Europarecht

Kein Anspruch auf Einleitung eines Schutzklauselverfahrens bei  Europäischer Kommission

Aktenzeichen  M 26 E 19.4980

Datum:
9.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7193
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
MPG § 28
RL 93/42/EWG Art. 8

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,– festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Einleitung eines Schutzklauselverfahrens bei der Europäischen Kommission.
Der Antragsteller war alleiniger Vorstand und einer der größten Anteilseigner der seit 2011 insolventen A… … Er ist Erfinder eines Medizinprodukts, einer Inhalierhilfe für Asthmatiker.
Dieses CE gekennzeichnete Medizinprodukt wurde zwischen 1996 und 2001 hergestellt und unter dem Namen „A… … …“ vertrieben. Im Jahr 1996 teilte die zuständige deutsche Behörde der Gesellschaft, die das Produkt „A…“ vertrieb, mit, dass sie ein Vertriebsverbot für dieses Produkt erwäge. Am … Mai 1997 teilte diese Gesellschaft den deutschen Behörden mit, dass sich das Produkt „A…“ seit dem … Januar 1997 nicht mehr auf dem deutschen Markt befinde und sein Vertrieb ausgesetzt worden sei, bis weitere Studien und Versuche vorlägen. Am … September 1997 untersagte die zuständige Behörde das Inverkehrbringen des Produkts „A…“. In der betreffenden Anordnung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das fragliche Medizinprodukt nicht die grundlegenden Anforderungen von Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L169, S. 1) erfülle, da seine Unbedenklichkeit nach den vom Hersteller bereitgestellten Angaben nicht ausreichend wissenschaftlich gesichert sei.
Mit Schreiben vom … Januar 1998 informierten die deutschen Behörden unter dem Betreff „Schutzklauselverfahren nach Artikel 8 der Richtlinie 93/42 zu [dem Produkt ‚A…‘]“ die Europäische Kommission über die von ihnen getroffene Entscheidung, das Inverkehrbringen des Produkts „A…“ zu untersagen, und teilten ihr die Gründe für diese Entscheidung mit. Die Kommission traf im Anschluss an diese Mitteilung keine Entscheidung.
Ab 2002 wurde die Inhalierhilfe von der A… … unter dem Namen „B…“ vertrieben. Dieses Produkt war, bei eingeschränkter Zweckbestimmung, im Wesentlichen identisch mit dem „A…“ und trug bei seinem Inverkehrbringen auf dem deutschen Markt die CE-Kennzeichnung.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2005 untersagte der Antragsgegner durch die zuständige Regierung von Oberbayern, gestützt auf § 28 Abs. 1 und 2 Medizinproduktegesetz (MPG) der A… … das Inverkehrbringen des Produkts „B…“. Er vertrat im Wesentlichen die Auffassung, das Konformitätsbewertungsverfahren, insbesondere die klinische Bewertung, sei nicht in geeigneter Weise durchgeführt worden, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass das Produkt die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 erfülle.
Die Untersagungsverfügung wurde in Kopie mit Schreiben vom gleichen Tag durch die Regierung von Oberbayern dem vormaligen Bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz zur Weiterleitung an das vormalige Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 MPG zugeleitet. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz übermittelte den Bescheid dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung mit Schreiben vom … August 2005 und wies dabei darauf hin, dass bezüglich des Vorgängerprodukts bereits Ende 1997 ein Schutzklauselverfahren eingeleitet worden war, das wohl zu keinem Abschluss geführt habe. Die Europäische Kommission wurde nicht unterrichtet.
Die gegen die für sofort vollziehbar erklärte Untersagungsverfügung eingelegten Rechtsbehelfe blieben sowohl in den Eilrechtsschutzverfahren (BayVGH, B.v. 15.11.2005 – 25 CS 05.2147) als auch im Hauptsacheverfahren (VG München, U.v. 23.9.2009 – Az. M 18 K 08.3357) erfolglos.
2006 nahm die A… … Kontakt zu den Dienststellen der Kommission auf und rügte, dass die deutschen Behörden die Entscheidung über die Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „B…“ der Kommission nicht mitgeteilt hätten. Am … Oktober 2006 bat die Kommission in Anbetracht der von der A… … übermittelten Informationen die deutschen Behörden um Mitteilung, ob sie die Voraussetzungen für die Durchführung eines Schutzklauselverfahrens nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 als erfüllt ansähen.
