Europarecht

Kein hinreichender Berufungsangriff zu sittenwidriger Schädigung durch Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit Motorsteuerungssoftware “Thermofenster” (hier: Mercedes GLK 220 CDI 4matic BlueEFFICIENCY)

Aktenzeichen  5 U 627/20

Datum:
11.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22780
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 520 Abs. 3, § 522 Abs. 1
BGB § 826

 

Leitsatz

1. Weist das Eingangsgericht die Klage auf der Grundlage der Behauptung eines sog. Thermofensters mit der Begründung ab, es fehle sowohl am objektiven wie am subjektiven Tatbestand des § 826 BGB, muss die Berufungsbegründung in einer den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügenden Weise hinsichtlich jedes einzelnen Abweisungsgrundes darlegen, weshalb die Abweisung insoweit zu Unrecht erfolgt sei (stRspr BGH BeckRS 2015, 2886). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Berufung ist danach unzulässig, wenn sie nur die Ausführungen zum – verneinten – Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung angreift, nicht aber die weitere Begründung, der Beklagten könne in subjektiver Hinsicht nicht der Vorwurf eines nicht nur rechtswidrigen, sondern besonders verwerflichen, nämlich sittenwidrigen, Verhaltens gemacht werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vgl. auch zur Thematik des “Thermofensters” bei Daimler-Fällen im Ergebnis wie hier: KG BeckRS 2020, 9869, mwN in Rn. 17; OLG Köln BeckRS 2019, 38788; BeckRS 2020, 8398; OLG Stuttgart BeckRS 2019, 17247; OLG Koblenz BeckRS 2019, 25135; BeckRS 2019, 32707; BeckRS 2020, 9863; BeckRS 2020, 9935; BeckRS 2020, 20960; BeckRS 2020, 21725; BeckRS 2020, 21726; BeckRS 2020, 21727 (zu Euro 4-Fahrzeug); OLG Celle BeckRS 2019, 33326; OLG Frankfurt BeckRS 2019, 30856; OLG Schleswig BeckRS 2019, 23793; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 8864; BeckRS 2020, 9827; OLG Bamberg BeckRS 2019, 43152; BeckRS 2020, 9901. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

