die Voraussetzungen für die – hilfsweise begehrte – Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Wie bereits oben ausgeführt, sind in Bezug auf die Italien, wohin die Abschiebung des Klägers angeordnet wurde, keine zielstaatsbezogenen Umstände gegeben, die ein Abschiebungshindernis erkennen lassen. Der Kläger hat weder belastbare Umstände geltend gemacht, noch sind solche für das Gericht erkennbar, aus denen sich auf Grund bestimmter Tatsachen Grund zu der Annahme ergibt, dass in Italien für den Kläger auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände eine konkrete Gefahrenlage besteht, die auf Grund ihrer Eigenart nicht vorweg von dem Konzept der normativen Vergewisserung berücksichtigt werden konnte und die zu einer im Hinblick auf § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG relevanten Gefahrenlage führen könnte.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen daher nicht vor.
3. Keinen Bestand haben kann jedoch die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides enthaltene Abschiebungsanordnung, da der Abschiebung des Klägers gegenwärtig ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis aus familiären Gründen entgegensteht. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 13.11.2018 daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach dem Wortlaut des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG darf eine Abschiebungsanordnung erst dann ergehen, wenn feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Während bei der Abschiebungsandrohung die Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse regelmäßig durch die Ausländerbehörde zu erfolgen hat, ist dies bei der Abschiebungsanordnung anders. Eine Abschiebung darf nur dann erfolgen, wenn diese rechtlich und tatsächlich möglich ist. Andernfalls ist die Abschiebung auszusetzen (Duldung). Liegen somit Duldungsgründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor, dann ist die Abschiebung unmöglich und kann auch im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht durchgeführt werden. Abweichend von der üblichen Aufgabenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde hat das Bundesamt bei der Abschiebungsanordnung daher auch die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14 -, juris, Rn. 9 m.w.N.; BayVGH, Beschluss vom 12.03.2014 – 10 CE 14.427; VG Regensburg, Beschluss vom 07.10.2013 – RN 8 S 13.30403; Beck-OK, Ausländerrecht (Stand 01.08.2017) § 34a Rn. 14). Für eine insoweit eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde verbleibt daneben kein Raum (VG Düsseldorf, Beschluss vom 19.06.2015 – 22 L 486/15.A -, juris, Rn. 16 f. m.w.N.). Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen (BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14 -, juris, Rn. 10 m.w.N.).
Ein Anspruch auf Aussetzung einer Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann u.a. dann bestehen, wenn die Abschiebung unzumutbar in eine durch Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK und Art. 7 GrCH geschützte familiäre Beziehung eingreift. Zwar vermitteln Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK und Art. 7 GrCH keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Fremden der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt. Dem Ziel der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern darf von Verfassungs wegen erhebliches Gewicht beigemessen werden. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 08.12.2005 – 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 17 m.w.N.). Wie gewichtig der aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK folgende Schutz der Familie jeweils ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Intensität der familiären Beziehungen – ob es sich etwa um eine familiäre Lebensgemeinschaft oder eine bloße Begegnungsgemeinschaft handelt, dem Alter der Kinder oder auch der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.09.2018 – 11 S 240/17 -, juris, Rn. 74 ff.; VG Sigmaringen, Urteil vom 16.11.2017 – A 7 K 2246/17 -, juris, Rn. 35). Bei einer Vater – Kind – Beziehung ist zusätzlich in Rechnung zu stellen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für das Kind haben kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.12.2008 – 2 BvR 1830/08 -, juris, Rn. 31 ff.).
Vor diesem Hintergrund steht gegenwärtig aber nicht im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung des Klägers nach Italien durchgeführt werden kann, weil diese derzeit rechtlich unmöglich ist. Denn eine Abschiebung des Klägers würde nach den dargestellten Maßstäben in unzulässiger Weise in die nach Art. 6 GG, Art. 7 GrCH und Art. 8 EMRK geschützte familiäre Beziehung des Klägers mit seinem Sohn eingreifen. Damit steht der Überstellung gegenwärtig jedenfalls ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis entgegen.
