Europarecht

Haftung der Audi AG für unzulässige Abschalteinrichtung in an Porsche geliefertem Dieselmotor (hier: Porsche Macan S 3.0 D)

Aktenzeichen  8 O 16939/20

Datum:
2.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18552
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249 Abs. 1, § 826
ZPO § 287

 

Leitsatz

1. Zu – dort jeweils gegenüber der Porsche AG verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Porsche-Fahrzeugs, in das ein von Audi entwickelter Diesel-Motor eingebaut ist, vgl. auch OLG München BeckRS 2020, 41015; BeckRS 2020, 44392; BeckRS 2021, 7739; OLG Dresden BeckRS 2020, 32522; BeckRS 2021, 6203; OLG Bamberg BeckRS 2021, 2533; OLG Köln BeckRS 2020, 25732; LG Augsburg BeckRS 2021, 8686; LG München I BeckRS 2020, 42410; LG München II BeckRS 2020, 43746; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 43093; LG Würzburg BeckRS 2020, 44850. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Herstellerin des Motors handelte sittenwidrig, indem sie auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe S 3.0 D in erheblichen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr brachte, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (Strategie A und D). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 29.698,97 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.03.2020 zu zahlen Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Porsche vom Typ Macan S 3.0 D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein und Serviceheft.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Klageforderung in Höhe von 6.057,74 € erledigt hat.
3. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.751,80 € freizustellen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu 10 % zu tragen, die Beklagte zu 90 %
7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 39.683,90 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat größtenteils Erfolg.
I.
Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB die Rückerstattung des Kaufpreises nebst Zinsen verlangen, wobei sich die Klägerin die von ihr gezogenen Fahrzeugnutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs anspruchsmindernd anrechnen lassen muss (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19).
1. Der Klägerin stehen – entgegen der von ihr vorgetragenen Rechtsauffassung – keine Ansprüche aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 3 BGB zu. Es fehlt es bereits an einem entsprechenden Sachvortrag durch die Klagepartei zu den Vertragsverhandlungen zwischen der Klagepartei und der hier nicht verklagten Verkäuferin des Fahrzeugs im Vorfeld des Erwerbs des streitgegenständlichen Kraftfahrzeuges durch die Klagepartei (OLG München, Endurteil vom 04.12.2019, 3 U 2943/19).
Eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen des Rechtsinstituts der Prospekthaftung scheidet auch aus Rechtsgründen aus (OLG München, a.a.O.). Als Prospekthaftung bezeichnet man die Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit von Werbeschriften („Prospekten“), mit denen bei dem Publikum für Kapitalanlagen der unterschiedlichsten Art geworben wird (MüKoBGB/Emmerich, 8. Auflage 2019, § 311 Rn. 141). Grundlage der Prospekthaftung ist, dass für den interessierten Anleger der Emissionsprospekt oftmals die einzige Informationsquelle darstellt. Der Prospekt muss daher alle Angaben enthalten, die für die Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind. Nur wenn diese Angaben vollständig und richtig sind, hat der Interessent die Möglichkeit, seine Entscheidung frei von Fehlvorstellungen zu treffen, die auf mangelhafte Sachinformation zurückzuführen sind. Andere Informationsquellen sind dem Interessenten regelmäßig nicht zugänglich. Nur unter der Voraussetzung, dass die durch den Prospekt vermittelte Information vollständig und richtig ist, kann der Kunde die ihm angebotene Kapitalanlage objektiv beurteilen und sein Anlagerisiko, das ihm ohnehin verbleibt, richtig einschätzen (BGH, BGH, Urteil vom 31-05-1990 – VII ZR 340/88). Diese beim Erwerb von Kapitalanlagen wie Fondsbeteiligungen regelmäßig gegebene Interessenlage lässt sich auf den Kauf eines Pkws nicht übertragen. Der interessierte Käufer eines Fahrzeuges hat mit entsprechenden Veröffentlichungen unabhängiger Publikationen im Internet oder in der herkömmlichen Presse die Möglichkeit, sich aus dritten Quellen ausführlich zu informieren. Die Vorstellungen eines neuen Fahrzeugs oder auch nur des neuen Modells eines Fahrzeugs wird heute von Test- und Fahrberichten umfassend begleitet, aus welchen jedem Kaufinteressenten eine Information möglich ist. Auch besteht jederzeit die Möglichkeit einer Testfahrt. Die Annahme einer Vergleichbarkeit kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass es sich hier um solche Umstände handelt, die nicht bei einer Testfahrt, sondem nur bei umfassenden Tests festgestellt werden können. Die gerade durch Fachzeitschriften vorgenommenen Tests erfassen auch diesen Bereich (OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17; OLG München, Urteil vom 05.09.2019 – 14 U 416/19).
