Europarecht

Keine Beschäftigungserlaubnis für Asylbewerber aus sicherem Herkunftsstaat

Aktenzeichen  M 9 K 15.3496

Datum:
3.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 62 Abs. 2
RL 2013/33/EU Art. 15
GG GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Das ausländerbehördliche Ermessen darf dem Grunde nach durch Verwaltungsvorschriften gelenkt und gebunden werden (BVerwG BeckRS 1990, 31249909).   (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Weisung des Innenministeriums, Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich die Arbeitserlaubnis zu versagen, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die unionsrechtlich in Art. 15 Abs. 2 S. 1 RL 2013/33/EU gesetzte Grenze eines effektiven Arbeitsmarktzugangs wird nicht überschritten (VG München BeckRS 2016, 55636). Es liegt kein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG vor (BVerwG BeckRS 1981, 31250895).   (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Klagepartei ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 13. Januar 2016 ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen war und darauf hingewiesen wurde, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).
Das Begehren des Klägers ist trotz Fehlens einer Antragstellung so auszulegen, dass er die Aufhebung des Bescheides vom … August 2015 und die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der begehrten Genehmigung zur Beschäftigung entsprechend dem Antrag vom 16. Juli 2015, hilfsweise eine erneute Verbescheidung, beantragt (§§ 86, 88 VwGO).
Die so verstandene Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur Beschäftigung nach § 61 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG). Der streitgegenständliche Bescheid vom … August 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO i.V.m § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung gem. § 61 Abs. 2 AsylG besteht schon deshalb nicht, da diese Entscheidung gem. § 61 Abs. 2 AsylG im Ermessen der Behörde liegt und keine Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist.
Die Erlaubnis konnte mit der durch das Gericht nur eingeschränkt überprüfbaren (§ 114 VwGO) Ermessensentscheidung des Landratsamtes R. in rechtmäßiger Weise versagt werden.
Die Behörde hat sich zu Recht auf die Weisung im IMS vom 31. März 2015 (Az. I A2-2081-1-8) gestützt. Danach sind bei Asylbewerbern und Geduldeten aus sicheren Herkunftsstaaten (Anlage II zu § 29a AsylVfG) oder bei Antragstellern deren Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus sonstigen Gründen als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist (§ 30 AsylG), grundsätzlich keine Beschäftigungserlaubnisse auf der Grundlage von § 61 Abs. 2 AsylVfG oder von § 4 Abs. 2 AufenthG (i.V.m. § 32 BeschV) mehr zu erteilen oder zu verlängern. Mit dieser als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift zu qualifizierenden Maßnahme wird das Ermessen im Sinne einer landeseinheitlichen gleichmäßigen am Gesetzeszweck orientierten Anwendung gesteuert.
Das ausländerbehördliche Ermessen darf dem Grunde nach durch Verwaltungsvorschriften gelenkt und gebunden werden (siehe BVerwG, B.v. 27.12.1990 – 1 B 162/90 – juris Rn. 5 m.w.N.). Die Weisung ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden, weil sie sich im Rahmen von § 61 Abs. 2 AsylG hält und nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere Unionsrecht, verstößt Ein Verstoß gegen Unionsrecht, insbesondere gegen Art. 15 RL 2013/33/EU, liegt nicht vor. Art. 15 RL 2013/33/EU schließt nicht aus, Asylbewerbern aus einem sicheren Herkunftsstaat grundsätzlich die Arbeitserlaubnis zu versagen (wie es die Weisung im IMS vom 31. März 2015 (Az. I A2-2081-1-8) regelt).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist in Art. 15 RL 2013/33/EU in Abs. 1 von zwei unionsrechtlich bestimmten Tatbestandsmerkmalen und in Abs. 2 von mitgliedstaatlichen Voraussetzungen abhängig. Die unionsrechtlich in Art. 15 Abs. 2 Satz 1 RL 2013/33/EU gesetzte Grenze eines effektiven Arbeitsmarktzugangs ist hier nicht überschritten (VG München, U. v. 12.01.2016 – M 4 K 15.3550 -).
Art. 15 Abs. 2 Satz 1 RL 2013/33/EU regelt explizit, dass die Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihres einzelstaatlichen Rechts beschließen, unter welchen Voraussetzungen dem Antragsteller Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren ist. Dadurch wird den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum eingeräumt, der der Richtlinie als unionsrechtliche Regelungstechnik (Art. 288 Abs. 3 AEUV) immanent ist und dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV), vor allem im hier tangierten Bereich der Beschäftigung(-spolitik) (Art. 5 Abs. 2, Art. 145 ff. AEUV), Rechnung trägt. Mit dieser Regelungstechnik gewährt der Richtliniengeber dem nationalen Gesetzgeber einen weiten Spielraum hinsichtlich der Kriterien, nach denen der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt werden soll (vgl. bei einem ähnlichem Vorbehalt für nationale Vorschriften: EuGH, U.v. 12.05.2011 – C-115/09 – juris Rn. 45 und 55). Damit ist auch bei der hier nach dem nationalen Recht der