Dies ergibt sich zwar nicht allein schon daraus, dass der Kläger – mit Zustimmung seiner Verlobten, welche Mutter des Sohnes ist – die Vaterschaft für seinen Sohn anerkannt und erklärt hat, gemeinsam mit seiner Verlobten die elterliche Sorge auszuüben. Denn ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG nicht schon aufgrund formaler-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (BVerfG, Beschluss vom 08.12.2005 – 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 18; BayVGH, Beschluss vom 17.12.2018 – 10 CE 18.2177 -, juris, Rn. 19). Geschützt ist die Familie als Lebens- und Erziehungssowie als gelebte Beistands- und Umgangsgemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 08.12.2005 – 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 19 f.). Erforderlich ist, dass ein Sorgeberechtigter nach außen erkennbar Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, Beschluss vom 17.12.2018 – 10 CE 18.2177 -, juris, Rn. 19).
Nach diesen Maßstäben geht das Gericht aber davon aus, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn auch die erforderliche und grundrechtlich geschützte familiäre Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht. Der Kläger pflegt entsprechenden Umgang mit seinem Sohn, übernimmt Verantwortung für ihn und erbringt Erziehungsleistungen. Für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft spricht schon, dass der Kläger gemeinsam mit seiner Verlobten und seinem Sohn in einem Zimmer in der Asylbewerberunterkunft untergebracht ist. Es wäre lebensfremd, in einer solchen Situation nicht davon auszugehen, dass nicht auch der Kläger als Vater Erziehungsleistungen erbringt und seinen Beitrag zum gemeinsamen Umgang und zum Zusammenleben leistet. Dementsprechend bestehen keinerlei Anhaltspunkte für Zweifel an den Angaben des Klägers, dass er sich nicht nur in allen wesentlichen Belangen mit um seinen Sohn kümmert, sondern sich neben der Erziehungsarbeit auch die Haushaltstätigkeiten mit seiner Verlobten teilt. Zudem werden diese Angaben bestätigt durch den Inhalt der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Taufpatin des Sohnes des Klägers. Nach Auffassung des Gerichts wird der Kläger daher der ihm als Sorgeberechtigtem obliegenden Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines Sohnes auch tatsächlich gerecht. Dass der Kläger diese Verantwortung auch nach außen hin übernimmt, belegen neben den genannten Erkenntnisquellen auch die vom Kläger vorgelegten Fotos und weiteren Unterlagen. Es ist nach alledem nichts dafür ersichtlich und auch von der Beklagten nicht geltend gemacht worden, dass der Kläger entgegen seiner Erklärungen die Verantwortung für seinen Sohn nicht tatsächlich übernimmt und nicht auch weiterhin übernehmen wird.
Diese tatsächlich bestehende, geschützte familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem Sohn würde durch eine Abschiebung auch in rechtlich unzulässiger Weise beeinträchtigt. Denn diese Lebensgemeinschaft kann jedenfalls gegenwärtig nur in Deutschland verwirklicht werden, wo sich die Verlobte und der Sohn des Klägers derzeit aufhalten. Denn von einer die rechtliche Unmöglichkeit ausschließenden Zumutbarkeit der Abschiebung kann nicht ausgegangen werden. Es erscheint dem Kläger nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls weder zumutbar noch in absehbarer Zeit realistischer Weise rechtlich und tatsächlich möglich, die familiäre Gemeinschaft mit seinem Sohn im Ausland zu führen oder die familiäre Familiengemeinschaft vom Ausland aus herbeizuführen, indem von dort aus durch die aufenthaltsrechtlich notwendigen Schritte eine Familienzusammenführung erwirkt wird.