Eine Haftung nach den vom BGH entwickelten Grundsätze zur Haftung von Anlageprospekte im engeren Sinn scheidet demnach aus.
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte jedoch ein Anspruch auf Zahlung von 29.698,97 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des gegenständlichen Fahrzeugs aus §§ 826, 31 BGB.
Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Die Voraussetzungen des § 826 BGB sind vorliegend erfüllt.
Das Gericht folgt den Feststellungen des Bundesgerichtshofs in seiner Grundsatzentscheidung zur Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB und macht sich diese zu eigen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 12 ff. – zitiert nach juris). Die dortigen Feststellungen sind auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn unstreitig lag für das streitgegenständliche Fahrzeug ein Rückruf aufgrund der vom KBA festgestellten unzulässigen Abschalteinrichtung vor.
a) Zur Überzeugung des Gerichts steht die Eigentümerstellung der Klägerin am streitgegenständlichen Pkw Porsche Macan fest. Die Beklagte hatte die Eigentümerstellung im Termin am 13.04.2021 mit Nichtwissen bestritten. Im Termin und im Rahmen des daran anschließenden schriftlichen Verfahrens (§ 128 Abs. 2 ZPO) hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.05.2021 ergänzend hierzu vorgetragen. Soweit die Klägerin im Termin vom 13.04.2021 in rechtlicher Hinsicht ausgeführt hat, dass Fahrzeug sei zunächst vom Einzelunternehmen „…“, welches die Klägerin damals betrieben habe, erworben worden und das Eigentum sei später „im Rahmen eines Durchgangserwerbs“ auf die Klägerin übergegangen, kann das Gericht dem in rechtlicher Hinsicht nicht folgen. Denn zur Rechtsfähigkeit von „…“ hat die Klägerin nichts vorgetragen. Vielmehr soll es sich bei „…“ um ein Einzelunternehmen handeln, sodass die Klägerin mit Kaufvertrag vom 18.12.2017 unmittelbar Eigentum am streitgegenständlichen Pkw erwarb (vgl. Jacobs/Scheffler/Spengel, Unternehmensbesteuerung und Rechtsform; 5. Auflage 2015, Dritter Teil Steuerplanung und Rechtsformentscheidung, (1.) Einzelunternehmen). Denn unstreitig war sie zu diesem Zeitpunkt Inhaberin des Einzelunternehmens. Hierfür spricht zudem, dass die Klägerin ausweislich der Zulassungsbescheinigung Teil 1 unter dem 08.01.2018 als Halterin des Fahrzeugs eingetragen wurde (Anlage K12). Unbestritten entrichtete die Klägerin im Übrigen den vollständigen Kaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug.
Unschädlich ist aus Sicht des Gerichts, dass die Verkäuferin die Rechnung für den Verkauf des Fahrzeugs laienhaft an „…“ adressierte (Anlage 1).
Dem Vortrag der Klägerin ist die Beklagte in der Folge nicht mehr entgegengetreten, sodass er als zugestanden gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Klägerin ist daher aktivlegitimiert.
b) Die Beklagte handelte sittenwidrig. Die Beklagte brachte auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe S 3.0 D in erheblichen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (Strategie A und D). Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich des betroffenen Fahrzeugs erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die ein solches Fahrzeug erwarb, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.
