Europarecht

Hanftee als Lebensmittel

Aktenzeichen  3 E 567/21 Ge

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Gera 3. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
Art 138 EUV 2017/625
Art 3 Abs 2 Buchst a EUV 2015/2283
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Hanftee stellt ein neuartiges Lebensmittel im Sinne des Unionsrechts dar.(Rn.44)

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Untersagung, von ihr hergestellte Teeprodukte mit Zusätzen von Hanfblättern nicht mehr im Handel vertreiben zu dürfen.
Die Antragstellerin bringt geschäftsmäßig Lebensmittel in den Verkehr und vertreibt u.a. diverse Teesorten. Hierunter befinden sich die Kräuterteemischungen „H…  Hanf + Karkrade“ sowie „Mate-Hanftee“, welche jeweils zu 20% bzw. 10% getrocknete Hanfblätter enthalten.
Am 25. Februar 2021 führte der Antragsgegner in den Räumlichkeiten der Antragstellerin in S…  eine Kontrolle durch. Dort fiel auf, dass die Antragstellerin etwa 105 Umkartons a´ 12 Verkaufseinheiten der o.g. Teesorten im Lagerbestand vorhielt und zum Verkauf vor Ort anbot bzw. an nahegelegene Supermärkte zum Weiterverkauf lieferte.
Mit E-Mail vom 16. April 2021 wandte sich der Antragsgegner an die Antragstellerin und teilte mit, dass diese Teesorten nicht verkehrsfähig seien. Es werde auf eine Strafanzeige verzichtet, wenn sich die Antragstellerin verpflichte, den Verkauf unverzüglich einzustellen.
Auf diese E-Mail hat der Verfahrensbevollmächtigte mit Schreiben vom 23. April 2021 seine Vertretung angezeigt und dargelegt, dass der Tee seiner Mandantin den gesetzlichen Anforderungen entspräche. Weder enthalte dieser Tetrahydrocannabinol (THC) noch sei er ein neuartiges Lebensmittel, welches einer gesonderten Zulassung bedürfe.
Durch Sicherstellungsanordnung vom 26. April 2021 stellte der Antragsgegner die in den Verkaufsräumen der R… oHG in S… vorgefundenen vier Packungen Mate-Hanftee sicher und verfügte eine Probenentnahme an das Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz, deren Auswertung noch aussteht.
Mit Schriftsatz vom 27. April 2021 trug der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin ergänzend vor, dass sich u.a. aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag ergebe, dass der Gesetzgeber keine Bedenken beim Verkauf von hanfhaltigen Produkten habe. Ebenso sei Hanftee in Österreich ein zugelassenes Lebensmittel, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, dass dieses „neu“ im Sinne des Unionsrechts wäre.
Mit Bescheid vom gleichen Tage erließ der Antragsgegner eine Ordnungsverfügung und untersagte der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die Bestandteile der Nutzhanfpflanze Cannabis sativa L. (außer Hanfsamen und daraus hergestellter Produkte) enthalten (Ziffer 1 der Verfügung). Zudem wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 angeordnet (Ziffer 2 der Verfügung) und für den Fall des Zuwiderhandelns ein Zwangsgeld von 1.000 € angedroht (Ziffer 3 der Verfügung).
Der Antragsgegner begründete seine Verfügung damit, dass nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste genannten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften in den Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden dürften. Dies sei bei der von der Antragstellerin verwendeten Hanfpflanze allerdings nur bei Samen, Samenöl, Samenmehl und entfetteten Samen der Fall, nicht hingegen bei den verwendeten Blättern, welche Bestandteil des Tees seien. Bei den von der Antragstellerin verwendeten getrockneten Blättern handele es sich daher um unzulässige Bestandteile, welche als Betäubungsmittel keine Verwendung in Lebensmitteln finden dürften. Erst recht dürften sie nicht an Endverbraucher abgegeben werden, da eine missbräuchliche und berauschende Wirkung nicht ausgeschlossen werden könne. Selbst wenn die Antragstellerin nachweisen könne, dass sie lediglich entharzte, also keine Suchtstoffe nach dem BtMG enthaltene Teile der Hanfpflanze verwende, sei der von ihr in Verkehr gebrachte Tee als neuartiges Lebensmittel zu bewerten. Dieser dürfte allerdings erst nach Abschluss eines Zulassungsverfahrens auf den Markt gebracht werden. Über eine solche Zulassung verfüge die Antragstellerin jedoch nicht.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung von Ziffer 1. des Bescheids liege im öffentlichen Interesse. Es könne nicht bis zur Bestandskraft des Bescheides abgewartet werden, da der Verbraucher durch den im Handel erhältlichen Tee einem nicht abschätzbaren Gesundheitsrisiko ausgesetzt sei. Das behördliche Vollzugsinteresse, wonach Verbraucher darauf vertrauen dürften, keine potenziell gesundheitsgefährdenden Lebensmittel zu erwerben, überwiege die privaten Interessen an der Gewinnerzielungsabsicht der Antragstellerin. Es müsse insofern ein vorbeugender Verbraucherschutz stattfinden, sodass Gesundheitsgefahren für den Enderwerber gar nicht erst entstünden.