Es erscheint jedenfalls gegenwärtig ausgeschlossen, dass eine familiäre Gemeinschaft des Klägers mit seinem Sohn in absehbarer Zeit in Italien hergestellt werden kann. Beim Sohn des Klägers handelt es sich um einen erst wenige Monate alten Säugling, welcher auf die stete Betreuung auch durch die Mutter, die Verlobte des Klägers, angewiesen ist. Es ist derzeit jedoch nicht ersichtlich, dass sowie auf welcher rechtlichen und verfahrensmäßigen Grundlage eine gemeinsame Überstellung oder eine gemeinsame Ausreise des Klägers mit seiner Verlobten und seinem Sohn nach Italien erfolgen könnte. Aus den Bundesamtsakten zum Verfahren der Verlobten und des Sohnes des Klägers geht hervor, dass die Beklagte hier ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Dublin III-VO ausgeübt sowie im nationalen Verfahren eine ablehnende Entscheidung getroffen und die Abschiebung der Verlobten und des Sohnes des Klägers nach Nigeria angedroht hat. Eine Überstellung nach Italien kommt daher nicht in Betracht. Mit Blick auf ihre laufenden Klageverfahren werden die Verlobte und der Sohn des Klägers jedenfalls vorerst auch noch in Deutschland verbleiben können. Nachdem ein Informationsersuchen der Beklagten zum Ausgang des Asylverfahrens der Verlobten des Klägers in Italien unbeantwortet geblieben ist, bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verlobte des Klägers über ein Bleiberecht in Italien verfügen würde, das ihr eine freiwillige Rückkehr dorthin ermöglichen würde.
Ebenso erscheint es unwahrscheinlich, dass der Kläger dazu imstande wäre, von Italien aus – etwa durch ein Visumsverfahren – alsbald eine Familienzusammenführung zu erreichen. Unabhängig von praktischen Schwierigkeiten oder der Dauer eines solchen Verfahrens steht derzeit weder fest, wann eine Entscheidung über ein Bleiberecht der Verlobten des Klägers und seines Sohnes ergeht, noch wie diese ausfallen wird, sodass es mangels gesicherten Aufenthaltsrechts der Verlobten und des Sohnes des Klägers derzeit schon an einer verlässlichen rechtlichen Grundlage für eine Familienzusammenführung fehlen dürfte. Zudem dürfte dem jedenfalls einstweilen das sich aus Ziffer 4 des verfahrensgegenständlichen Bescheides ergebende Einreise- und Aufenthaltsverbot entgegenstehen. Auch sonst ist nicht ersichtlich, wie der Kläger von Italien aus tatsächlich den Umgang mit seinem Sohn pflegen oder herbeiführen könnte. Auch wenn er die rechtliche Möglichkeit zu Besuchen in Deutschland erhalten können sollte, hält der zur Entscheidung berufene Einzelrichters es für unwahrscheinlich, dass der Kläger in Italien über die finanziellen und tatsächlichen Möglichkeiten verfügen könnte, um dies in der für die Pflege der familiären Gemeinschaft zu seinem Sohn erforderlichen Dauer und Häufigkeit tun zu können.
Selbst wenn eine Familienzusammenführung nach einer Abschiebung des Klägers aber auf irgendeine Weise möglich wäre, so ist derzeit nicht davon auszugehen, dass diese in absehbarer Zeit erfolgen könnte. Dem Kläger und seiner Familie ist eine Trennung aber auch nicht zuzumuten, wenn sie nur für eine kurze Zeit erfolgen würde. Denn die Zeit unmittelbar nach der Geburt und im Säuglingsalter hat auch für den Vater besondere Bedeutung, so etwa im Hinblick auf eine aufzubauende Bindung zu dem Kind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gerade bei einem kleinen Kind die Entwicklung sehr schnell voranschreitet, so dass hier auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG im Einzelfall schon unzumutbar lang sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.08.1999 – 2 BvR 1523/99 -, juris, Rn. 10; Nds. OVG, Beschluss vom 02.03.2011 – 11 ME 551/10 -, juris, Rn. 9; VG Lüneburg, Beschluss vom 01.02.2019 – 8 B 207/18 -, juris, Rn. 20; VG Dresden, Urteil vom 19.01.2018 – 3 K 5791/17.A -, juris, Rn. 24).
Eine Überstellung des Klägers nach Italien ist nach alledem gegenwärtig unzulässig. Die in Ziffer 3 des verfahrensgegenständlichen Bescheides enthaltene Abschiebungsanordnung war daher aufzuheben.
4. Da mit der Aufhebung der Abschiebungsanordnung eine Abschiebung des Klägers derzeit nicht mehr in Betracht kommt, kann auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG nicht zur Entstehung gelangen. Einer Befristung für ein solches Verbot nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist damit der Boden entzogen, weshalb auch die Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides aufzuheben war.
Der Klage hat nach alledem im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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