83 O 1818/19 2020-01-10 Urt LGREGENSBURG LG Regensburg

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 10.01.2020, Az. 83 O 1818/19, durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen nach § 520 Abs. 3 ZPO entspricht. 1)
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin eines von ihr am 08.11.2013 bei einem selbständigen Händler gebraucht erworbenen Pkw GLK 220 CDI 4matic BlueEFFICIENCY auf Schadensersatz in Form der Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges in Anspruch. Dazu hat sie erstinstanzlich behauptet, das Kraftfahrtbundesamt habe mit mehreren Bescheiden bestimmte Bauserien der GLK-Modellreihe wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen beanstandet. In diesen Fahrzeugen gebe es Einrichtungen, die eine verzögerte Motorerwärmung bewirkten, was bedeute, dass die Abgasreinigung bei Temperaturen von weniger als 17° Celsius oder mehr als 30° Celsius ausgeschaltet werde, weshalb unter bestimmten Bedingungen der Ausstoß an Stickoxiden den Grenzwert übersteige. Die Fahrzeuge seien deshalb nicht genehmigungsfähig. Sie erzielten auf dem Prüfstand bessere Abgaswerte als auf der Straße. Eine solche Einrichtung sei auch in ihrem Fahrzeug, das mit einem Motor der Baureihe OM 651 ausgestattet und nach der Schadstoffklasse Euro 5 zugelassen ist, vorhanden, was durch Einholung eines Gutachtens unter Beweis gestellt werde.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, für das streitgegenständliche Fahrzeug liege eine uneingeschränkt wirksame Typgenehmigung vor, es halte die Euro – 5- Norm ein, verfüge auch nicht über eine sog. Prüfstands-Erkennung, die variable Steuerung der Abgasrückführung sei Industriestandard. Die von der Klägerin behaupteten Nachteile des geforderten Updates der Motorsteuerung gebe es nicht; diese Behauptung der Klägerin sei „ins Blaue hinein“ erfolgt.
2) Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Endurteil die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt der geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu, weder aus § 826 BGB noch aus anderen deliktischen Anspruchsgrundlagen. Der Vortrag der Klägerin zur Abschalteinrichtung, die in Abhängigkeit von einer sog. Prüfstands-Erkennung funktioniere, sei unsubstantiiert; die Klägerin habe diese Behauptung ohne hinreichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte „ins Blaue hinein“ vorgetragen. Deshalb sei hierzu kein Beweis zu erheben. Im Übrigen, soweit es also um die Behauptung gehe, dass die Abgasreinigung mittels Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Außentemperatur unterschiedlich intensiv durchgeführt werde, fehle es am objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB. Aufgrund des Parteivortrages gehe das Gericht zwar davon aus, dass die Abgasrückführungsraten des streitgegenständlichen Fahrzeuges an bestimmte Außentemperaturen anknüpften, so dass es zu unterschiedlichen Emissionen je nach Umgebungstemperatur komme, allerdings nicht verbunden mit einer Erkennung des Prüfzyklus. Das Gericht schließe sich aber der Auffassung des Landgerichts Stuttgart (Urteil vom 03.05.2019, 22 U 238/18) an, dass in einer derartigen dynamischen Steuerung der Abgasrückführungsraten keine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu sehen sei. Möglicherweise könne man dies auch anders beurteilen, jedoch sei die maßgebliche Norm derart unklar und auslegungsbedürftig, dass die Auffassung, eine Abschalteinrichtung liege nicht vor, zumindest nicht unvertretbar sei. Des Weiteren sei jedenfalls nicht unvertretbar, dass eine temperaturabhängige Abgasrückführung unter den Ausnahmetatbestand des Motorschutzes nach Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 falle. Dafür spreche auch, dass das Kraftfahrtbundesamt bislang eine temperaturabhängige Abgasrückführung nicht beanstandet habe. Stelle also die Annahme, es handle sich bei der temperaturabhängigen Abgasrückführung nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, eine zumindest vertretbare Gesetzesauslegung dar, so könne in der Verwendung einer solchen Einrichtung kein besonders verwerfliches Verhalten gesehen werden. Erforderlich wäre hierfür wenigstens, dass die Unvertretbarkeit des Standpunktes der Beklagten offenkundig sei. Eine Haftung nach § 826 BGB scheide dagegen aus, wenn der Handelnde der redlichen Überzeugung sei, er dürfe in Verfolgung eines erlaubten Interesses handeln. Dann liege kein vorsätzlicher Sittenverstoß vor. Aufgrund der Auslegungsbedürftigkeit der maßgeblichen Normen und der Vertretbarkeit der Auffassung, die temperaturabhängige Abgasrückführung stelle keine Abschalteinrichtung dar, könne auf der Grundlage des Klagevortrages von einem vorsätzlichen Sittenverstoß nicht ausgegangen werden.
3) Mit der Berufungsbegründung macht die Klägerin geltend, das Landgericht habe zu Unrecht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen. Das Landgericht hätte das Vorbringen der Klägerin zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt der behaupteten Programmierung der Motorsteuerung und der zusätzlich geltend gemachten temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung nicht mit der Begründung übergehen dürfen, eine Beweiserhebung käme einer unzulässigen Ausforschung gleich. Die Fehlerhaftigkeit dieses Standpunktes ergebe sich auch aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020, Az. VII ZR 57/19. Vorsorglich werde der erstinstanzlich gestellte Beweisantrag wiederholt.