Mit weiterem Bescheid vom 7. Mai 2021 hob der Antragsgegner die Ziffer 1. seiner Verfügung vom 27. April 2021 auf und ersetzte sie durch die Anordnung, dass der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die Bestandteile der Nutzhanfpflanze Cannabis sativa L. (außer Hanfsamen und daraus hergestellter Produkte) enthalten, untersagt werde, bis diese dem Antragsgegner einen Nachweis des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vorlegt, aus dem hervorgeht, dass die von ihr vertriebenen Teesorten entweder nicht dem Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2015/2283 unterfallen oder die Antragstellerin hierfür über eine Zulassung als neuartiges Lebensmittel verfügt. Zur Begründung führte der Antragsgegner ergänzend aus, dass es der Antragstellerin möglich sei, beim BVL einen entsprechenden Bescheid zu erhalten, welcher ihr das Inverkehrbringen gestatte.
Gegen den Bescheid vom 27. April 2021 in Form des Bescheids vom 7. Mai 2021 legte die Antragstellerin am 7. Mai 2021 Widerspruch ein. Sie trägt vor, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Sie nimmt Bezug auf den zuvor stattgefundenen E-Mailverkehr zwischen ihr und dem Antragsgegner und legt dar, dass der Verkauf des Tees in Einklang mit der Rechtslage stehe. Weder seien die THC-Grenzwerte des BtMG überschritten noch seien die verwendeten Hanfblätter neuartige Lebensmittel. Insbesondere sei Hanf, sowohl die Blüten wie auch die Blätter, seit über 500 Jahren als Lebensmittel anerkannt. Daher habe die EU-Kommission bei der Überarbeitung des Novel-Food-Katalogs Anfang 2019 auch nicht die Notwendigkeit gesehen, eine ausdrückliche Benennung von Blüten der Hanfpflanze als neues Lebensmittel vorzunehmen. Vielmehr ergebe sich aus der langen Verbrauchergeschichte der Hanfpflanze kein Anlass für eine Regelung dahingehend, dass diese „neu“ sei. Demgemäß sei der Tee verkehrsfähig.
Am 12. Mai 2021 suchte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Gera um vorläufigen Rechtsschutz nach.
Sie trägt vor, der Bescheid sei bereits formell rechtswidrig, da die vorgeschriebene Anhörung nicht stattgefunden habe. Es liege zudem keine rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung vor. Die Behörde habe die nötige Abwägung ihrer Vollzugsinteressen mit den privaten Interessen der Antragstellerin unzureichend vorgenommen. Die nötigen besonderen Gründe, die für den Sofortvollzug sprächen, seien nicht erkennbar. Der Bescheid sei auch materiell rechtswidrig. Es existiere bereits keine Rechtsgrundlage, welche dem Antragsgegner ein Verbot gestatte. Es könne von der Antragstellerin auch nicht erwartet werden, einen Bescheid des BVL beizubringen. Hierzu bestehe keine Rechtspflicht, sodass ein Antrag von ihr auch nicht zwingend gestellt werden müsse. In der Sache handle es sich bei den von der Antragstellerin benutzten Teilen der Hanfpflanze zudem nicht um neue Lebensmittel. Sie verweist auf die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, welcher seinerseits auf eine Stellungnahme der österreichischen Regierung Bezug nimmt, die Hanfblätter zur Zubereitung von Kräutertees als herkömmliches Lebensmittel sehe. Dies sei auch das Ergebnis einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Für die Antragstellerin stehe fest, dass allein aus dem Umstand, dass der Novel-Food-Katalog der EU Hanfblätter nicht als neuartige Lebensmittel benenne, es sich bei ihnen im Umkehrschluss um traditionelle Lebensmittel handeln müsse. Hierfür spreche der in den letzten Jahren zu beobachtende Trend, dass zunehmend hanfhaltige Lebensmittel auf dem Markt erhältlich seien. Dies ließe sich zudem aus der österreichischen und slowakischen Rechtslage ableiten, welche Hanfblätter als zulässige Zutat von Kräutertees benenne.
