Europarecht

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines mit einem Thermofenster ausgestatteten Daimler-Diesel-Fahrzeugs (hier: Mercedes Benz C 220d T-Modell)

Aktenzeichen  27 U 495/21

Datum:
24.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39386
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Vgl. auch zur Thematik des “Thermofensters” bei Daimler-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 847; BeckRS 2021, 30607 sowie BeckRS 2021, 33847; BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 31797 mit zahlreichen weiteren Nachweisen in dortigem Leitsatz 1. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehlt es an einem arglistigen Vorgehen der Herstellerin, das die Qualifikation ihres Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Anders als bei einer Software, die die Situation auf dem Prüfstand erkennt, deswegen in einen anderen Modus schaltet und deren Unzulässigkeit deshalb ebenso wie die Gefahr eines Widerrufs der erschlichenen Betriebszulassung auf der Hand liegt, sind beim sog. „Thermofenster“ keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Einbau in dem Bewusstsein geschehen ist, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

93 O 1237/20 2020-12-16 Endurteil LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 16.12.2020, Az. 093 O 1237/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30.04.2021.
3. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert im Berufungsverfahren auf 24.077,14 € festzusetzen. Binnen vorgenannter Frist können die Parteien auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens Stellung nehmen

Gründe

I.
Das Endurteil des Landgerichts Augsburg entspricht der Sach- und Rechtslage.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
Die Tatsache, dass der Kläger in der Berufungsbegründung (vgl. S. 13) pauschal auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen Bezug nimmt, macht die Berufung nicht unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 25.09.2018 – XI ZB 7/17, BeckRS 2018, 26273 Rn. 11 m. w. N.), da er im Folgenden die tragenden Gründe des landgerichtlichen Urteils angreift.
2. Die Berufung ist aber offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
Die tatsächliche und rechtliche Würdigung im angefochtenen Urteil ist frei von Rechtsfehlern. Zu Recht ist das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen, dass Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aufgrund des Erwerbs eines Dieselfahrzeugs der Beklagten nicht begründet sind. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die mit der Berufung erhobenen Rügen verfangen nicht. Zu den Berufungsangriffen ist Folgendes anzumerken: a) Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 311 Abs. 3 BGB i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB bezüglich des im Antrag Ziffer 1 (vgl. Berufungsbegründung, S. 1) geltend gemachten Anspruchs zu. Gemäß § 311 Abs. 3 BGB i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB kann ausnahmsweise eine persönliche Haftung eines Dritten wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten in Betracht kommen, wenn der Dritte zwar nicht selbst Vertragspartner ist, aber in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat und dadurch die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hat. Um ein solches Vertrauen in besonderem Maße für sich in Anspruch zu nehmen, muss der Dritte unmittelbar oder mittelbar durch eine für ihn handelnde Person an den Vertragsverhandlungen teilgenommen haben (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Auflage 2021, § 311 Rn. 63). Im vorliegenden Fall hat der Kläger das Fahrzeug nicht bei der Beklagten, sondern bei der Fa. A. GmbH, D., erworben. Dass bei Abschluss des Kaufvertrages ein Vertreter der Beklagten als 27 U 495/21 – Seite 3 – Vermittler oder Sachwalter zugegen gewesen wäre, hat der Kläger nicht behauptet (vgl. Klage, S. 20).
b) aa) Mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien kommt allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit dem vom Kläger vorgenommenen Erwerb des gebrauchten Pkws Mercedes Benz C 220d T-Modell, Fahrgestellnummer: …48, Erstzulassung: 18.04.2016, Kilometerstand 72.441 km, zum Preis von 26.990,00 €, ausgestattet mit einem Dieselmotor Typ OM 651 (Abgasnorm Euro 6), am 27.04.2018 bei der Fa. A. GmbH, D. (Anlage K1) in Betracht.
Der Senat teilt insoweit in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung, dass für eine deliktische Haftung der Beklagten der Kläger grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen trägt (BGH, NJW 2019, 3638, 3641; OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1498; Senat, Hinweisbeschluss vom 13.11.2020 – 27 U 4262/20). Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, BeckRS 2021, 1283 Rn. 15; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 35). Dieser Grundsatz erfährt eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, BeckRS 2021, 1283 Rn. 16; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 36 ff.). Eine etwaige sekundäre Darlegungslast der Gegenseite setzt aber voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichende, greifbare Anhaltspunkte hierfür dargelegt hat (OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1500 Rn. 44).
