Europarecht

Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen Kernbrennstoffsteuer

Aktenzeichen  VII B 65/14

Datum:
25.11.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 32 Abs 1 BVerfGG
§ 69 Abs 2 FGO
§ 5 Abs 1 KernbrStG
Art 267 AEUV
§ 69 Abs 3 FGO
Spruchkörper:
7. Senat

Leitsatz

1. Ruft ein FG das BVerfG an oder richtet es an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen, entfalten diese Vorlagen im Hinblick auf das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Verwaltungsentscheidung für den BFH keine Bindungswirkung.
2. Ein Antrag auf AdV, der mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit oder Unionsrechtskonformität des der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Gesetzes begründet wird, ist abzulehnen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls dem erforderlichen besonderen Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kein Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt. Einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit oder Unionsrechtskonformität bedarf es in diesen Fällen grundsätzlich nicht. Dem Aufhebungsinteresse des Antragstellers ist nicht allein aufgrund der Befassung des BVerfG oder des EuGH der Vorrang einzuräumen.

Verfahrensgang

vorgehend FG Hamburg, 11. April 2014, Az: 4 V 154/13, Beschluss

Tatbestand

1
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt ein Kernkraftwerk. Nachdem sie in den Kernreaktor Brennelemente eingesetzt und anschließend eine selbsttragende Kettenreaktion ausgelöst hatte, was zur Steuerentstehung nach § 5 Abs. 1 des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) führte, gab sie für den Monat, in dem die Steuer entstanden war, eine Steueranmeldung ab. Die in der Steueranmeldung berechnete Steuer ist zunächst bezahlt worden. Der Einspruch hatte keinen Erfolg, worauf die Antragstellerin Klage erhob. Außerdem stellte sie einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung (AdV).
2
Das Finanzgericht (FG) hat durch Beschluss die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung mit der Begründung aufgehoben, es sei ernstlich zweifelhaft, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspreche und ob dem Bund für die Einführung einer solchen Steuer die Gesetzgebungskompetenz zustehe. Auf die vom Antragsgegner und Beschwerdeführer (Hauptzollamt –HZA–) erhobene Beschwerde hat der beschließende Senat mit Beschluss vom 9. März 2012 VII B 171/11 (BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418) den Beschluss des FG aufgehoben und den Antrag auf AdV abgelehnt. Zur Begründung verwies der Senat unter Beachtung der Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) auf die Notwendigkeit eines besonderen berechtigten Interesses des Antragstellers, welches im Streitfall nach der gebotenen Interessenabwägung nicht vorliege, weil die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einem einstweiligen Außerkraftsetzen des KernbrStG gleichkäme und mit Einnahmeausfällen in Milliardenhöhe verbunden sei. Dass der Antragstellerin durch die sofortige Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung irreparable Nachteile oder eine unzumutbare Härte drohe, habe sie nicht schlüssig dargelegt.
3
Mit Beschluss vom 29. Januar 2013  4 K 270/11 (Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft –EnWZ– 2013, 422) hat das FG das Klageverfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob das KernbrStG mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar und deshalb ungültig sei. Dabei ist das FG zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der Kernbrennstoffsteuer um eine formell verfassungswidrige Steuer handele, weil sie keine Verbrauchsteuer sei und infolgedessen dem Bund zum Erlass des KernbrStG die Gesetzgebungskompetenz gefehlt habe. Eine Entscheidung des BVerfG in der Sache 2 BvL 6/13 steht noch aus.
4
Ein Parallelverfahren hat das FG mit Beschluss vom 19. November 2013  4 K 122/13 (EnWZ 2014, 233) ebenfalls ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Fragen zur Vereinbarkeit des KernbrStG mit unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere mit der Richtlinie 2003/96/EG (EnergieStRL) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Amtsblatt der Europäischen Union –ABlEU– Nr. L 283/51) und mit Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gestellt. Dabei hat das FG seine Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts damit begründet, dass die EnergieStRL der Einführung einer nationalen Steuer auf zur gewerblichen Stromerzeugung verwendete Kernbrennstoffe entgegenstehe und es sich bei der Kernbrennstoffsteuer um eine Abgabe handeln könnte, die gegen das Beihilfeverbot (Art. 107 Abs. 1 AEUV) und gegen die Regelungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft verstoße. Über das Vorabentscheidungsersuchen (C-5/14) hat der EuGH noch nicht entschieden.
5
Nachdem der erneute Antrag auf AdV der angefochtenen Steueranmeldung vom HZA abgelehnt worden war, hat die Antragstellerin unter Hinweis auf die Vorlagebeschlüsse des FG bei diesem abermals beantragt, die Vollziehung der Steueranmeldung aufzuheben. Daraufhin hat das FG die Vollziehung der Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung mit Wirkung ab Fälligkeit der Steuer aufgehoben und bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist gegen eine das erstinstanzliche Verfahren der Hauptsache abschließende Entscheidung ausgesetzt. In seiner Begründung geht das FG aufgrund der inzwischen gefassten Vorlagebeschlüsse von veränderten Umständen nach § 69 Abs. 6 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass der EuGH in der Einführung der Kernbrennstoffsteuer eine Verletzung von Unionsrecht sehen werde, bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steueranmeldung. Zudem sei es sogar wahrscheinlich, dass das KernbrStG gegen die EnergieStRL und gegen die Richtlinie 2008/118/EG (VStSystRL) des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABlEU Nr. L 9/12) verstoße. Dabei ergebe sich die Unionsrechtswidrigkeit aufgrund einer analogen Anwendung des einer Input-Besteuerung entgegenstehenden Art. 14 Abs. 1 EnergieStRL und aufgrund des Fehlens einer von Art. 1 Abs. 2 VStSystRL geforderten besonderen Zwecksetzung der als indirekte Steuer auf elektrischen Strom einzustufenden Kernbrennstoffsteuer. Darüber hinaus sei die AdV auch wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG zu gewähren, denn die ursprünglichen Zweifel an dessen Verfassungskonformität hätten sich nunmehr zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des KernbrStG verdichtet, wie die Vorlage an das BVerfG belege. Zumindest in Bezug auf die durch das Unionsrecht begründeten Zweifel bedürfe es keines zusätzlichen besonderen Interesses der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zweifel liege ein solches Interesse aufgrund der Befassung des BVerfG nunmehr vor. