Europarecht

Fahrzeug, Software, Kaufpreis, Sittenwidrigkeit, Mangel, Schadenersatz, Laufleistung, Schaden, Beweislast, Wirksamkeit, Darlegungslast, betrug, Schadensbeseitigung, Kenntnis, Kosten des Rechtsstreits, substantiierte Darlegung, Darlegungs und Beweislast

Aktenzeichen  13 O 4214/20

Datum:
16.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30618
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Die in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche verjährt, weshalb die Beklagte nach § 214 Abs. 1 BGB die Erfüllung der Ansprüche verweigern kann. Das Aufspielen des Softwareupdates stellt keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar.
A. Anspruch nach §§ 826, 31 BGB
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB analog und in Verbindung mit § 831 BGB.
I. Darlegungs- und Beweislast
Die Klagepartei trägt die Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB. Hierzu gehört die substantiierte Darlegung unter Beweisantritt, dass die Beklagte vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat (vgl. Wagner in MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 51 f. m.w.N.; BGH vom 25.05.2020, Aktz.: VI ZR 252/19). Nachdem die Beklagte eine Aktiengesellschaft ist, kommt es insoweit auf den Vorsatz und das sittenwidrige Handeln mindestens einer ihrer Vorstände als ihrer satzungsgemäßen Vertreter (§ 31 BGB analog; vgl. Wagner in MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 50) oder eines sonstigen Repräsentanten an, der wesensmäßige Funktionen der Beklagten eigenverantwortlich wahrnimmt (vgl. Wagner, in MüKo zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 101 ff.).
II. Substantiierung des vorsätzlichen und sittenwidrigen Handelns
Die Klagepartei hat ein vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten von Vorständen und Repräsentanten der Beklagten zwar nicht vollumfänglich substantiieren können. Sie hat indes greifbare Anhaltspunkte für einen Vorsatz einzelner Vorstandsmitglieder bzw. von Repräsentanten dargelegt.
Die Klagepartei hat auf Ermittlungsergebnisse in den USA und darauf hingewiesen, dass die Beklagte gegenüber dortigen Behörden ihre Verantwortlichkeit eingestanden habe. Sie hat erläutert, dass diese Ergebnisse auch für Deutschland Bedeutung haben, nachdem die Problematik der Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte und der Einsatz einer spezifischen Software zur Motorsteuerung vergleichbar seien. Die Klagepartei hat des Weiteren und plausibel dargelegt, dass in Betracht komme, dass Vorstände der Beklagten Kenntnis vom Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung hatten, deren Verwendung aber aus Gewinnstreben billigten. Schließlich hat die Klagepartei unter Erläuterung der technischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge dargestellt, dass aufgrund Kostendrucks eine unzulässige Abschalteinrichtung durch Ingenieure der Beklagten entwickelt und eingesetzt worden ist. Hierbei hat der Klagepartei nachvollziehbar dargestellt, dass auch die Leiter der Abteilung zur Motorenentwicklung, die als Repräsentanten der Beklagten einzustufen sind (vgl. hierzu BGH vom 25.05.2020, Aktz.: VI ZR 252/19) Kenntnis von einer Abschalteinrichtung erlangt und deren Verwendung gebilligt haben.