Am … Dezember 2006 teilten die deutschen Behörden der Kommission mit, dass ihrer Ansicht nach das im Laufe des Jahres 1998 bezüglich des Produkts „A…“ eingeleitete Verfahren ein Schutzklauselverfahren im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 93/42 darstelle und dass die Durchführung eines neuen Schutzklauselverfahrens in Bezug auf das gleiche Produkt unter anderem Namen nicht gerechtfertigt sei. Ferner brachten sie gegenüber der Kommission zum Ausdruck, dass sie nach wie vor Zweifel hinsichtlich der Übereinstimmung des Produkts „B…“ mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 hätten, und baten die Kommission deshalb, die Entscheidung über die Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „B…“ zu bestätigen.
Am … Dezember 2006 forderte der Antragsteller die Kommission zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG gegen die Bundesrepublik Deutschland sowie zur Fortsetzung des im Jahr 1998 eingeleiteten Schutzklauselverfahrens auf.
Am … Februar 2007 schlug die Kommission den deutschen Behörden vor, die Entscheidung über die Untersagung des Inverkehrbringens des Produkts „B…“ im Kontext des Schutzklauselverfahrens, das sie 1998 in Bezug auf das Produkt „A…“ eingeleitet hatten, zu bewerten und auf der Grundlage der neuen Informationen zu bearbeiten. Am … Juli 2007 teilte die Kommission den deutschen Behörden mit, sie sei zu dem Schluss gelangt, dass es vorliegend um einen Fall unrechtmäßiger Anbringung der CE-Kennzeichnung gehe, der deshalb nach Art. 18 der Richtlinie 93/42 zu behandeln sei.
Am … März 2011 forderte der Antragsteller, an den die Schadenersatzansprüche der Unternehmen abgetreten worden waren, von der Kommission die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 170 Mio. Euro an A… und in Höhe von 130 Mio. Euro an ihn selbst. Die Kommission wies diese Forderung zurück. Die Schadenersatzklage des Antragstellers wurde vom Gericht der Europäischen Union abgewiesen, was der Europäische Gerichtshof jeweils bestätigte (EuGH, U.v.22.4.2015 – C-120/14 P; U.v. 6.9.2018 – C-346/17 P). Dabei stellte der EuGH in den Entscheidungsgründen fest, dass die Kommission in Bezug auf das Produkt „A…“ zum Erlass einer Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 verpflichtet gewesen sei. Weiter stellte der EuGH fest, dass die Kommission ohne förmliche Mitteilung durch die deutschen Behörden in Bezug auf das Produkt „B…“ nicht zu einer Entscheidung verpflichtet gewesen sei.
Mit Klageschrift vom … August 2019 hat der Antragsteller die Kommission erneut wegen Untätigkeit beim Gericht der Europäischen Union verklagt.
Nach erfolgloser Aufforderung durch den Insolvenzverwalter der A… … im Herbst 2018 an das Bundesministerium für Gesundheit, das Schutzklauselverfahren für den „B…“ gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 einzuleiten, erhob dieser Untätigkeitsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland, welche seit Anfang 2019 beim Verwaltungsgericht Köln anhängig ist.
Mit Schreiben vom … September 2019 forderte der Antragsteller das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unter Fristsetzung erfolglos auf, das Schutzklauselverfahren für das Produkt „B…“ einzuleiten.
