Europarecht

Kein Anspruch auf Restschuldbefreiung nach englischem Insolvenzrecht

Aktenzeichen  41 O 4770/14

Datum:
21.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 57873
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 364 Abs. 2, § 780, § 781, § 812 Abs. 1, § 823 Abs. 2
EuInsVO Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2,
EulnsVO Art. 4 Abs. 1, Art. 32, Art. 84 Abs. 1
EuGVVO Art. 1 Abs. 1 S. 1
AktG § 93 Abs. 2 S. 1
ZPO § 3, § 148, § 156, § 767, § 769, § 845
StGB § 266 Abs. 1 Alt. 1

 

Leitsatz

Die Aussetzung nach § 148 ZPO setzt Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus. Diese präjudizielle Wirkung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass die Entscheidung in dem anderen Verfahren Rechtskraft zwischen den Parteien entfaltet, oder in entscheidungserheblicher Weise rechtsgestaltend einwirkt.  (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 10.000.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
I.
Der Antrag des Klägers wieder gemäß § 156 ZPO in die mündliche Verhandlung einzutreten und den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO in Hinblick auf den nunmehr beim englischen Insolvenzgerichts anhängigen Feststellungsstreit bis zu dessen Entscheidung auszusetzen war zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 148 ZPO liegen nicht vor.
Die Aussetzung der Verhandlung setzt Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus (BGH NJW 2005, 1947). Diese präjudizielle Wirkung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass die Entscheidung in dem anderen Verfahren Rechtskraft zwischen den Parteien entfaltet, oder in entscheidungserheblicher Weise rechtsgestaltend einwirkt (vgl. Münchener Kommentar § 148 ZPO Rn. 5-8). Dagegen ist zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen ein nur tatsächlicher Einfluss eine Abhängigkeit zwischen beiden Verfahren begründen kann. Die Möglichkeit einer Arbeitsersparnis durch das Gericht reicht jedenfalls nicht aus (BGH a.a.O.).
Im vorliegenden Fall hat das Verfahren vor dem englischen Gericht keine rechtliche Auswirkung auf das vorliegende Verfahren. Sie ergibt sich auch nicht daraus, dass die Entscheidung des High Court of Justice über den jetzt gestellten Antrag gemäß Sec. 363 IA eine Bindungswirkung entfalten würde, die das deutsche Gericht anzuerkennen hätte.
Selbst wenn der High Court in dieser Sache entscheiden würde, könnte die Entscheidung hier nicht anerkannt werden. Auf das vor dem 26.06.2017 eröffnete Insolvenzverfahren des Klägers ist insoweit gem. Art. 84 Abs. 1 EulnsVO n.F. noch Art. 25 EulnsVO a.F. anwendbar, der jedoch weitgehend der aktuellen Regelung des Art. 32 EulnsVO entspricht.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen jedoch nicht vor. Eine Entscheidung über das Begehren des Klägers im dortigen Verfahren wäre keine Entscheidung im Sinne des Art. 25 Abs. 1 EulnsVO. Denn von der Vorschrift sind lediglich solche Entscheidungen erfasst, die einen Bezug zu einem laufenden Insolvenzverfahren insgesamt haben. Für Individualstreitigkeiten gilt die EulnsVO a.F. jedoch nicht. Vielmehr muss es sich um Entscheidungen handeln, die entweder im laufenden Verfahren getroffen werden, um die Verhandlung vorzunehmen, einen Verfahrensabschnitt zu gestalten oder einen Verfahrensfortschritt zu erzielen. Oder es muss um Entscheidungen gehen, die das Insolvenzverfahren insgesamt oder einzelne Verfahrensteile abschließen. Auch Art. 25 Abs. 1 2. Unterabsatz EuInsVO ist nicht einschlägig. Denn es handelt sich bei dem vorliegenden Streit um keine Annexsache, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen würde und mit diesem in einem engen Zusammenhang steht. Vielmehr ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers mit der Restschuldbefreiung bereits beendet, eine Annexsache kann nachträglich hierzu nicht mehr entstehen. Vielmehr handelt es sich um eine Zivilsache im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuGVVO, denn der Rechtsstreit betrifft nicht das Insolvenzverfahren insgesamt, sondern ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien.
