Europarecht

Kaufvertrag, Berufung, Sittenwidrigkeit, Rechtsanwaltskosten, Annahmeverzug, Fahrzeug, Kenntnis, Zahlung, Beweislast, Software, Anrechnung, Anspruch, Erstattung, Feststellung, Zug um Zug, erstinstanzliche Entscheidung, Darlegungs und Beweislast

Aktenzeichen  21 U 426/20

Datum:
27.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 19242
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

61 O 1043/19 2019-12-30 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 30.12.2019, Az. 61 O 1043/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1.1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 23.309,09 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26.450,70 € vom 14.06.2019 bis 01.12.2019, aus 24.879,89 € vom 02.12.2019 bis 22.05.2022 und aus 23.309,09 € seit 23.05.2022, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkws Audi A4 Avant 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer FIN …942 zu zahlen.
1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
1.3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 34%, die Beklagte 66% zu tragen.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 42%, die Beklagte 58% zu tragen.
4. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, in der Fassung, die es in Ziffer 1. erhalten hat, sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klagepartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
Die Klagepartei erwarb am 11.04.2015 zu einem Preis von 34.500 € brutto von einem Dritten ein Gebrauchtfahrzeug Audi A 4 2.0 TDI, Erstzulassung 20.11.2013. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkws. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 38.000 km, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 02.12.2019 99.128 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23.05.2022 122.986 km.
Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung „unzulässige Abschalteinrichtung“. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Vorgerichtlich forderte die Klagepartei mit anwaltlichem Schreiben vom 13.03.2019 die Kaufpreiserstattung abzüglich einer Nutzungsentschädigung ohne Benennung von Kilometerleistungen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Zahlung der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung unter Fristsetzung bis zum 27.03.2019.
Mit Klage vom 09.05.2019, bei Gericht eingegangen am selben Tag und der Beklagten zugestellt am 13.06.2019, forderte die Klagepartei zuletzt die Erstattung des vollständigen Kaufpreises nebst Delikts- bzw. Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Die Beklagte beruft sich auf Verjährung.
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.12.2019 teilweise zugesprochen, nämlich verurteilt zur Zahlung in Höhe von 26.450,70 € nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs bei einer Kostenverteilung von 23% zu Lasten der Klagepartei und 77% zu Lasten der Beklagten. Die Beklagte hafte nach § 826 BGB, weshalb der Kaufvertrag unter Anrechnung von Gebrauchsvorteilen in Form einer Nutzungsentschädigung rückabzuwickeln sei. Der Anspruch sei nicht verjährt. Deliktszinsen könnten nicht zugesprochen werden und ein Annahmeverzug nicht festgestellt werden. Auch die Erstattung von geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten könne nicht zugesprochen werden. Der Anspruch sei erst ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Hiergegen richteten sich die zunächst von beiden Parteien eingelegten Berufungen.
Die Klagepartei hat ihre Berufung, mit der sie die Zahlung von weiteren EUR 8.049,30 zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.03.2019 und Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 12.04.2015 bis zum 27.03.2019 auf einen Betrag in Höhe von EUR 34.500,00 beantragte, zurückgenommen.