Mit Schriftsatz vom … Oktober 2019 beantragte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsgegner aufzuerlegen, das Schutzklauselverfahren gemäß Art. 8 Abs. 1 der RL 93/42 EWG – analog § 28 Abs. 3 MPG – für das CE-gekennzeichnete Medizinprodukt „B…“ des Herstellers A… … unverzüglich bei der EU-Kommission einzuleiten.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass sich die Eilbedürftigkeit des Antrags u.a. aus der Tatsache ergebe, dass mit einer rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln in nächster Zeit nicht gerechnet werden könne, sodass sich der wirtschaftliche Schaden zulasten des Antragstellers täglich erhöhe. Dem Antragsteller könne nicht zugemutet werden, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln abzuwarten. Ohne eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung über die Einleitung eines Schutzklauselverfahrens seien aber die Erfolgsaussichten seiner beabsichtigten Staatshaftungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland und den Freistaat Bayern, für die er bereits Prozesskostenhilfe beantragt habe, aufgrund der erschwerten Beweisführung wesentlich geschmälert; es drohe außerdem die Verjährung der Schadensersatzansprüche. Nach der Untersagungsverfügung des Antragsgegners vom … Mai 2005 hätte zwingend unverzüglich ein Schutzklauselverfahren bei der Kommission eingeleitet werden müssen, aufgrund dessen ihm die nationalen Gerichte vorläufigen Rechtsschutz bis zur Entscheidung der Kommission hätten gewähren müssen. Dieses Versäumnis sei nunmehr unverzüglich nachzuholen, damit der zu seinen Lasten bestehende rechtswidrige Zustand beseitigt würde. Es gebe einen Entscheidungsentwurf der Kommission aus dem Jahre 2007, wonach diese die Entscheidung der deutschen Behörden über die Untersagung des Produkts B… nicht für gerechtfertigt halte. Diese Entscheidung habe aber mangels Schutzklauselverfahrens nicht an die Bundesrepublik Deutschland übermittelt werden können. Werde das Schutzklauselverfahren eingeleitet, könne die Entscheidung der Kommission offiziell übermittelt werden mit der Folge, dass der Antragsgegner gezwungen wäre, die Verbotsverfügung vom … Mai 2005 aufzuheben, so dass der Antragsteller im Rahmen seiner unionsrechtlichen Staatshaftungsklage den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht und seine Kausalität für den erlittenen Schaden ohne weiteres nachweisen könne. Die Hauptsache werde durch eine einstweilige Anordnung nicht vorweggenommen, da Hauptsache in diesem Sinne erst die Durchführung des Schutzklauselverfahrens sei. Die Nichteinleitung des Schutzklauselverfahrens verletze den Antragsteller in seiner unionsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit, seinem Recht auf ein faires Verfahren, seinem Recht auf eine gute Verwaltung, auf Eigentum, auf Gleichheit vor dem Gesetz und in seiner Berufsfreiheit.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er sei bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet. Offen bleiben könne, ob der Antragsteller als Erfinder und Vorstand der insolventen A… …, der selbst nicht Beteiligter der gegenständlichen Verwaltungsverfahren gewesen sei, ein berechtigtes Interesse geltend machen könne. Jedenfalls fehle ihm das Rechtsschutzbedürfnis. Die aus § 28 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 MPG folgende Verpflichtung zur Unterrichtung des Bundesministeriums für Gesundheit habe der Antragsgegner erfüllt. Eine Verpflichtung des Antragsgegners, selbst ein Schutzklauselverfahren bei der Europäischen Kommission einzuleiten, bestehe nicht. Eine solche ergebe sich auch nicht aus dem vom Antragsteller benannten Schlussantrag der Generalanwältin in der Rechtssache C-6/05 – Medipac-Kazantzidis AE – vom 21. November 2006. Die Eilbedürftigkeit erschließe sich aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht. Im Übrigen habe die Kommission hinsichtlich der ggf. ausstehenden Einleitung eines Schutzklauselverfahrens seitens der Bundesrepublik Deutschland für das Produkt „B…“ ausdrücklich vorgeschlagen, das ursprüngliche Schutzklauselverfahren weiter zu betreiben.
Dem trat der Antragsteller entgegen mit dem Argument, dass auch der Antragsgegner zur Einleitung eines Schutzklauselverfahrens unionsrechtlich verpflichtet sei, wenn die Bundesrepublik Deutschland, wie in seinem Fall, vorsätzlich untätig bleibe. Die Vorschriften des MPG über die Einleitung des Schutzklauselverfahrens seien nach der Rechtsprechung des EuGH vom erkennenden Gericht gemäß dem Zweck der Richtlinie 93/42 dementsprechend auszulegen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der vorliegende Antrag nach § 123 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist schon unzulässig und darüber hinaus auch unbegründet.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Fall der sogenannten Sicherungsanordnung). Zur Regelung eines vorläufigen Zustands kann es eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Fall der sogenannten Regelungsanordnung, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Mit dem Antrag, dem Antragsgegner aufzugeben, ein Schutzklauselverfahren bei der Europäischen Kommission einzuleiten, begehrt der Antragssteller vom Gericht, eine Regelungsanordnung zu erlassen, da diese ein aktives Tun des Antragsgegners zum Inhalt hat und nicht lediglich auf eine Absicherung eines bestehenden Rechtszustandes abzielt.