Jedenfalls sei selbst bei einer „offenen“ Rechtslage dem privaten Aufschubinteresse der Vorrang zu gewähren. Ein Verbot des Inverkehrbringens sei lediglich bei nachweisbar gesundheitsschädlichen Lebensmitteln anzuordnen. Dies sei beim in Rede stehenden Tee nicht der Fall, weil sonst Österreich und die Slowakei ihren Verbrauchern gesundheitsschädliche Lebensmittel anböten. Dies könne angesichts der unionsweit geltenden VO (EG) 178/2002, welche unbeschadet der nationalen Regelung des § 5 LFGB weitergelte, offensichtlich nicht gewollt sein.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 7. Mai 2021 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. April 2021 in Form des Bescheids vom 7. Mai 2021 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, seine Anordnung sei rechtmäßig. Jedes Unternehmen habe grundsätzlich selbstständig zu beurteilen, ob seine Produkte neuartige Lebensmittel seien. Hierfür stünden die Unionsliste und der Novel-Food-Katalog als Orientierungshilfe zur Verfügung. Die Unionsliste enthalte keine Auskünfte zur Hanfpflanze. Der Novel-Food-Katalog sage hingegen aus, dass als Produkte der Cannabis-Sativa Pflanze lediglich deren Samen, Samenöl, Samenmehl und entfettete Samen in der Vergangenheit in der Union konsumiert und daher nicht „neu“ seien. Dies bestätige auch das BVL sowie die Anlage 3 zum BtMG, wobei insbesondere letztere den Verkehr mit Pflanzenteilen nur für gewerbliche und wissenschaftliche Zwecke als straflos bewerte, die einen missbräuchlichen Gebrauch ausschlössen. Die Abgabe an Endverbraucher sei kein solcher gewerblicher Gebrauch, da er Missbrauch nicht ausschließe. Der BGH habe im jüngsten Urteil vom 24. März 2021 (6 StR 240/20) zudem bestätigt, dass Hanftee ein Betäubungsmittel sei. Demgemäß könne der Weiterverkauf im Ergebnis nicht rechtmäßig sein.
Auch die sofortige Vollziehung sei rechtmäßig. Selbst die von der Ausnahmeregelung des BtMG erfassten Nutzhanfsorten wiesen einen stark schwankenden THC-Gehalt aus. Wäre der Antragstellerin der Weiterkauf bis zur Bestandkraft des Bescheids daher gestattet, könne nicht ausgeschlossen werden, dass möglicherweise vielseitige Gesundheitsgefahren für die Käufer der Tees, insbesondere bei vulnerablen Gesellschaftsgruppen wie Jungen, Alten, Schwangeren oder Kranken bestünden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie auf den Inhalt der vom Antragsgegner vorgelegten Sachakten (2 Heftungen) Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen einen belastenden Verwaltungsakt in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, besonders angeordnet wird. Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes ist gemäß § 80 Abs. 3 VwGO schriftlich zu begründen. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle des Absatzes 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wieder herstellen.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier nicht erfüllt.
Vorliegend bestehen hinsichtlich der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine Bedenken (1.) und es überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (2.).
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verbots des Inverkehrbringens in Ziffer 2. der Ordnungsverfügung vom 27. April 2021 in Form des Bescheids vom 7. Mai 2021 ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt dem Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 VwGO. Die Begründung muss erkennen lassen, dass die Behörde eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und dem Interesse an der aufschiebenden Wirkung des von dem Betroffenen hiergegen erhobenen Rechtsbehelfs vorgenommen hat und welche Gründe nach Auffassung der Behörde im konkreten Fall für eine sofortige Vollziehbarkeit sprechen und das Suspensivinteresse überwiegen. Das Erfordernis einer besonderen Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bezweckt daher, dass sich die Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung bewusst macht und soll sie ferner veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein vorrangiges öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Zudem hat die Begründung auch die Funktion, den Gerichten die Prüfung der Argumente der Behörde zu ermöglichen. Deshalb hat die Behörde die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen offenzulegen, die die Annahme eines überwiegenden öffentlichen Vollziehungsinteresses rechtfertigen.