Die Beklagte hält das landgerichtliche Urteil für unrichtig, was sowohl auf der Feststellung unrichtiger Tatsachen als auch unzutreffender rechtlicher Würdigung beruhe. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche seien verjährt, weil der dem Rechtsstreit zu Grunde liegende Sachverhalt der Klagepartei seit dem Jahr 2015 bekannt gewesen sei. Darüber hinaus komme eine Haftung der Beklagten aber auch deshalb nicht in Betracht, weil sie lediglich Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist, den in dem Fahrzeug verbauten Motor des Typs EA 189 aber nicht entwickelt habe. Die Beklagte bestreitet eine Kenntnis ihrer Vorstandsmitglieder von der Programmierung und Verwendung der als unzulässig gerügten Software-Konfiguration des Motors und rügt, dass die Klagepartei diesbezüglich nichts Substantiiertes vorgetragen habe. Vor diesem Hintergrund scheide eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten aus, der die Beklagte aber im Übrigen auch nachgekommen sei. Eingeleitete Untersuchungen des Sachverhalts hätten keine Erkenntnisse darüber gebracht, dass im Zeitraum vom 01.01.2006 bis 22.09.2015 amtierende Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der in europäischen Dieselfahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 eingesetzten Umschaltlogik beteiligt gewesen wären oder deren Entwicklung und Verwendung in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten. Es fehle weiter an einem Vortrag und einem Beweis der Klagepartei dafür, dass die Beklagte eine Schädigung der Klagepartei billigend in Kauf genommen habe. Einen Nachweis über den erforderlichen Schädigungsvorsatz habe die Klagepartei nicht erbracht. Es bestehe weiter kein Kausalzusammenhang zwischen der der Klagepartei bei Vertragsschluss unbekannten Umschaltlogik und der Kaufentscheidung. Hinsichtlich der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung, Schriftsatz vom 15.04.2020, Bl. 358 ff. d.A., sowie die weiteren Schriftsätze vom 13.10.2020, Bl. 424 ff. d.A., 04.02.2022, Bl. 582 ff., und vom 13.05.2022, Bl. 700 ff., Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das am 30.12.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az. 61 O 1043/19 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Klagepartei beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Die in Fahrzeugen mit EA 189-Dieselaggregat der V. AG implementierte Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik sei ursprünglich von der Beklagten unter der Leitung von Dr. U. H. als sog. „Akustikfunktion“ entwickelt worden. Erst mit dem Wechsel von Dr. H. im Jahr 2007 in den Vorstand von VWsei der Entschluss gefasst worden, die „Akustikfunktion“ serienmäßig als „Umschaltlogik“ in alle Fahrzeuge des V. Konzerns mit EA 189 Dieselmotor zu implementieren. Der Vorstand der beklagten Herstellerin sowie Entwicklerin der darin implementierten unzulässigen Abschalteinrichtung habe damit von der Funktionsweise und Unzulässigkeit der auch in ihren Fahrzeugen verbauten Abschalteinrichtung gewusst. Insoweit wird insbesondere auf die Berufungserwiderung, Schriftsatz vom 10.11.2020, Bl. 473 ff. d.A., verwiesen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 23.05.2022 mündlich verhandelt und in diesem Termin den Kläger informatorisch angehört. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Auf eine förmliche Parteieinvernahme hat die Beklagte verzichtet.
II.
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg. Wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, bejaht auch der Senat eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Diesel-Pkws durch die Klagepartei, allerdings in geringerem Umfang als erstinstanzlich tenoriert in Bezug auf die durch die Klagepartei gezogenen Nutzungen wie auch ausgesprochenen Zinsen. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch. Im Einzelnen:
1. Die Beklagte haftet gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die – u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten – Motoren EA189 samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren EA189 in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht.
Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 14 f.).
Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28).
a) Ein derartiges Vorstellungsbild steht zur Überzeugung des Senats fest im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat. Der Senat ist überzeugt i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB von der – evident unzulässigen – Umschaltlogik gewusst hat bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten.
Soweit die Beklagte einwendet (Bl. 702 d.A.), eine Überzeugungsbildung i.S.v. § 286 ZPO verstoße gegen BGH, Urteil vom 26.04.1989, Az.: IVb ZR 52/88, ist festzuhalten, dass sich der BGH in seiner Urteilsserie vom 25.11.2021 u.a. explizit mit der Prüfung der Feststellungen auf der Grundlage einer Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO in den Ausgangsentscheidungen befasst und seine Beurteilung ausführlich begründet hat (Az.: VII ZR 238/20, Rdnr. 29 ff., VII ZR 243/20, Rdnr. 28 ff., VII ZR 257/20, Rdnr. 30 ff. und VII ZR 38/21, Rdnr. 28 ff.; deutlich dazu: BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, Rdnr. 18). Der BGH hat insbesondere auch klargestellt, dass die Tatsachenfeststellung in Dieselfällen nicht beschränkt ist auf Feststellungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Az.: VII ZR 243/20, Rdnr. 35).