Der Antragsteller hat jeweils einen zur Zulässigkeit einer Regelungsanordnung notwendigen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund geltend gemacht. Er behauptet, selbst einen Anspruch auf Einleitung des Schutzklauselverfahrens für das Produkt „B…“ zu haben. Es erscheint nicht von vornherein und nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass der Antragsteller als Anteilseigner und ehemaliger Vorstand der unmittelbar von der Untersagungsverfügung betroffenen A… … aufgrund der nationalen Vorschriften über die Einleitung eines Schutzklauselverfahrens (§ 28 Abs. 3 des Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz – MPG) und der entsprechenden europarechtlichen Vorschrift in Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L169, S. 1) ein subjektives Recht auf Einleitung des Schutzklauselverfahrens hat. Außerdem trägt er vor, dass die Einleitung dieses Schutzklauselverfahrens derart eilbedürftig ist, dass er nicht bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zuwarten könne.
Der Antragsteller hat kein für den Antrag notwendiges Rechtsschutzbedürfnis. Zwar hat er vor Anrufung des Gerichts erfolglos das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unter Fristsetzung aufgefordert, das Schutzklauselverfahren für das Produkt „B…“ einzuleiten, so dass insoweit eine Befassung des Gerichts zur Rechtsdurchsetzung notwendig erscheint. Ein Rechtsschutzinteresse für den Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt aber dann, wenn der Antragsteller die – hier einmal unterstellte – Eilbedürftigkeit selbst herbeigeführt hat. Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller, der die Einleitung eines Schutzklauselverfahrens bezüglich einer Untersagungsverfügung des Antragsgegners aus dem Jahre 2005 begehrt, fast 15 Jahre hat verstreichen lassen, bis er sich nunmehr dazu entschlossen hat, im Wege des Eilrechtsschutzes diese Einleitung herbeizuführen. Dies ist insbesondere deshalb problematisch, weil durch die beantragte einstweilige Anordnung praktisch die Hauptsache vorweggenommen würde, da die Einleitung des Schutzklauselverfahrens bei der EU-Kommission nicht mehr rückgängig zu machen ist. Im Hinblick auf das erfolglose Klageverfahren vor dem Gericht der Europäischen Union und dem EuGH, das erst mit dem Urteil des EuGH vom 6. September 2018 abgeschlossen wurde und in dem der EuGH in Bezug auf das Produkt „B…“ feststellte, dass die Kommission ohne förmliche Mitteilung durch die deutschen Behörden nicht zu einer Entscheidung verpflichtet gewesen sei, wird man dem Antragsteller zwar zugutehalten müssen, dass er es bis zu diesem Zeitpunkt für möglich halten durfte, dass seinem letztendlichen Rechtsschutzziel, nämlich wegen den aus seiner Sicht rechtswidrigen Maßnahmen und Unterlassungen bezüglich des Produkts „B…“ durch den Antragsgegner, die Bundesrepublik Deutschland und die EU-Kommision, Schadensersatz zu erhalten, entsprochen werden würde. Erst aus diesem Urteil ergab sich für den Antragsteller mithin der deutliche Hinweis, dass ohne eine förmliche Mitteilung durch die deutschen Behörden, also ohne förmliche Einleitung eines Schutzklauselverfahrens durch diese für das Produkt „B…“, die Kommission keine Entscheidung treffen werde. Aber auch dies zugrunde gelegt, hat er dann noch mehr als ein Jahr bis zur vorliegenden Antragstellung am … Oktober 2019 abgewartet, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Eilantrag unter dem Aspekt selbstverschuldeter Eilbedürftigkeit nicht gegeben ist. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz dazu der entsprechende Rechtsstreit gegen den Bund, welcher mehr Erfolg verspricht (s. sogleich unten) vom Insolvenzverwalter der A… … schon seit Ende 2018 beim Verwaltungsgericht anhängig gemacht wurde.
2. Der Antrag ist darüber hinaus auch unbegründet, da sich ein etwaiger Anspruch des Antragstellers auf Einleitung des Schutzklauselverfahrens bei der Europäischen Kommission jedenfalls nicht gegen den Antragsgegner, sondern gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet.
