Europarecht

Fahrerlaubnis, Bescheid, Anordnungsanspruch, Fahrverbot, Berufung, Fahreignung, Mitgliedstaat, Verwaltungsakt, Vollziehung, Aberkennung, Cannabis, Anordnungsgrund, Anerkennung, Anordnung, Bundesrepublik Deutschland, einstweilige Anordnung, Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  Au 7 E 21.1759

Datum:
29.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48091
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die einstweilige Zuer1 kennung des Rechts, bis zur Entscheidung über seine diesbezügliche Klage von seiner österreichischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne vorherige Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens Gebrauch machen zu dürfen.
1. Der Antragsteller ist österreichischer Staatsangehöriger und hat seinen ordentli2 chen Wohnsitz in Österreich. Er erwarb am … 2008 in Österreich die Fahrerlaubnis der Klassen A und B. Der Antragsteller steuerte am 26. Juni 2014 auf einer öffentlichen Straße in Deutschland ein Kraftfahrzeug, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nachweislich unter dem Einfluss berauschender Mittel (Cannabis) stand.
Mit Bescheid vom 10. August 2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt … ihm die am 29. August 2008 ausgestellte österreichische Fahrerlaubnis der Klassen A und B, untersagte ihm das Führen eines Kraftfahrzeugs in der Bundesrepublik Deutschland und erklärte, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis die Wirkung der Aberkennung des Rechts, von der am 29. August 2008 erworbenen österreichischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, habe (Nr. 1). Der Bescheid verlangte ferner, den österreichischen Führerschein unverzüglich – spätestens bis 28. August 2015 – der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen, um auf dem Führerscheindokument die Ungültigkeit für die Bundesrepublik Deutschland durch Anbringung eines roten, schräg durchgestrichenen „D“ zu vermerken (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung dieser Entscheidungen an (Nr. 3) und drohte ihm für den Fall, dass er seiner Verpflichtung nach Ziffer 2 nicht fristgerecht nachkomme, die vorübergehende Wegnahme des österreichischen Führerscheins durch Vollstreckungsbedienstete im Weg des unmittelbaren Zwangs nach §§ 20, 26 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für Baden-Württemberg (Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz – LVwVG) an mit dem Hinweis, dass der Führerschein nach Anbringung des Vermerks über die Aberkennung der Inlandsgültigkeit wieder ausgehändigt werde (Nr. 4).
Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 10. August 2015 blieb erfolglos. Die anschließend erhobene Klage (…) wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe als unbegründet ab. Die beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Antragstellers (…) richtet sich nur noch gegen die in den Ziffern 2 und 4 des Bescheids vom 10. August 2015 getroffenen Entscheidungen. Die in Ziffer 1 des Bescheids ausgesprochene Aberkennung der Gültigkeit der österreichischen Fahrerlaubnis für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist dagegen bestandskräftig geworden und folglich nicht Gegenstand des – soweit ersichtlich – noch laufenden Berufungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg.
Mit Beschluss vom 30. Januar 2020 wurde das Verfahren ausgesetzt und nach 5 Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu der folgenden Frage eingeholt (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, B.v. 30.1.2020 – 10 S 224/18 – juris): „Steht Unionsrecht, insbesondere die RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABI. L 403 S. 18), zuletzt geändert durch Richtlinie (EU) 2018/933 der Kommission vom 29. Juni 2018 zur Berichtigung der deutschen Fassung der RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Führerschein (ABI. L 165 S. 35), Bestimmungen des nationalen Rechts entgegen, nach denen im Zuge einer Aberkennungsentscheidung im Sinne von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126/EG der ausländische EG-Kartenführerschein einer Person, die im Inland keinen ordentlichen Wohnsitz hat, unverzüglich der entscheidenden inländischen Behörde vorzulegen ist, damit diese auf dem Führerschein die fehlende Fahrberechtigung im Inland vermerkt; der (Sperr-)Vermerk soll in der Regel bei einem EG-Kartenführerschein durch die Anbringung eines roten, schräg durchgestrichenen „D“ im Feld 13 erfolgen (z. B. in Form eines Aufklebers)?“
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die vorgelegte Frage soweit ersichtlich noch nicht beantwortet.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2021 stellte der Antragsteller beim Landratsamt … (im Fol7 genden: Landratsamt) den Antrag auf Wiederzuerkennung des Rechts, von seinem österreichischen Führerschein in Deutschland Gebrauch zu machen.
Mit Schreiben vom 27. Juli 2021 forderte das Landratsamt zur Entscheidung über den gestellten Antrag auf Wiederzuerkennung ein medizinischpsychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf der Grundlage von § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV bis zum 27. November 2021 an.
