Europarecht

Keine Haftung der Porsche AG für eventuelle unzulässige Abschalteinrichtungen in einem von Audi geliefertem Dieselmotor

Aktenzeichen  6 U 46/20

Datum:
2.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31199
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826
ZPO § 256
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Porsche-Fahrzeugs, in das ein von Audi entwickelter Diesel-Motor eingebaut ist, vgl. auch OLG Köln BeckRS 2020, 25732; OLG München BeckRS 2020, 41015; BeckRS 2020, 44392; BeckRS 2021, 7739; OLG Dresden BeckRS 2020, 32522; BeckRS 2021, 6203; OLG Bamberg BeckRS 2021, 2533; LG Augsburg BeckRS 2021, 8686; LG München I BeckRS 2020, 42410; LG München II BeckRS 2020, 43746; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 43093; LG Würzburg BeckRS 2020, 44850. (redaktioneller Leitsatz)
2. In sog. “Diesel-Fällen” ist das erforderliche Feststellungsinteresse des Käufers zu verneinen, wenn er nicht schlüssig dartut, dass der Eintritt künftiger ersatzfähiger, im Zeitpunkt der Klageerhebung aber noch nicht bezifferbarer Schäden, die über eine in Betracht kommende Kaufpreiserstattung als Schadensersatz hinausgehen könnten, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus dem Inverkehrbringen eines mit der Thermofenster-Software ausgestatteten Fahrzeugs ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass dieses Verhalten besonders verwerflich ist und damit eine objektiv sittenwidrige Schädigung darstellt (Anschluss BGH BeckRS 2021, 847). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte jedenfalls nicht ohne Weiteres angenommen werden kann, dass die Herstellerin bzw. deren verantwortlich Handelnde in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 O 413/19 2020-04-23 Endurteil LGBAYREUTH LG Bayreuth

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 23.04.2020, Az. 21 O 413/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bayreuth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz von der Beklagten als Fahrzeugherstellerin nach einem Pkw-Kaufvertrag.
1. Die Klägerin erwarb am 27.06.2015 von einer Privatverkäuferin das streitgegenständliche Gebrauchtfahrzeug …, Erstzulassung am 01.02.2013, Fahrleistung: 23.040 km, zu einem Kaufpreis von 54.000 €. Am 02.02.2021 hatte der Pkw eine Fahrleistung von 59.470 km.
Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor 3,0l EU 5 ausgestattet, der von der A. AG entwickelt und hergestellt, von der Beklagten bei dieser angekauft und dann in dem vorliegenden Fahrzeug verbaut wurde. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat gegenüber der Beklagten einen Zwangsrückruf im Hinblick auf Fahrzeuge … der Baujahre 2014 bis 2016 angeordnet, die mit einem Dieselmotor Euro 6 ausgestattet sind.
Die Klägerin behauptet, das Fahrzeug verfüge über eine Motorsteuerungssoftware, die den Ausstoß von NOx und CO₂ im Prüfstandbetrieb optimiere. Das Fahrzeug verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen, ein „Thermofenster“, eine Aufwärmstrategie und eine manipulierte Getriebesteuerung. Es sei mit weiteren Rückrufen zu rechnen, da die Untersuchungen des KBA andauerten. Die Beklagte habe sich nicht nur auf den Einbau des Motors beschränkt, sondern ihn umfassend modifiziert, wie sich aus der Eintragung als Hersteller der Antriebsmaschine in der EG-Übereinstimmungserklärung ergebe. Das Fahrzeug sei deshalb mangelhaft. Die Beklagte habe die Klägerin vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, wobei die Beklagte insoweit die sekundäre Darlegungslast treffe.
Die Klägerin hat erstinstanzlich u.a. beantragt, eine Pflicht der Beklagten zum Schadensersatz festzustellen, hilfsweise die Beklagten zur Zahlung von 54.000,- Euro nebst Zinsen Zugum-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Pkw zu verurteilen.
Die Beklagte ist der Klage inhaltlich entgegengetreten. Sie hat unter anderem die Ansicht vertreten, dass Ansprüche bereits deshalb ausschieden, weil der streitgegenständliche Motor von ihr nicht entwickelt, sondern lediglich zugekauft worden sei. Sie stelle nur Benzinmotoren her. Der Vortrag erfolge ins Blaue hinein und sei unsubstantiiert. Die Beklagte habe die Klägerin nicht getäuscht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, des Verfahrenshergangs und der Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen.