Die Beklagte führt aus, im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Fahrzeugen ihrer Herstellung durch das Produkt-Strategie-Komitee im Jahr 2005/2006, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstands sowie einzelnen Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, und der fortlaufenden nochmaligen Entscheidung zum Einsatz des Motors EA189 jeweils in Bezug auf das konkret entwickelte Modell (Bl. 438 ff. d.A.), habe man lediglich den serienmäßigen Einsatz des Motors EA189 beschlossen, sich dabei aber nicht mit der konkreten technischen Ausstattung einschließlich der Umschaltlogik befasst, man habe insbesondere im Produkt-Strategie-Komitee nur über den Einsatz des Motorentyps entschieden und dabei nur finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Bl. 613 ff. d.A.). Der Senat ist aber davon überzeugt, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten von der – evident unzulässigen – Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees.
Beim Motor eines Fahrzeugs handelt es sich um dessen „Kernstück“, nicht bloß um ein untergeordnetes Zulieferteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt (Bl. 437 ff. d.A.). Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich wiederum nicht um bloße technische Details und damit Fragen von vollkommen untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil. Gleichzeitig handelt es sich um eine Entscheidung von großer Tragweite mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken für die Entscheider.
Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und den durch die nach den gesetzgeberischen Vorgaben zu den Euro-Schadstoffklassen stets strengeren Anforderungen an die Begrenzung der Stickoxidemissionen seinerzeit bei Automobilherstellern allgemein bekannt war. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor EA189 stellte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bekannt war. Die Beklagte selbst räumt auch ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA189 finanzielle Aspekte einbezogen wurden.
In diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen vermag der Einwand der Beklagten, bei den von ihr entwickelten und hergestellten Dieselmotoren handele es sich um ganz andere Motoren (Bl. 610). Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund höherer Verbrennungstemperaturen – auf die Ausführungen der Beklagten in der Klageerwiderung, Schriftsatz vom 08.08.2019, Bl. 91 ff., S. 8, wird Bezug genommen – stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor. Auch gelten für alle diese Motoren die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte. Nach dem Beklagtenvortrag arbeitet die Automobilindustrie bereits seit den 1970er Jahren an Strategien zur Optimierung des Ausstoßes von Stickoxiden, und zwar zunächst im Wesentlichen durch eine Herabsenkung der Verbrennungstemperaturen durch Abgasrückrückführung; dem sind jedoch nach dem Vortrag der Beklagten Grenzen gesetzt, denen durch die Verwendung von sog. Thermofenstern – nach dem Beklagtenvortrag auch noch in sämtlichen in den letzten Jahren produzierten Dieselfahrzeugen – begegnet wird (Bl. 91 ff. d.A., dort S. 8, 15 ff.).
Ferner sind der Beklagten ausweislich ihres Vortrags durchaus Aspekte der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Motor EA189 bekannt: sie weiß, dass bei den für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeugen mit Motor EA189 der Euroschadstoffnorm 4 bis 6 die Abgasreinigung durch Hochdruck-Abgasrückführung, durch einen Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter („Hardwarekomponenten“) stattfindet, aber eine Abgasnachbehandlung durch Stickstoffspeicherkatalysator wie bei den für den USamerikanischen Markt bestimmten Fahrzeugen nicht zum Einsatz kommt (Bl. 91 ff. d.A., dort S. 32). Die Beklagte führt außerdem aus, vor der Verwendung der Motoren EA189 habe sie von der V. AG Motoren EA188 erworben – die beiden Motoren unterschieden sich, da die V. AG den Motortyp EA188 weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common-Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps EA189 umgestellt habe (Bl. 439 d.A.). Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung, auf die Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise des Softwareupdates wird Bezug genommen (Bl. 91 ff. d.A., dort S. 11 f.).
Auch angesichts des von der Beklagten beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten (Bl. 462 ff. d.A.) erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik – einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte – versagt haben sollen.
Zwar hat die Beklagte ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, inzwischen vertieft. Sie trägt vor, mittlerweile seien die internen Untersuchungen abgeschlossen. Danach hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten, und führt dies auch konkret aus in Bezug auf von der Klagepartei benannte Personen.