Behörde zugewiesenen Ermessensentscheidung nur dann eine Überschreitung des durch die Richtlinie vorgegebenen Rahmens anzunehmen, wenn durch die ermessenslenkende Weisung ein effektiver Arbeitsmarktzugang für alle oder die überwiegende Zahl der Antragsteller nicht mehr gewährleistet wäre (Art. 15 Abs. 2 2. HS RL 2013/33/EU). Eine solche Situation entsteht durch den grundsätzlichen Ausschluss von Antragstellern aus sicheren Herkunftsstaaten i.S.v. § 29 a Abs. 2 AsylG nicht. Vielmehr beschränkt sich der Ausschluss nur auf einen Teil der Asylantragsteller, während die Mehrzahl der Antragsteller weiterhin die Möglichkeit hat, eine Beschäftigungserlaubnis zu erlangen. Darüber hinaus ist der Ausschluss durch sachliche Gründe gerechtfertigt und stellt keinen willkürlichen Ausschluss vom Arbeitsmarktzugang dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt bleibt für die Antragsteller mit einer realistischen Bleibeperspektive erhalten. Wegen der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze ist es gerechtfertigt, diese zur Integration der Antragsteller mit Bleibeperspektive zur Verfügung zu halten und die Beschäftigungsmöglichkeit nicht auch für Antragsteller aus sicheren Herkunftsländern zu gewähren, die einer solchen Integrationsmaßnahme nicht bedürfen, da das Verfahren in der Regel negativ endet.
Die Zulässigkeit dieser Erwägung ergibt sich auch aus Art. 15 Abs. 2 Satz 2 RL 2013/33/EU. Ausdrücklich wird den Mitgliedstaaten hier erlaubt, den Angehörigen der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftraum und rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen aus Gründen der Arbeitsmarktpolitik Vorrang gegenüber den Antragstellern einzuräumen. Dass dies keine abschließende Grenze für den Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten ist, zeigt sich daran, dass Art. 15 Abs. 2 Satz 1 a.E. RL 2013/33/EU die insoweit maßgebliche Grenze auf Tatbestandsseite errichtet, nämlich die Sorge für einen effektiven Arbeitsmarktzugang. Insoweit ist durch die Verwendung des Plurals („für Antragssteller“; englische Sprachfassung: „that applicants“) klargestellt, dass das Gebot des effizienten Arbeitsmarktzugangs sich auf den generell-abstrakten Umsetzungsakt der Mitgliedstaaten bezieht, nicht aber auf die konkret-individuelle Anwendungsentscheidung (mit anderen Worten: dem einzelnen Antragsteller nicht im konkreten Einzelfall einen unbedingten Arbeitsmarktzugang zusichert).
Hinzu kommt, dass das Recht auf einen effektiven Zugang bei Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten zwangsläufig schwächer ist, da bei diesen die gesetzliche Vermutung besteht, dass ihr Schutzgesuch ohne Erfolg bleiben wird und kein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt im Bundesgebiet erfolgen wird (vgl. auch BT-Drs. 18/6185, S. 29 sub b, S. 49 sub 7). Dies gilt umso mehr, als das Unionsrecht die vorgenannte Unterscheidung bei Asylbewerbern kennt und das Konzept des sichereren Herkunftsstaats legitimiert (vgl. Art. 36 ff. RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes).
Die Entscheidung, dem Kläger keine Arbeitserlaubnis zu erteilen (wie es auch die Weisung im IMS vom 31. März 2015 (Az. I A2-2081-1-8) regelt), verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Mit dem grundsätzlichen Verbot der Erwerbstätigkeit für Asylbewerber aus sichereren Herkunftsstaaten, wie dem Kläger, werden auch einwanderungspolitische Ziele verfolgt. Die Verfestigung des Aufenthalts soll bei Asylbewerbern verhindert werden, solange ihr endgültiges Bleiberecht nicht feststeht, und einem Zustrom der Asylbewerber soll entgegengewirkt werden, die lediglich aus wirtschaftlichen Gründen an einem Aufenthalt im Bundesgebiet interessiert sind. Diese sachlichen Erwägungen verstoßen nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG und rechtfertigen insbesondere eine Ungleichbehandlung von Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten gegenüber solchen aus anderen Staaten (vgl. auch BVerwG, B.v. 23.9.1981 – 1 B 90/81 – juris Rn. 3; Neundorf in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 9. Edition Stand: 1.5. 2015, § 61 Rn. 2).
Das Landratsamt hat in seiner Ermessensentscheidung im Übrigen die relevanten privaten Belange des Klägers und das öffentliche Interesse an der Versagung der Erlaubnis abgewogen. Vor allem beruht die Versagung der Erlaubnis nicht auf sachfremden, sondern auf aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken (vgl. Grünewald in: Vormeier, GK-AsylVfG, § 61, Stand 1.2005, Rn. 24; Neundorf in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 9. Edition Stand: 01.05.2015, § 61 Rn. 12; Hailbronner, Ausländerrecht, 90. Lfg. Mai 2015, § 61 AsylVfG Rn. 17). Einwanderungspolitische Ziele dürfen zulässigerweise bei der Ermessensentscheidung im Rahmen des § 61 Abs. 2 AsylG berücksichtigt werden (Grünewald in: Vormeier, GK-AsylVfG, § 61, Stand 1.2005, Rn. 25 m.w.N. aus der Rspr.; Neundorf in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 9. Edition Stand: 1.5.2015, § 61 Rn 12).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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