Abgesehen davon, dass die Entscheidung des High Court nicht vorgreiflich sein kann, wäre eine Aussetzung des Verfahrens im jetzigen Rechtsstreit auch weder prozessökonomisch noch aus sonstigen Gründen sachdienlich. Sie entspricht daher auch keiner sachgerechten Ermessenausübung. Lässt man jenseits einer rechtlichen Bindungswirkung eine Abhängigkeit in tatsächlicher Hinsicht überhaupt als Aussetzungsgrund zu, so ist die größere Vertrautheit des englischen Gerichts mit seinem nationalen Insolvenzrecht jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand kein stichhaltiger Umstand mehr, ihm als sachnäheren Gericht „den Vortritt zu lassen“. Inzwischen erscheint das Landgericht in der Lage, unter Berücksichtigung der fundierten Ausführungen in den gerichtlich eingeholten Rechtsgutachten des MPI und des klägerseits vorgelegten „Gegen“-Gutachtens von … die maßgeblichen Vorschriften des englischen Insolvenzrechts nach Wortlaut, Zweck und Zusammenhang und unter Berücksichtigung der recherchierten englischen Rechtsprechung auszulegen und anzuwenden. Der Sachverhalt ist im Übrigen auch nicht ausschließlich nach englischem Recht (Insolvenzordnung), sondern auch nach deutschem Vertragsstatut (Schuldanerkenntnis) zu beurteilen. Insoweit müsste sich der High Court erst noch die erforderlichen Rechtskenntnisse verschaffen.
Schließlich hat das Gericht bei einer Entscheidung über einen Aussetzungsantrag nach § 148 ZPO den Gesichtspunkt eines effektiven Rechtsschutzes zu beachten, damit der Rechtsstreit durch eine Aussetzung nicht unangemessen lange verzögert wird. Es ist derzeit auch nicht ansatzweise ersichtlich, wie lange das Verfahren vor dem High Court of Justice dauern wird. Bei dem für den 29.10.2018 angesetzten Hearing ging es noch nicht um die Sache, sondern um Verfahrensfragen. Hingegen dauert der hiesige Rechtsstreit bereits mehrere Jahre und ist nach der zeitaufwändigen Einholung der Rechtsgutachten und Gewährung mehrmonatiger Einwendungsfristen für den Kläger entscheidungsreif.
II.
Die Vollstreckungsgegenklage gemäß Klageantrag Nr. 1 war abzuweisen.
Auch nach Erledigung der konkreten Vollstreckungsmaßnahme besteht weiterhin ein Rechtschutzbedürfnis, weil der Beklagte weiterhin im Besitz des vollstreckbaren Titels ist und eine weitere Vollstreckung hieraus künftig nicht ausgeschlossen erscheint (Zöller-Herget 32. A. § 767 ZPO Rn. 8).
Die Vollstreckungsabwehrklage ist auch statthaft. Der Einwand der Restschuldbefreiung kann nach dem gemäß Art. 4 Abs. 1 EuInVO international anwendbarem englischem Recht als eine nach Entstehung des Schuldtitels entstandene Einwendung auf diesem Wege geltend gemacht werden (BGH NJW 2008, 3640). Die Rechtsfolge der Restschuldbefreiung (Effect of discharge) nach sec. 281 (1) IA ist grundsätzlich ein Erlöschen aller Insolvenzschulden („releases him from all the bankruptcy debts), vgl. Mehring ZInsO 2012, 1247)
Die Vollstreckungsabwehrklage ist jedoch in der Sache unbegründet, weil die Forderung aus dem titulierten Schuldanerkenntnis nicht unter die Restschuldbefreiung nach sec. 281 (1) IA fällt. Vielmehr ist sie hiervon ausgenommen gemäß sec. 281 (3) IA, weil sie zu qualifizieren ist als Forderung „in respect of … any fraud or fraudulent breach of trust“.