bb) Selbst wenn man unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze zugunsten der Klagepartei hinsichtlich des Schadenseintritts das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO für ausreichend erachten würde, steht vorliegend dem Kläger gegen die Beklagte weder ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB i. V. m. § 31 BGB (analog) bzw. § 831 BGB noch aus anderen deliktsrechtlichen Vorschriften zu. Das Landgericht hat das Verhalten der Beklagten auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen mit Recht nicht als verwerflich im Sinne des § 826 BGB angesehen. Es fehlt vorliegend bezüglich eines Anspruchs aus § 826 BGB jedenfalls an der schlüssigen Darlegung eines sittenwidrigen Verhaltens wie auch eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten.
(1) (a) Ob die Funktionsweise des sogenannten „Thermofensters“ mit den Vorgaben des einschlägigen Unionsrechts in Einklang steht, wurde von Rechtsprechung und Literatur bislang nicht einheitlich bewertet (vgl. zum Meinungsstand OLG München, Beschluss vom 29.09.2020 – 8 U 201/20, BeckRS 2020, 24517 Rn. 27 f.; OLG Schleswig, Urteil vom 01.04.2020 – 12 U 75/19, BeckRS 2020, 9840 Rn. 32 m. w. N.). Nunmehr hat der Gerichtshof der Europäischen Union zwar entschieden, dass ein Pkw-Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen darf, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, um ihre Zulassung zu erreichen. Auch die Tatsache, dass eine solche Abschalteinrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern, könne ihr Vorhandensein nicht rechtfertigen (EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18, BeckRS 2020, 35477). Der Bundesgerichtshof hat aber klargestellt, dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) nicht bereits deshalb gegeben sind, weil die Beklagte Fahrzeugtypen aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 Rn. 13).
(b) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten; vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2014, 1380 Rn. 8 m. w. N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 541/15, BeckRS 2016, 17389 Rn. 17 m. w. N.). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, BeckRS 2016, 17389 Rn. 17). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, BeckRS 2021, 4148 Rn. 12; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 Rn. 14).
Bezüglich einer eventuellen sittenwidrigen Täuschungshandlung der Beklagten ist hierbei im vorliegenden Fall nicht allein auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Pkws mit dem Motor OM 651 abzustellen. Vielmehr ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, wobei hierbei der Betrachtung das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat (vgl. BGH, NJW 2020, 2798, 2802).
(c) Vorliegend vermag der Senat auch auf Basis des klägerischen Vortrags, er habe beim Erwerb des Pkws vor dem Hintergrund einer jährlichen Fahrleistung von zigtausend Kilometern Wert auf die Umweltverträglichkeit, also geringe Emissionen und einen niedrigen Kraftstoffverbrauch gelegt (vgl. Klage, S. 24), nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau des konkreten Motors in das Fahrzeug des Klägers unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach unstreitigem Parteivortrag das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes betroffen ist (vgl. Klageerwiderung vom 11.07.2020, S. 7, und Protokoll der öffentlichen Sitzung des Landgerichts Augsburg vom 18.11.2020, S. 2) und des von der Beklagten für den streitgegenständlichen Motor entwickelten Software-Updates (vgl. Anlage K2), das der Kläger bislang nicht in seinem Fahrzeug hat aufspielen lassen (vgl. Protokoll der öffentlichen Sitzung des Landgerichts Augsburg vom 18.11.2020, S. 3), in sittenwidriger Weise tätig wurde.
Die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen. Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das vom Kläger behauptete Thermofenster nach dessen Vortrag darauf, dass die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert beziehungsweise abgeschaltet wird (vgl. Berufungsbegründung, S. 3). Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehlt es an einem arglistigen Vorgehen der Beklagten, das die Qualifikation ihres Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 Rn. 18). Wenn das für das Fahrzeug des Klägers allein konkret in Rede stehende Thermofenster nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Umgebungstemperatur richtet, ist es nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020 – I – 5 U 110/19, BeckRS 2020, 9904 Rn. 30; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 07.11.2019 – 6 U 119/18, BeckRS 2019, 30856 Rn. 31). Bei einer die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes – bis zur Entscheidung des EuGH, s. o. – als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden konnten, kann bei Fehlen