Europarecht

Keine Schadensersatzansprüche bei im Februar 2016 erworbenem, vom Abgasskandal betroffenem (Gebraucht-)Fahrzeug (hier: VW Touran)

Aktenzeichen  24 U 4001/19

Datum:
18.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6258
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831
WphG § 15
StGB § 263
EG-FGV § 27

 

Leitsatz

1. Im Fall eines Gebrauchtwagenkaufs wird das Inverkehrbringen eines vom Diesel-Abgasskandal erfassten Fahrzeugs in Bezug auf den Käufer erst relevant, wenn dieser sich für den Pkw interessiert und ihn letztlich käuflich erwirbt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angesichts der Umstände (Adhoc-Mitteilung und  Pressemitteilung der Herstellerin vom 22.09.2015; anschließende intensive Berichterstattung in sämtlichen Medien; Website, auf der durch die Eingabe der FIN überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war; Pressemitteilung des Kraftfahrbundesamtes vom 15.10.2015 über Ruckruf) ist es nicht gerechtfertigt, für 2016 noch von einer vorsätzlichen Täuschung seitens der Herstellerin und einem planmäßigen Verheimlichen der „Schummel-Software“ gegenüber potentiellen Erwerbern von längst in den Verkehr gebrachten manipulierten Fahrzeugen auszugehen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals: OLG Frankfurt BeckRS 2019, 27981; OLG Saarbrücken, BeckRS 2019, 20813; OLG Stuttgart, BeckRS 2019, 21326; 2019, 29977; OLG Köln, BeckRS 2019, 13405; OLG München, BeckRS 2020, 4669; 2019, 40404; 2020, 4671; OLG Braunschweig, BeckRS 2017, 147936; OLG Schleswig-Holstein, BeckRS 2019, 33012; OLG Koblenz, BeckRS 2019, 36722; 2019, 32689; anders OLG Hamm, BeckRS 2019, 20495; OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 280; OLG Dresden, BeckRS 2020, 4135; a.A.: OLG Koblenz BeckRS 2020, 5086; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6021. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

