Europarecht

fehlender Vortrag zur schuldhaften Schädigung des Fahrzeugkäufers wegen Abschaltautomatik

Aktenzeichen  17 U 7360/19

Datum:
31.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 8379
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 434, § 823, § 826, § 831
ZPO § 142 Abs. 1, § 273 Abs. 2 Nr. 5, § 296 Abs. 1, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH BeckRS 2018, 1031). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein unbeachtlicher Vortrag ins Blaue hinein kann anzunehmen sein, wenn eine Partei, gestützt auf bloße Vermutungen, ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufstellt (BGH BeckRS 2016, 9241). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 O 959/19 2019-12-05 Urt LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 05.12.2019, Az. 12 O 959/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 522 Abs. 2 ZPO hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Der Streitwert wird vorläufig auf € 18.400,00 festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten um die (angebliche) sittenwidrige Schädigung des Klägers durch Mitarbeiter der Beklagten im Rahmen des Kaufs eines gebrauchten PKW DB C 220 CDI vom … in … im November/Dezember 2015, wobei das Fahrzeug mit einem Motor des Typs OM 651 ausgestattet ist.
Die Berufung des Klägers gegen das seine Klage abweisende Endurteil des LG München II vom 05.12.2019 hat keinen Erfolg.
I.
Der Senat hat bereits enorme Zweifel betreffend die Zulässigkeit der Berufung (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO):
1. Auf den Seiten 9 und 10 der Urteilsurkunde (= Bl. 107/108 d.A.) hat das Gericht nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 12.09.2019 klar zu erkennen gegeben, dass es im Übrigen die Begründetheit der Klage auch im Hinblick auf jeweils fehlende täuschungsrelevanten Irrtum und irrtumsbedingte Vermögensverfügung ohne kausalen Zusammenhang mit einem etwaigen Irrtum des Klägers verneint. Soweit ersichtlich, hat sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung hiermit nicht auseinandergesetzt sondern seine Berufung lediglich auf die technischen Vorgänge des Motors mit damit verbundenen etwaigen sekundären Darlegungslasten der Beklagten gestützt. Da das Erstgericht, vom Kläger unangegriffen, anderweitig vertragliche Ansprüche verneint hat, trägt bereits allein die Ablehnung der Ursächlichkeit etwaiger Täuschungshandlungen der Mitarbeiter der Beklagten im Rahmen von Abschaltautomatik und Thermofenster für den Kaufentschluss des Klägers die Klageabweisung.
2. Hat das Erstgericht aber die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschluss vom 23.10.2012, XI ZB 25/11, NJW 2013, 174, 175, Randziffer 11; s.a. Beschluss vom 22.11.2016, XI ZB 9/13, WM 2017, 327, 334, Randziffer 66; Urteil vom 18.01.2018, IX ZR 31/15, WM 2018, 350, 351, Randziffer 7; Urteil vom 02.05.2019, IX ZR 11/18, WM 2019, 2178, 2181, Randziffer 30 für Revisionsbegründung), was von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urteil vom 29.05.2013, VIII ZR 174/12, NJW 2013, 2584, 2586, Randziffer 22). Der Grund hierfür liegt darin, dass in derartigen Fällen jede der gleichwertigen Begründungen des Erstgerichts seine Entscheidung trägt. Selbst wenn die gegen einen Grund vorgebrachten Angriffe durchgreifen, ändert sich nichts daran, dass die Klage aus dem anderen Grund weiterhin abweisungsreif ist (BGH, Urteil vom 18.01.2018, IX ZR 31/15, WM 2018, 350, 351, Randziffer 7).
II.
Die Berufung des Klägers ist aber auch bei unterstellter Zulässigkeit unbegründet (§§ 823, 826, 831 BGB i.V.m. diversen möglichen Schutzgesetzen):
1. Ein tatsächliches Vorbringen ist dann nicht beachtlich und beweisbedürftig, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet ist, diese aber auf das Geratewohl gemacht, gleichsam ins Blaue aufgestellt, also aus der Luft gegriffen ist und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellt (BGH, Urteil vom 13.03.1996, VIII ZR 36/95, NJW 1996, 1826, 1827, Ziffer II 2 c bb; zu dieser Frage bei angeblich auffälligem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung beim Grundstückskauf vgl. BGH, Urteil vom 19.09.2006, XI ZR 204/04, NJW 2007, 357, 358, Randziffer 21; zu Höhe versteckter Innenprovision BGH, Urteil vom 23.06.2016, III ZR 308/15, WM 2016, 1333, 1335, Randziffer 18). Ein unbeachtlicher Vortrag ins Blaue hinein kann anzunehmen sein, wenn eine Partei, gestützt auf bloße Vermutungen, ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufstellt (BGH, Urteil vom 26.01.2016, II ZR 394/13, WM 2016, 974, 975, Randziffer 20).
2. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger über Vorgänge im Einflussbereich der Beklagten nicht Bescheid wissen kann, weshalb die sekundäre Darlegungslast der Beklagten näher rückt, muss der Kläger zunächst beweisen, dass sein Fahrzeug von einem KBA-Rückruf betreffend Abgasproblematik betroffen ist. Diese klägerische Behauptung ist entgegen dem Klägervortrag in der Berufungsbegründung sehr wohl strittig (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 13.06.2019, Seite 3 = Bl. 37 d.A., Ziffer 2, 5. Textabsatz; Schriftsatz vom 01.09.2019, Seite 5 = Bl. 78 d.A., 3. Textabsatz).
3. Der Senat wollte beim KBA über diesen strittigen Tatsachenvortrag eine Auskunft des KBA erholen. Aus vorangegangenen Verfahren weiß der Senat, dass das KBA für eine fahrzeugspezifische Auskunft die Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I verlangt. Deshalb wurde diese unter Hinweis auf die Folgen der § 273 Abs. 2 Nr. 5, § 142 Abs. 1, § 296 Abs. 1 ZPO beim Kläger angefordert. Per beA wurde zwar am 27.03.2020 ein Schriftsatz übersandt, entgegen des darin erfolgten Verweises war die Zulassungsbescheinigung Teil I nicht beigefügt.
4. Auf den Beschluss des BGH vom 28.01.2020 (VIII ZR 57/19, WM 2020, 476) kann sich der Kläger nicht stützen: Dort steht nämlich eine kaufvertragliche Verbindung der Parteien inmitten, sodass es nach der Symptomtheorie genügt, wenn der Kläger ein „Verhalten“ der Kaufsache vorträgt, das auf einen Mangel im Sinne des § 434 BGB schließen lässt. Hier jedoch geht es um eine Schädigung des Klägers durch unerlaubte Handlung mit vom Kläger zu beweisendem Vertreten müssen, sodass in diesem konkreten Einzelfall allein der Vortrag eines (denkbaren) Mangels ohne im konkret vorliegenden Fall Unterfütterung mit zu erwartenden Reaktionen der Behörden, hier des KBA, nicht ausreicht, um eine hinreichende Substantiierung ohne Annahme einer Behauptung ins Blaue hinein anzunehmen.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
III.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG, wobei der Feststellungsantrag Ziffer 3 in der Berufungsbegründung mit € 1.000,00 geschätzt (§ 3 ZPO) wurde.


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