jedweder, konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation auch eine falsche, aber vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020 – I – 5 U 110/19, BeckRS 2020, 9904 Rn. 32; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18, BeckRS 2019, 15640 Rn. 5). Aber selbst ein – unterstellter – Gesetzesverstoß der Beklagten würde nicht ausreichen, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, BeckRS 2021, 4148 Rn. 26). Eine Sittenwidrigkeit kommt – was hier nicht der Fall ist – nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung der Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dieses von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, BeckRS 2021, 4148 Rn. 28; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 Rn. 19; OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 584 f.).
Im Übrigen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mit dem Software-Update für das Fahrzeug des Klägers eine von vornherein rechtswidrige Beseitigungsmaßnahme entwickelt und sich genehmigen hat lassen. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kraftfahrt-Bundesamt gegenüber bezüglich des von der Beklagten entwickelten, in der Anlage K2 angesprochenen Software-Updates unzutreffende Angaben gemacht worden sind mit der Folge, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt über die Arbeitsweise des für den Motor OM 651 entwickelten Emissionskontrollsystems im Irrtum befunden hätte, sind weder ersichtlich noch in der Berufungsbegründung ausreichend dargetan (vgl. dort insbesondere S. 6).
(2) (a) Zudem fehlt es jedenfalls an dem für eine deliktische Haftung notwendigen Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. OLG Schleswig, BeckRS 2020, 9840). Vorsatz enthält ein „Wissens “ und ein „Wollenselement“. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss – im Fall des § 826 BGB die Schädigung des Anspruchsstellers -, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben (vgl. BGH, VersR 2002, 613, 615; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Auflage 2021, § 276 Rn. 10). Die Annahme der – vorliegend auch in Betracht kommenden – Form des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 1207, 1210). Der Vorsatz muss sich auch auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht (BGH, NJW 2001, 2880, 2882).
Dagegen reicht es nicht aus, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen. In einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, NJW-RR 2012, 404 Rn. 10).
Von den materiellen Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes sind die Anforderungen zu unterscheiden, die an seinen Beweis zu stellen sind. So kann sich im Rahmen des § 826 BGB aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Auch kann es im Einzelfall beweisrechtlich naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. Allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch einverstanden war. Vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich (BGH, NJW-RR 2012, 404 Rn. 11 m. w. N.).
(b) Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) lässt sich nicht daraus ableiten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem sogenannten „Thermofenster“-Mechanismus ausgestattet ist.
Anders als bei einer Software, die die Situation auf dem Prüfstand erkennt, deswegen in einen anderen Modus schaltet und deren Unzulässigkeit deshalb ebenso wie die Gefahr eines Widerrufs der erschlichenen Betriebszulassung auf der Hand liegt, ist dies beim sog. „Thermofenster“ gerade nicht der Fall. Es sind vorliegend auch unter Berücksichtigung des von der Beklagten entwickelten Software-Updates keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Einbau der Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor OM 651 in dem Bewusstsein geschehen ist, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Denn der Einschätzung im Hinblick auf das Thermofenster konnte auch eine möglicherweise falsche, aber bis zur Entscheidung des Gerichtshof der Europäischen Union vom 17.12.2020 dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele. Unerheblich ist hierbei, ob es andere technische Möglichkeiten gab, mit denen auch bei geringerer Reduzierung der Abgasrückstände das Risiko von Motorschäden vermieden und zugleich die weiteren Schadstoffgrenzen eingehalten werden konnten. Unabhängig davon, ob solche Möglichkeiten der Beklagten auch bekannt gewesen waren, kann es keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellen, wenn ein Kfz-Hersteller nicht der Vorreiter der technischen Entwicklung ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020 – I-5 U 110/19, BeckRS 2020, 9904 Rn. 42).
(3) Nichts anderes gilt bezüglich Sittenwidrigkeit und Vorsatz der Beklagten, soweit der Kläger behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug, das unstreitig mit einem sog. SCR-System ausgestattet ist (vgl. Protokoll der öffentlichen Sitzung des Landgerichts Augsburg vom 18.11.2020, S. 3), also Abgaskatalysatoren, die Strickoxidemissionen, die während des Verbrennungsprozesses im Dieselmotor entstehen, anschließend unter Beimischung einer wässrigen Harnstofflösung (“AdBlue“) in elementaren Stickstoff und Wasser umwandeln, die Einspritzung von „AdBlue“ drosselt und die Abgasreinigung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt funktioniert, sobald die Füllmenge des Tanks sich langsam dem Ende zuneigt (vgl. Berufungsbegründung, S. 6 ff.).