Dies überzeugt den Senat jedoch nicht. Denn die Beklagte räumt ein, dass zu der Ebene der Bereichsleiter im Zeitraum von 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört hätten. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar (Bl. 457 d.A.). Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser gleichwohl noch überschaubaren Anzahl von Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal es nach dem Vortrag der Beklagten auch der zur Untersuchung im V.-Konzern eingesetzten Kanzlei J. D. möglich war, mehr als 700 Befragungen durchzuführen einschließlich einer Sicherung von über 21.000 elektronischen Datenträgern bei weltweit über 3.500 Mitarbeitern (Bl. 449 ff. d.A.). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihren eigenen Ausführungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Danach sei die Beklagte von sieben Vorständen geleitet worden und sei in sieben Vorstandsbereiche gegliedert gewesen, welche die erste Berichtsebene darstellten. Der Vorstandsebene nachgelagert gewesen seien Untergliederungen, die als Bereiche bezeichnet worden seien und welche die zweite Berichtsebene darstellten. An ihrer Spitze standen bereits die Bereichsleiter (Bl. 463ff., 466 d.A.). Die Notwendigkeit ihrer Befragung drängt sich auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 33) dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB der dortigen Beklagten (und der hiesigen Beklagten explizit in Bezug auf Bereichsleiter, Bl. 454 ff. d.A., denen aber selbst die Beklagte gleichwohl „eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten“ zubilligt) nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggf. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt unklar.
Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat schließlich nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen der Beklagten gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Nach den Ausführungen der Beklagten bezogen sich die nach Darstellung der Beklagten umfangreichen internen Ermittlungen der Kanzlei J. D. in Zusammenarbeit mit D. zur Beklagten im Schwerpunkt ohnehin nicht auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt der Verwendung der Motoren EA189, sondern auf Manipulationen bei den von der Beklagten selbst entwickelten 3-l-V6-Motoren (Bl. 449 ff. d.A., Anlagen BB5 u. BB6) und die Befragung der Bereichsleiter bleibt unklar. Die Staatsanwaltschaft München II hat gegenüber der Beklagten wegen Aufsichtspflichtverletzungen im Bereich „Abgas Service / Zulassung Aggregate“ bei der Prüfung von Fahrzeugen auf ihre regulatorische Konformität u.a. wegen des Einsatzes des Motors EA189 in Fahrzeugen weltweit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren geführt und ein Bußgeld verhängt (Anlage Klagepartei, nicht nummeriert). Dies allein und der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lässt keinen Rückschluss zu auf die dort jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive – erst recht nicht allein im Sinne des Beklagtenvortrags. Die Beklagte selbst legt überdies als Anlage BB7 das „Statement of Facts“ vor, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den USA u.a. durch Angestellte der Beklagten zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).
Die umfänglichen Ausführungen – teilweise einschließlich von Beweisangeboten – der Beklagten zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, sei am Homologationsprozess nicht beteiligt gewesen und habe aufgrund des bestehenden Baukastenprinzips mit automatisierten Produktionsprozessen ohne Einwirkungs- oder Überprüfungsmöglichkeit beim Aufspielen der Motorsteuerungssoftware bzw. später bei der Überwachung der Produktion keine Kenntnisse erlangen können, verfangen nicht, da der Senat – bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beklagten insoweit -in der Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln sieht.
Diese Wertung liegt bereits den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen (Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21) ergangen sind, vgl. auch zuletzt Beschluss vom 09.02.2022, Az. VII ZR 26/21. Der Senat hat hierauf mit Beschluss vom 28.04.2022 (Bl. 680 ff. d.A.), hingewiesen. Eine schriftsätzliche Ergänzung vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung insoweit erfolgte nicht. Die ergänzenden Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 13.05.2022, Bl. 700 ff., blieben pauschal und damit prozessual unzureichend. Die Beklagte beschränkt sich insgesamt darauf, eine Kenntnis der „Mitglieder des Produkt-Strategie-Komitees“ (zumal allein in Bezug auf den Februar 2006) von der Umschaltlogik in Abrede zu stellen, ohne die – in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug – konkret Beteiligten zu benennen und konkret zu ihrem Kenntnisstand – ggfls. nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen – vorzutragen. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf den Hinweisbeschluss vom 28.04.2022, dort Ziffer 1. b) Letztlich ist damit das Bestreiten der Beklagten auch unzureichend im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.
Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (z.B. BGH, Urteil 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 25 ff.). Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer Repräsentanten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 28).