Die Abschalteinrichtung wurde im Übrigen auf Grundlage einer strategischen, unternehmerischen Entscheidung der Beklagten über Jahre hinweg durch aktive, präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware zur Beeinflussung der Abgasrückführung in die Motorsteuerung eingebaut.
c) Das von der Beklagten verfolgte Ziel ist als besonders verwerflich anzusehen. Es bestand grundsätzlich darin, Fahrzeuge kostengünstiger als ihr sonst möglich zu produzieren und auf diese Weise ihren Gewinn zu erhöhen. Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass ein solches Ziel im Allgemeinen zwar erlaubt und nicht per se verwerflich ist. Das an sich erlaubte Ziel der Gewinnerhöhung wird im Verhältnis zum Käufer eines betroffenen Fahrzeugs jedoch dann verwerflich, wenn es auf Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde – hier des KBA (§ 2 EG-FGV) – erreicht werden soll und dies mit einer Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt. Ein solches Vorgehen verstößt nach der überzeugenden Feststellung des Bundesgerichtshofs derart gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr auf dem Markt, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint.
d) Demgegenüber handelte die Klägerin beim Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs arglos, weil sie die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben – auch wie hier beim Kauf eines Gebrauchtwagens – arglos als selbstverständlich voraussetzte. Die Klägerin hat aus Sicht des Gerichts nachvollziehbar vorgetragen, beim Kauf davon ausgegangen zu sein, dass sein Fahrzeug den in Deutschland geltenden gesetzlichen Bestimmungen entsprach und insbesondere die bestehenden Emissions-Grenzwerte für die ausgewiesene Abgasnorm EURO 6 einhält.
Die Kausalität der Täuschungshandlung für die Kaufentscheidung der Klägerin sieht das Gericht als gegeben an. Jeder Käufer eines zulassungspflichtigen Pkw geht unausgesprochen davon aus, dass das Fahrzeug eine den Gesetzen entsprechende öffentlich Zulassung zum Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichem Verkehrsgrund besitzt. Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des OLG München in seinem Endurteil vom 05.02.2020, 13 U 4071/18, an. Aus Sicht des Gerichts lebensfremd ist die gegenteilige Ansicht der Beklagten.
e) Die Beklagte machte sich im Rahmen der von ihr bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigung durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze. Dabei erfolgt das Inverkehrbringen der Fahrzeuge gerade mit dem Ziel, möglichst viele bemakelten Fahrzeuge abzusetzen.
f) Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass diese grundlegende, strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und die Verwendung der unzulässigen Software von dem im Haus der Beklagten für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen, insbesondere den Vertretern der Entwicklungsabteilung und den für die Forschungs- und Entwicklungsabteilung verantwortlichen Vorstände, wenn nicht selbst, so zumindest mit deren Kenntnis und Billigung getroffen beziehungsweise jahrelang umgesetzt wurde, sodass deren Verhalten der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen ist. Soweit die Beklagte einwendet, die Klägerin habe nicht ausreichend substantiiert vorgetragen, dass eine Person deren Kenntnisse der Beklagten zuzurechnen wäre, mit Vorsatz im Hinblick auf eine etwaige Täuschung bzw. sittenwidrige Schädigung gehandelt haben soll, vermag sie nicht durchzudringen.
Die Klägerin hat hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Hierfür spricht nicht nur der Umstand, dass es sich bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung – wie bereits dargelegt – um eine arundlegende. weltweit alle Fahrzeuge mit diesem Motortyp betreffende Strategieentscheidung handelte, die mit erheblichen Risiken für den gesamten Konzern und auch mit persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden war, sondern auch die Bedeutung gesetzlicher Grenzwerte und der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer Einhaltung für die Geschäftstätigkeit der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19).