Die Begründung des Sofortvollzugs in dem angefochtenen Bescheid genügt diesen Anforderungen. Die Rüge der Antragstellerin, das angeführte öffentliche Interesse des Gesundheitsschutzes vor nicht zugelassenen Lebensmitteln sei nicht mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes identisch, ist nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung in Frage zu stellen. Sie überspannt die Anforderungen an die schriftliche Begründung, da eine solche Entsprechung der Gründe gerade dann vorliegt, wenn es – wie hier im Lebensmittelrecht – darum geht, im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung für die Sicherheit der in Verkehr gebrachten Lebensmittel zu sorgen (OVG NRW, Beschl. v. 23. Januar 2020 – 13 B 1423/19 – juris Rn. 9).
Der Antragsgegner hat zudem ausgeführt, dass Gründe des Verbraucherschutzes und der Abwehr gesundheitlicher Beeinträchtigungen eine vorbeugende Regelung in Gestalt des Verbots des Inverkehrbringens nötig machen. Bis zu einer Zulassung als neuartiges Lebensmittel könne nicht ausgeschlossen werden, dass von den Hanfteeprodukten der Antragstellerin ernste gesundheitliche Gefahren für die Verbraucher ausgingen. Die Gewinnerzielungsabsicht der Antragstellerin habe daher hinter den Interessen des Verbraucherschutzes zurückzustehen.
Diese zu Ziffer 2. des angefochtenen Bescheids gegebene Begründung lässt damit sowohl die Eilbedürftigkeit als auch den konkreten Einzelfallbezug hinreichend erkennen (vgl. zu den Anforderungen an die Begründung nach § 80 Abs. 3 VwGO im vorliegenden Kontext: OVG NRW, Beschl. v. 23. Januar 2020 – 13 B 1423/19 – juris Rn. 5 ff.).
2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bleibt ohne Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht unter Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen unter Ausübung richterlichen Ermessens über den Antrag zu entscheiden. Diese gerichtliche Ermessensentscheidung hat sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten des vom Antragsteller in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs gegen den belastenden Verwaltungsakt zu orientieren. Dem Antrag ist regelmäßig stattzugeben, wenn der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist. Denn in diesem Fall kann ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des betreffenden Bescheides nicht bestehen. Umgekehrt wird regelmäßig der Antrag abzulehnen sein, wenn der Bescheid rechtmäßig ist und der gegen ihn gerichtete Rechtsbehelf keinen Erfolg haben dürfte. Sind die Erfolgsaussichten des gegen den Bescheid gerichteten Rechtsbehelfs offen, so hat eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollziehungsinteresse einerseits und dem privaten Suspensivinteresse der Antragstellerin andererseits zu erfolgen. Überwiegt das private Suspensivinteresse der Antragstellerin so ist die aufschiebende Wirkung des gegen den Verwaltungsakt gerichteten Rechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen; überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, so ist der Antrag dagegen abzulehnen. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung fällt hier zu Lasten der Antragstellerin aus.
Der im Bescheid vom 7. Mai 2021 angeordnete Sofortvollzug der Untersagung des Inverkehrbringens von Lebensmitteln, die Bestandteile der Nutzhanfpflanze Canabis sative L. (außer Hanfsamen und daraus hergestellten Produkte) enthalten, ist weder in formeller (a.) noch materieller (b.) Hinsicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage des lebensmittelrechtlichen Inverkehrbringungsverbots in Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheids ist Art. 138 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625, der Anwendungsvorrang vor dem nationalen § 39 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) genießt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10. Dezember 2015 – 3 C 7/14 – juris Rn. 12 für das Verhältnis zwischen § 39 LFGB und der lebensmittelrechtlichen Eingriffsnorm des Art. 54 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004, die durch Art. 146 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/625 mit Wirkung zum 14. Dezember 2019 aufgehoben wurde; vgl. für das Kosmetikmittelrecht: VG Schleswig, Beschl. v. 25. Januar 2021 – 1 B 171/20 – juris Rn. 35). Danach ergreifen die zuständigen Behörden, wenn sie einen Verstoß gegen das Lebensmittelrecht festgestellt haben, geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert. Bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen berücksichtigen die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften, Art. 138 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625. Zu diesen Maßnahmen gehört nach Art. 138 Abs. 2 Buchst. d) der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 auch die Untersagung des Inverkehrbringens von Waren. Unter den Begriff „Waren“ fallen auch Lebensmittel, vgl. Art. 3 Nr. 11 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 (VG Würzburg, Urt. v. 13. Juli 2020 – 8 K 20.161 – juris; VG Hannover, Urt. v. 15. Januar 2020 – 15 A 819/18 – juris Rn. 20 ff. m.w.N.; VG Schleswig, Beschl. v. 8. Februar 2021 – 1 B 8/21 – juris Rn. 10).
a. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
aa. Der Antragsgegner ist als Zweckverband gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 Thüringer Gesetz zur Ausführung der Vorschriften über den Verkehr mit Lebensmitteln, kosmetischen Mitteln, sonstigen Bedarfsgegenständen und Tabakerzeugnissen (ThürLMÜbG) i.V.m. § 1 Nr. 3 Thüringer Lebensmittelzuständigkeitenverordnung (ThürLÜZVO) und § 3 Abs. 1 der Verbandssatzung des Zweckverbandes Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt Jena-Saale-Holzland die sachlich zuständige Behörde im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und der auf Grund des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches erlassenen Rechtsverordnungen sowie der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Union.
Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) ThürVwVfG, da die Antragstellerin ihren Sitz in S…  hat und damit in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners fällt.
bb. Ein Anhörungsmangel gem. § 28 ThürVwVfG ist nicht gegeben. Gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Dies ist hier der Fall, da der sofortige Verkaufsstopp der hanfhaltigen Teeprodukte der Antragstellerin keine weiteren Verzögerungen geduldet hätte. Vielmehr stellt der von dem Antragsgegner genannte Schutz der Verbrauchergesundheit einen hinreichenden eilbedürftigen Aspekt dar, der eine vorherige Anhörung entbehrlich machte (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 27. September 2019 – 16 L 2333/19 – juris Rn. 57 m.w.N.; VG Hannover, Beschl. v. 18. November 2019 – 15 B 3035/19 – juris Rn. 37).
Ohne dass es aufgrund der nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 ThürVwVfG im öffentlichen Interesse notwendigen sofortigen Entscheidung des Antragsgegners noch darauf ankäme, hat diese die Antragstellerin dennoch ausreichend vor Erlass des Bescheides angehört.
Wie die Anhörung im Einzelnen erfolgen muss, ist gesetzlich nicht vorgegeben. Die Anhörung ist vielmehr formfrei (ThürOVG, Beschl. v. 9. August 1996 – 2 EO 669/96 – juris). Insofern obliegt es der Ermessensentscheidung der Behörde, wie sie die Anhörung vornimmt, ob diese schriftlich, mündlich oder auch fernmündlich erfolgt. Ausreichend ist es, wenn dem Betroffenen die Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich – auch in elektronischer Form – zu äußern (vgl. BeckOK VwVfG/Herrmann, 51. Ed. 1.4.2021, VwVfG § 28 Rn. 17 m.w.N.). Bei der Entscheidung über den Zeitpunkt der Anhörung ist der Behörde grundsätzlich ein weites Ermessen eingeräumt. So besteht auch keine Verpflichtung, die Anhörung erst nach der vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes durchzuführen. Der Antragstellerin wurde mit E-Mail des Antragsgegners vom 16. April 2021 mitgeteilt, dass der Verkauf seiner Produkte unzulässig sei. Weiterhin wurde ihr mitgeteilt, dass sie diese sofort vom Markt nehmen solle und es wurde eine Rückmeldungsfrist bis zum 23. April 2021 gesetzt. Daraufhin hatte die Antragstellerin ausreichend Gelegenheit zum Sachverhalt Stellung zu nehmen. Die gemäß § 28 ThürVwVfG normierte Anhörung hat damit – trotz ihrer grundsätzlichen Entbehrlichkeit – stattgefunden.
b. Der Bescheid ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner durfte zu Recht gem. Art. 138 Abs. 1 b) der VO (EU) 2017/625 i.V.m. Art. 6 der VO (EU) 2015/2283 das weitere Inverkehrbringen der Teesorten verbieten.
Ein Verstoß gegen geltendes Lebensmittelrecht gem. Art. 138 Abs. 1 der VO (EU) 2017/625 liegt mit dem Vertrieb der Teeprodukte „H…  Hanf + Karkade“ sowie „Mate-Hanftee“ vor, weil es sich um neuartige, aber noch nicht zugelassene Lebensmittel handelt. Gem. Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 dürfen nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in den Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden.
Die gegenständlichen Teesorten mit dem Zusatz der Hanfblätter sind als Lebensmittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit „neuartig“ im Sinne der Definition in Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) VO (EU) 2015/2283. Neuartige Lebensmittel sind demnach alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden.
Ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat ist in der Union noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls feststeht, dass dieses Lebensmittel oder diese Lebensmittelzutat vor dem Bezugszeitpunkt in keinem Mitgliedstaat in erheblicher Menge für den menschlichen Verzehr verwendet wurde (EuGH, Urt. v. 9. Juni 2005 – C – 211/03, C-299/03 und C-316/03 bis C-318/03 – HLH Warenvertrieb und Orthica – alle zit. nach juris). Danach ist davon auszugehen, dass ein zur Annahme der Neuartigkeit des betreffenden Lebensmittels führender Verzehr durch Menschen in einer nicht erheblichen Menge dann anzunehmen ist, wenn das betreffende Lebensmittel in einem so geringen Umfang verzehrt worden ist, dass durch das Inverkehrbringen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ernst zu nehmende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung nicht auszuschließen sind. Dagegen wurde ein Lebensmittel in nennenswertem Umfang innerhalb der Union verzehrt, wenn es im Hinblick auf den Umfang, in dem der Verzehr stattgefunden hat, zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung nicht (mehr) erforderlich erscheint, das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft erst nach einer Sicherheitsprüfung nach den Bestimmungen der Novel-Food-Verordnung zuzulassen (vgl. VG Cottbus, Beschl. v. 8. Januar 2020 – 3 L 230/19 – juris Rn. 18 m.w.N.; BayVGH, Urt. v. 12. Mai 2009 – 9 B 09.199 – juris Rn. 18).
Der Umstand allein, dass Zutaten, aus denen ein Lebensmittel besteht, in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr in der Union verwendet worden sein mögen, reicht nicht aus, das Lebensmittelenderzeugnis oder die verwendete Zutat nicht als neuartiges Lebensmittel im Sinne der VO (EU) 2015/2283 anzusehen. Es kommt daher nicht lediglich darauf an, dass bestimmte aus der Hanfpflanze genutzte Bestandteile wie Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl oder aus fettfreiem Hanfsamenprotein gewonnene Produkte und damit die Pflanze Cannabis sativa L. eine Verwendungsgeschichte in der Union haben. Die Neuartigkeit eines Lebensmittels muss vielmehr anhand aller Merkmale dieses Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs beurteilt werden. So ist nicht auszuschließen, dass der Herstellungsvorgang in der Struktur eines Lebensmittels zu physikalischen, chemischen oder biologischen Änderungen der verwendeten Zutaten mit möglichen Folgen für die öffentliche Gesundheit führen kann (EuGH, Urt. v. 15. Januar 2009 – C-383/07 – juris Rn. 26 f.; vgl. BGH, Urt. v. 16. April 2015 – I ZR 27/14 – juris Rn. 26).
Entscheidungserheblich ist damit allein, ob das hier relevante Endprodukt – also die beiden Teesorten – mit den enthaltenen Hanfblättern die Merkmale eines neuartigen Lebensmittels erfüllen (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 18. November 2019 – 15 B 3035719 – juris Rn. 24; VG Cottbus, Beschl. v. 8. Januar 2020 – 3 L 230/19 – juris Rn. 18, 25).
Maßgebliche Indizwirkung für die Annahme eines neuartigen Lebensmittels kommt dem sogenannten Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission (abrufbar unter: http://ec.europa.eu/food/safety/novel_food/catalogue/search/public/index.cfm, abgerufen am 30. Juni 2021) zu, auch wenn dieser als solcher keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet (BGH, Urt. v. 16. April 2015 – I ZR 27/14 – juris Rn. 33; VG Hannover, Beschl. v. 18. November 2019 – 15 B 3035/19 – juris Rn. 26; Zipfel/Rathke LebensmittelR/Ballke, 178. EL November 2020, VO (EU) 2015/2283 Art. 3 Rn. 41 f.). In die Einträge des Katalogs, der von einer Arbeitsgruppe der Union als Orientierungshilfe im Hinblick auf die VO (EG) Nr. 258/97 erarbeitet wurde, fließen die Erkenntnisse der Europäischen Kommission sowie der für neuartige Lebensmittel zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten ein.
Nach dem aktuellem Eintrag im Novel-Food-Katalog ist in der Europäischen Union der Anbau verschiedener Sorten von Cannabis sativa L. zulässig, sofern sie im Gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten der Europäischen Union („EU’s ‘Common Catalogue of Varieties of Agricultural Plant Species’“) registriert sind und der Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) 0,2% (w/w) nicht übersteigt. Einige Produkte, die aus der Cannabis sativa-Pflanze oder Pflanzenteilen wie Samen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl, entfettetem Hanfsamen („such as seeds, seed oil, hemp seed flour, defatted hemp seed“) gewonnen werden, haben eine Verwendungsgeschichte als Lebensmittel innerhalb der EU und sind daher nicht neuartig. Unbeschadet der Angaben im Novel Food-Katalog für den Eintrag in Bezug auf Cannabis sativa L. gelten Extrakte aus Cannabis sativa L. und daraus gewonnene Produkte, die Cannabinoide enthalten, als Novel Food, da für sie eine Verwendungsgeschichte nicht nachgewiesen werden konnte („extracts of Cannabis sativa L. and derived products containing cannabinoids are considered novel foods as a history of consumption has not been demonstrated“).