Nach Ablehnung dieses Vorgehens seitens des Antragstellers lehnte das Landratsamt 9 mit Bescheid vom 16. August 2021 den Antrag auf Wiederzuerkennung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, ab (Nr. 1 des Bescheids), legte dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auf (Nr. 2 des Bescheids) und setzte für den Bescheid eine Gebühr in Höhe von 200,- EUR sowie Auslagen in Höhe von 5,85 EUR fest (Nr. 3 des Bescheids).
Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Antrags seien § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV und § 11 Abs. 8 FeV. Ohne Gutachten dürfe dem Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nicht entsprochen werden.
2. Hiergegen ließ der Antragsteller am 26. August 2021 Klage erheben mit dem Antrag,
den Bescheid des LRA … vom 16.08.21, AZ. 23.2.-143.20 aufzuheben und das LRA … zu verpflichten, dem Antrag des Klägers auf Wiederzuerkennung, von der österreichischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, stattzugeben und
die für den angefochtenen Bescheid vom 16.08.2021 festge13 setzte Gebühr von 200,- EUR angemessen herabzusetzen.
Zugleich ließ er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen mit dem Antrag,
dem Kläger für die Dauer des Verfahrens das Recht, von seinem österreichischen Führerschein vom 29.08.2008 auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, einstweilen zuzuerkennen.
Seitdem das territoriale Fahrverbot auslösenden Verstoß seien über sieben Jahre vergangen, seit Wirksamwerden des territorialen Fahrverbots sechs Jahre. Würde der im EuGH-Urteil C 260/13 Rn. 83 zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht, dass ein territoriales Fahrverbot zufolge des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Verweigerung der Anerkennung des EU-Führerscheins gemäß Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126 nur für ca. fünf Jahre rechtfertigen vermag, Rechnung getragen, drohten dem Antragsteller wesentliche Nachteile, insbesondere in Bezug auf die Ausübung seiner unionsrechtlich garantierten Freizügigkeitsrechte, wenn ihm nicht bereits jetzt für die Dauer dieses Verfahrens im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO das Recht, von seinem österreichischen Führerschein in Deutschland Gebrauch zu machen, einstweilen zuerkannt werde.
3. Für den Antragsgegner nahm das Landratsamt … Stellung, stellte aber keinen Antrag.
Die Anerkennung des österreichischen Führerscheindokuments mit Ausstellungsdatum vom 29. August 2008 scheide aus, da die Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, nach dessen Ausstellung erfolgt sei.
4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Statthafte Klageart in dem Hauptsacheverfahren ist eine Verpflichtungsklage, da in der begehrten Wiederzuerkennung des Rechts, von der österreichischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, ein Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) liegt. Nach der Abgrenzung des § 123 Abs. 5 VwGO, wonach §§ 80, 80a VwGO vorrangig sind, ist vorliegend somit der einstweilige Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft. Der Antragsteller verfügt insbesondere auch über das notwendige Rechtsschutzbedürfnis, da er zuvor bei der Fahrerlaubnisbehörde selbst einen entsprechenden Antrag gestellt hat.
2. Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung dahingehend, dem Antragsteller 22 für die Dauer des Verfahrens einstweilen das Recht zuzuerkennen, von der österreichischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, ist jedoch unbegründet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht – auch schon vor Kla- 23 geerhebung – eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus sonstigen Gründen geboten ist (Regelungsanordnung). Der Antragsteller begehrt hier eine solche Regelungsanordnung. Eine derartige Anordnung setzt voraus, dass ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) besteht und sich der Antragsteller auf einen Anordnungsanspruch berufen kann. Das Vorliegen beider Voraussetzungen ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
a) Dem Wortlaut sowie dem Wesen und Zweck einer einstweiligen Anordnung ent24 sprechend, kann das Gericht im einstweiligen Anordnungsverfahren grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang – wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache – das gewähren, was er – sofern ein Anspruch überhaupt besteht – nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte (BayVGH, B.v. 10.3.2006 – 24 CE 05.2685 – juris Rn. 19). § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sieht eine einstweilige Regelungsanordnung ausdrücklich nur „zur Regelung eines vorläufigen Zustandes“ vor. Mit der Funktion des einstweiligen Rechtsschutzsystems wäre es grundsätzlich unvereinbar, wenn bereits durch die einstweilige Anordnung die endgültige Hauptsacheentscheidung vorweggenommen würde. Darin liegt das sogenannte Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Ist der Antrag auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt dabei nur ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und nach summarischer Prüfung ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist, d.h. die in der Hauptsache erhobene bzw. noch zu erhebende Klage erfolgreich ist (st. Rspr., s. z.B. BVerwG, B.v. 13.8.1999 – 2 VR 1/99 – juris). Solche eng begrenzten Ausnahmefälle liegen demnach vor, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen. Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet oder nicht befähigt ist (BayVGH, B.v. 17.8.2017 – 11 CE 17.1437 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Der Antragsteller begehrt zwar ausdrücklich nur eine vorläufige und keine endgültige Zuerkennung. Das Gericht verkennt dabei auch nicht, dass jede einstweilige Anordnung für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung einen vorläufigen Zustand letztlich endgültig und abschließend regelt und nicht schon dadurch das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache zum Tragen kommen kann. Vorliegend würde aber bereits durch die einstweilige Anordnung die Hauptsacheentscheidung dergestalt vorweggenommen werden, dass irreversible Fakten für die Zukunft geschaffen würden, nämlich der Antragsteller bis zur Entscheidung in der Hauptsache – gegebenenfalls fahrungeeignet – fahren dürfte, obwohl dem die im Fahrerlaubnisrecht hochzuhaltende staatliche Schutzpflicht insbesondere für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer entgegensteht. Der Antragsteller beantragt mit seinem Eilantrag letztlich bereits genau das, was er auch in der Hauptsache erreichen will, wenn auch nur zeitlich befristet. Darin liegt vorliegend die Vorwegnahme der Hauptsache.