(4) Entsprechend gehen – auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2021 (BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, BeckRS 2021, 1283) – die Hinweise des Klägers auf die sekundäre Darlegungs- und Beweislast der Beklagten (vgl. Berufungsbegründung, S. 6) ins Leere. Einer sekundären Darlegungslast fehlt es vorliegend an der erforderlichen Grundlage. Denn diese kommt erst zum Tragen, wenn die primär darlegungs- und beweisbelastete Partei Anknüpfungstatsachen schlüssig vorgetragen hat und sich daraus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit ihres Vortrags ergibt (BGH, NJW 2015, 947, 948; OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 586 Rn. 90). Es bleibt auch im Rahmen der sekundären Darlegungslast bei dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen (Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, vor § 284 Rn. 34).
cc) (1) Auch die Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 31 BGB/831 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB sind entgegen der Rechtsauffassung des Klägers (vgl. Klage S. 18 ff.) nicht erfüllt, da es auch hier an der substantiierten Darlegung eines entsprechenden Vorsatzes der Beklagten fehlt (s. o.). Im Übrigen wäre im vorliegenden Fall auch die für den Betrugstatbestand erforderliche Stoffgleichheit zwischen einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfe (§ 831 BGB) der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte, nicht gegeben, weil diese bzw. die Beklagte keinen unmittelbaren Vorteil aus dem Kaufvertrag des Klägers mit der Fa. A. GmbH, D., ziehen konnten (vgl. BGH, NJW 2020, 2798, 2801). Ein etwaiger dem Kläger entstandener Schaden kann stoffgleich allenfalls mit dem Vorteil sein, der der Fa. A. GmbH als Verkäuferin aus dem Fahrzeugverkauf zugeflossen ist (vgl. BGH, a. a. O.).
(2) Der Kläger kann den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 5 Abs. 1, 2 i. V. m. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Dieser Anspruch scheitert – neben der fehlenden schlüssigen Darlegung des erforderlichen subjektiven Tatbestandes, s. o. – im Gegensatz zur Rechtsansicht des Klägers (Klage, S. 16) bereits am Schutzcharakter des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, NJW 2020, 2798, 2799 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020 – I – 5 U 110/19, BeckRS 2020, 9904 Rn. 47 ff.).
c) Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung (vgl. S. 4 ff.) eine Verletzung des § 139 ZPO durch das Landgericht des Inhalts rügt, dass das Landgericht darauf hinweisen hätte müssen, dass aus Sicht des Gerichts der Vortrag des Klägers hinsichtlich einer konkreten Schädigungshandlung der Beklagten unzureichend ist, verfängt dieser Einwand nicht.
Damit der Senat die Kausalität einer Verletzung der Prozessleitungspflicht (§ 139 ZPO) prüfen kann, muss bereits in der Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO) angegeben werden, wie die betreffende Partei auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte, insbesondere was sie im Einzelnen vorgetragen und welche rechtlichen Ausführungen sie in diesem Fall gemacht hätte (BGH, GRUR 2008, 1126, 1127; Zöller/Greger, ZPO, § 139 Rn. 20). Ein entsprechender Vortrag ist hier der Berufungsbegründung vom 22.03.2021 nicht zu entnehmen.
3. Mangels eines Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs befindet sich die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug.
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens im Hinblick auf Ziffer 1 des Berufungsantrags – ausgehend vom Kaufpreis des Pkw abzüglich der Nutzungsentschädigung (vgl. zum Antrag Ziffer 1 in der ersten Instanz die Ausführungen des Klägers in der Klage vom 02.04.2020, S. 29) – auf 24.077,14 € festzusetzen. Die vom Kläger bezifferte Nutzungsentschädigung ist als Vorteil vom Kaufpreis abzuziehen, ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schuldners bedürfte. Es handelt es sich – anders als im Fall des Rückgewährschuldverhältnisses nach §§ 346 ff. BGB – um einen Fall der Anrechnung, nicht der Aufrechnung, die auch im Rahmen der Streitwertberechnung vorzunehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23.02.2021 – VI ZR 1191/20, Rn. 6). Den geltend gemachten Zinsen kommt keine streitwerterhöhende Wirkung zu.
II.
Aus den dargelegten Gründen hat die Berufung unter keinem Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg. Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Nach Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen o. g. Frist zu prüfen. Im Falle einer Rücknahme ermäßigt sich gemäß Nr. 1222 S. 2 KV zum GKG die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen von 4,0 auf 2,0.


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