Das Gericht hat sich, soweit diese Feststellung die Ermittlung und Auslegung englischen Rechts erfordert, durch die eingeholte Rechtsauskunft des MPI beraten lassen.
Beide Gutachten des MPI gewähren eine tragfähige Grundlage für die Ermittlung und Anwendung des englischen Insolvenzrechts: Sie stellen die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der englischen Rechtspraxis und insbesondere in der englischen Rechtsprechung dar. So beruhen die Feststellungen im Gutachten nicht nur auf einer umfassenden Recherche der über eine Internet-Datenbank zugänglichen englischen Rechtsprechung, sondern auch auf einer umfassenden Darstellung der einschlägigen Gesetzeslage und der Darstellung englischer Auslegungsgrundsätze. Auch mit den Einwendungen des Privatgutachtens der … hat sich das MPI in dem Ergänzungsgutachten umfassend und erschöpfend auseinander gesetzt.
Mit Hilfe der Gutachten des MPI konnte sich das Gericht daher die erforderliche Kenntnis von den einschlägigen englischen Vorschriften und ihrer Anwendung in der Praxis verschaffen und sodann aufgrund eigener Überzeugungsbildung das Recht anwenden. Auf dieser Grundlage ist festzustellen:
Beweisbelastet für die ihr günstige Tatsachen, die eine Ausnahme von einer Restschuldbefreiung nach sec. 281 (3) IA rechtfertigen, ist der Beklagte (Gutachten S. 37). Hierbei ist das streitgegenständliche Schuldanerkenntnis unter Anwendung des deutschen Vertragsstatuts zunächst auszulegen. Ergebnis der Auslegung ist, dass der Kläger das Schuldanerkenntnis erfüllungshalber umfassend für sämtliche Schadensersatzansprüche abgeben wollte, die die Insolvenzschuldnerin gegen ihn hatte. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger das Schuldanerkenntnis nur wegen der Betrugstaten in Zusammenhang mit dem sogenannten Finanzkreislauf und wegen unberechtigter Tantiemen- und Divendendenauszahlungen an sich selbst abgegeben hat, liegen nicht vor. Vielmehr spricht der Wortlaut der Vorbemerkung („wegen verschiedener möglicher Pflichtverletzungen“) dafür, dass der Beklagte das Schuldanerkenntnis wegen sämtlicher in Betracht kommender Schadensersatzansprüche der Insolvenzschuldnerin gegen den Kläger als Organ und Gesellschafter verlangte. Die vom Kläger behauptete Beschränkung macht dagegen objektiv und unter Berücksichtigung der Interessen des Beklagten als Insolvenzverwalter keinen Sinn. Innere Vorstellungen und Motive des Klägers müssen bei der Auslegung außer Betracht bleiben.
Grundlage des abgegebenen Schuldanerkenntnisses waren daher auch die aufgrund der Bilanzmanipulationen des Klägers bewirkten, rechtswidrigen Dividendenausschüttungen und Tantiemenauszahlungen an sich und an Dritte.
Die Schadensersatzansprüche wegen dieser Taten fallen unter den Ausschlussgrund von sec. 281 (3) IA. Diese Taten stellen nämlich einen „fraudulent breach of trust“ dar. Ein betrügerischer Bruch eines Treuhandverhältnisses im strikten Sinn eines Trustverhältnisses wird insoweit von der englischen Rechtsprechung nicht gefordert (vgl. Nachweis im Gutachten S. 30). Vielmehr ist vom Zweck des Gesetzes her entscheidend, dass die Insolvenzschuld „tainted by actual dishonesty“ ist. „Fraudulent breach of trust“ ist daher in dem Sinne auszulegen, dass der Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB wegen rechtsethischer Vergleichbarkeit grundsätzlich darunter fällt.