Weder sind die oben beschriebenen schweren und unzumutbaren Nachteile für den Antragsteller ersichtlich noch ist ein Erfolg seiner Klage mit solch ausreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegend ausnahmsweise zuzulassen wäre.
aa) Die Kammer geht nicht von einer – gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO erforderlichen – Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes d.h. einer beson deren Dringlichkeit der Entscheidung aus. Der Anordnungsgrund müsste hier aufgrund der verschärften Anforderungen im Falle der hier gegebenen Vorwegnahme der Hauptsache in schweren und unzumutbaren Nachteilen für den Antragsteller liegen. Der Prozessbevollmächtigte verweist auf die Wichtigkeit der Ausübung der Freizügigkeitsrechte, insbesondere der aktiven und passiven Dienstleistungsfreiheit, bei gleichzeitig schlecht ausgebautem öffentlichen Nahverkehr in der betreffenden Region. Für das Freizügigkeitsrecht sei insbesondere der grenznahe Raum, der für Tagesfahrten in Betracht komme, von besonderer Bedeutung. Der Antragsteller hat seinen Wohnsitz in Österreich. Er hat keine über seinen Wohnsitz in Grenznähe hinausgehenden besonderen Bindungen, z.B. beruflicher oder familiärer Art, zur Bundesrepublik Deutschland vorgetragen, die als besondere Belange des Einzelfalls zu berücksichtigen wären. Dass dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten, ist somit nicht glaubhaft gemacht.
Nachdem der zugrundeliegende Bescheid der Stadt … bereits auf den 10. August 2015 datiert und in dem seitdem laufenden Verfahren bis dato auch kein Eilrechtsschutz angestrengt worden ist, ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Sache nunmehr also tatsächlich so eilbedürftig ist, dass eine Entscheidung in der Hauptsache nicht abgewartet werden kann.
bb) Auch die kumulativ zu fordernde Voraussetzung der hohen Erfolgswahrscheinlich29 keit der Klage in der Hauptsache ist nicht erfüllt. Hier wird letztlich geprüft, ob der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Unter dem Anordnungsanspruch ist ein subjektivöffentliches Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln zu verstehen, hier also die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch auf die begehrte Wiederzuerkennung des Rechts, von der österreichischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, hat.
Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Stra30 ßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980) ist die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Absatz 1 anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe durch die Fahrerlaubnisbehörde oder ein Gericht entzogen war.
(1) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV liegen vor. Die 31 Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes stellt einen solchen Grund nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV dar. Mit Bescheid vom 10. August 2015 hatte die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt … die österreichische Fahrerlaubnis der Klassen A und B entzogen, das Führen eines Kraftfahrzeugs in der Bundesrepublik Deutschland untersagt und erklärt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis die Wirkung der Aberkennung des Rechts, von der am 29. August 2008 erworbenen österreichischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, habe. Die beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Antragstellers (…) richtete sich nur noch gegen die in den Nummern 2 und 4 des Bescheids vom 10. August 2015 getroffenen Entscheidungen. Die in Nr. 1 des Bescheids ausgesprochene Aberkennung der Gültigkeit der österreichischen Fahrerlaubnis für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist dagegen bestandskräftig geworden und folglich nicht Gegenstand des – soweit ersichtlich – noch laufenden Berufungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg. Auch ein Abwarten der Beantwortung der gestellten Frage durch den Europäischen Gerichtshof ist vor diesem Hintergrund für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht vonnöten. Die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung braucht im vorliegenden Verfahren nicht überprüft zu werden.