35 O 1881/18 2019-06-21 Urt LGMEMMINGEN LG Memmingen

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21.06.2019, Az. 35 O 1881/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Memmingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung eines Kaufvertrags vom 18.02.2016 (vgl. die Anlage K 1) über einen gebrauchten Pkw VW Passat Touran TDI 2.0, ausgestattet mit einem Motor der Baureihe EA 189, Erstzulassung: 26.01.2015, den der Kläger bei einem Kilometerstand von 21.900 km von einem Händler für 23.500,00 € erworben hat.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des LG Memmingen verwiesen.
Das Erstgericht hat nach informatorischer Anhörung des Klägers die Klage abgewiesen. Es äußert in dem Urteil erhebliche Zweifel, dass der Kläger überhaupt getäuscht wurde, da der Erwerb fünf Monate nach Bekanntwerden des Dieselskandals durch die Adhoc-Mitteilung vom 22.09.2015 erfolgt sei. Der Kläger habe dazu nichts vorgetragen.
Der Kläger greift mit der Berufung das Ersturteil in vollem Umfang an. Auf seine Ausführungen in der Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 21.08.2019; Bl. 152/172 d.A.) und im Schriftsatz vom 28.01.2020 (Bl. 216/219 d.A.) wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 21.06.2019 verkündeten Urteils
1. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei € 21.966,00 nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zugum-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Volkswagen Typ VW Touran FIN: …22.
2. Die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von € 1.348,27 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt in der Berufungserwiderung (Schriftsatz vom 25.10.2019; Bl. 178/211 d.A.) das Ersturteil. Sie verweist auf die umfassende Presseberichterstattung nach der Adhoc-Mitteilung vom 22.09.2015.
Der Senat hat mit den Parteien am 04.02.2020 mündlich verhandelt; Beweise wurden nicht erhoben. Ergänzend wird auf das angefochtene Urteil, die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in beiden Instanzen Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (vgl. §§ 517, 519 ZPO) Berufung ist in der Sache erfolglos.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB.
1.1. Im Streitfall erfolgte der Kauf des VW Touran durch den Kläger am 18.02.2016, weit nachdem im Herbst 2015 der „Diesel-Skandal“ öffentlich bekannt wurde.
a) Der Senat hat im Fall des Erwerbs eines vom „Diesel-Skandal“ betroffenen Pkw Audi (Motor der Baureihe EA 189) im Mai 2015 eine Haftung der VW AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung des Käufers bejaht, der einen neuen Audi Q3 2.0 TDI erworben hatte, in dem ein Motor der Baureihe EA 189 der Beklagten eingebaut war. Das Inverkehrbringen eines Motors mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik stelle eine konkludente Täuschung dar, da sie in der Kenntnis erfolgt sei, dass die Audi AG als Konzernschwester der Beklagten Fahrzeuge mit diesem Motor ohne eine entsprechende Information der Käufer in Verkehr bringen wird. Auf die Darlegungen im Senatsurteil vom 15.10.2019, Az.: 24 U 797/19, abzurufen bei Beck-Online BeckRS 2019, 25424, wird Bezug genommen.
b) Im hier streitgegenständlichen Fall eines Gebrauchtwagenkaufs wurde das Inverkehrbringen des Pkws in Bezug auf den Käufer aber erst relevant, als dieser sich für den Pkw interessiert und ihn letztlich käuflich erworben hat.
1) Die vorsätzliche sittenwidrige Handlung kann gegen jeden begangen sein, dessen Vermögen vorsätzlich durch eine sittenwidrige Handlung, mag diese sich gegen ihn oder eine andere Person richten, geschädigt ist; in diesem Sinn soll auch der „mittelbar“ Geschädigte anspruchsberechtigt sein. Die Grenzziehung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit wird aber um so schwieriger und problematischer sein, je weiter entfernt der Geschädigte von der gegen einen anderen gerichteten sittenwidrigen Handlung ist. Schutzwürdig und deswegen nach § 826 BGB ersatzberechtigt sind solche dritte Personen nur dann, wenn sie ihren Schaden nicht nur als Reflex des dem unmittelbar Verletzten entstandenen Schadens erlitten haben, sondern wenn im Verhältnis zwischen dem Schädiger und ihnen die Vermögensverletzung ebenfalls sittenwidrig ist. Die vorsätzliche Zufügung eines Schadens allein begründet nämlich noch nicht die Haftung aus § 826 BGB. Auf sie muss vielmehr immer auch das Urteil der Sittenwidrigkeit zutreffen (BGH, Urteil vom 20. 02. 1979 – VI ZR 189/78 -, Rn. 17/18, juris).
2) In diesem Sinn hat der Senat in dem oben zitierten Urteil eine Schädigung eines Käufers bejaht, der im Mai 2015 bei einem Händler einen Audi Q3 mit einem von der Beklagten hergestellten Motor mit einer Umschaltlogik erworben hatte. Die Sittenwidrigkeit seines Verhaltens ergibt sich hier aus den weiteren Umständen, also der Kenntnis nicht nur des Mangels, sondern auch der bevorstehenden Weiterveräußerung an einen ahnungslosen Dritten (OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18 -, Rn. 24, juris; Urteil des Senats vom 15.10.2019 a.a.O.).