Die damaligen Verhaltenspflichten des Klägers als Organ der Insolvenzschuldnerin richten sich nicht nach englischem Recht, sondern sind selbständig an das deutsche Gesellschaftsstatut (Aktienrecht) anzuküpfen. Die durch die Bilanzmanipulationen bewirkten unberechtigten Auszahlungen von Dividenden und Tantiemen stellen daher nach deutschen Strafrecht Untreuehandlungen gemäß § 266 Abs. 1 1. Alt. StGB dar. Sie können daher bei Anwendung von sec. 283 (3) IA als fraudulent breach of trust qualifiziert werden (vgl. auch Gutachten S. 30).
Der Anwendung dieser Vorschrift steht im vorliegenden Fall auch nicht die Besonderheit entgegen, dass es hier nicht um gesetzliche Schadensersatzforderungen wegen dieser Untreuehandlungen nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG, §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 StGB geht, sondern um eine Forderung aus einem abstrakten Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB), die ihrerseits gerade nicht durch Betrug oder Untreue begründet wurde.
Unter Berücksichtigung der nach deutschem Vertragsstatut zu beurteilenden Rechtsnatur eines abstrakten Schuldanerkenntnisses, des Wortlauts der anzuwendenden Vorschrift, ihres Gesetzeszwecks und schließlich des Ergebnisses einer Recherche der englischen Rechtsprechung und Literatur ist die mit dem abstrakten Schuldanerkenntnis begründete Forderung jedoch auch dann unter die Ausnahmevoraussetzungen von sec. 283 (3) IA zu subsumieren, wenn jenes – wie hier der Fall – in einem engen Zusammenhang mit einer durch Betrug oder Untreue entstandenen Schadensersatzforderung abgegeben wurde.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann das Schuldanerkenntnis, auch wenn es eine selbständige Verpflichtung begründete und daher „abstrakt“ ist (§ 780 BGB), nicht völlig losgelöst von den ihm zugrunde liegenden Schadensersatzforderungen betrachtet werden. Ein abstraktes Schuldanerkenntnis, welches hier nach dem eindeutigen und daher nicht auslegungsfähigen Wortlaut der notariellen Urkunde vereinbart wurde, begründet zwar eine eigenständige Schuld, die von der zugrunde liegenden Forderung grundsätzlich unabhängig ist. Gleichwohl steht es nicht völlig losgelöst von der ihr zugrunde liegenden Forderung (vgl. Palandt-Sprau 77. A. § 780 BGB Rn. 1b). So kann es unter bestimmten Voraussetzungen wegen Mängeln des Grundgeschäfts kondiziert werden. Auch wird es in der Regel erfüllungshalber gemäß § 364 Abs. 2 BGB abgegeben. Auch bei einem abstrakten Schuldanerkenntnis kann der Gläubiger nicht doppelte Erfüllung sowohl aus dem Anerkenntnis als auch aus der zugrunde liegenden Schuld, sondern insgesamt nur einmal Erfüllung verlangen.
So haben es die Parteien auch beim streitgegenständlichen Schuldanerkenntnis gewollt. So soll nach Ziff. 2a) der Beklagte Leistungen des Klägers zunächst auf die im Jahr 2004 entstandenen Schadensersatzansprüche, und dann auf die aus dem Jahr 2005 anrechnen. Das Schuldanerkenntnis wirkt mithin unmittelbar auf die zugrunde liegenden Ansprüche ein. Auch wenn es von den Parteien als abstraktes formuliert wurde, so ergibt sich bereits aus seiner Vorbemerkung, dass es wegen zugrunde liegender Schadensersatzansprüche abgegeben wurde. Zu diesen zumindest möglich erscheinenden Ansprüchen bestand daher ein enger sachlicher Bezug.
Der Wortlaut der sec. 281 (3) IA spricht dafür, ein abstraktes Schuldanerkenntnis, welche in einem derartigen Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen wegen Untreuehandlungen steht, unter diese Vorschrift zu subsumieren. Vorab ist festzustellen, dass sich die Auslegung englischer Gesetze stärker am Wortlaut orientiert. Nach dem englischen Wortlaut wird die Verknüpfung zwischen Tat und daraus resultierender Insolvenzforderung weit gefasst. So entlastet ein „discharge from bankruptcy“ den Insolvenzschuldner dann nicht von Insolvenzschulden, „which he incurred in respect of … any fraud or fraudulent breach of trust“. Aus der Verwendung der nur einen vages Verhältnis ausdrückenden Präposition „in respect of“ lässt sich gerade nicht entnehmen, dass die Forderung unmittelbar durch die Tat entstanden sein muss. Wenn der Gesetzgeber dies gewollt hätte, hätte er eine Präposition gewählt, die einen unmittelbaren Kausalzusammenhang ausdrückt (z.B. „through“, vgl. im Einzelnen Gutachten S. 32/33, Ergänzungsgutachten S. 7-10).
Auch der Zweck der Vorschrift spricht für eine Subsumtion der streitgegenständlichen Forderung aus dem Schuldanerkenntnis unter die Vorschrift. So hebt die Entscheidung Templeton Insurance Ltd. a.a. v. Brunswick (2012), vgl. Gutachten S. 33, maßgebend hervor, dass die Insolvenzschuld (nur) „tainted by actual dishonesty“ sein muss, um von der Restschuldbefreiung ausgenommen zu werden. Aus den Ausführungen in dem Urteil ist zu entnehmen, dass es nicht so sehr auf den formellen Rechtsgrund ankommen soll, sondern auf den Zweck der Vorschrift: Ein betrogener Gläubiger soll seine Forderung nicht dadurch verlieren, dass der „betrügerische“ Schuldner eine „schnelle“ Restschuldbefreiung erwirkt. Mit dieser wollte der englische Gesetzgeber zwar dem Schuldner ein Neustartprivileg („fresh start“, „rehabilitation“) zukommen lassen. Der Regelung von sec, 281 (3) IA kann aber zweifelsfrei entnommen werden, dass dieses Privileg nur dem „unglücklich“ wirtschaftenden Schuldner zukommen soll und ein gerechte Balance im Sinne einer Einschränkung erforderlich ist, wenn es um einen „betrügerischen“ Schuldner geht. Insoweit geht es auch nicht um eine enge Auslegung einer Ausnahmevorschrift, sondern um eine Beachtung der immanenten Beschränkung von sec 281 (1) durch sec. 281 (3), vgl. Ergänzungsgutachten S. 2-7).
Die von den Gerichtsgutachtern durchgeführte umfassende Rechtsprechungsrecherche hat keine Urteile englischer Gerichte ergeben, die sich direkt mit der Frage befassen, ob und inwieweit ein mittelbarer Bezug zwischen der (Betrugs/Untreue-)Tat und der Insolvenzforderung ausreichend ist. Wegen der nicht formellen, sondern am Gesetzeszweck orientierten Betrachtungsweise war jedoch die erwähnte Entscheidung Templeton Insurance Ltd. a.a. von Brunswick zu berücksichtigen. Auch die Auswertung der englischen insolvenzrechtlichen Literatur erbrachte insoweit kein positives Ergebnis.
Entgegen der Meinung des Klägers setzt die Anwendung von sec. 281 (3) IA auch nicht voraus, dass es sich um eine im Inland begangene Tat handelt. Für eine derartige Auffassung gibt es keinen Anhaltspunkt (vgl. OLG Köln NZI 2013, 506 und die Entscheidung Masters vs. Leaver (2000) mit Tatort in Texas, Gutachten S. 38).
Nicht entscheidend für die Anwendung dieser Vorschrift ist schließlich die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Beklagte die titulierte Forderung im Insolvenzverfahren des Klägers angemeldet hat. Dies ergibt sich zumindest mittelbar aus der Entscheidung Mander v. Evans (2002), vgl. Gutachten S. 39. Nimmt ein Gläubiger den Schuldner nach erlangter Restschuldbefreiung in Anspruch, so ist vielmehr in dem Rechtsstreit vom Prozessgericht als Vorfrage zu prüfen, ob die Klageforderung von der Restschuldbefreiung erfasst wird und daher erloschen ist. Er kann daher trotz der nach englischem Recht im Grundsatz eingetretenen Restschuldbefreiung den Schuldner vor deutschen Gerichten erfolgreich in Anspruch nehmen, sofern er nachweisen kann, dass die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestands vorliegen. (Mehring ZInsO 2012, 1247, 1252 und 1253).
Dem Beklagten kann es auch nicht infolge des Verwirkungseinwands verwehrt werden, sich auf die Ausnahme von der Restschuldbefreiung zu berufen. Das englische Recht kennt zwar ein entsprechendes Rechtsinstitut („estoppel“). Dessen weitgehend mit dem Verwirkungseinwand nach § 242 BGB identischen Voraussetzungen liegen aber nicht vor, weil der Beklagte keinen zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen hat, dass er die Forderung aus dem Schuldanerkenntnis nach der Restschuldbefreiung nicht mehr geltend machen werde (vgl. Gutachten S. 40). Nach allem ist daher die Forderung aus dem streitgegenständlichen Schuldanerkenntnis unter die Vorschrift von sec. 281 (3) IA zu subsumieren, mit der Folge, dass sie von der Restschuldbefreiung ausgenommen ist. Das Gericht folgt dabei im Wesentlichen den Rechtsausfassungen in den beiden MPI-Gutachten.
Da dem Kläger daher diese Einwendung nicht zur Verfügung steht, war die Vollstreckungsabwehrklage abzuweisen.
III.
Gleiches gilt für die Klage aus Herausgabe der vollstreckbaren Urkunde und für die Zahlungsklage.
Bei letzterer handelt es sich um eine sogenannte verlängerte Vollstreckungsabwehrklage:
Nach Beendigung der Zwangsvollstreckung setzen sich die rechtlichen Möglichkeiten der Vollstreckungsabwehrklage in der materiell-rechtlichen Bereicherungsklage nach § 812 Abs. 1 BGB fort (vgl. BGH NJW 1982, 1147). Dahin gestellt bleiben kann, ob es sich um eine Leistungs- oder Eingriffskondiktion handelt.
Soweit sich der Beklagte zunächst als Behaltensgrund primär auf die angezeigte Abtretung bezogen hat, so ist diese hinsichtlich der streitgegenständlichen Zinserstattungsansprüche zwar unwirksam, weil erst künftig entstehende Steuererstattungsansprüche noch nicht abtretbar sind (vgl. niedersächsisches Finanzgericht Urteil vom 08.12.2010, 3 K 227/10, sowie BFH BStBl II 2002, 677 = BFHE 198, 389).
Der Beklagte kann sich aber auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss als Behaltensgrund berufen, weil der Kläger dem Vollstreckungstitel nicht die rechtsvernichtende Einwendung einer Restschuldbefreiung nach sec. 283 (1) IA entgegenhalten kann. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter Ziff. II. Bezug genommen.
IV.
Insgesamt war die Klage daher kostenpflichtig (§ 91 Abs. 1 ZPO) abzuweisen.
Hinsichtlich des Streitwerts ist festzustellen: Der Streitwert einer Vollstreckungsgegenklage, welche sich gegen einen Zahlungstitel richtet, bestimmt sich nach der Höhe des titulierten Anspruchs (Nennbetrag). Dem gemeinsam mit der Vollstreckungsgegenklage geltend gemachten Anspruch auf Titelherausgabe kommt kein eigenständiger Wert nach § 3 ZPO zu und kann bei der Bemessung des Streitwerts außer Betracht bleiben, wenn die Missbrauchsgefahr wie im vorliegenden Fall gering ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6.4.2011 – IX ZR 113/08). Auch die Zahlungsklage hat bei wirtschaftlicher Betrachtung neben der gleichzeitig erhobenen Vollstreckungsabwehrklage keinen eigenständigen Wert, weil es sich um eine verlängerte Vollstreckungsgegenklage handelt.


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