III. Sekundäre Darlegungslast der Beklagten
Der Grundsatz der vollen Darlegungslast der eine für sie günstige Rechtsfolge behauptenden Partei bedarf in solchen Fällen einer Einschränkung, in denen wesentliche Geschehensabläufe außerhalb ihrer Wahrnehmung liegen und die sie auch nicht ermitteln kann, wenn es zugleich der anderen Partei möglich und zumutbar ist, die notwendige Aufklärung zu leisten. Die Partei hat sich zu bemühen, sich die notwendigen Kenntnisse zu verschaffen und soweit als möglich substantiiert vorzutragen. Mindestens hat sie greifbare Anhaltspunkte vorzutragen und unter Beweis zu stellen, aus welchen sich Vorsatz und Sittenwidrigkeit herleiten lassen. Nachdem aufgrund des Vortrags der Klagepartei (vgl. soeben Ziffer I.) solche greifbaren Anhaltspunkte für den konkreten Verdacht vorsätzlichen und sittenwidrigen Handelns von Vorständen und Repräsentanten der Beklagten bestehen, ist eine Reduzierung der Anforderungen an die Darlegungslast der Klagepartei nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast vorzunehmen. Der Beklagten ist es zumutbar, zu den von der Klageseite geschilderten Vorgängen hinsichtlich ihrer Vorstandsmitglieder vorzutragen. Des Weiteren ist es ihr möglich und zumutbar zu den Ermittlungsergebnissen von US-Behörden und zu erläutern ob und inwieweit diese Vorgänge Bedeutung für Sachverhalte in Deutschland haben. Insbesondere obliegt es der Beklagten konkret zu den verantwortlichen Mitarbeitern vorzutragen, die ihr nach eigener Aussage gegenüber den US-Behörden bekannt sind. Schließlich ist es der Beklagten möglich und zumutbar, zur Verantwortlichkeit der von der Klagepartei namentlich benannten Leiter der Abteilung für Motorenentwicklung vorzutragen.
Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen und hat sich darauf beschränkt mitzuteilen, sie habe keine Kenntnisse zum Vorsatz von Vorständen. Eine Stellungnahme zu den Vorgängen in den USA und zur Kenntnis einzelner Mitarbeiter fehlt. Es ist daher aufgrund des Vortrages der Klagepartei von einem vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhalten von Vorständen der Beklagten und ihrer Repräsentanten auszugehen. Das sittenwidrige Verhalten liegt dabei darin, dass sich die verantwortlichen Personen aus Gewinnstreben heraus bewusst über gesetzliche Vorgaben, die den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung (vgl. dazu unten Ziffer IV. 1.a) verbieten, hinweggesetzt haben (vgl. zu alldem auch BGH vom 25.05.2020, Aktz.: VI ZR 252/19).
IV. Schaden der Klagerpartei
Der Anspruch nach § 826 BGB setzt voraus, dass der Klagepartei ein Schaden entstanden ist und dieser Schaden zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch besteht. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, obgleich die Klagepartei ein Softwareupdate erhalten hat, welches die unzulässige Abschalteinrichtung beseitigt hat (vgl. BGH vom 25.05.2020, Aktz.: VI ZR 252/19).
Der Klagepartei ist durch den Erwerb des PKW VW Eos ein Schaden entstanden, weil in der Motorsteuerung des in dem Fahrzeug verbauten Dieselmotors eine Software installiert war, welche den Stickoxidausstoß in gesetzwidriger Weise regulierte und in der Folge verschleiert wurde, dass die Grenzwerte des Stickoxidausstoßes nach der Euro-5-Abgasnorm nur im Betrieb auf einem Prüfstand, nicht aber im Fahrbetrieb im Straßenverkehr eingehalten wurden (vgl. nachfolgend Ziffer 1).
Ein danach in Betracht kommender Schadenersatzanspruch ist gemäß § 249 Absatz 1 BGB auf die Herstellung des Zustandes gerichtet, welcher bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (sogenannte Naturalrestitution). Der Schaden wurde durch das Aufspielen des von der Beklagten entwickelten Softwareupdates nicht beseitigt (vgl. nachfolgend Ziffer 2).
1. Schaden durch Fahrzeugerwerb
Zur Schadensermittlung ist die tatsächliche Vermögenslage mit der Vermögenslage zu vergleichen, die ohne das haftungsbegründende Ereignis eingetreten wäre. Eine negative Abweichung der tatsächlichen von der hypothetischen Vermögenslage bildet den Schaden (sogenannte Differenzhypothese, vgl. nur Oetker, in MüKo zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 18).