3) Dass es für die Beurteilung der Frage der Sittenwidrigkeit auf die Gegebenheiten zum Zeitpunkt des Kaufs durch den jeweiligen Käufer ankommt, entspricht der ganz überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019, Az.: 10 U 199/19, abzurufen bei Juris, dort Rn. 44; OLG Celle, Beschluss vom 29.04.2019, Az.: 7 U 159/19, bei juris Rn. 19; OLG Köln, Urteil vom 06.06.2019, Az.: 24 U 5/19, bei juris Rn. 46, OLG Frankfurt, Urteil v. 13.11.2019, 13 U 274/18, bei juris Rn. 51). Die abweichende Ansicht, der das OLG Hamm (vgl. Urteil des OLG Hamm vom 10.09.2019, Az.: 13 U 149/18, bei juris, Rn. 65) zuneigt, steht im Gegensatz zur herrschenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil des BGH vom 20.02.1979, Az.: VI ZR 189/78, NJW 1979, 1599 f, bei juris Rn. 18; Urteil des BGH v. 07.05.2019, Az.: VI ZR 512/17, bei juris Rn. 8).
4) In die Beurteilung des Handelns der Beklagten gegenüber dem Zweiterwerber eines gebrauchten PKWs, in dem ein Motor der Baureihe EA 189 mit Umschaltlogik eingebaut ist, ist daher das weitere Verhalten der Beklagten einzubeziehen:
(1) Die Beklagte hat am 22.09.2015 eine Adhoc-Mitteilung nach § 15 WphG hinausgegeben, in der u.a. davon die Rede ist, dass bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund 11 Millionen Fahrzeugen eine „auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt“ worden sei.
Darüber hinaus gab die Beklagte am 22.09.2015 auch eine Pressemitteilung mit entsprechendem Inhalt hinaus.
(2) Der Adhoc-Mitteilung und der Pressemitteilung vom 22.09.2015 schloss sich eine intensive Berichterstattung in sämtlichen Medien (Zeitungen, Radio, Fernsehen, Online-Medien) an. Auf die diesbezügliche Darstellung in der Berufungserwiderung der Beklagten vom 25.10.2019 (dort insbesondere Seiten 5/12 = Bl. 182/189 d.A.) wird insoweit Bezug genommen.
(3) Die Beklagte schaltete Anfang Oktober eine Website frei, auf der durch die Eingabe der FIN überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der unzulässigen Abschalteinrichtung (“Schummel-Software“) ausgestattet war. Dies wurde ebenfalls in einer Pressemitteilung (vom 02.10.2015) seitens der Beklagten bekanntgegeben und war Gegenstand einer umfangreichen Presseberichterstattung (vgl. die diesbezügliche Darstellung im Schriftsatz der Beklagten vom 02.01.2020; Bl. 221/222 d.A.).
(4) Am 15.10.2015 gab das Kraftfahrbundesamt in einer Pressemitteilung bekannt, dass es gegenüber der Beklagten den Rückruf von 2,4 Millionen VW-Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen worden waren, angeordnet und der Beklagten auferlegt habe, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zu Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen; betroffen seien Fahrzeuge mit EURO 5 Dieselmotoren der Größe 2 l, 1,6 l und 1,2 l Hubraum.
5) Angesichts dieser Umstände erscheint es nicht gerechtfertigt, für den Juli 2016 noch von einer vorsätzlichen Täuschung seitens der Beklagten, einem planmäßigen Verheimlichen der „Schummel-Software“ gegenüber potentiellen Erwerbern von längst in den Verkehr gebrachten manipulierten Fahrzeugen auszugehen. Auch die Feststellung eines Schädigungsvorsatzes erscheint im Streitfall vor diesem Hintergrund zur Zeit des Kaufvertragsschlusses des Klägers am 18.02.2016 nicht gerechtfertigt (ebenso OLG Stuttgart und OLG Frankfurt a.a.O., deren diesbezüglichen Beurteilungen sich der Senat vollumfänglich anschließt).
c) Selbst wenn man entgegen der obigen Ausführungen von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Täuschung des Klägers seitens der Beklagten zum Kaufzeitpunkt (18.02.2016) ausginge, fehlte es im Streitfall an dem dem Kläger obliegenden Nachweis der Kausalität zwischen der (etwaigen) Täuschung und der Schädigung (vgl. OLG München, 14. Zivilsenat in Augsburg, Urteil vom 19.12.2019, Az.: 14 U 4100/19, abzurufen bei Beck-Online BeckRS 2019, 34136).
Das Landgericht hat auf S. 8 des angefochtenen Urteils erhebliche Zweifel geäußert, dass die Klagepartei überhaupt über die Verwendung einer Abschalteinrichtung getäuscht wurde. Jedenfalls hat es einen auf einer Täuschungshandlung beruhenden Irrtum des Klägers, der kausal für eine Vermögensverfügung war, nicht festgestellt. Dagegen wendet sich der Kläger in der Berufungsbegründung vom 21.08.2019 nicht. Im weiteren Schriftsatz vom 28.01.2020 führt er lediglich lapidar aus, „die Klagepartei ging davon aus und durfte auch davon ausgehen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht vom Dieselskandal betroffen ist (S. 2 = Bl. 217 d. A.). Diese pauschale, nicht begründete und nicht unter Beweis gestellte Behauptung vermag konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der landgerichtlichen Feststellung nicht zu begründen. Damit ist das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellung einer fehlenden Kausalität gebunden.
2. Aus den vorgenannten Gründen kommt auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB nicht in Betracht. Auf andere Anspruchsgrundlagen stützt der Kläger seine Klage in der Berufungsinstanz nicht mehr. Eine Auseinandersetzung mit den im Ersturteil erörterten weiteren Anspruchsgrundlagen § 823 Abs. 2 BGB, § 27 EG-FGV und § 831 BGB erfolgt in der Berufungsbegründung nicht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor; insbesondere kommt es auf die Auffassung, der das OLG Hamm im Urteil vom 10.09.2019, Az.: 13 U 149/18, zuneigt, nicht an, da die Klage schon allein aufgrund des fehlenden Nachweises der Kausalität einer etwaigen Täuschung für die Schädigung des Klägers abzuweisen ist.


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