Europarecht

Italien, Erkrankung, AGB, Zeitpunkt, Anspruch, Diabetes, Kreuzfahrt, Zahlung, Aufhebung, Reiseveranstalter, Anzahlung, Annahme, Land, Vertrag, billigend in Kauf

Aktenzeichen  113 C 3634/21

Datum:
15.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29701
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 2.527,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.11.20 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltssgebühren in Höhe von 396,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.20 zu zahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.527,04 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
I.
Die Kläger haben Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung des gezahlten Reisepreises in Höhe von 2.527,04 € aus den §§ § 651 h Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5 BGB. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Stornokosten.
Die Kläger sind von der Reise zurückgetreten. Grundsätzlich verliert der Reiseveranstalter bei Stornierung des Reisenden vor Reisebeginn gem. § 651 h BGB den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis, kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Der Anspruch auf angemessene Entschädigung entfällt gem. § 651 h Abs. 3 BGB jedoch dann, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
Solche unvermeidbaren außergewöhnliche Umstände lagen zum Zeitpunkt des Rücktritts der Kläger vor.
Die Covid-19-Pandemie kann grundsätzlich als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand zu bewerten sein, der die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt. Allein die Tatsache der Pandemie reicht nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht aus, um jeglichen Rücktritt von allen Pauschalreisen zu jedem Zeitpunkt ohne Anfall von Entschädigungszahlungen zuzulassen. Es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Hierbei sind neben dem Reiseziel und den Umständen vor Ort auch Einreise- und Quarantänebestimmungen zu berücksichtigen. Ein starkes Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung sind die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes (Führich, NJW 2020, 2137 (2138)).
Im Rahmen von § 651 h Abs. 3 BGB kommt es auf eine Prognoseentscheidung an (BeckOK, § 651 h BGB, Rz. 47; Schmidt, COVID 19, § 7 Rz. 24; Staudinger/Ruks, DAR 2020, 314 (315)). Es ist zu prüfen, inwieweit die konkrete Reise aus einer ex-ante Betrachtung heraus, ausgehend vom Zeitpunkt des Rücktritts, erheblich beeinträchtigt sein wird. Abzustellen ist auf die Sicht eines objektiven Durchschnittsreisenden. Bloße Unwohl- und Angstgefühle des Reisenden reichen nicht aus (Schmidt, COVID 19, § 7 Rz. 25).
Vorliegend erfolgte die Buchung der Reise im Juni 2020, somit zu einem Zeitpunkt, als die pandemische Lage bereits allseits bekannt war. Diese lässt das Kündigungsrecht aus § 651 h Abs. 3 BGB jedoch nicht entfallen. Die Beklagten haben mit der Buchung nicht jegliche Verschlechterung der pandemischen Lage und das daraus folgende Gesundheitsrisiko akzeptiert. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob zu den zum Zeitpunkt der Buchung bekannten Beeinträchtigungen, zum Zeitpunkt des Rücktritts, zu dem die Prognoseentscheidung zu treffen war, weitere Beeinträchtigungen hinzugetreten sind. Denn die bereits bei Buchung bekannten Beeinträchtigungen haben die Kläger durch die Buchung akzeptiert, weitere jedoch nicht.
Zum Zeitpunkt der Buchung der Reise waren die Infektionszahlen in der EU verhältnismäßig niedrig. Die Aufhebung der Reisebeschränkungen innerhalb der EU waren für den 15.6.20 angekündigt. Allgemein gingen Politik sowie auch Reiseveranstalter davon aus, dass die Pandemie unter Kontrolle gebracht wurde und auch unter Kontrolle gehalten werden könnte. Anders sind weder die politisch durchgeführten Öffnungsschritte und Aufhebungen der Reisewarnungen zu deuten, noch die Tatsache, dass die Beklagte für den weiteren Verlauf des Jahres 2020 Reisebuchungen entgegennahm. Die gebuchte Kreuzfahrt sollte in I. starten. Mit Ausnahme von V. lagen alle anzulaufenden Häfen in I.. Zum Zeitpunkt der Buchung gab es in I., nach der von der J.-H. Universität geführten Statistik, gerade mal 3,8 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner. Bei Annahme der Änderung der Reiseroute durch die Kläger am 11.8.20, waren es 4,3 Infektionen auf 100.000 Einwohner. Auch bei der letzten Buchungsbestätigung der Kläger am 18.9.20 war die Zahl der Infizierten auf 100.000 Einwohner mit 16,3 noch relativ niedrig. Reisewarnungen des auswärtigen Amtes gab es dementsprechend auch keine.
Die Kläger konnten somit bei Buchung der Reise, als auch bei Annahme der Reiseänderungen davon ausgehen, dass die Infektionslage überschaubar und unterhalb der Grenze von 50 Infektionen auf 100.000 Einwohner bleibt. Erst in der Folge sind die Infektionen, sowohl in Italien als auch im Rest der EU, dramatisch angestiegen. Dementsprechend wurden bereits am 17.10.20 die Regionen L., K. und M., in denen jeweils Zielhäfen der gebuchten Kreuzfahrt lagen, vom RKI zu Risikogebieten erklärt. Ab dem 24.10.20 folgte dann Latium und am 30.10.20 Sizilien. Beide Regionen sollten ebenfalls im Rahmen der Kreuzfahrt angelaufen werden.
Die Infektionslage hatte sich daher vom Zeitpunkt der Buchung und der Akzeptanz der Reiseänderungen bis zum Kündigungszeitpunkt dramatisch verschlechtert. Zum Zeitpunkt der ersten Mitteilung der Kläger am 6.11.20 die Reise nicht durchführen zu wollen, hatte Italien 345,80 Infizierte auf 100.000 Einwohner. Mit dieser massiven Verschlechterung musste zum Zeitpunkt der letzten Buchungsbestätigung durch die Kläger am 18.9.20 noch nicht gerechnet werden. Zwar war ein Anstieg der Infektionszahlen im Herbst von Wissenschaftlern prognostiziert worden. Damit, dass der Anstieg jedoch trotz aller Maßnahmen so rasant erfolgen würde, hat jedoch weder der Großteil der Bevölkerung noch die Politik gerechnet.
Das Gericht bewertet diese dramatische Verschlechterung der pandemischen Lage daher als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand, der die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigte. Die Infektionsgefahr hatte sich seit der Buchung um ein Vielfaches erhöht. Durch die Einstufung des Start und Zielhafens der Kreuzfahrt, sowie der weiteren Häfen, hätte für die Kläger nach Rückkehr auch eine Quarantänepflicht bestanden, was neben der erhöhten Infektionsgefahr, eine weitere erhebliche Beeinträchtigung der Reise darstellt.
Auch durch die Zahlung des weiteren Reisepreises am 6.11.20, haben die Kläger bei der Beklagten nicht das Vertrauen erweckten die Reise trotz der zu diesem Zeitpunkt bereits sehr hohen Infektionslage (345,80 Infizierte auf 100.000 Einwohner in Italien) durchführen zu wollen. Bereits am selben Tag erklärten die Kläger per mail, die Reise wegen der Infektionslage nicht durchführen zu wollen. Abgesehen davon, dass eine bloße Zahlung keine Willenserklärung ist, wurde daher ein Vertrauenstatbestand nicht geschaffen.
Ein Anspruch der Beklagten auf angemessene Entschädigung besteht daher nicht, vielmehr hat die Beklagte den Reisepreis zurückzuzahlen.
II.
Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und Zinsen ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gem. §§ 280, 286, 288 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.


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