Vor diesem Hintergrund trifft die Beklagte eine sekundäre Beweislast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen. Darauf, ob die vormaligen Mitglieder des Vorstands von dem Kläger als Zeugen benannt werden könnten, kommt es nicht an. Diesen Anforderungen ist die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit nicht nachgekommen, sodass der Einwand der Beklagten hinsichtlich eines fehlenden Vorsatzes der Beklagten prozessual unbeachtlich ist.
g) Der Klägerin ist aufgrund des sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten ein Schaden in Gestalt des Kaufvertragsabschlusses über den bemakelten, streitgegenständlichen Pkw entstanden (§ 249 Abs. 1 BGB).
aa) Die Klägerin ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten zum Abschluss des Kaufvertrags über den streitgegenständlichen Pkw gebracht worden, den sie in Kenntnis der tatsächlichen Umstände nicht geschlossen hätte. Dabei kann nach den überzeugenden Feststellungen des Bundesgerichtshofs in seiner bereits zitierten Grundsatzentscheidung dahinstehen, ob im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs eine objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung grundsätzlich gegeben war. Denn ein Schaden ergibt sich jedenfalls aus dem Umstand, dass der Vertragsschluss wie oben bereits ausgeführt als unvernünftig anzusehen war, weil die Klägerin eine Leistung erhalten hat, die für ihre Zwecke nicht voll brauchbar ist.
Die eingeschränkte Brauchbarkeit folgt schließlich zur Überzeugung des Gerichts daraus, dass es vom Zufall abhing, ob der unerkannte Mangel am Fahrzeug aufgedeckt und die Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeugs durch behördliche Maßnahmen in der Folge eingeschränkt oder durch Betriebsuntersagung sogar aufgehoben wird.
Das Verhalten der Beklagten war auch kausal für den entstandenen Schaden der Klägerin.
bb) Die Beklagte hat die Klägerin gemäß § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie sie ohne die schädigende Handlung der Beklagten stünde. In diesem Fall hätte die Klägerin den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen. Dementsprechend hat die Beklagte der Klägerin grundsätzlich den für das bemäkelte Fahrzeug gezahlten Kaufpreis Zug um Zug gegen die Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Pkw zu erstatten.
Das von der Beklagten entwickelte Softwareupdate führt nicht zu einem nachträglichen Entfallen des bereits eingetretenen Schadens, denn der unvernünftige Vertragsabschluss wird hierdurch nicht nachträglich zu einem Vernünftigen.
cc) Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die innerhalb der Beklagten handelnden Personen, die die sittenwidrige, strategische Unternehmensentscheidung getroffen haben, mit Schädigungsvorsatz handelten. Das Gericht folgt hier der Feststellung des Bundesgerichtshofs, dass aufgrund des Wissens um diese Unternehmensentscheidung und deren jahrelange Umsetzung schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass den handelnden Personen (§ 31 BGB) bewusst war, dass niemand in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung des Fahrzeugs ohne einen erheblichen Abschlag vom Kaufpreis – ein so bemakeltes Fahrzeug erworben hätte.
dd) Die Klägerin muss sich allerdings die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, die er in Folge des ungewollten Vertrags konkret erlangt hat (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 64 ff. – zitiert nach juris). Bei der konkreten Schadensberechnung sind grundsätzlich alle adäquaten Folgen des haftungsbegründenden Umstands bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung in die Schadensberechnung einzubeziehen (BGH – Urteil vom 02.04.2001 – II ZV 331/99).
Die Klägerin erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 67321 km. Am Tag der letzten mündlichen Verhandlung, wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 132.057 km auf. Das Gericht geht gemäß § 287 ZPO davon aus, dass die Nutzungsdauer des streitgegenständlichen Pkw im Neuzustand mit 250.000 km anzusetzen ist, so dass vorliegend eine Restlaufzeit von 182.679 km zugrunde zu legen ist. Die Erholung eines Sachverständigengutachtens zu dieser Frage war nicht erforderlich, da auch ein Sachverständiger die voraussichtliche Gesamtlaufleistung lediglich subjektiv schätzen könnte.
Die Nutzungsentschädigung berechnet sich dabei nach folgender Formel: (Bruttokaufpreis ohne Zusatzkosten) × (Anzahl gefahrener Kilometer): (Gesamtlaufleistung in Kilometern – Tachostand bei Kauf).
Daraus ergibt sich eine in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung in folgender Höhe: (46.000 € × 64.736 km / 182.679 km) = 16.301,03 €. Es verbleibt ein ersatzfähiger Schadensbetrag von 29.698,97 €.