Im vorliegenden Fall hat eine Mehrzahl von Ereignissen innerhalb einer Kausalkette dazu geführt, dass die Klagepartei einen Schaden erlitt. Die Beklagte hat einen Dieselmotor EA 189 entwickelt, in dessen Motorsteuerung zur Regulierung des Stickoxidausstoßes in gesetzwidriger Weise eine Abschalteinrichtung installiert war und sie hat ermöglicht, dass diesen Dieselmotor innerhalb des von ihr beherrschten VW-Konzerns in Fahrzeuge eingebaut wird. Durch diese Abschalteinrichtung wurde verschleiert, dass die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm im normalen Fahrbetrieb nicht eingehalten werden (vgl. nachfolgend Buchstabe a). Die Klagepartei hat in weiterer Folge ein Fahrzeug erworben, in dessen Motor eine gesetzwidrige Abschalteinrichtung eingebaut war und welches die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm nicht einhielt. Diese Umstände begründeten eine Minderwertigkeit des Fahrzeuges im Verhältnis zu einem Fahrzeug mit einem gesetzeskonformen Motor (vgl. nachfolgend Buchstabe b). Die Klagepartei hätte vor diesem Hintergrund bei Kenntnis der Minderwertigkeit das Fahrzeug nicht gekauft und daher keinen Kaufpreis gezahlt (vgl. nachfolgend Buchstabe c).
a) Unzulässige Abschalteinrichtung
Bei der von der Beklagten entwickelten Software zur Regulierung des Stickoxidausstoßes handelt es sich um eine Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007. Danach liegt eine Abschalteinrichtung unter anderem dann vor, wenn es sich um ein Konstruktionsteil handelt, das sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb zu erwarten sind, verringert wird. Die Software ermittelt Parameter zum Erkennen, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb betrieben wird. Im ersten Fall sorgt die Software dafür, dass der Motor in einem hinsichtlich der Abgasrückführung optimierten Betriebsmodus 1 läuft. Im zweiten Fall schaltet die Steuerungssoftware die Abgasrückführung im Betriebsmodus 0 teilweise so ab, dass weniger Abgase wieder in den Ansaugbereich des Motors gelangen. Hierdurch wird die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert. In der Folge werden die Grenzwerte des Stickoxidausstoßes der Euro-5-Abgasnorm im Betrieb auf einem Prüfstand eingehalten. Im Fahrbetrieb auf der Straße entsteht ein höherer Stickoxidausstoß und die Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte ist nicht sichergestellt. Der Einwand der Beklagten, dass es für die Fahrzeugzulassung nur auf die Prüfergebnisse im Prüfstandbetrieb ankomme, verfängt dabei nicht. Denn würde das Fahrzeug bei einem Test auf einem Prüfstand im Modus 0, d.h. dem Modus der im Straßenverkehr verwendet wird, betrieben, dann würden die Grenzwerte auch auf dem Prüfstand nicht eingehalten.
Die Verwendung einer solchen Abschalteinrichtung ist nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässig. Die Beklagte hat den Dieselmotor EA 189 einschließlich der Motorsteuerungssoftware und der unzulässigen Abschalteinrichtung entwickelt und den Einbau dieses Motors in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ermöglicht.
b) Mangel und Schaden
Die Klagepartei hat beim Kauf ein im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB mangelhaftes und damit im Vergleich zu einem gesetzeskonformen Fahrzeug minderwertiges Fahrzeug erworben. Die Mangelhaftigkeit und die Minderwertigkeit des Fahrzeuges begründen zugleich auch einen Schaden im Sinne der Differenzhypothese. Das Vorhandensein der zur Steuerung des eingebauten Dieselmotors EA 189 eingesetzten Software, welche eine nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, stellt einen Sachmangel des gekauften Fahrzeuges im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB dar. Das Fahrzeug verfügte insoweit nicht über die aus Sicht eines durchschnittlichen Käufers zu erwartende übliche Beschaffenheit. Darüber hinaus ist das Fahrzeug im Verantwortungsbereich der Beklagten, sprich innerhalb des von ihr unterhaltenen Vertriebsnetzes, mit der Kennzeichnung vertrieben worden, dass die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm eingehalten werden. Aufgrund der verwendeten unzulässigen Abschalteinrichtung war das aber gerade nicht gewährleistet. Auch insoweit lag daher ein Mangel im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und S. 3 BGB vor. In der Folge dieser Mangelhaftigkeit ist davon auszugehen, dass das von der Klagepartei erworbene mangelhafte Fahrzeug im Verhältnis zu einem mangelfreien Fahrzeug einen Minderwert hatte (§ 441 BGB).