Die Auffassung der Beklagten, dass ausschließlich auf das Klagevorbringen abzustellen sei, was sich aus der Entscheidung des BGH vom 24.03.2022, Az. VII ZR 266/20, insbes. Rn. 24 und 25, ergebe, teilt der Senat nicht. Zwar wird dort zunächst auf das Klagevorbringen abgestellt unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az. VI ZR 505/19, Rn. 28, in dem aber vom Parteivorbringen die Rede ist, nachfolgend heißt es aber auch in der von der Beklagten zitierten Entscheidung, dass der Verfahrensstoff relevant ist. In der jüngsten Leitsatzentscheidung des BGH, Urteil vom 26.04.2022, Az. VI ZR 965/20, stellt der BGH wiederum auf das Parteivorbringen ab: „Eine sekundäre Darlegungslast des Fahrzeugherstellers zu Vorgängen innerhalb seines Unternehmens, die auf eine Kenntnis seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das (unstreitigen oder nachgewiesenen) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen“. Der gleiche Leitsatz findet sich auch in der Entscheidung des BGH vom 21.12.2021, Az. VI ZR 875/20.
Anders als die Beklagte einwendet, sind die möglichen Anhaltspunkte nicht beschränkt auf die im Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 30, genannten Umstände. Maßgeblich bleibt der Vortrag im Einzelfall, was bestätigt wird durch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Rdnr. 24 ff.
Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie grundsätzlichem Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte selbst entwickelt Dieselmotoren. Gleichzeitig waren der Beklagten die Hardwarekomponenten wie auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Motoren EA189 (im Vergleich zu dem bis dahin verwendeten Volkswagenmotor EA188) bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten betraf eben nicht bloß ein untergeordnetes Zuliefererteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Eine Unkenntnis des Einsatzes der Umschaltlogik auf Ebene von Personen, die der Beklagten zuzurechnen sind nach § 31 BGB, erscheint ausgeschlossenen, zumal in Anbetracht des ausgeklügelten und streng hierarchischen Kontroll- und Berichtswesen innerhalb der Beklagten. Dem ist die Beklagte, wie sich ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht hinreichend entgegengetreten; insbesondere blieben ihre Angaben zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis die Beklagte sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter. Der Vortrag zum Kenntnisstand der Beteiligten im Rahmen des Produkt-Strategie-Komitees blieb pauschal.
2. Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben; Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
3. Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch.
Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgte erst später. Auf die Frage der Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs als Kaufmotiv kommt es damit – anders als die Beklagte einwendet – nicht an.
Auch aufgrund der Angaben der Klagepartei persönlich im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat und des hierbei von ihr gewonnenen Eindrucks ist der Senat vom Bestehen der Kausalität überzeugt. Die Beklagte hat auf die förmliche Parteieinvernahme verzichtet.
4. Der Anspruch ist auch nicht bereits verjährt.
Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Beklagte konnte durch die Angaben der Klagepartei nicht zur Überzeugung des Senats nachweisen, dass der Kläger bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erlangt hat. Die Unkenntnis des Klägers im Jahr 2015 war nicht grob fahrlässig. Vorliegend trat Verjährung frühestens mit Ablauf des 31.12.2019 ein; die Klageerhebung noch im Jahr 2019 erfolgte rechtzeitig, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Im Einzelnen:
Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es hinsichtlich der Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Dieselfällen darauf an, dass der Käufer Kenntnis erlangt hat vom „Dieselskandal“ allgemein, von der konkreten Betroffenheit seines Wagens hiervon sowie von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung, wobei von letzterem naturgemäß auszugehen ist (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20, Rdnr. 5, 8, 17, vom 29.07.2021, Az.: VI ZR 1118/20, Rdnr.14 ff., Beschluss vom 15.09.2021, Az. VII ZR 294/20, Rdnr. 8 f., Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 24, Az.: VII ZR 717/21, Rdnr. 24, Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 37). Der Senat hat die Klagepartei hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung befragt. Der Kläger sagte diesbezüglich aus, dass er zwar marginal am Rande von der Dieselproblematik im Allgemeinen etwas mitbekommen habe. Konkret, dass sein Fahrzeug auch betroffen ist, habe er aber erst erfahren, als er ein Anschreiben von Audi im Februar 2016 bekommen habe. Davor habe er auch „den Kopf nicht frei gehabt“, weil er durch verschiedene Todesfälle ab Ende 2015 mit anderen Dingen beschäftigt gewesen sei. Die Klagepartei machte einen glaubwürdigen Eindruck und ihre Ausführungen waren in sich widerspruchsfrei sowie überzeugend. Sie stehen auch im Einklang mit den zur Klage eingereichten Unterlagen, vgl. Anschreiben der Beklagten vom Feb. 2016 (nicht nummeriert). Damit ist der insoweit beweispflichtigen Beklagten der Nachweis einer Kenntnis des Klägers von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs vom sog. Dieselabgasskandal schon im Jahr 2015 nicht gelungen.