Soweit die Klägerin einen darüberhinausgehenden Betrag als Schadensersatz fordert, war die Klage abzuweisen.
ee) Ein Abzug einer Vorsteuerberechtigung scheidet aus, weil die Klägerin nach ihrem unbestrittenen Vortrag zum Zeitpunkt des Kaufs nicht vorsteuerabzugsberechtigt war.
3. Dahinstehen kann, ob sich der Anspruch aus § 826 BGB – wie von der Klägerin vorgetragen – auch auf weitere unzulässige Abschalteinrichtungen stützen lässt, die im streitgegenständlichen Pkw verbaut, jedoch vom KBA nicht festgestellt worden sein sollen.
4. Über den Hilfsantrag war nicht zu entscheiden, da sich der Hauptantrag dem Grunde nach als erfolgreich erwies.
5. Die Zinsforderung der Klägerin richtet sich nach §§ 288 Abs. 1, 286 BGB. Die Klägerin macht Zinsen an 14.03.2020 geltend. Mit Schriftsatz vom 15.02.2020 (Anlage K7) wurde die Beklagte zur Leistung von Schadensersatz binnen einer Woche angemahnt. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass ihr das Schreiben nicht zugegangen ist. Ausgehend von der Drei-Tages-Fiktion für den Zugang eines Schreibens per Post, war die Wochenfrist am 14.03.2020 jedenfalls abgelaufen, sodass sich die Beklagte zum beantragten Zeitpunkt in Verzug befand (§ 286 Abs. 1 BGB).
Unschädlich insoweit ist, dass die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 15.02.2020 von einer Gesamtlaufleistung des Pkws von 400.000 km ausging und damit einen zu hohen Betrag von der Beklagten forderte. Denn die Forderung eines zu hohen Betrag ist eine wirksame Mahnung, wenn der Schuldner die Erklärung des Gläubigers nach den Umständen des Einzelfalls als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlichen geschuldeten Leistung verstehen muss und der Gläubiger zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist (BGH, Urteil vom 25.06.1999 – V ZR 190/98). Die Voraussetzungen liegen hier vor. Im Übrigen ist anzunehmen, dass die Beklagte auch bei einer auf den wirklichen Rückstand beschränkten Mahnung nicht geleistet hätte.
II.
Unter Zugrundelegung eines Kilometerstandes von 108.000 km bei Klageerhebung, war auszusprechen, dass sich die Klage in Höhe von 6.057,74 € erledigt hat:
Der Nutzungsersatz bei Klageerhebung betrug (46.000 € × 40.679 km / 182.679 km =) 10.243,29 €. Hieraus hätte sich ein ersatzfähiger Schaden in Höhe von 35.756,71 € zum Zeitpunkt der Klageerhebung ergeben.
III.
Die Klage ist hinsichtlich des Enstetellungsgentregn unbegründet Die Klägerin hat die Übergebe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Denn die Klägerin ging im Schriftsatz vom 15.02.2020 (Anlage K7) von einer Gesamtlaufleistung des Pkws von 350.000 km aus und forderte auf dieser Grundlage Schadensersatz von der Beklagten. Die Klägerin hat damit die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Annahmeverzug aufseiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (zur vergleichbaren Konstellation: BGH NJW 2020, 1962 Rn. 85, beck-online).
IV.
Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin von den Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung freizustellen. Zum Zeitpunkt des außergerichtlichen Tätigwerdens betrug die Laufleistung des Fahrzeugs ausweislich der Anlage K7 103.000 km. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin mithin einen berechtigten Zahlungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe von 37.015,75 €. Eine Geschäftsgebühr in Höhe von 1,3 aus diesem Gegenstandswert ergibt unter Hinzurechnung der Auslagenpauschale außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.751,80 € (brutto). Lediglich auf diesen Betrag kann sich der Freistellungsanspruch beziehen. Das Gericht geht von einer Sache durchschnittlicher Schwierigkeit aus, die zudem von der Kanzlei der Klägerin mit – freilich anzupassenden – Serientext bestritten wird.
V.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.
VI.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach Maßgabe der §§ 48 Abs. 1 GKG, 3, 4 ZPO.


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