c) Kausalität zwischen Fahrzeugerwerb und Schaden
Die Klagepartei, für die nach nachvollziehbarem Vorbringen wichtig war, dass das Fahrzeug uneingeschränkt betrieben werden kann, hätte bei Kenntnis vom Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung das Fahrzeug nicht erworben. Denn jedenfalls bis zur Entwicklung des Softwareupdates durch die Beklagte bestand die Gefahr eines Widerrufs der Typgenehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt, weil die Erteilung der Typgenehmigung infolge des Vorhandenseins der unzulässigen Abschalteinrichtung rechtswidrig war. Bis zum Aufspielen des Softwareupdates auf die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs bestand darüber hinaus auch die Gefahr einer Betriebsuntersagung nach § 5 Abs. 1 FZV, weil das Fahrzeug nicht dem genehmigten Typ entsprach. Das streitgegenständliche Fahrzeug war vor diesem Hintergrund nicht für die uneingeschränkte Nutzung im Straßenverkehr und damit nicht für den von der Klagepartei beabsichtigten Verwendungszeck geeignet. Infolge dessen ist der Klagepartei nicht erst durch die Zahlung des Kaufpreises für ein Fahrzeug, welches den Kaufpreis in Höhe von 39.770 € nicht wert war, sondern bereits durch den Abschluss des Kaufvertrages, welcher eine ungewollte Verbindlichkeit darstellte, ein Schaden entstanden (BGH vom 25.05.2020, Aktz.: VI ZR 252/19).
2. Keine Schadensbeseitigung durch Softwareupdate
Der Schadenersatzanspruch ist gemäß § 249 Absatz 1 BGB auf die Herstellung des Zustandes gerichtet, welcher bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (sogenannte Naturalrestitution). Durch das Softwareupdate wurde zwar die unzulässige Abschalteinrichtung beseitigt. Der Schaden der Klagepartei lag aber darüber hinaus auch in der Belastung mit dem Kaufvertrag als wirtschaftlich nachteiliger, ungewollter Verbindlichkeit. Dieser Schaden kann nicht durch ein Softwareupdate, sondern nur durch die Befreiung von der Verbindlichkeit beseitigt werden (BGH vom 25.05.2020, Aktz.: VI ZR 252/19).
3. Umfang des Schadens und Vorteilsausgleichung
Die Befreiung von der ungewollten Verbindlichkeit hat dadurch zu erfolgen, dass die Beklagte Schadenersatz in Höhe des von der Klagepartei aufgewandten Kaufpreises zahlt. Im Wege der Vorteilsausgleichung, die auch bei deliktischen Schadenersatzansprüchen vorzunehmen ist, hat die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug an die Beklagte herauszugeben und zu übereignen und darüber hinaus eine angemessene Entschädigung für die Fahrzeugnutzung, die gemäß § 287 ZPO auf Basis einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km zu schätzen ist, zu leisten. Die Nutzungsentschädigung berechnet sich mit 13.084,49 € (39.770 € x 82.251 km / 250.000 km) und ist auf den als Schadenersatz zu erstattenden Kaufpreis anzurechnen (OLG Koblenz vom 12.06.2019, NJW 2019, 2237). Der Schadenersatzanspruch der Klagepartei beläuft sich danach auf 26.685,51 €.