2.1 Mögliche Anspruchsgrundlage für einen Anspruch des Antragstellers auf Einleitung eines Schutzklauselverfahrens ist im nationalen Recht § 28 Abs. 3 MPG. Er bestimmt:
Stellt die zuständige Behörde fest, dass CEgekennzeichnete Medizinprodukte oder Sonderanfertigungen die Gesundheit oder Sicherheit von Patienten, Anwendern oder Dritten oder deren Eigentum gefährden können, auch wenn sie sachgemäß installiert, in Stand gehalten oder ihrer Zweckbestimmung entsprechend angewendet werden und trifft sie deshalb Maßnahmen mit dem Ziel, das Medizinprodukt vom Markt zu nehmen oder das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken, teilt sie diese umgehend unter Angabe von Gründen dem Bundesministerium für Gesundheit zur Einleitung eines Schutzklauselverfahrens nach Artikel 7 der Richtlinie 90/385/EWG, Artikel 8 der Richtlinie 93/42/EWG oder Artikel 8 der Richtlinie 98/79/EG mit.
In den Gründen ist insbesondere anzugeben, ob die Nichtübereinstimmung mit den Vorschriften dieses Gesetzes zurückzuführen ist auf
1.die Nichteinhaltung der Grundlegenden Anforderungen,
2.eine unzulängliche Anwendung harmonisierter Normen oder Gemeinsamer Technischer Spezifikationen, sofern deren Anwendung behauptet wird, oder
3.einen Mangel der harmonisierten Normen oder Gemeinsamen Technischen Spezifikationen selbst.
Durch diese nationale Vorschrift wird Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 umgesetzt, der entsprechend vorsieht:
Stellt ein Mitglied(staat) fest, dass in Artikel 4 Absatz 1 bzw. Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich genannte Produkte die Gesundheit und/oder die Sicherheit der Patienten, der Anwender oder gegebenenfalls Dritter gefährden können, auch wenn sie sachgemäß installiert, instand gehalten und ihrer Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden, so trifft er alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen, um diese Produkte vom Markt zurückzuziehen oder ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Der Mitgliedstaat teilt der Kommission unverzüglich diese Maßnahmen mit, nennt die Gründe für seine Entscheidung und gibt insbesondere an, ob die Nichtübereinstimmung mit dieser Richtlinie zurückzuführen ist auf
a) die Nichteinhaltung der in Artikel 3 genannten grundlegenden Anforderungen,
b) eine unzulängliche Anwendung der Normen gemäß Artikel 5, sofern die Anwendung dieser Normen behauptet wird,
c) einen Mangel in diesen Normen selbst.
Nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie konsultiert die Kommission so bald wie möglich die Betroffenen. Stellt die Kommission nach dieser Anhörung fest,
– daß die Maßnahme gerechtfertigt ist, so unterrichtet sie hiervon unverzüglich den Mitgliedstaat, der die Maßnahme getroffen hat, sowie die anderen Mitgliedstaaten. Ist die in Absatz 1 genannte Entscheidung in einem Mangel der Normen begründet, so befasst die Kommission nach Anhörung der Betroffenen den in Artikel 6 genannten Ausschuß innerhalb von zwei Monaten, sofern der Mitgliedstaat, der die Entscheidung getroffen hat, diese aufrechterhalten will, und leitet das in Artikel 6 genannte Verfahren ein;
– daß die Maßnahme nicht gerechtfertigt ist, so unterrichtet sie davon unverzueglich den Mitgliedstaat, der die Maßnahme getroffen hat, sowie den Hersteller oder seinen in der Gemeinschaft niedergelassenen Bevollmächtigten.