2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin stünden weder vertragliche noch deliktische Ansprüche gegen die Beklagte zu. Im Hinblick auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 826 BGB liege kein vorsätzliches Verhalten der Beklagten vor.
3. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie ist der Auffassung, das Landgericht habe zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch verneint.
Die Klägerin beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug … Diesel 3,0 (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
hilfsweise:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3,0 l V6 Dieselmotor des Fahrzeugs … Diesel (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide NOx entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx-Ausstoß führt.
2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.994,04 freizustellen.
Hilfsanträge:
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei € 54.000,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4%-Punkten seit dem 27.06.2015 zu bezahlen, Zugum-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw … Diesel 3.0, (FIN: …).
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug … Diesel 3,0 (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
hilfsweise:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3,0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs … Diesel: Fahrzeugidentifikationsnummer: … eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden und die im Normalbetrieb 6 U 46/20 – Seite 4 – Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx-Ausstoß führt.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten Pkw im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.994,04 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Ersturteil unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründungen, die Berufungserwiderungen und die weiteren im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze, jeweils mit Anlagen.
II.
Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Der Klägerin stehen weder vertragliche noch deliktische Ansprüche zu.
1. Soweit die Klägerin die Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten zu begehrt, ist die Klage bereits unzulässig.
a) Bei reinen Vermögensschäden hängt die Zulässigkeit einer Feststellungsklage von der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab. Ausreichend ist, dass nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein erst künftig aus dem Rechtsverhältnis erwachsender Schaden angenommen werden kann. Dagegen besteht ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) für einen künftigen Anspruch auf Ersatz eines allgemeinen Vermögensschadens regelmäßig dann nicht, wenn der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiss ist. Die Klägerin als Anspruchstellerin trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens ergibt (vgl. grundlegend BGH, Urteil v. 30.07.2020, Az. VI ZR 397/19, Rn. 29).
In Anwendung dieser Grundsätze ist das erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin zu verneinen. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargetan, dass der Eintritt künftiger ersatzfähiger, im Zeitpunkt der Klageerhebung im Juli 2019 aber noch nicht bezifferbarer Schäden, die über die in Betracht kommende Kaufpreiserstattung als Schadensersatz hinausgehen könnten, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe sie durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung sittenwidrig geschädigt. Den durch die Eingehung des Kaufvertrages entstandenen Schaden konnte die Klägerin bei Einreichung der Klage im Juli 2019 beziffern (vgl. BGH, Urteil v. 30.07.2020, Az. VI ZR 397/19, Rn. 29; OLG Köln, Urteil v. 27.08.2020, Az. 12 U 174/19 m.w.N.). Unter Zugrundelegung des klägerischen Sachvortrags war im Zeitpunkt der Klageerhebung nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Klägerin aufgrund der behaupteten schädigenden Handlung der Beklagten ein weiterer ersatzfähiger Vermögensschaden künftig entstehen wird.
b) Selbst wenn der Antrag zulässig gewesen wäre, wäre er unbegründet (s. II. 2).
2. Die auf Leistung gerichteten Hilfsanträge sind unbegründet.
a) Zu Recht hat das Erstgericht vertragliche Ansprüche abgelehnt. Auf die zutreffenden Ausführungen im Ersturteil wird Bezug genommen.
b) Der Klägerin stehen auch keine deliktischen Ansprüche zu.
aa) Es kann bereits nicht festgestellt werden, dass das streitgegenständliche Fahrzeug einen Mangel aufweist, der einen deliktischen Schadensersatzanspruch zu begründet. Einen solchen hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt.
Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Weiter kann eine Partei grundsätzlich eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen hat und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für möglich hält. Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. In der Regel wird dies nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 -, Rn. 7 f, juris).
Die Klägerin hat zu dem streitgegenständlichen Dieselmotor Euro 5 keine solchen Anhaltspunkte vorgetragen. Nach den Feststellungen des Erstgerichts war das Fahrzeug nicht vom Rückruf des KBA betroffen. Nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten hat das KBA nach Ende 2019 ein Anhörungsverfahren eingeleitet. Nach umfangreichen technischen Untersuchungen wurde dieses Verfahren 2020 beendet. Im Hinblick auf den Dieselmotor Euro 5 wurde keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt, weshalb auch kein amtlicher Rückruf anzuordnen war (Anlage B 10). Bereits eine ungewollte Verpflichtung der Klägerin durch den Abschluss des Kaufvertrags ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar, weil zu keinem Zeitpunkt objektiv der Widerruf der Fahrzeugzulassung drohte.