V. Verjährung
Der Schadenersatzanspruch ist verjährt. Die Klagepartei konnte frühestens seit der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 Kenntnis von der hier streitgegenständlichen Dieselproblematik haben. Eine positive Kenntnis der Klagepartei von Schadenersatzansprüchen lässt sich zu diesem Zeitpunkt und bis zum Jahresende 2015 indes nicht feststellen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Klagepartei grob fahrlässig gehandelt hat, indem sie in der Zeit vom 22.09.2015 bis 31.12.2015 über ihren Schadenersatzanspruch in Unkenntnis blieb. Aufgrund der umfassenden Medienberichterstattung ab dem 22.09.2015, der umfangreichen aufklärerischen Aktivitäten der Beklagten ab diesem Zeitpunkt und des vom Kraftfahrtbundesamtes im Oktober 2015 angeordneten Rückrufs von circa 2,4 Millionen im VW-Konzern hergestellter Fahrzeuge konnte der Klagepartei der sogenannte Dieselskandal nicht verborgen bleiben. Der sogenannte „Dieselskandal“ war ab Herbst 2015 vielfach und ausführlich Gegenstand der Berichterstattung in zahlreichen Medien. Einer in Deutschland lebenden Person, die sich durch Radio- und Fernsehnachrichten und sonstigen Medienkonsum, sprich dem Lesen von Zeitungen, Zeitschriften und Beiträgen im Internet auch nur rudimentär über das aktuelle Geschehen informierte, konnte der sogenannte Dieselskandal bei der Beklagten angesichts einer andauernden und flächendeckenden Berichterstattung nicht verborgen bleiben. Ihr war es in der Folge ohne besonderen Aufwand möglich zu erkennen, dass auch Fahrzeuge der Marke VW betroffen sind und in ihrem Fahrzeug ein Dieselmotor mit unzulässiger Abschalteinrichtung verbaut ist. Infolgedessen oblag es der Klagepartei sich über ihre möglichen Schadenersatzansprüche zu informieren. Hätte sie das getan, hätte sie bereits im Herbst 2015 in Erfahrung gebracht, dass eine realistische Aussicht bestand, Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte durchzusetzen. Ab diesem Zeitpunkt hätte sie diese möglichen Schadenersatzansprüche gekannt und war es ihr zuzumuten, Klage zu erheben. Dass gleichwohl ein Prozessrisiko verblieb, stand der Zumutbarkeit der Klageerhebung nicht entgegen. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Klagepartei, die geltend macht, sie habe keine Kenntnis von Schadenersatzansprüchen gegen die Beklagte gehabt, es zumindest in grob fahrlässiger Weise unterlassen hat, sich über ihre Betroffenheit und ihre möglichen Ansprüche zu informieren. Die Verjährung begann vor diesem Hintergrund gemäß § 199 Absatz 1 BGB ab dem 01.01.2016 zu laufen (vgl. BGH vom 17.12.2020, NJW 2021, 2018; OLG München vom 14.08.2020, Aktz.: 3 U 3018/20; OLG Stuttgart vom 07.04.2020, Aktz.: 10 U 455/19; OLG Oldenburg NJW-RR 2020, 666). Sie endete gemäß § 195 BGB zum 31.12.2018.
Die Klagepartei hatte sich, wie durch die Anlage K 10 belegt ist, in dem Klageregister, welches zu der vor dem OLG Braunschweig laufenden Musterfeststellungklage gegen die Beklagte, Aktz.: 4 MK 1/18, geführt wurde, angemeldet. Die im November 2018 vor dem OLG Braunschweig gegen die Beklagte erhobene und ihr am 12.11.2018 zugestellte Musterfeststellungsklage, Aktz.: 4 MK 1/18 hat die Verjährung ab diesem Zeitpunkt nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB gehemmt. Die Musterfeststellungsklage endete durch Rücknahme der Musterfeststellungsklage am 30.04.2020. Die Anmeldung der Klagepartei zur Musterfeststellungsklage hat die Verjährung ihres Schadenersatzanspruchs rückwirkend zum 12.11.2018 gehemmt (vgl. Meller-Hanich, in BeckOGK, BGB, Stand 01.12.2020, § 204 Rn. 117). Die Verjährung des Schadenersatzanspruchs war aufgrund dessen in der Zeit vom 12.11.2018 bis zum 30.10.2020 gehemmt (§§ 204 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2, 209 BGB). Ab diesem Zeitpunkt lief die restliche Verjährungsfrist von noch 48 Tagen weiter. Sie endete mit Ablauf des 18.12.2020. Die Klagepartei hat zwar am 29.10.2020 Klage eingereicht. Sie hat aber den Kostenvorschuss für die Klage erst am 22.12.2020 eingezahlt, weshalb die Klagezustellung erst danach verfügt wurde und erst am 08.01.2021 erfolgte. Eine Rückwirkung der Zustellung gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung ist nicht festzustellen. Die Klagepartei wurde am 04.11.2020 zur Zahlung des Kostenvorschusses aufgefordert. Die Einzahlung erfolgte erst am 22.12.2020, d.h. mehr als 6 Wochen später. Die Verzögerung liegt in der Verantwortung der Klagepartei. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zustellung im Sinne des § 167 ZPO demnächst erfolgte.
Die Verjährungsfrist des § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB ist eine kenntnisunabhängige Höchstfrist, die nicht zur Anwendung kommt, wenn die regelmäßige Verjährungsfrist zuvor abgelaufen ist (Grothe, in MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, § 199 Rn. 48). § 852 BGB findet keine Anwendung. Die Beklagte war am Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht beteiligt und hat daher aus dem Vertrag weder unmittelbar noch mittelbar Ansprüche erhalten. Die Beklagte hat auch weder unmittelbar noch mittelbar den Kaufpreis erlangt. Dieser ist dem Verkäufer zugeflossen. Schließlich hat die Klagepartei im Gegenzug für die Zahlung des Kaufpreises ein nutzbares Fahrzeug erhalten, wodurch die Hingabe des Geldes kompensiert wurde (vgl. zu alldem BGH vom 30.07.2020, VI ZR 397/19; BGH vom 17.12.2020, NJW 2021, 2018).
VI. Keine sittenwidrige Schädigung durch Aufspielen des Updates
Die Beklagte hat ihr Verhalten für die Öffentlichkeit erkennbar beginnend mit der Adhoc Mitteilung vom 22.09.2015 geändert. Sie hat die Öffentlichkeit ab diesem Zeitpunkt über „Unregelmäßigkeiten“ ihrer Dieselmotoren, über Abweichungen der auf Prüfständen gemessenen Stickoxidemissionen von den im Straßenbetrieb auftretenden Werten und über die technische Funktionsweise der von ihr verwendeten Abschalteinrichtung, sowie die Notwendigkeit eines Softwareupdates informiert. Sie hat hierbei erhebliche Anstrengungen unternommen, insbesondere wiederholt durch Pressemitteilungen informiert, ihre Vertriebspartner in Kenntnis gesetzt, Fahrzeughalter angeschrieben und eine Webseite freigeschaltet, auf der Fahrzeughalter die Betroffenheit ihres Fahrzeuges prüfen konnten. Sie hat darüber hinaus selbst ein Softwareupdate entwickelt und kostenlos zur Verfügung gestellt, welches durch das Kraftfahrtbundesamt freigegeben worden war und welches zumindest die Abschalteinrichtung beseitigt hat. Dadurch bestand auch kein besonderes Risiko mehr, dass die Betriebserlaubnis für das Fahrzeug entzogen würde. Das Verhalten der Beklagten bzw. der für sie handelnden Vorstände und Repräsentanten war vor dem Hintergrund der Verhaltensänderung ab 22.09.2015 und der damit verbundenen Information der breiten Öffentlichkeit auch nicht mehr als sittenwidrig und auf die Schädigung von Fahrzeughaltern oder -erwerbern gerichtet anzusehen (vgl. zu alldem BGH vom 30.07.2020, NJW 2020, 2798; BGH vom 08.12.2020, Aktz.: VI ZR 244/20).