Aus unionsrechtlicher Sicht besteht die Pflicht „des Mitgliedstaats“ als solches, die getroffenen Maßnahmen unverzüglich der Kommission unter Angabe von Gründen mitzuteilen. Welche Behörde des Mitgliedstaats dabei konkret tätig werden muss, ergibt sich, wie sonst, nicht aus dem Unionsrecht, sondern aus den jeweiligen nationalen Vorschriften des Mitgliedstaats, den die Umsetzungspflicht trifft. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der nationalen Umsetzungsvorschrift § 28 Abs. 3 MPG, dass die zuständige Behörde, die eine Maßnahme nach § 28 Abs. 1 und 2 MPG getroffen hat, diese unter Angabe von Gründen dem Bundesministerium für Gesundheit zur Einleitung eines Schutzklauselverfahrens nach Artikel 8 der Richtlinie 93/42/EWG mitteilt. Hieraus folgt, dass zuständig zur Einleitung des Schutzklauselverfahrens das Bundesministerium für Gesundheit und nicht die nach MPG für die Maßnahme zuständige Landesbehörde ist, mithin Anspruchsverpflichteter bezüglich der Einleitung eines Schutzklauselverfahrens nicht der Antragsgegner als Rechtsträger der zuständigen Landesbehörde, sondern die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträger des Bundesministeriums für Gesundheit ist.
Dementsprechend hat der Insolvenzverwalter der A… … insoweit richtigerweise die Bundesrepublik Deutschland, handelnd durch das Bundesministerium für Gesundheit, verklagt, das Schutzklauselverfahren für den „B…“ gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 einzuleiten. Daneben besteht weder alternativ noch kumulativ ein Anspruch gegen den Antragsgegner, dass dieser unmittelbar ohne Einschaltung der nationalen Behörde das Schutzklauselverfahren offiziell bei der Europäischen Kommission einleitet.
Gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV ist eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Nach Art. 291 Abs. 1 AEUV ergreifen die Mitgliedstaaten alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht. Daraus ergibt sich als allgemeiner Grundsatz, dass es Sache des jeweiligen Mitgliedstaates ist, im Rahmen seiner nationalen Kompetenz- und Verfahrensordnung festzulegen, welche innerstaatlichen Organe die europäischen Regelungen in welchem Verfahren umsetzen (Grundsatz der Organisations- und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, vgl. Streinz, Europarecht, 11. Aufl. 2019, Rn. 597, 609). Die konkrete Zuständigkeit, eine durch eine Richtlinie geforderte Handlung umzusetzen, ergibt sich, wenn, wie regelmäßig, die Richtlinie selbst nicht festlegt, wen die Umsetzungspflicht im innerstaatlichen Bereich betrifft, sondern nur den Mitgliedstaat als Handlungsverpflichteten adressiert, regelmäßig aus der innerstaatlichen Rechts- und Kompetenzordnung. Das EU-Recht lässt es beispielsweise zu, dass in Bundesstaaten die Kompetenz zur Durchführung einer Richtlinie auf der Ebene der Glieder liegt; allerdings ist den unionsrechtlichen Anforderungen nur dann entsprochen, wenn alle Glieder rechtzeitig und vollständig die Vorgaben umsetzen (Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 8. Aufl. 2018, § 9 Rn. 89 ff.)
Dass im vorliegenden Fall die Pflicht, ein Schutzklauselverfahren einzuleiten, nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 28 Abs. 3 MPG das Bundesministerium für Gesundheit als oberste Bundesbehörde trifft, ist auch verwaltungsorganisatorisch sinnvoll, weil dadurch der bundeseinheitliche Vollzug der Einleitung des Schutzklauselverfahrens mit bundeseinheitlicher Außenwirkung gegenüber der Europäischen Kommission sichergestellt ist. Dagegen ist die unmittelbare Einleitung eines Schutzklauselverfahrens durch die jeweils zuständigen Landesbehörden bei der EU-Kommission nicht sinnvoll und aus Sicht der Richtlinie nicht notwendig, wenn und soweit diese ihrer Mitteilungspflicht aus § 28 Abs. 3 MPG gegenüber der Bundesbehörde nachkommen.
Dies gilt auch für den Fall, dass, aus welchen Gründen auch immer, das Bundesministerium für Gesundheit die Einleitung eines Schutzklauselverfahrens unterlässt. Auch dann ist eine unmittelbare Befassung der Kommission durch die zuständigen Landesbehörden nicht vorgesehen. Gerade im hier zu entscheidenden Fall, wo es dem Antragsteller auf die „offizielle“ Einleitung des Schutzklauselverfahrens ankommt, erscheint es zweifelhaft, ob die Kommission, die ohnehin bereits „inoffiziell“ seit dem Jahr 2006 von der Untersagungsverfügung bezüglich des Produkts „B…“ Kenntnis hat und damit auch inhaltlich befasst ist, die Mitteilung durch den Antragsgegner als Bundesland überhaupt als „offiziellen“ rechtswirksamen verfahrenseinleitenden Mitteilungsakt verstehen würde, da eine solche im nationalen Recht nicht vorgesehen ist.