Ungeachtet der Frage, ob den Produkten der Antragstellerin tatsächlich nur Blätter aus Nutzhanfpflanzen im Sinne der vorgenannten Vorschrift zugeführt sind, wurden die Teeprodukte „…  Hanf + Karkade“ sowie „Mate-Hanftee“ nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Gerichts vor dem 15. Mai 1997 in der Union jedoch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet.
Die von der Antragstellerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen belegen nicht, dass ihre Produkte eine konkrete Verwendungsgeschichte in der Union haben.
Weder die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages noch die Antwort der Bundesregierung vom 25. Juli 2019 geben konkrete Auskunft darüber, ob Teemischungen mit einem Anteil von 10% oder 20% Hanfblättern eine Verwendungsgeschichte in der EU haben. Vielmehr nehmen diese Stellungnahmen zur Frage der Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln mit Cannabinoidgehalt im Allgemeinen Stellung. Damit kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dieser Ausarbeitung – wie die Antragstellerin meint – um ein Sachverständigengutachten handelt. Auch die Veröffentlichungen des Landesuntersuchungsamts Rheinland-Pfalz und der Überwachungsbehörde Baden-Württemberg belegen lediglich, dass Untersuchungen des THC-Gehalts von Hanfteemischungen stattgefunden haben, zeigen aber nicht auf, dass diese auch eine tatsächliche zulässige Verwendung in der Union hatten.
Schließlich hilft auch der Verweis auf das Österreichische Lebensmittelbuch nicht weiter. Dort werden die Blätter der Hanfpflanze zwar als „für die Herstellung teeähnlicher Erzeugnisse üblicherweise verwendete Pflanzen bzw. Pflanzenteile“ angegeben. Allein diese dortige Nennung lässt aber nicht auf eine Verwendungsgeschichte derartiger Tees innerhalb der Union schließen. Das Österreichische Lebensmittelbuch mag zwar Auskunft darüber geben, dass dort Tee mit Hanfblättern als Lebensmittel anerkannt ist. Es bleibt jedoch einerseits offen, ob das Lebensmittel vor dem Stichtag 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang dort auch tatsächlich verzehrt wurde (vgl. VG Cottbus, Beschl. v. 8. Januar 2020 – VG 3 L 230/19 – juris Rn. 19). Anderseits verhält sich das Österreichische Lebensmittelbuch nicht dazu, in welcher Konzentration die Hanfblätter Bestandteil des Tees sind. Damit fehlt es der dortigen Aufzählung auch an der Vergleichbarkeit mit den hier gegenständlichen Teesorten, weil dem Österreichischen Lebensmittelbuch keine Auskunft entnommen werden kann, ob Teezubereitungen mit 10% oder 20% Hanfblättern dort als Lebensmittel konsumiert werden dürfen. Wie bereits dargelegt, kommt es für die Bewertung der Neuartigkeit eines Lebensmittels jedoch auf das genaue Enderzeugnis an, sodass der bloßen Benennung in einem Mitgliedstaat zulässiger Zutaten in einem Lebensmittelbuch, ohne konkrete Angabe der spezifischen Zusammensetzung, keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der unionsrechtlich zu beurteilenden „Neuartigkeit“ i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) VO (EU) 2015/2283 entnommen werden kann (vgl. Zipfel/Rathke LebensmittelR/Ballke, 178. EL November 2020, VO (EU) 2015/2283 Art. 3 Rn. 32; EuGH, Urt. v. 15. Januar 2009 – C-383/07 – juris Rn. 24).
Zu keinem anderen Ergebnis führt die angeblich in der Slowakei bestehende Sachlage. Mangels Vorliegen einer deutschsprachigen Übersetzung (§ 55 VwGO i.V.m. § 184 GVG) der entsprechenden Anlage A15 musste das Gericht sie nicht näher berücksichtigen.
Die Antragstellerin hat die von ihr behauptete fehlende Neuartigkeit der Teesorten „H… Hanf + Karkade“ sowie „Mate-Hanftee“ nicht nachgewiesen.