Zur Überzeugung des Senats war hier auch die Nichtverschaffung der konkreten Kenntnis von der konkreten Betroffenheit noch im Jahr 2015 – auch bei Unterstellung einer allgemeinen Kenntnis vom „Dieselskandal“ im Jahr 2015 – nicht grob fahrlässig i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, und zwar auch unter Berücksichtigung der insofern breiten Medienberichterstattung, Information der Händler wie Servicepartner und Schaffung einer Abfragemöglichkeit im Internet. Der Zeitraum vom Bekanntwerden des „Dieselskandals“ im September 2015 bis zum 31.12.2015 war recht kurz. Ein Zuwarten, zumindest bis zum Ende des Jahres 2015 war damit jedenfalls nicht schlechterdings unverständlich; der Senat nimmt Bezug auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 12+35, Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 396/21, Rdnr. 21 ff., Az.: VII ZR 679/21, Rdnr. 24 ff., Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 25 ff., vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 38 ff.). Nach der Entscheidung des BGH vom 09.05.2022, Az. VI a ZR 441/21, hätte erst bis Ende 2016 Veranlassung bestanden, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln.
5. Im Wege der Vorteilsanrechnung ist das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff.).
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Der Senat schätzt in Anbetracht des festgestellten Fahrzeugtyps, des Datums seiner Erstzulassung sowie der konkreten Nutzung die mögliche Gesamtlaufleistung auf 300.000 km. Mit der vorgenommenen Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, sind nicht dargetan (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021, Az.: VIII ZR 111/20, Rdnr. 52 ff., 58).
Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung – etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs – ist nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46, vom 21.04.2022, Az.: VI ZR 285/21).
Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit einer Kilometerleistung von insgesamt 122.986 km, die unstreitig gestellt wurde, ein Erstattungsanspruch i.H.v. 23.309,09 €.
6. Der Anspruch ist, wie das Landgericht zutreffend entschieden hat, ab Rechtshängigkeit, mithin ab 14.06.2019, zu verzinsen, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB.
Die vom Senat vorgenommene Zinsstaffel trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klagepartei die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Verhandlung erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 38). Maßgeblich ist danach, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Laufe des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 23).
Bei Eintritt der Rechtshängigkeit (13.06.2019) bestand eine Hauptforderung von rund 27.313 €. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz (02.12.2019) von 26.450,70 € und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz (23.05.2022) von 23.309,09 €.
Weil die Fahrleistung des Autos während des Zinszeitraums nicht taggenau nachvollzogen werden kann, ist der Senat im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer gleichmäßigen Nutzung ausgegangen, also von einer linearen Entwicklung des Kilometerstandes. Diese lineare Entwicklung berücksichtigt der Senat in der Weise, dass für die dazwischen liegenden Zinszeiträume ein Mittelwert zugrunde gelegt wird. Da der erste Mittelwert allerdings höher ist als die vom Landgericht ausgeurteilte Summe und die Klagepartei ihre Berufung zurückgenommen hat, musste wegen der insoweit bestehenden Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung, §§ 528, 308 Abs. 1 S. 2 ZPO für die erste Zinsstaffel der Betrag von 26.450,70 €, wie vom Landgericht tenoriert, herangezogen werden.
III.
Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Kostenentscheidung zweiter Instanz auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1, 516 Abs. 3 ZPO, die erhobene Forderung von Deliktszinsen ist jeweils zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, Rdnr. 32). Es besteht kein Anspruch auf Deliktszinsen; auf die ständige Rechtsprechung des BGH wird Bezug genommen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 17 ff., vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 21 ff.).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24 sowie Beschluss vom 09.02.2022, Az. VII ZR 26/21). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten bei Fahrzeugen ihrer Herstellung mit Motoren EA189 (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben