Europarecht

Kein Anspruch auf Schadensersatz bei vom Abgasskandal betroffenem Leasing-Fahrzeug (hier: Kilometer-Leasing eines Porsche Cayenne)

Aktenzeichen  15 O 12455/19

Datum:
11.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42410
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 323, § 326 Abs. 5, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 437 Nr. 2, § 440, § 826

 

Leitsatz

1. Ist bei einem Vertrag über ein „Kilometer-Leasing“ (mit vereinbarter Laufzeit und jährlicher Fahrleistung, aber ohne Vereinbarung eines Restwertes) die Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs für den Leasingnehmer nicht eingeschränkt, erwächst ihm kein Schaden, selbst wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet gewesen sein sollte. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Leasingnehmer eines (ursprünglich) mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ist zum Rücktritt vom Vertrag nicht mehr berechtigt, wenn die latent bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung durch die Zulassungsbehörde dadurch entfallen ist, dass die beanstandete Motorsteuerungssoftware durch ein aufgespieltes Update behoben wurde. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf im Verhältnis zu den Beklagten zu 1)-3) auf € … im Verhältnis zur Beklagten zu 4) auf € … festgesetzt.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Klage gegen die Beklagten zu 1)-3)
Vorliegend kann aus Sicht des Gerichts dahinstehen, ob den Beklagten der Vorwurf einer unerlaubten Handlung zu machen ist.
Denn dem Kläger ist durch eine – unterstellte – unerlaubte Handlung kein Schaden entstanden, der eine Rücktritt vom Kaufvertrag rechtfertigen würde.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Schaden nicht nur dann gegeben, wenn sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Die Differenzhypothese muss stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Dabei ist einerseits das konkrete haftungsbegründende Ereignis als Haftungsgrundlage zu berücksichtigen. Andererseits ist die darauf beruhende Vermögensminderung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände sowie der Verkehrsauffassung in die Betrachtung einzubeziehen. Erforderlich ist also eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes (BGH WM 2014, 2318).
Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH WM 2014, 2318; NJW 1998, 302).
Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (BGH NJW 2020, 1962).
Vorliegend scheidet ein Schaden insoweit aus, weil der Vertragsschluss nach den oben genannten Grundsätzen nicht als unvernünftig anzusehen ist. Der Kläger hat durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht unbrauchbar war.
Zwar kann davon ausgegangen werden, dass es auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH NJW 2020, wenngleich die weiteren Argumente des BGH ersichtlich den Erwerb eines PKW zu Eigentum durch eine Privatperson betrafen).
So liegt der Fall hier aber nicht.
Aus dem Bescheid vom … ergibt sich, dass das KBA Nebenbestimmungen zu der erteilten Typgenehmigung erlassen hat. Danach war die Motorsteuerungssoftware nachzurüsten. Bei Nichtbeachtung der Anordnungen in den Bescheiden drohte ein Widerruf oder die Rücknahme der Typgenehmigung. Anordnungen gegenüber dem Kläger waren – soweit ersichtlich – keine ergangen, insbesondere keine Androhung einer Stilllegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Die Softwarenachrüstung erfolgte beim klägerischen Fahrzeug im Januar 2018, freigegeben worden war die Software durch das KBA am 18.10.2017.
Dem streitgegenständlichen Fahrzeug drohte im Zeitpunkt des Erwerbs weder eine Betriebseinschränkung noch eine Betriebsuntersagung. Ein solche wäre allenfalls dann im Raum gestanden, wenn die Beklagte zu 3) der Verpflichtung zur Nachrüstung nicht nachgekommen wäre. Das ist vorliegend aber nicht der Fall.
Soweit der Kläger behauptet, aufgrund des Updates komme es zu Folgebeeinträchtigungen, kommt es hierauf ebenfalls nicht an, da etwaige Schäden nicht zu dem geltend gemachten Schaden (Rückabwicklung des Vertrages) führen würden.
2. Ein Schaden scheidet aber auch deswegen aus, weil dem Kläger unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung kein Schaden verbleibt.
a. Nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (vgl. etwa BGH NJW 2015, 553; NJW-RR 2010, 1683; NJW 1986, 983).
b. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB (BGH NJW 2020, 1962).
c. Anders als beim Kaufvertrag berechnet sich beim Leasing – jedenfalls in der hier gewählten Vertragsgestaltung – die Nutzungsentschädigung nicht aus dem Verhältnis der gefahrenen Kilometer zu der Gesamtlebensfahrleistung, sondern objektiv nach dem Betrag, der durchschnittlich für eine vertragliche Gebrauchsgestattung zu entrichten gewesen wäre. Dabei ist zunächst die vertraglich vereinbarte Gegenleistung zugrunde zu legen, die ggf. um den sich aus dem Mangel ergebenden Minderwert zu kürzen ist (OLG München DAR 2019, 150). Vorliegend war die Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs für den Kläger nicht eingeschränkt. Allein die drohende Möglichkeit der Stilllegung hat die Nutzungsmöglichkeit nicht beeinträchtigt. Der Kläger konnte das Fahrzeug im gesamten Zeitraum nutzen.
d. Da damit die anzurechnenden Vorteile den gezahlten Leasingraten entsprechen, ist dem Kläger kein ausgleichspflichtiger Schaden verblieben.
II.
Klage gegen die Beklagte zu 4)
Gegen die Beklagte zu 4) scheidet ein Anspruch aufgrund Rücktritts vom Kaufvertrag aus.
Voraussetzung für den Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 Abs. 5 BGB ist u.a., dass zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung der Kaufgegenstand mit einem Mangel behaftet war. Das war vorliegend nicht der Fall.
Ein Sachmangel setzt voraus, wenn die Sache sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB.
Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein Kraftfahrzeug grundsätzlich nur dann, wenn es eine Beschaffenheit aufweist, die weder seine (weitere) Zulassung zum Straßenverkehr hindert noch ansonsten seine Gebrauchsfähigkeit aufhebt oder beeinträchtigt (vgl. BGH NJW 2016, 3015; NJW 2017, 153; ZIP 2018, 2272; NJW 2019, 1133).
Es kann dahinstehen, ob dem das streitgegenständliche Fahrzeug bei Gefahrübergang genügt hat oder nicht. Jedenfalls im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung am 10.04.2019 bestand der Sachmangel nicht mehr. Denn die im Falle einer (noch) nicht erfolgten Nachrüstung – zumindest latent – bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung durch die Zulassungsbehörde war zu diesem Zeitpunkt entfallen, nachdem – wie durch das Schreiben des KBA vom 18.10.2017 bestätigt – die beanstandete Motorsteuerungssoftware durch ein Update behoben werden konnte, und dieses Update bereits im Januar 2019 aufgespielt worden war (vgl. dazu auch OLG München, Urteil vom 16.09.2020, Az. 20 U 4234/18, zitiert nach juris).
Insoweit kommt es auch nicht mehr darauf an, ob, und ggf. wann der Kläger Kenntnis von dem behaupteten Mangel gehabt hat.
III.
Da schon der Hauptanspruch gegen sämtliche Beklagte nicht besteht, kann der Kläger auch keine Nebenansprüche geltend machen.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3, 91 a ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
C.
Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an den Angaben des Klägers in der Klage.


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