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob der Vorlagebeschluss von einem FG oder vom Bundesfinanzhof (BFH) gefasst worden sei. Von der Anforderung einer Sicherheitsleistung sei abzusehen, weil das HZA keine Umstände hinreichend substantiiert vorgebracht habe, die eine Sicherheitsleistung geboten erscheinen ließen. Eine hinreichend konkrete Gefährdungssituation habe das HZA nicht belegt.
6
Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Ablehnung des Antrags auf AdV der angefochtenen Steueranmeldung, hilfsweise, die AdV nur gegen Sicherheitsleistung anzuordnen. Da aufgrund der Vorlagebeschlüsse des FG keine veränderten Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO vorlägen, sei der Antrag auf AdV unzulässig. Fehl gehe die Annahme des FG, bereits eine Vorlage an das BVerfG begründe ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO, so dass aufgrund der Bindungswirkung in jedem Fall vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden müsse. Im Übrigen bestünden hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG –insbesondere am Verbrauchsteuercharakter der Kernbrennstoffsteuer und an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes– keinerlei ernstliche Zweifel. Einstweiliger Rechtsschutz sei auch aufgrund der Vorlage an den EuGH nicht geboten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die an ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV zu stellenden Anforderungen wesentlich geringer seien als die Voraussetzungen für die Gewährung einer AdV. Ein Gericht könne bereits bei geringen Zweifeln den EuGH anrufen, während die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ein höheres Maß an Zweifeln erfordere. Nach der Rechtsprechung des BFH gehe von einem Vorabentscheidungsersuchen eines FG keine Bindungswirkung aus. Auch im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer. In diese Richtung wiesen auch die in der Rechtssache C-5/14 abgegebenen schriftlichen Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Kommission und der Republik Finnland sowie die schriftlichen Erklärungen der Europäischen Kommission in der Rechtssache C-606/13. Insbesondere sei die Kernbrennstoffsteuer keine indirekte Steuer auf Strom, die in den Anwendungsbereich der EnergieStRL falle, und auch keine selektiv begünstigende staatliche Beihilfe. Auch in Anbetracht der Vorlagebeschlüsse des FG sei eine Entscheidung unter Abwägung des Individualinteresses der Antragstellerin und des öffentlichen Vollzugsinteresses zu treffen. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes führe zur vorläufigen Nichtanwendung des KernBrStG und damit zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe. Das öffentliche Interesse des Bundes an einer geordneten Haushaltsführung sei höher zu gewichten als das Individualinteresse der Antragstellerin. Schließlich habe die Antragstellerin keine hinreichenden Gründe für die Annahme vorgetragen, durch die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung drohten nicht wiedergutzumachende wirtschaftliche Nachteile, so dass von einer Gefährdung ihrer Existenz ausgegangen werden müsse. Entgegen der Auffassung des FG bestehe aufgrund der Einkommens- und Vermögenslage der Antragstellerin –insbesondere unter Berücksichtigung des Eigenkapitals und der hohen Rückstellungen– ein Sicherungserfordernis, so dass einstweiliger Rechtsschutz allenfalls gegen eine entsprechende Sicherheitsleistung gewährt werden könne.
7
Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten. Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an. Allein das Vorabentscheidungsersuchen des FG an den EuGH begründe ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Steueranmeldung, zumal eine inhaltliche Auseinandersetzung des BFH mit den gegen das KernbrStG erhobenen unionsrechtlichen Bedenken noch nicht stattgefunden habe. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei auch unter dem Gesichtspunkt des effet-utile-Grundsatzes geboten. Da unionsrechtliche Zweifel bestünden, bedürfe es ihrerseits keines besonderen Interesses, weshalb auch eine Abwägung mit öffentlichen Interessen an einer geordneten Haushaltsführung nicht statthaft sei. Auch komme es auf eine detaillierte Auseinandersetzung mit den für das Hauptsacheverfahren bedeutsamen unions- und verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht an. Für eine Gefährdung des Steueranspruchs habe das HZA keine konkreten Anhaltspunkte dargelegt, so dass die AdV ohne Sicherheitsleistung zu gewähren sei. Allein die voraussichtliche Dauer des Verfahrens und die Höhe der Steuernachforderungen könnten die Anforderung einer Sicherheitsleistung nicht rechtfertigen. Im Übrigen bestünden ausweislich des Geschäftsberichts für das Jahr 2013 auch keine konkreten Anhaltspunkte für das Anfallen weiterer Verluste, die zu einer Zahlungsunfähigkeit führen könnten. Ihre aktuelle wirtschaftliche Situation sei gut, sie verfüge zudem über ein kurzfristiges liquides Vermögen und ein Anlagevermögen. In Hinblick auf die streitgegenständlichen Steuerbeträge und etwa anfallende Zinsen habe sie durch liquide Konzernforderungen gesicherte Rückstellungen gebildet, die selbst unter Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung von Kernbrennstoffen bis Ende 2016 und des Standortauswahlgesetzes nicht korrigiert werden müssten. Im Übrigen seien die Stellung einer Bankbürgschaft, die Hinterlegung von Anleihen oder Barhinterlegungen unzumutbar.

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