(2) Auf der Rechtsfolgenseite sieht § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV eine gebundene Entschei32 dung („ist“) vor, sodass Ermessensfehler nicht in Betracht kommen. Auch der Umstand, dass der Antragsteller nach seinen Angaben die Fahrerlaubnis für die Ausübung seiner Dienstleistungsfreiheit benötigt, führt nicht zu einer anderen Entscheidung. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) abzuleitende Auftrag des Staates zum Schutz der Verkehrsteilnehmer vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben ist auch hier zu beachten (vgl. z.B. BVerfG, U.v. 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160) und die persönlichen Interessen des Antragstellers müssen dahinter zurücktreten (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2018 – 11 CE 18.1268 – juris Rn. 16).
(3) Nichts anderes ergibt sich aus der vom Bevollmächtigten des Antragstellers zitier33 ten Passage aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 23. April 2015, wo nach die Tatsache, dass die Wiedererlangung des Rechts, in Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen, durch die Betroffene von der Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens, dessen Erstellung den Nachweis der Abstinenz von jeglichem Konsum berauschender Mittel während der Dauer eines Jahres voraussetzt, oder vom Ablauf eines Zeitraums von fünf Jahren abhängig gemacht wird, als ein wirksames und zum Ziel der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr im Verhältnis stehendes Präventionsmittel erscheine (EuGH, U.v. 23.4.2015 – C-260/13 – juris Rn. 83). Hieraus folgert der Bevollmächtigte, dass im Hinblick auf den vom Europäischen Gerichtshof gewählten Wortlaut „oder“ zwischen den zwei genannten Möglichkeiten vorliegend aufgrund des Verstreichens von mehr als fünf Jahren seit der ergriffenen Maßnahme die Anforderung eines medizinischpsychologischen Gutachtens zwingend ausscheide. Dies lässt sich dem Urteil so jedoch nicht entnehmen. Der vom Europäischen Gerichtshof aufgeführte Zeitraum von fünf Jahren ist dem Umstand geschuldet, dass in dem konkreten Fall aus den von der deutschen Regierung gemachten Angaben hervorging, dass die Tilgungsfrist angesichts der Art der begangenen Zuwiderhandlung fünf Jahre betragen müsste. So könne die Betroffene erneut von ihrer Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch machen, ohne ein medizinischpsychologisches Gutachten vorlegen zu müssen (EuGH, U.v. 23.4.2015 – C-260/13 – juris Rn. 81). Damit ist aber nicht zugleich festgestellt, dass nur ein Zeitraum von fünf Jahren noch verhältnismäßig wäre; dies formuliert auch der Europäische Gerichtshof ausdrücklich nicht so, wenn er in Beantwortung der vorgelegten Frage im Tenor gerade festhält, dass die Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der RL 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein dahin auszulegen sind, dass sie einen Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorübergehend aufhält, nicht daran hindern, die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins wegen einer Zuwiderhandlung seines Inhabers abzulehnen, die in diesem Gebiet nach Ausstellung des Führerscheins stattgefunden hat und die gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats geeignet ist, die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen herbeizuführen. Der Mitgliedstaat, der es ablehnt, die Gültigkeit eines Führerscheins in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anzuerkennen, ist dafür zuständig, die Bedingungen festzulegen, die der Inhaber dieses Führerscheins erfüllen muss, um das Recht wiederzuerlangen, in seinem Hoheitsgebiet zu fahren. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu untersuchen, ob sich der fragliche Mitgliedstaat durch die Anwendung seiner eigenen Regeln in Wirklichkeit nicht unbegrenzt der Anerkennung des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins entgegenstellt. In dieser Hinsicht ist es auch seine Aufgabe, zu überprüfen, ob die von den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats vorgesehenen Voraussetzungen gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des von der RL 2006/126 verfolgten Ziels, das in der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr besteht, angemessen und erforderlich ist (EuGH, U.v. 23.4.2015 – C-260/13 – juris). Dass die Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird, ist demnach nach der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung auch vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft gemacht.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 des Gerichts35 kostengesetzes (GKG) in Verbindung mit Nr. 46.1, 46.3 und Nr. 1.5 Satz 1 des Streit wertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, Anhang zu § 164). Danach sind die Führerscheinklassen A und B jeweils mit einem Streitwert von 5.000,- EUR zu werten. Die Eintragung „01.06“ im österreichischen Führerschein bedeutet „Brillen oder Kontaktlinsen“ und bewirkt demnach keine für den Streitwert maßgebliche Einschränkung. Der sich danach ergebende Betrag von 10.000,- EUR ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs). Von einer Anwendung der Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs sieht das Gericht wegen der ablehnenden Entscheidung ab.


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