(1) Hinsichtlich der Verwendung eines Thermofensters durch die Beklagte hat die Klägerin die Voraussetzungen eines deliktischen Verhaltens der Beklagten nicht hinreichend dargetan.
Aus dem Inverkehrbringen eines mit der Thermofenster-Software ausgestatteten Fahrzeugs ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass dieses Verhalten besonders verwerflich ist und damit eine objektiv sittenwidrige Schädigung darstellt (vgl. BGH, Beschluss v. 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rn. 16). Denn anders als die Prüfstandbetrieb-Software dient die Thermofenster-Software nicht per se der manipulativen Überlistung des Kraftfahrtbundesamtes bei der Erlangung der erforderlichen Typengenehmigung. Der Einsatz der Thermofenster-Software zielt bereits nicht auf die Abweichungen der Werte des Prüfzu denen des Fahrbetriebes ab und ist – zumindest auch – durch den Motor- bzw. Bauteilschutz gerechtfertigt (vgl. OLG Bamberg, Urteil v. 17.12.2020, Az. 1 U 8/20 m.w.N; OLG Köln, Beschluss v. 26.08.2020, Az. 16 U 72/20; Palandt-Sprau, 80. Auflage, Rn. 20 zu § 826 BGB).
Die Klägerin versäumt es in diesem Zusammenhang darzulegen, welche konkreten Parameter zur Abschaltung der Abgasreinigung führen. Es hätte von Seiten der Klägerin näherer Ausführungen bedurft, dass überhaupt und nach welchen Zeit-, Strecken- und Schadstoffausstoßparametern die Abgasrückführung von einer Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug deaktiviert wird. Eine Beweiserhebung über die Behauptung des Klägers liefe hier daher letztlich auf einen in der ZPO nicht vorgesehenen Ausforschungsbeweis hinaus.
Hinzu kommt, dass das KBA im Hinblick auf das Thermofenster im Dieselmotor Euro 5 dessen technische Notwendigkeit und Zulässigkeit bestätigt hat. Die Klägerin legt nicht dar, inwiefern in dem streitgegenständlichen Dieselmotor trotz der Einordnung durch das KBA ein unzulässiges Thermofenster eingebaut sein soll, das eine deliktische Haftung der Beklagten rechtfertigt.
(2) Dies gilt auch für die behauptete unzulässige Aufwärmstrategie. Nach den Angaben der Klägerin sei am 21.01.2018 bekannt geworden, dass es auch bei den V6-Dieselmotoren des Audikonzerns einen Rückruf gebe. „Vermutlich“ seien „verschiedene Parameter ausgewertet worden“. Auf Grund des Lenkradeinschlags soll das Fahrzeug erkennen, ob es auf „dem Prüfstand oder im RealDrive“ sei. Solange das Fahrzeug fahre, nutze es eine Aufwärmstrategie (vgl. Schriftsatz vom 23.09.2019, S. 16 = Bl. 251). Für den streitgegenständlichen Motor wurde aber gerade kein Rückruf angeordnet. Auch aus den vorgelegten Artikeln des „Spiegel“ lassen sich keine Anhaltspunkte für eine „unzulässige Aufwärmstrategie“ im konkreten Motor ableiten.
(3) Eine Manipulation der Getriebesteuerung wurde bereits nicht nachvollziehbar vorgetragen. Nach den Angaben des Klägers soll die Getriebesteuerung mit zwei Modi versehen sein, nämlich einem „DSP“ (dynamisches Schaltprogramm) im Normalbetrieb und einem „WU-Modus“ (Warmlaufmodus) im Prüfstandsbetrieb. Anhaltspunkte dafür, dass und weshalb bei dem streitgegenständlichen Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen soll, trägt die Klägerin nicht vor.
(4) In der Berufungsbegründung referiert die Klägerin zwar die Stellungnahme der Generalanwältin … gegenüber dem EuGH zum VW Motor E 189 sowie Passagen aus landgerichtlichen Urteilen. Substantiierter Sachvortrag zu den behaupteten Mängeln des streitgegenständlichen Motors erfolgt hingegen nicht.
bb) Selbst wenn die Klägerin die objektiven Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung nachvollziehbar dargelegt hätte, würde es an einem schlüssigen Vortrag zu den subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit fehlen.