Etwas anderes folgt auch nicht aus den vom Antragsteller zitierten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen C-106/89 vom 13. November 1990 und 14/83 vom 10. April 1984 oder aus dem Schlussantrag der Generalanwältin in der Rechtssache C-6/05 – Medipac – Kazantzidis AE – vom 21. November 2006. Hier hat der EuGH ausgesprochen, dass die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag (heute Art. 4 Abs. 3 EUV), alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegen, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Daraus folge, dass ein nationales Gericht, soweit es bei der Anwendung des nationalen Rechts – gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt – dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag (heute Art. 288 Abs. 3 AEUV) nachzukommen (EuGH, U.v. 13.11.1190, C-106/89 Rz 8 und U. v. 10.4.1984, 14/83 Rz 26).
Diesen Judikaten lässt sich die Pflicht der nationalen Behörden und Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts im Regelungsbereich von Richtlinien entnehmen, die der EuGH in ständiger Rechtsprechung der Umsetzungsverpflichtung entnimmt. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung findet ihre Grenze aber in der Auslegungsfähigkeit des nationalen Rechts (Streinz, a.a.O., Rz. 508, 509).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht, dass das erkennende Gericht den Antragsgegner zur Einleitung eines Schutzklauselverfahrens verpflichten müsste, da dies erstens dem eindeutigen Wortlaut von § 28 Abs. 3 MPG wiederspricht und darüber hinaus, wie erläutert, weder im Sinne der Richtlinie ist noch im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers liegt. Diesem ist damit ausreichend gedient, dass er, bei Vorliegen der übrigen prozessualen und materiellen Voraussetzungen, die Möglichkeit hat, vom richtigen Anspruchsverpflichteten, der Bundesrepublik Deutschland, die Einleitung eines Schutzklauselverfahrens notfalls gerichtlich zu erzwingen. Damit ist auch den vom Antragsteller ins Feld geführten Grundrechtspositionen in ausreichendem Maße genügt.
Dem Schlussantrag der Generalanwältin in der Rechtssache C-6/05 – Medipac – Kazantzidis AE – vom 21. November 2006 in Bezug auf ein Schutzklauselverfahren ist lediglich zu entnehmen, dass ein öffentlicher Auftraggeber, im konkreten Fall ein Krankenhaus, nicht von sich aus ein Angebot zur Lieferung von Medizinprodukten wegen bekannt gewordenen Gesundheitsgefährdungen zurückweisen darf, sondern ein Schutzklauselverfahren in Gang setzen, d.h. „der nationalen Behörde seine Bedenken mitteilen“ muss. Entscheide die nationale Behörde, dass die Bedenken des Krankenhauses begründet sind, „muss sie das Schutzklauselverfahren in Gang setzen“. Keineswegs ist hier also gesagt, dass das Krankenhaus selbst unmittelbar das Schutzklauselverfahren bei der EU-Kommission einleiten müsse, sondern es muss es im Rahmen der nationalen Verfahrensordnung „in Gang setzen“.
Letzteres hat der Antragsgegner bereits seit langem dadurch getan, dass das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz die Untersagungsverfügung der Regierung von Oberbayern vom 18. Mai 2005, aus deren Gründen sich die nach § 28 Abs. 3 Sätze 1 und 2, Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 93/42 notwendige Begründung ergibt, dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung mit Schreiben vom 8. August 2005 zugeleitet und dabei hinreichend deutlich gemacht hat, dass dies „zur Einleitung eines Schutzklauselverfahrens“ geschah, indem es darauf hingewiesen hat, dass bezüglich des Vorgängerprodukts bereits Ende 1997 ein Schutzklauselverfahren eingeleitet wurde, das „wohl zu keinem Abschluss“ geführt habe.
Ob darüber hinaus ein Anordnungsgrund vorliegt, der Antragsteller tatsächlich, wie er vorträgt, wegen drohender Verjährung von Schadenersatzansprüchen und zu Absicherung der Erfolgsaussichten seiner Staathaftungsklage auf die einstweilige Regelung notwendig angewiesen ist, kann hier aufgrund des oben Ausgeführten offenbleiben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. der Empfehlung in Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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