Mit ergänzendem Schriftsatz vom 28.07.2020 hat die Klägerin auf Anfrage des Senats klargestellt, mit der Berufung solle nicht (weiter) behauptet werden, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine Einrichtung, die den Prüfstandsbetrieb erkenne, vielmehr werde behauptet, dass ein Konstruktionsteil zur Steuerung der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Außentemperatur verbaut sei (“Thermofenster“). Dementsprechend hat die Klägerin in diesem Schriftsatz ihren Beweisantrag neu gefasst.
4) Die Berufung ist unzulässig, weil die Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
a) Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, ihr Fahrzeug sei sowohl mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüfstands-Erkennung versehen, also mit einer Einrichtung der Motorsteuerung, die die Intensität der Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Erkennung der Prüfungssituation beeinflusse, und zum anderen mit einer in Abhängigkeit von der Außentemperatur arbeitenden Abgasrückführung, worin ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen sei. Die erste dieser beiden Behauptungen – und nur diese – hat das Landgericht mit der Begründung unberücksichtigt gelassen, sie sei ohne jeden Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ erhoben worden. Die Klägerin nimmt dies hin, indem sie die Behauptung der Prüfstands-Erkennung ausdrücklich nicht aufrecht erhält. Mit der zweiten Behauptung hat sich das Landgericht dagegen sachlich befasst und unter diesem Gesichtspunkt die Klage mit der Begründung abgewiesen, es fehle sowohl am objektiven wie am subjektiven Tatbestand des § 826 BGB. Der Tatbestand sei bereits objektiv nicht erfüllt, weil die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung schon keine Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstelle. Zudem fehle es – wollte man dies anders sehen – am subjektiven Tatbestand. Im Hinblick auf die Unklarheit der Norm und die Vertretbarkeit der Auffassung, die gerügte Art der Motorsteuerung stelle schon keine Abschalteinrichtung dar oder falle zumindest unter den Ausnahmetatbestand des sog. Motorschutzes, wie auch das Verhalten des Kraftfahrtbundesamtes habe die Beklagte mit der Installation der temperaturabhängigen Abgasrückführung keine besonders verwerfliche Gesinnung gezeigt, sie habe der redlichen Überzeugung sein können, in erlaubter Weise zu handeln.
b) Damit hat das Landgericht die Abweisung der Klage auf der Grundlage der Behauptung eines sog. Thermofensters auf zwei selbständige Gründe gestützt, die jeweils für sich allein genommen bereits die Klageabweisung tragen. In einem solchen Fall muss die Berufungsbegründung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Ersturteil hinsichtlich sämtlicher Abweisungsgründe erfassen, sie muss also in einer den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO genügenden Weise hinsichtlich jedes einzelnen Abweisungsgrundes darlegen, weshalb die Abweisung insoweit zu Unrecht erfolgt sei. Beschränkt sich die Berufungsbegründung dagegen auf Angriffe auf einen Teil der mehreren Abweisungsgründe, so ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (beispielsweise BGH, NJW-RR 2015, 511). In einem solchen Fall ist die Berufungsbegründung nicht geeignet, das Ersturteil hinsichtlich seines Ergebnisses, nämlich der Klageabweisung, in Frage zu stellen; dieses Ergebnis bliebe nämlich auch dann gerechtfertigt, wenn die mit der Berufungsbegründung angegriffenen Abweisungsgründe entfielen.
Dieser Fall ist hier gegeben. Die Berufungsbegründung befasst sich mit der Frage, ob das Landgericht zu Recht das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint hat. Hierzu soll ein Gutachten eingeholt werden. Entfiele dieser mit der Berufungsbegründung somit angegriffene erste Abweisungsgrund, wäre also vom Vorhandensein einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung auszugehen, so bliebe es mangels diesbezüglichen Angriffes bei der weiteren Begründung des Landgerichts, der Beklagten könne in subjektiver Hinsicht nicht der Vorwurf eines nicht nur rechtswidrigen, sondern besonders verwerflichen, nämlich sittenwidrigen, Verhaltens gemacht werden, weil sie zumindest habe annehmen dürfen, die von ihr verwendete Art der Motorsteuerung sei zulässig. Mit den diesbezüglichen Erwägungen des Landgerichts befasst sich die Berufungsbegründung mit keinem Wort. Somit hätte das die Klage abweisende Urteil auch dann Bestand, wenn der mit der Berufungsbegründung vorgetragenen Auffassung der Klägerin in vollem Umfang gefolgt würde.
Hieraus ergibt sich die Unzulässigkeit des Rechtsmittels.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu diesem Hinweis innerhalb 3 Wochen nach Zustellung Stellung zu nehmen.


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