(1) In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Tatumstände voraus, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen. Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich hierbei darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Er enthält ein Wissens- und Wollenselement: Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Dabei setzt § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Es genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei dieser nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss. Für den getrennt davon erforderlichen subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen. Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt schließlich voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat (OLG Bamberg, Urteil v. 17.12.2020, Az. 1 U 8/20).
(2) All diese Voraussetzungen lassen sich dem Klägervortrag angesichts der Besonderheit, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Motor nicht selbst hergestellt und entwickelt hat, nicht entnehmen. Vielmehr ist der Klägervortrag hierzu weitgehend pauschal. Soweit die Klägerin in den Raum gestellt hat, dass der Motor allein von der A. AG entwickelt worden sei und insoweit eine Beteiligung der Beklagten behauptet, ist sie hierfür jeden substantiierten Vortrag schuldig geblieben. Die Beklagte hat umfassend und nachvollziehbar dargelegt, dass sie selbst bis zur Entscheidung im Jahr 2008, ebenfalls Dieselmotoren in sogenannte SUVs zu verbauen, lediglich Erfahrung mit Benzinmotoren hatte, während die A. AG über langjährige Erfahrung mit Dieselmotoren verfügte. Daher ist für das Verfahren mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass neben der Produktion auch bereits die Entwicklung des streitgegenständlichen Motortyps vollständig bei der A. AG erfolgte.
(3) Der Verweis der Klägerin auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten im Hinblick auf die konkrete Konfiguration der Motorsoftware ist nach Auffassung des Senats unzutreffend. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast entbinden den Anspruchsteller nicht von einer hinreichenden Substantiierung seiner primären Darlegungen, um dem Gericht eine Überprüfung ihrer Entscheidungserheblichkeit ermöglichen. Wollte man dies anders sehen, würde man eine Klagepartei in mit den Grundsätzen der deutschen Zivilprozessordnung schwerlich zu vereinbarender Weise von den Erfordernissen jeglichen schlüssigen Sachvortrags entbinden (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 04.07.2019, Az. 3 U 148/18; OLG München, Beschluss v. 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19; OLG Koblenz, Urteil v. 21.10.2019, Az. 12 U 246/19).
(4) Hinzu kommt, dass bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte jedenfalls nicht ohne Weiteres angenommen werden kann, dass die Beklagte bzw. deren verantwortlich Handelnde in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019, Az. 10 U 134/19; OLG Frankfurt, Urteil v. 13.11.2019, Az. 13 U 274/18; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil v. 19.12.2019, Az. 5 U 103/18).
Da etwa das Thermofenster nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 grundsätzlich erlaubt sind, bedürfte es substantiierten Vortrags dazu, aus welchem Grund die Beklagte aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Thermofensters mit Schädigungsvorsatz handelte (vgl. BGH, Beschluss v. 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rn. 19).
Auch war dem Kraftfahrt-Bundesamt bei Erteilung der Typgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen und wurde nicht beanstandet. Die Beklagte konnte daher durchaus annehmen, dass die von der A. AG als ihrem Motorenlieferanten gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden ist, weil sie ansonsten vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet worden wäre. Ferner waren und sind die Kriterien, aus denen sich ausnahmsweise aus Bauteilschutzgesichtspunkten die Zulässigkeit einer Abschaltvorrichtung ergibt, nicht eindeutig bestimmt und in Rechtsprechung wie Literatur umstritten (vgl. dazu umfassend Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil v. 19.12.2019, Az. 5 U 103/18; OLG Nürnberg, Urteil v. 19.07.2019, Az. 5 U 1670/18).
(5) Schließlich legt die Klägerin nicht dar, welcher verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten Kenntnis von einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt haben soll, wenn selbst das KBA im September 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorlag.
cc) Mangels substantiierten Vortrags zum subjektiven Tatbestand ist auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB abzulehnen. Mit zutreffender Begründung hat das Erstgericht auch einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt.
3. Mangels Anspruchs in der Hauptsache stehen der Klägerin auch keine Nebenforderungen zu.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Er beabsichtigt eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage der nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Feststellungen.


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