Die Entwicklung und das Aufspielen des Softwareupdates stellen keine neue sittenwidrige Schädigung dar. Es handelte sich um Maßnahmen, die mit dem Ziel unternommen wurden, die Umschaltlogik, die dem Wechsel zwischen den Betriebsmodi 0 und 1 diente, zu beseitigen. Es ging also darum, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen. Dieses Ziel wird durch das Update auch erreicht. Der Motor wird nunmehr dauerhaft im Betriebsmodus 1 betrieben. Ein Wechsel zwischen verschiedenen Betriebsmodi findet nicht mehr statt. Ob durch das Update nunmehr die Grenzwerte zuverlässig eingehalten werden und ob mit dem Update die von Klageseite behaupteten technischen Probleme verbunden sind, bedarf keiner Entscheidung. Das Update wurde mit der Zielsetzung entwickelt, einen gesetzeskonformen und den Regeln der Technik entsprechenden Zustand herzustellen. Hierfür wurde es vom Kraftfahrtbundesamt auch freigegeben. Es handelt sich vor diesem Hintergrund um eine in technischer Hinsicht grundsätzlich geeignete Maßnahme zur Schadensbeseitigung. Eine solche Maßnahme wird nicht dadurch zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, dass dieses Ziel möglicherweise nicht vollumfänglich erreicht wird (vgl. zu alldem BGH vom 08.12.2020, Aktz.: VI ZR 244/20; BGH vom 09.03.2021, Aktz.: VI ZR 889/20).
Es bedarf auch keiner Entscheidung darüber, ob mit dem Softwareupdate ein sogenanntes Thermofenster aufgespielt wurde. Eine Motorsteuerung zur Temperaturerkennung und temperaturabhängigen Regulierung der Abgasaufbereitung und -rückführung ist bei Dieselmotoren weit verbreitet und aus technischen Gründen für deren Funktionsfähigkeit notwendig. Die Verwendung sogenannter Thermofenster, die jedenfalls in der Fachöffentlichkeit allgemein bekannt ist, stellt daher, unabhängig davon, ob sie in Einzelfällen unzulässig ist, kein besonders verwerfliches, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und auf die Schädigung von Fahrzeugnutzern gerichtetes Verhalten dar. Ihr Einsatz beinhaltet daher keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (vgl. BGH vom 09.03.2021, Aktz.: VI ZR 889/20; OLG Koblenz vom 21.10.2019, Aktz.: 12 U 246/19; OLG Frankfurt a.M. vom 07.11.2019, Aktz.: 6 U 119/18; OLG Schleswig vom 18.09.2019, Aktz.: 12 U 123/18; OLG Stuttgart vom 30.07.2019, NZV 2019, 579; OLG München vom 10.02.2020, NJW – RR 2020, 664).
B. Sonstige Ansprüche
Auch sonst in Betracht kommende deliktische Ansprüche aus §§ 831, 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Schutzgesetzen sind sich aus den unter Buchstabe A. Ziffern V. und VI. genannten Gründen verjährt. Die Beklagte ist auch insoweit nach § 214 Abs. 1 BGB die Leistung zu verweigern. Die Beklagte ist daher auch nicht verpflichtet, das streitgegenständliche Fahrzeug zurückzunehmen. Sie befindet sich deshalb nicht mit der Rücknahme in Annahmeverzug. Der Anspruch der Klagepartei aus Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt ebenfalls aus § 826 BGB und gegebenenfalls weiteren Deliktsnormen. Er ist ebenfalls verjährt und die Beklagte ist zur Leistungsverweigerung berechtigt.
C. Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.


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