Die Darlegungslast zur Frage der Neuartigkeit trägt nicht der Antragsgegner als Träger der Lebensmittelbehörde, die das Vorliegen einer „Neuartigkeit“ eines Lebensmittels behauptet. Nach Art. 4 Abs. 1 Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 überprüfen die Lebensmittelunternehmer, ob Lebensmittel, die sie in der Union in Verkehr bringen wollen, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen oder nicht.
Wenn nicht sicher ist, ob ein Lebensmittel neuartig ist, muss der Lebensmittelunternehmer nach Art. 4 Abs. 2 der Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 ein Konsultationsverfahren zur Klärung der Frage durchführen, ob das Lebensmittel in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Auf ein solches Verfahren hat der Antragsgegner die Antragstellerin hingewiesen und ausgeführt, dass die Ordnungsverfügung aufgehoben werde, sobald das jeweilige Lebensmittel durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit als nicht neuartiges Lebensmittel eingestuft werde.
Durch dieses Verfahren soll ausgeschlossen werden, dass ein Lebensmittel ohne Rücksicht auf seine eventuelle Neuartigkeit „ins Blaue hinein“ auf den Markt gebracht wird (VG Schleswig, Beschl. v. 8. Februar 2021 – 1 B 8/21 – juris). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat nicht neuartig ist, trägt daher der Lebensmittelunternehmer, der das Lebensmittel oder die Lebensmittelzutat in Verkehr bringt oder bringen will (NdsOVG, Beschl. v. 12. Dezember 2019 – 13 ME 320/19 – juris Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16. Oktober 2019 – 9 S 535/19 – juris Rn. 16).
Anders als die Antragstellerin meint, trifft sie somit die Pflicht, vor dem Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Teesorten deren lebensmittelrechtlichen Status und insbesondere deren Verkehrsfähigkeit klären zu lassen.
3. Der Antragsgegner hat auch das auf der Rechtsfolgenseite eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Ein solcher Ermessensfehler ist hier nicht festzustellen.
Der Antragsgegner hat sein Ermessen erkannt und die getroffenen Maßnahmen zutreffend als verhältnismäßig bewertet.
Das Verbot des Inverkehrbringens von hanfhaltigen Lebensmitteln, bei denen zudem möglicherweise ein über 0,2 % liegender THC-Gehalt nicht auszuschließen ist, erweist sich auch in Ansehung der wirtschaftlichen Bedeutung für die Antragstellerin als angemessen. Die Verkaufsunterbindung dient der Umsetzung des von Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 statuierten Verbots des Inverkehrbringens von neuartigen Lebensmitteln ohne vorherige Zulassung sowie der Sicherstellung des Verbots des Inverkehrbringens nicht sicherer Lebensmittel gemäß Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Eine mildere, die Antragstellerin weniger belastende Maßnahme zur Durchsetzung dieser Verbote ist nicht erkennbar.
Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine Übergangs- oder Abverkaufsfrist einzuräumen gewesen wäre. Selbst wenn die Antragstellerin erhebliche Investitionskosten in die Produktion aufgewendet haben sollte, so hat sie dies in eigener Verantwortung und auf ihr Risiko getan. Lebensmittelunternehmer müssen im Ausgangspunkt eigenverantwortlich für ihre Produkte einstehen und sich im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht eigenständig über die für sie geltenden Anforderungen informieren. Zur Klärung lebensmittelrechtlicher Fragestellungen haben sie überdies vielfältige Möglichkeiten, sich einschlägigen Rechtsrat einzuholen. Bei Unsicherheiten hinsichtlich der Einstufung von Erzeugnissen als neuartiges Lebensmittel können die Lebensmittelunternehmer – worauf der Antragsgegner zutreffend hinweist – das BVL konsultieren. Das zugrunde gelegt ist weder konkret dargetan noch sonst ersichtlich, warum es der Antragstellerin (ausnahmsweise) nicht zumutbar gewesen sein sollte, sich wirtschaftlich angemessen auf die im Januar 2019 bekannte Überarbeitung des Novel-Food-Katalogs einzustellen (Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 23. Januar 2020 – 13 B 1423/19 – juris Rn. 21 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 28. September 2020 – 20 L 1029/20 – juris Rn. 95 ff.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Da der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, ist eine Reduzierung des Streitwertes für das Eilverfahren in Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angezeigt. In Ermangelung anderer Anhaltspunkte war der Regelstreitwert festzusetzen.


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